28 April 2022

Neues aus Vokietija

Wahre und falsche Anwälte

In den frühen 90iger Jahren, als Bundeskanzler Kohl sich noch scheute, die baltischen Staaten mal mit einem Besuch zu beehren, prägte sein Aussenminister Kinkel den Spruch von "Deutschland, Anwalt der Balten". Allerdings meldeten böse Zungen schon damals: "ein Anwalt, der mit seinen Klienten nie zum Gericht ging". (siehe auch: Helge Dauchert) Symbolpolitik anstelle von klaren Worten. Da muss selbst Andreas M. Klein in einem Beitrag für die Adenauer-Stiftung konstatieren: manchmal sei Deutschland auch eher "advocatus diaboli" gewesen, nämlich dann, wenn "wenn die baltischen Belange die Erreichung deutscher Ziele und insbesondere das Verhältnis der Bundesrepublik zu Russland zu beeinträchtigen drohten." Was Deutschland anbot, waren "ultraspannende" 3+1-Treffen, also einmal jährliche Routine-Fototermine der jeweiligen deutschen Außenminister mit den baltischen Amtskolleg/innen. 

Deutsche Schablonen

Deutschland steht in Litauen eher selten im Fokus. Manches scheint selbst-verständlich: die Stärke der deutsche Wirtschaft wird auch von Litauen nicht angezweifelt, nicht zuletzt weil ja viele litauische Arbeitsmigrant/innen in den verganenen Jahren ihren Arbeitsplatz in Deutschland fanden. Und im Tourismus begügen sich die Litauer/innen damit, dass viele Deutsche eben nur die Kurische Nehrung kennen, und manche es eben auch nur für "ehemaliges Deutschland" (also Ostpreußen) halten. Zudem kommt manchen Deutschen nicht einmal der Name der litauischen Hauptstadt Vilnius über die Lippen - es wird streng behauptet, der "deutsche Name" (aus welchen deutschen Zeiten?) sei Wilna. 

Unruhe im Wirtschaftsparadies

Nun aber, seit der "Zeitenwende", ändert sich aber offenbar die Tonlage. Da ist zum Beispiel Vytenis Šimkus, Chefökonom bei der "Swedbank". Beruflich also in einer sehr ähnlichen Position, was Gitanas Nausėda machte, bevor er Präsident wurde. Deutschland gelte als "eines der konservativsten Länder Europas", meint Šimkus, und damit ist offenbar nicht "Traditionspflege" oder Ähnliches gemeint. Nach der Wiedervereinigung habe man Deutschland "Europäischer Patient" nennen müssen, meint der litauische Ökonom. Staatliche Sparmaßnahmen hätten in Deutschland dazu beigetragen, die Binnennachfrage weiter zu dämpfen und die Arbeitskosten zu kontrollieren, auch mit Hilfe der Hartz4-Regeln.Und 2008 habe man eben diese Bestimmung eingeführt, dass das strukturelle Haushaltsdefizit 0,35 % des BIP nicht überschreiten. "Sparsamkeit als staatliches Prinzip", diagnostiziert Šimkus, "eine sicher kurzsichtige Politik" (LRT / delfi)

Das "erste Opfer" der deutschen Sparpolitik sei eben das Militär gewesen, meint der Banker, denn in Deutschland "habe Millitär eben einen schlechten Ruf". In den letzten 10 Jahren habe Deutschland eben nur 1,2% für die Verteidigung ausgegeben, und das habe eben weder für Modernisierung noch für Instandhaltung gereicht. Allerdings sei das Militär nicht das einzige Opfer gewesen - auch bei der Infrastruktur und bei der Digitalisierung habe Deutschland Nachholbedarf. Und bei der Energieversorgung habe Deutschland eben auf "eine billige russische Tankkarte" gesetzt. Šimkus zitiert Constanze Stelzenmüller, Analystin für internationale Beziehungen, mit den Worten: „Deutschland hat seine Sicherheit an die Vereinigten Staaten, seine Energiepolitik an Russland und sein Wirtschaftswachstum an China abgegeben.“ (LRT/ delfi)

Neue deutsche Tugend: allein der Geiz?

Letztendlich möchten auch Ökonomen wie Vytenis Šimkus für ein stärkeres Europa plädieren. Aus der litauischen Presse lässt sich die Tendenz erkennen, nun eher den Worten von Außenministerin Baerbock zu glauben, als sich an den Sozialdemokraten Scholz und Steinmeier zu orientieren, ebenso wie ihre Aussage: "Wir unterstützen das Recht der Ukraine, sich zu verteidigen." (delfi) Auch die Aussagen Baerbocks zu verstärkten deutschen Bemühungen, die NATO-Brigade in Litauen weiter auszubauen, werden registriert. Und auch ein neues "Wording" finden die Litauer/innen: Baerbock sei "Vokietijos diplomatijos vadovė" ("die Leiterin der deutschen Diplomatie") (LRT). Deutlicher kann wohl kaum ausgedrückt werden, wo der Wunschpartner (also die Partnerin) auf deutscher Seite zu finden ist. Bezüglich "Olafas Scholzas" ztiert die litauische Presse da schon eher Umfragen, denen zufolge viele Deutsche mit der Scholzeschen Vorgehensweise unzufrieden seien (Respublika). Und etwas unglücklich für die deutschen Sozialdemokraten wirkt sich der Umstand aus, dass eben vor allem Scholz mit Deutschland identifiziert wird - und zum Beispiel Gesprächsergebnisse der Bundestagspräsidentin Bärbas Bas (ebenfalls SPD) mit ihrer litauischen Amtskollegin Viktorija Čmilytė-Nielsen eher unbeachtet blieben (mfa / lrs)

Es bleibt aber dennoch zu hoffen, dass sich das neue litauische Selbstbewußtsein, angesichts neuer Gefahren besonders geschärft, sich nicht aufs Abarbeiten militärischer Wunschlisten beschränkt. Und schon gar nicht auf Rechthaberei und Hochmut - gepaart mit dem sicheren Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen - Ähnliches wurde in den 1990igern mal den "Wessis" vorgeworfen. Denn wir wissen ja: diejenigen auf die es in solchen Situationen ankommt, die wirklich in der Lage wären, Tendenzen und den Lauf der Dinge zu verändern - die merken sowas immer viel zu spät.

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