14 Mai 2018

Litauisch Oberhausen

Die diesjährigen 64.Kurzfilmtage Oberhausen haben mit der Vergabe des Großen Preises der Stadt Oberhausen einen Filmemacher aus Litauen geehrt: Deimantas Narkevičius.Ein Name, der in Deutschland wohl in Kunstkreisen und unter Kulturschaffenden - aber nicht so sehr in allgemeinen Öffentlichkeit bekannt ist.

Narkevičius, geboren 1964 in Utena, studierte zunächst Bildhauerei an der Kunstakademie Vilnius. 1992/93 verbrachte er ein Jahr in London. Nach seiner Rückkehr begann er Gespräche mit Künstler/innen aufzuzeichnen - das narrative Element hat er sich in seinen Filmen erhalten, wie etwa in "The role of Lifetime".
Heute gilt Narkevičius als einer der international bekanntesten und anerkanntesten Künstler Litauens. 2001 repräsentierte er sein Heimatland bei der Bienale von Venedig, und auch 2003 war er in Venedig präsent. Seine Ausstellungsprojekte erstrecken sich über die ganze Welt: über London, Paris oder Brüssel bis nach Melbourne.

In seinen Filmen versucht er stets ein Thema aus der Geschichte aufzugreifen. Hier scheut er auch nicht vor schwierigen Themen zurück, die in er litauischen Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, wie zum Beispiel die jüdische Vergangenheit und der Holocaust in Vilnius, oder die Schwierigkeiten von Homosexuellen im Alltag.

In einem Interview bezeichnete er Ferneh-Dokumentationen der 70iger Jahre als bevorzugtes Arbeitsmaterial: "Die Interviews wurden damals meist mit 16mm-Kameras gemacht, dann wurden sie geschnitten und noch am selben Abend verwendet - es geschah also oft in ziemlicher Hektik. So musste zu einem gewissen Maß auch experimentiert werden. Diese Filme wurden durchgesehen und gesendet, sie schufen interessante Möglichkeiten um Film zu nutzen. Ich habe darüber erst sehr viel später nachgedacht." 
aus: "Manifesta 10" (Sad songs of war)

Eine andere Aussage von Narkevičius ist, dass seine Filme auch als "Ausweitung seiner Skulpturen" angesehen werden können. "Für Manifesta2 habe ich auch Filmmaterial benutzt", sagt er. "Und der Prozess, eine Skulptur zu schaffen, ist bei mir auch ähnlich wie das Arbeiten mit Film." So wundert es auch nicht, dass sowohl die Riesenbüste von Karl Marx im heutigen Chemnitz (zu DDR-Zeiten=Karl-Marx-Stadt) bei Narkevičius Thema sind, wie auch die ehemals ganz Litauen dominierenden Lenin-Skulpturen (heute versammelt im "Grūto Parkas" zu sehen), oder der Abbau der letzten Sowjetmonumente von der "Grünen Brücke" in Vilnius. Dabei kann Narkevičius mit diesen Statuen ganz anders umgehen, wie er es als Bildhauer könnte: "gewöhnlich sind diese Figuren ja nicht dafür geschaffen worden, damit sie in dem Moment betrachtet werden wie sie aufgestellt oder wieder abgebaut werden."

Hat Narkevičius Vorbilder? Beeindrucked habe ihn die Persönlichkeit von Werner Herzog: "Ich war beeindruckt von seiner Persönlichkeit", erzählt er. Auch sein Film "Revisiting Solaris" ist einem Filmmacher und einem Visionär gewidmet: Adrejs Tarkowski und Stanisław Lem, dazu werden Landschaftsmotive von Mikalojus Konstantinas Čiurlionis genutzt.
Inzwischen, nach all seinen internationalen Erfolgen, wird Deimantas Narkevičius wohl selbst schon zum Vorbild für viele jüngere Künster/innen geworden sein.

Interview mit Deimantas Narkevičius   / Forum der Berlinale 2012

Deimantas Narkevicius - The Role of a Lifetime    / The arrow of time

Deimantas Narkevicius in Münster     / Head (Der Kopf)

Baltic Bites   / Kurzfilmtage Oberhausen  /  Lo Schermo Dell’Arte Film Festival (Interview)

Into the Unknown   /   Manifesta 10    / Ausgeträumt