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24 Dezember 2023

Litauen - was war das noch genau?

Es ist noch nicht so lange her, dass Deutsche, egal ob im Osten oder Westen aufgewachsen, die drei baltischen Staaten nicht auseinanderhalten konnten: Hauptstadt von Litauen? Riga? Unsichere Rückfragen waren die Antwort. 

Heute, Ende des Jahres 2023, drohen die Potentiale Litauens wieder zu verschwimmen - ausgelöst von Putins gewaltsamen Agressionen gegen die Ukraine. Aber selbst wenn wir sicher sind, wer und was der Auslöser ist - diese Dominanz des Militärischen ist nur allzu bedauerlich. Einige von denen, die vor 10, 20 Jahren noch gar nicht wissen wollten, wo Litauen genau liegt meinen heute die Befindlichkeiten einschätzen zu können - sie vermuten, dass die Litauerinnen und Litauer vor allem froh seien, Mitglied der NATO zu sein.

Deutsche schicken zum Jahresende "Weihnachtsgrüße an Soldaten im Ausland" (SWR), und meinen damit auch Litauen. Litauer reparieren deutsche Panzer (Merkur) und freuen sich, dass die deutschen Soldaten bald kommen (Regionalheute). Zitiert werden litauische Aussagen wie diese: „Kein anderes Nato-Land leistet an der Ostflanke so viel wie Deutschland“ (RND). Eine "deutsche Kampfbrigade" wird als "Jahrhundertprojekt" (t-online) ausgerufen - was bedeuten würde, dass die deutsche Sicht auf Litauen nun auf Jahrzehnte (militärisch) verstellt sein würde. Wer es richtig "martialisch" mag, liest bei "3sat" nach: dort stellen die baltischen Staaten inzwischen "drei Stacheln im russischen Fleisch", und Litauen besteht hier aus einer unablässigen Folge militärischer Aktivitäten. 

Auch die finanzielle Seite wird immer wieder erwähnt: Deutschland stellt ein "Sondervermögen" (sprich: Schulden mit Deckname) bereit, müht sich aber - im Gegensatz zu Litauen - mit dem allseits diskutierten "2%-Ziel" ziemlich ab (= Anteil vom Bruttoinlandsprodukt, siehe "Tagesschau"), 2019 waren es auf deutscher Seite lediglich 1,2%. - Die deutsche Presse aber sorgt sich, ob Litauen die Stationierung "einer zweiten Armee" (so bezeichnete es Verteidigungsminister Anušauskas), also 5.000 deutsche, neben den eigenen 15.000 litauischen Soldaten, auch leisten kann. Derweil reformiert Litauen die Wehpflicht, auch ein Studium kann jetzt kein Grund mehr für eine Verschiebung sein (LRT)

Tja, somit können wir uns also vorstellen, woran Deutsche gegenwärtig denken, wenn das Stichwort "Litauen" fällt. Wohl nicht mehr zuerst an das Sommerhaus von Thomas Mann, zum Beispiel. Und es wird nicht besser, wenn wir mal vom Militärischen absehen. Immer noch irrlichtert die alte Legende durch die deutschen Medien, fast alle gestohlenen Autos würden irgendwann in Litauen landen (siehe "Die Zeit") Und es gibt inzwischen nicht nur Sorgen, über Belarus würden absichtlich Flüchtlinge nach Litauen und somit in die EU geschleust werden - es gibt auch angeworbene litauische Schleuser, die zum selben Zweck, mit nebulösen Versprechungen gelockt, in anderen osteuropäischen Ländern aktiv sind (Grenzecho)

Also: was sind die wichtigsten Schlagworte für Deutsche in Bezug auf Litauen? "Gefechtsbereit"? Es kingt wie eine seltsame Musik aus der Ferne, wenn wir uns erinnern, dass die Litauen-Werbung mal von Vilnius als "G-Punkt Europas" sprach (Blogbeitrag). Das war 2018. Inga Romanovskienė, bis vor kurzem noch Leiterin des Stadtmarketings von Vilnius, verteidigte den Slogan unter anderem mit dem Argument, in Deutschland habe man durch Umfragen festgestellt, nur 40 bis 50 von 1000 Menschen wollten überhaupt wissen, was Vilnius ist und wo es liegt. Ihr Ausruf damals: "wir haben nicht mal theoretisch die Chance, irgendein Image zu beschmutzen, denn wir haben überhaupt keins!" (eurotopics / madeinivilnius). 

Nein, die deutsch-litauischen Beziehungen werden andere Anknüpfungspunkte brauchen. Auch wenn Putin uns zu weiteren militärischen Anstrengungen zwingt. Immerhin registrierte ein einzelner Beitrag in der Berliner Zeitung (3.12.23) auch mal Litauen als "unterwegs ins Wirtschaftswunder" - abseits vom deutschen Medien-Mainstream. Zitat: "In für deutsche Verhältnisse erstaunlicher Geschwindigkeit werden da Straßen gebaut, Netze gelegt und öffentliche Nahverkehrsverbindungen eingerichtet. Die vollen Parkplätze zeigen zudem, dass es genügend Arbeitskräfte gibt. Das eine bewirkt das andere. Die Löhne steigen – und damit auch, derzeit, die allgemeine Zufriedenheit." Ein Stimmungsbericht, ausnahmsweise mal nicht aus irgendwelchen Kasernen. Aber Litauen, das sind auch nicht nur ökonomische Statistiken. Ich denke, Litauen ist mehr. 

Empfehlenswert zu lesen sind zum Beispiel die Aussagen von Laurent Le Bon, Chef des "Centre Pompidou" in Paris, über seine Litauen-Erfahrungen. Da finden sich Aussagen wie diese: "Litauen einfach als baltischer Staat zu präsentieren, ist ein Fehler!" (LRT) Litauen habe eine spezielle Identität aufzuweisen, die sich auch von den beiden "baltischen" Nachbarn unterscheide. Also: lesen wir nach, und schauen wir vor Ort mal nach!

11 November 2008

Mit Russland reden - oder lieber nicht?

Litauen, Russland, und Europa - wohin führt der Weg?
Von einer Rückkehr zur Normalität der Beziehungen mit Russland möchte Litauen momentan nicht sprechen - zunächst seien die Vereinbarungen zu Georgien zu erfüllen, die Russland gegenüber der EU zu erfüllen habe. "Mit Abschluß der Sonderabkommen mit Süd-Ossetien und Abchasien hat Russland gezeigt, dass es nicht beabsichtigt, die mit der EU getroffenen Vereinbarungen zu erfüllen," so sagte es Žygimantas Pavilionis, Unterstaatssekretär im litauischen Außenministerium. Dahinter steckt einerseits die Forderung, Russland möge seine militärischen Positionen so wiederherstellen, wie sie vor den bewaffneten Auseinandersetzung in Georgien waren, und anderseits die Furcht, "Ähnliches wie in Georgien" - also ein militärisches Eingreifen Russlands in Nachbarländern immer dann, wenn der Kreml russische Interessen gefährdet sieht.

Aber gegen ein Wiederaufnahme der Gespräche zwischen der Europäischen Union und Russland zu plädieren (gemeinsam mit Polen), sorgte auch für Stir
nrunzeln. Für die Pragmatiker der EU wird ein Satz immer oben an stehen: Miteinander reden ist die einzige Strategie zur Vermeidung von größeren Konflikten. - Nur: der größte anzunehmende Unfall - Krieg (in Georgien) - war schon eingetreten, und die EU war nicht in der Lage gewesen, diese Eskalation zu verhindern. Grund genug wiederum für einige osteuropäische EU-Mitgliedsstaaten, die EU-Kolleg/innen grundsätzlich für "zu weich und zu nachgiebig" gegenüber Russland zu halten.

Meine Raketen - deine Raketen
Dazu kommt noch die leidige Raketenfrage. Erst müssen Interessen der USA offenbar unbedingt durch Raketenstationierung in direkter Nachbarschaft Russlands gesichert werden, nun kommt auch Russlands Präsident Medwedjew mit neuen Raktenplänen in Kaliningrad aus der Deckung. Details zu dem in Kaliningrad zu stationierende System der russischen Iskander-Raketen veröffentlichte zum Beispiel Kommersant (9.11.08 -siehe Foto). Klar ist, das hiermit nicht nur Litauen, Polen oder der Osten Deutschlands ins Visier genommen werden, sondern mit einer Reichweite von 500km nahezu jedes Ziel in Nordosteuropa.

Wie ist also die Lage einzuschätzen? "Eine Hand für Russland" so fällt die Zwischenbilanz der Süddeutschen Zeitung aus, und es wird nicht zu erwähnen vergessen, dass wohl Polen auf eine Beilegung des Streits um Lebensmittellieferungen nach Russland hoffen darf, Litauen aber mit der von russischer Seite unterbrochenen Energieversorgung für die Raffinerie Mažeikiai kaum Ähnliches erwartet.
Der Standard dagegen widmet sich in seiner Ausgabe vom 10.11. den sonstigen Plänen der Region Kaliningrad und fördert - angesichts der aktuellen Vorzeichen - Überraschendes zutage. Riesige Casino-Areale einerseits, neue Hotels und Radwege andererseits hat Kommentator Michael Gorodkov in "König" (wie sich die Region manchmal selbst nennt) ausgemacht. Und eine Sonderwirtschaftszone, der die Einwohner weglaufen: Russen müssen mit ökonomischen Zusagen dazu bewegt werden, in die Exklave zu ziehen. Da läßt sich vermuten, dass schussbereite Raketen weder den Hotels noch den Radwegen zu Gute kommen wird, und der Kreml da wohl andere Pläne hat.

Ziele, Taktik, Untertöne
"Was ihr da macht, ist wirklich gefährlich!" Das will laut "die Presse" der luxenburgische Außenminister Jean Asselborn der russischen Seite gerne sagen, und sagt auch, dafür müsse man eben an einem Tisch sitzen.
Ausgerechnet die konservative WELT meint nun Entgegenkommen bei Russlands Präsident Medwedjev zu erkennen, und zwar in dessen Lob für Frankreichs Präsident Sarkozy, weil diesem das „Hauptverdienst bei der Überwindung des Widerstands einiger EU-Länder“ zukomme. In diesem Punkt steht die WELT in einer Reihe mit der russischen Nachrichtenagentur RIAN, die in der vergangenen Woche gleich mehrmals Litauen als Hauptgegner ausrief (und einige Westmedien druckten es genauso nach).
Also: erst kleine Gegner aufbauen, um dann bei den Großen taktische Geländegewinne zu erzielen? "Die Unterstützung für Georgien schwindet", so zitieren dementsprechend die "Georgien-Nachrichten" die ehemalige Parlamentspräsidentin Georgiens Nino Burdshanadse.

Es ist ja jedem zu wünschen, die eigenen Interessen wahren zu können - hoffentlich geht es einen friedlichen Weg.

07 Mai 2008

Litauen als Faktor in der EU

Während Estland sich mit den Nachwehen der unruhigen Maifeierlichkeiten des Jahres 2007 herumschlägt, und Lettland sich immer wieder mit Forderungen konfrontiert sieht, doch für die "russischsprachigen" Bürger/innen das Kommunalwahlrecht einzuführen (bzw. den Status der "Nicht-Staatsbürger" möglichst ganz abzuschaffen), herrscht in Litauen bezüglich der Beziehungen zum großen Nachbarn Russland ruhige Gleichmütigkeit. Sollte man meinen.

Aufsehen um Litauen
Die Wirklichkeit sieht anders aus. In der Ausgabe des "Tagesspiegel" vom 5.5.2008 rief Stefan Bickerich sogar einen "Prager Frühling II" aus. Nur einen Tag vorher bemühte sich die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti um Beruhigung der Diskussion, und wählte die Überschrift "viel Lärm um nichts". Worum geht es aber?

Die Europäische Union möchte mit Russland ein neues, für alle EU-Mitgliedsstaaten geltendes Partnerschaftsabkommen (PKA) aushandeln - das bisherige lief 2007 aus. Vereinbart ist bisher nur, dass dieses alte weiter gelten soll, bis ein neues ausgehandelt ist. Ne
u verhandelt werden unter anderem die Bereiche der Energieversorgung und der Sicherheitspolitik.
Und in diesem Zusammenhang wurde die Position Litauens i
n den vergangenen Wochen zum Faktor der Diskussion, bzw. zum Bestandteil von Schlagzeilen in den deutschen Medien: "Russlands Verhandlungen mit EU und WTO blockiert" (Deutsche Welle), "Litauen bremst weiter EU-Russland-Verhandlungen" (Reuters), "EU streitet über Umgang mit Russland" (Financial Times Deutschland), oder sogar: "Litauen weiter gegen EU-Verhandlungen mit Russland" (AP / Finanzen.net).Respekt für die litauischen Positionen eingefordert
Litauens Position bezüglich der EU-Verhandlungen mit Russland ist "Sicherheit, Gerechtigkeit, Solidarität" - so das litauische Außenministerium in einer eigenen Stellungnahme. "Litauen befürwortet die Aufnahme von Verhandlungen mit Russland, aber die konkreten litauischen Interessen müssen berücksichtigt und auch benannt werden dürfen," so die litauische Haltung. Was sind "litauische Interessen"? Derselbe Text benennt die Sicherung der Energieversorgung (Russland solle die Versorgung Litauens über die Drushba-Pipeline zügiger wieder aufnehmen), Rechtssicherheit, und sicherheitspolitische Fragen Osteuropas (Russland soll die volle staatliche Integretät von Georgien und Moldawien garantieren). Litauen befürwortet auch die NATO-Mitgliedschaft von Ländern wie Georgien (und hat damit Deutschland und Frankreich nicht an seiner Seite).
Weiterhin möchte Litauen dem EU-Russland-Abkommen eine gesonderte Erklärung zur rechtlichen Zusammenarbeit beifügen. Und Litauen strebt auch an, Kriminalprozesse zu starten bezüglich der Ereignisse am 13.Januar 1991 in Vilnius (versuchter Putsch der "schwarzen Barette", Erstürmung des Fernsehturms in Vilnius) und auch am 31.Juni 1991 in Medininkai (ein damals neu eingerichteter Grenzübergang). Und schließlich wird auch die Frage möglicher Schadenersatzforderungen heutiger EU-Bürger/innen, die zu sowjetischen Zeiten nach Sibirien deportiert wurden, nicht unerwähnt gelassen.

Am 29.April bekundete das litauische Außenministerium im Rahmen einer erneuten Presseerklärung erste Zufriedenheit: "die Europäische Union versteht die litausche Position immer besser." Eine weitere Annäherung der Positionen sollen jetzt unter Vermittlung der gegenwärtigen EU-Präsidentschaft Sloweniens versucht werden.

Nur Vorwahlkampf? Profilierungsversuche? Oder europäische
Ignoranz?
Was bleibt, ist der auch in der Presse sich wiederspiegelnde Eindruck, dass Litauen sich auch innenpolitisch als selbstständig handelnder Partner zu profilieren sucht. Kommentator Andrej Fedjaschin versucht bei "RIA Novosti" gleich alles als Wahlkampfgeklingel abzutuen - und die litauische Position gegenüber den anderen EU-Partnern zu isolieren. "Alles eine Sache von höchstens ein paar Wochen", so Fedjasc
hin, dies hätten ihm "EU-Diplomaten, die anynoym bleiben wollten", versichert. Schließlich seien am 12.Oktober in Litauen Parlamentswahlen angesetzt - andere Gründe der Vorsicht gegenüber Positionen Russlands will er nicht gelten lassen.

Für den größten Kontrast dazu hat nun
Stefan Bickerich im "Tagesspiegel" gesorgt. Dort ist gar zu lesen: "40 Jahre nach dem CSSR-Aufstand erhebt sich wieder ein Land in Osteuropa gegen Moskau. Es ist das kleine Litauen." Russland blockiere die Öllierungen an das kleine baltische Land aus fadenscheinigen Gründen, und nach Fertigstellung der Ostsee-Pipeline, an Litauen vorbei, sei Litauen sowieso einer möglichen Willkür Moskaus ausgeliefert. Deutschland dagegen setze weiterhin auf "Sonderbeziehungen zu Moskau".
Eine Meinung, die viele andere deutsche Journalisten nicht unbedingt teilen mögen.
Zumindest das deutsch-litauische Verhältnis wird für besser gehalten, als man aus solchen Szenarien folgern müsste.
Bei "Europolitan" wird Europa-Staatsminister Günter Gloser (SPD) mit der zuversichtlichen Äusserung zitiert, die slowenische EU-Präsidentschaft werde Litauen "zu einem Umdenken" bewegen. In "die Presse" werden gar die litauischen Argumente verwischt und verwechselt; Zitat: "Außerdem müsse Moskau gedrängt werden, stärker bei der Suche nach Litauern zu helfen, die in den 1990er-Jahren verschwunden sind."
(es geht um einen litauischen Geschäftsmann, der 2007 im Gebiet von Kaliningrad verschwunden ist - und natürlich um die erwähnten Ereignisse aus dem Jahr 1991).
Derweil zitiert RIA Novosti genüßlich die Position der estnischen Botschafterin Kaljurand in Moskau: "Estland hat die EU-Russland-Gespräche nie blockiert."

"Das größte Risiko für die Europäische Union liegt aber darin, dass Putins Politik sie spaltet" - so formulierte die "Süddeutsche Zeitung" bereits am 16.5.2007 zum gleichen Thema. Es sieht so aus, als ob noch nicht alle Diskussionen zu einem konstruktiven Ende geführt werden können, mit dem dann auch Litauen und Deutschland gleichermaßen zufrieden wären.