16 April 2018

Diplomatie der Hundertjährigen

Endlich auch mal gemeinsam auf Tournee gehen - war das die Idee hinter der diplomatischen Frühlingsoffensive der drei baltischen Präsidentinnen und Präsidenten? Erst in Washington bei US-Trump, dann in Paris bei Macron, und kurz danach dann die lange erwartete Eröffnung der "London Book Fair" (mit Schwerpunkt auf den drei baltischen Staaten).

Der Ausflug zum US-Präsidenten wird unter einem zweispältigen Motto gestanden haben: die einen sehen hier die treuen US-Vasallen ihrem Herrn und Befehlshaber berichten, die anderen wollen eher ängstlichen Nachfragen erkennen, ob denn der wankelmütige und eher unberechenbare Chef im Weißen Haus es überhaupt noch wichtig findet, den Schutz der NATO für die baltischen Staaten zu bestätigen - die Litauerin Dalia Grybauskaite hatte von "unpredictable leadership" gesprochen (CNN) (siehe auch: Pressekonferenz1 / Pressekonferenz2 ).

Kulturelle Aktivitäten waren beim USA-Besuch offenbar nicht geplant - und der Wortlaut der Presseerklärungen lässt sich schnell zusammenfassen: wir, die Balten, sind froh dass die USA für unsere Sicherheit bürgt, als Gegenleistung sorgen wir für ein vorteilhaftes Klima für US-Investoren und gegen 2% unseres Bruttosozialproduktes für Rüstung aus. Einschließlich dem verdeckten Versprechen, in den USA die Waffen für die eigene Armee einzukaufen (so funktioniert doch "Amerika first"?). Immerhin ging Grybauskaite soweit, gleich mehrfach öffentlich die vermeintlichen Trump'schen Vorwürfe gegen andere NATO-Mitglieder zu wiederholen ("they have not paid their bills"), und speziell gegen Deutschland sogar noch nachzulegen: die Nord-Stream-Pipeline mache abhängig vom russischen Gas.

Zurück auf dem europäische Kontinent, kam wieder mehr "Kultur" auf, als beim "Auswärtsspiel" in Washington. "Wilde Seelen" heißt die Ausstellung im Musée d'Orsay in Paris - Malerei der Zeitperiode zwischen den 1890er Jahren und der Zeit von 1920 bis 1930. Oder auch: "Čiurlionis und mehr!" So gelingt es zumindest für die Ausstellungsbesucher den Zugang zu öffnen für die Sichtweisen vor 100 Jahren. "Unsere Etnografie, unsere Wurzeln, unser Kulturerbe" - so beschreiben die Ausstellungsmacher das, was sie zeigen wollen.

Dalia Grybauskaite nennt die Beziehungen zu Frankreich "strategische Partnerschaft" (Presseerklärung); und sie kommt auch schnell wieder auf Zahlen und Finanzen: schließlich habe Frankreich 22 Tonnen Gold aus litauischen Besitz während der Okkuptationszeit aufbewahrt und danach an Litauen zurückgegeben. Und das Bild "Rex" von Čiurlionis sei schließlich mit 1 Millon Euro Versicherungssumme das teuerste der gesamten Ausstellung - so als ob rein kulturelle Aktivitäten in Litauen keine Währung mehr seien, und alles in Zahlen statistische Erfolge umgerechnet werden muss. 

Und schließlich die "London Book Fair" - mit Länderschwerpunkt Estland, Lettland und Litauen. Die Ankündigungen dazu klangen teilweise sehr kreativ: "die Bücherschmuggler kommen!" (Bookseller). - Hier konnte Litauen sicher Erfahrungen der Buchmesse Leipzig 2017 nutzen (mit Schwerpunkt Litauen). Gleichzeitig wurde bekannt, dass Buchverleger aus den baltischen Staaten mehrere Preise gewannen: darunter war auch "Alma Littera" aus Litauen, denen der  "Market Focus Baltics Young Adult Publisher Award" zugesprochen wurde. "Die Stärke des Kinderbuchmarkts in den baltischen Staaten hat die Jury beeindruckt" (Börsenblatt).

Es ist anzunehmen, dass der Auftritt der litauischen
Buchverleger/innen und Schriftsteller/innen weniger
Ängste hervorgerufen hat, als es hier ein lettischer
Karikaturist befürchtet ...
Für manche Medien und Berichterstatter scheinen auch die litauischen Namen schlichtweg zu lang und zu kompliziert zu sein - so wird bei "Gulf News" von der Buchmesse und einer "Cristina Sabalia" berichtet. Die litauische Presse berichtet von der Londoner Buchmesse auch als "Nischensuche auf dem englischsprachigen Markt": 200 Bücher seien präsentiert worden, darunter 19 Neuübersetzungen ins Englische, unter der Beteiligung von 26 litauischen Verleger/innen.

Für den Rest des Jahres ist anzunehmen, dass die drei Hundertjährigen (ok, Litauen war 1918 bereits "wiedergeboren") ganz auf den Tourismus setzen werden. Sogar der Papst hat ja für September sein Kommen bereits angekündigt. 

12 April 2018

Der Baltenbeste

"Baltische" (litauisch-lettische) Projekte, auch
von der EU gefördert (INTERREG)
Was sind eigentlich "Balten"? Vielleicht die Bewohner des "Baltikums"? Tatsächlich steht es so im "Duden" (online). Aber viele haben sich diese Fragen schon gestellt, und ebenso viele wurden schon mit vereinfachenden Antwortschablonen abgespeist. Manche führen die Bezeichnung auf die "baltischen" Stämme zurück, so wie sie vor einigen Jahrhunderten existierten - also Selonen, Schamaiten, Galinder oder Jadwinger. Andererseits begannen auch die Deutschen, die im bis zum 1.Weltkrieg existierenden, alten "Livland" wohnten, sich als "Balten" zu bezeichnen - "Baltendeutsche" eben (ein vor allem in der Nazizeit üblicher Begriff), oder "Deutschbalten" (wie es heute üblich ist).
Für wieder andere ist "Twangste" der Schlüsselbegriff, eine (alt-)prussische Burg, die ungefähr dort gestanden haben soll wo später die Deutschen ihr Königsberg erbauten - als geschichtlicher Beweis, dass nicht erst die Deutschen diese Gegend als erste besiedelten und "kultivierten", wie sie es oft meinten.
Sogar vom lettisch/litauischen Wort für "weiß" (= "balts", litauisch = "baltas") leiten manche den Begriff "Baltikum" ab - das "weiße Meer" ("Baltijas Jūra" / "Baltijos Jūra"). Oder doch das "Baltikum-Meer"? (Die Esten sind da eindeutiger: Ostsee = Läänemeri / "Westsee")

"Balten" also. Schwierig wird es vielleicht, wenn sich aus Estland stammende Deutsche als "Balten" bezeichnen, ihre (ehemaligen) Nachbarn, die Estinnen und Esten, aber ausdrücklich nicht. Schließlich sprechen Esten eine finno-ugrische, keine indoeuropäische Sprache, und nähern sich gern dem "Nordischen" an - ihren Brüdern und Schwestern, den Finninnen und Finnen, und Skandinavien eben.

Nun wollen offenbar Lettland und Litauen ein Zeichen setzen - und suchen "den besten Balten". Die beiden Außenministerien, das litauische wie das lettische, wollen damit auf den 22. September hinweisen - den von beiden Ländern inzwischen festgelegten "Tag der Baltischen Einheit" (siehe Blogbeitrag). Auf dass dieses Datum nicht nur eine Art romantische Erinnerung an verlorene Zeiten und Chancen sei (hätten wir nur damals so weitergemacht, so einig!), sondern neuen, aktuellen Sinn ergebe. Der "Baltische Preis" ("Balt's Award" / "Baltų apdovanojimas" / "Baltu balva"). Linguisten, Historiker, Journalisten oder Übersetzer seien damit besonders angesprochen - vermutlich besonders solche, die insbesondere zusammen mit dem "baltischen" Nachbarn wirken.

Künftig also: "der beste Balte" - im litauisch-lettischen Sinne (die Bezeichnung "Baltų apdovanojimas" als "Weißen Preis" zu übersetzen wäre vielleicht nicht angemessen). Öffentlich geehrt, die Ausgaben für das Preisgeld von 3000 Euro wollen sich die beiden zuständigen Ministerien teilen. Bis zum 31. Mai werden Vorschläge gesammelt, am 22.9. soll erstmals geehrt werden. Kommunikationssprache ist dabei - baltisch neutral - ausschließlich Englisch. Die Vergaberichtlinien sind im Internet abrufbar. Demnach soll eine zehnköpfige Jury über die Vergabe entscheiden - in geheimer Abstimmung. Mit welcher Mehrheit, in wie vielen Wahlgängen - das ist nicht festgelegt.Bleibt abzuwarten, ob dies eher - wie in so vielen anderen Fällen - ein Hilfsmittel zur Prestigeerhöhung der sowieso Bevollmächtigten sein wird; ob also wieder Präsident/innen, Stars des Kulturlebens, Politiker/innen geehrt werden, oder vielleicht mal die eher unbekannten, aber umso aktiveren Individualisten, Nichtregierungsorganisationen, Unberufene. Die Jury und die Ministerien werden es entscheiden.