29 Oktober 2012

Frau Präsidentin hat das Wort

Der zweite Wahlgang in Litauen ist vorüber, auch die direkt in den Wahlkreisen vergebenen Parlamentssitze sind entschieden. Drei Männer ließen sich in den vergangenen drei Wochen häüfig schon als Koalitionspartner fotgrafieren: Algirdas Butkevičius, Chef der litauischen sozialdemokratischen Partei (Lietuvos socialdemokratų partija) die nun über 38 Sitze im Parlament verfügen wird (16+22), Viktor Uspaskichas, Chef der Arbeitspartei (Darbo partija), die über 29 Sitze voraussichtlich verfügen kann (18+11), und Ex-Präsident Rolandas Paksas mit seiner Partei "Ordnung und Gerechtigkeit" (Tvarka ir teisingumas) und11 Sitzen (6+5). Das wären zusammen 78 der 141 Parlamentsmandate (gemäß dem Stand der Auszählung). Allerdings werden vorläufig nur 140 Sitze vergeben, da im Wahlkreis Zarasai-Visaginas Versuche der Wahlfälschung festgestellt wurden und das Ergebnis der ersten Wahlrunde annulliert werden musste. 

Litauens politische Landkarte -mit ungewohnten
Farbkombinationen
Nun ist es der verfassungsmäßig starken Stellung der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaitė vorbehalten zu entscheiden, wer mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Grybauskaitė hat sich heute morgen bereits in einer Fernsehansprache geäußert, ihre Meinung: die Regierungsbildung kann nur ohne die Arbeitspartei gehen - zu sehr sei die Partei von Viktor Uspaskichas in verschiedene Skandale verwickelt, angefangen bei laufenden Prozessen gegen den Parteichef, bis hin zu verschiedenen Unregelmäßigkeiten beim ersten Wahlgang, wo es fast immer um genau diese Partei gehe. "Allein 27 Ermittlungen wurden eröffnet, davon 18 wegen Verdacht auf Stimmenkauf", sagte Grybauskaitė vor Journalisten. Nun sei es zunächst die Aufgabe der zentralen Wahlkommission, das endgültige Wahlergebnis festzustellen, aber ihre Unterstützung habe nur eine Regierungskoalition ohne die "Arbeitspartei". Litauische Kommentatoren sehen aber wenig Chancen für ein "Veto" der Präsidentin gegen eine die "Arbeitspartei" einschließende Dreierkoalition für den Fall dass es einen starken Zusammenhalt zwischen diesen Parteien gäbe.
Uspaskichas selbst hatte Anspruch auf "vier bis fünf Ministerposten" erhoben. Er selbst ließ aber offen, ob er Mitglied im Europaparlament bleiben oder sein gewonnenes Parlamentsmandat annehmen werde. Seine Gegner vermuten er werde die mit dem Europamandat verbundenen Immunitätsschutz so weit wie möglich nutzen um gegen ihn gerichtete Strafverfahren zu verhindern.

Wahlergebnis der 2.Runde

Litauens politische Landkarte (2.Wahlrunde)

25 Oktober 2012

Elephantenalarm auf Litauisch

Jolita Rolf, Vorsitzender derLitauischen Gemeinshaft in
Bremen (i.B. links), eröffnet den litauischen Kinderbuchsalon
Mit einem gut besuchten Kindernachmittag startete gestern der "Salon litauischer Kinderbücher" in der Stadtbibliothek Bremen. Zwei Kinderbuch-Autoren und Illustratoren waren aus Litauen zu Gast, um mit kreativen Aktivitäten rund ums Kinderbuch sich zu präsentieren.
Kęstutis Kasparavičius war bereits zum wiederholten Male in Bremen, und ist hier natürlich den meisten schon seit seinen Illustrationen der "Bremer Stadtmusikanten" ein Begriff - das Buch kennen die meisten Kinder in Bremen, den Mensch Kasparavičius dann vielleicht doch noch nicht. Dessen Motto Kindern gegenüber scheint zu sein: "Komm, du kannst das auch!" Nachdem beim vorigen Male gemeinsam eine Giraffe farbig gestaltet wurde, war es jetzt - ganz dem Titel seines neu in Deutschland erschienenen Buches gemäß - ein weißer Elefant. Aus anderen neuen Buch auf dem deutschen Buchmarkt, dem "verschwundenen Bild" wurden auch Ausschnitte vorgelesen.

Da bleibt kein Elefant lange weiß!
Noch weniger bekannt in Deutschland ist bisher Sigutė Ach. Aber sie hatten sich eine ganz einfache Art ausgedacht für den Umgang mit den jungen Gästen in der Stadtbibliothek: verschiedenen Farben konnten unter Anleitung ineinander gemischt werden, und anschließend wurde versucht, in den entstandenen Gebilden Figuren und Gegenstände zu erkennen und ihnen Namen zu geben. Sigute Ach hat in Litauen gleich kurzerhand ihren eigenen Kinderbuchverlag gegründet - das Verlagssymbol der "fliegenden Kuh" von "Nieko rimto" werden in Litauen sicher schon viele Kinder kennen.
Es waren auch eine ganze Reihe im Raum Bremen lebender junger litauischer Familien gekommen, die wiederum litauische Kinderbücher genauso wie deutsche im Gebrauch haben. Mit Kinderbuchautor/innen ein paar Stunden zu verbringen zu können und sich von ihrer offensichlich unermüdlich sprühenden Fantasie anregen zu lassen, diese Gelegenheit hat man ja nicht jeden Tag!
Farbexperimente mit Sigute Ach, hergestellt von
Groß und Klein
Im Rahmen des "Kinderbuch-Salons" wird es noch drei ähnliche Veranstaltungen in den kommenden Tagen geben: am 26.Oktober um 18 Uhr im Haus der Litauischen Gemeide in Hamburg, Holzdamm 22,
am 27.Oktober um 15 Uhr in der Litauischen Botschaft in Berlin, Charitestr. 9, und am 31.Oktober um 10 Uhr in der Familienbibliothek Berlin-Kreuzberg, Glogauerstr. 13.

16 Oktober 2012

Klare Ratlosigkeit nach der Wahl

"Ogottogott!" Das war mein erster Gedanke, nachdem ich die ersten Hochrechnungen sah. Fast 29% für Uspaskich?`Was ist denn nun schon wieder in die Litauer gefahren?

Das Litauische Schema - Teil 1

Okay, okay... Ich bin ganz ruhig ... Fangen wir mal von vorne an: Im Allgemeinen laufen Wahlen in Litauen nach dem gleichen Schema ab: Wir haben zwei "große" Parteien, die auch eine nennenswerte Mitgliederschaft haben, das sind die Konservativen ("Vaterlandsunion - Christdemokraten"), die aus der sog. Unabhängigkeitesbewegung hervorgegangen sind und die Sozialdemokraten, die man die Nachfolger der litauischen Kommunistischen Partei nennen könnte. Nun haben die Konservativen wohl trotzdem mehr mit der CDU gemeinsam als mit Bündnis '90 und die Sozdemai (wie der Litauer sagt) mehr mit der SPD als mit der Linken, aber sei's drum.
Der kleine Unterscheid zu deutschen Parteilandschaft ist, dass diese beiden Traditionsparteien ZUSAMMEN immer auf rund 30% der Stimmen kommen. Bleiben also noch 70% übrig: Da wären zuerst die zerstrittenen Liberalen (im Moment grad 2 1/2 Parteien), die sehr gut organisierte polnische Minderheit (die bis jetzt immer die 5-Prozent-Hürde nahm) und die "Ein-Mann-Parteien".
Vor jeder Wahl erschien immer ein neuer Messias, um den sich treue Jünger scharten und der mit leichter Hand versprach, alle Probleme zu lösen und dann mal locker 20 Prozent einheimst. So als Vergleich hatte zur vorherigen Wahl der litauische Moderator von "Wer wird Millionär?" - nennen wir ihn der Einfachheit halber einfach mal "Günther Jauch" - mit Freunden aus dem Showbusiness die "Volkswiederauferstehungspartei" gegründet. Das war zwar sehr unterhaltsam, aber die Partei hatte sich bis zu dieser Wahl völlig aufgerieben...

Wölfe im Schafspelz?

Viktor Uspaskich (Arbeitspartei) und Algirdas Butkevičius (Sozialdemokraten).
Quelle: 15min.lt
Das war eine lange Einleitung, aber hier liegt der Hase im Wahllokal begraben: Dieses Mal gab es keinen neuen Messias, so sehr sich einige Parteien auch um diese Rolle bewarben: Algirdas Butkevičius von den Sozialdemokraten schaffte es, den Schatten der verstorbenen Parteipatriarchen Brazauskas abzuwerfen, kann ihm aber weder in rhetorischer als auch praktischer Volksnähe das Wasser reichen (da würde ich Brazauskas am liebsten mit Franz Josef Strauß vergleichen wollen). Trotzdem ist der zweite Platz für die Socdemai mit z. Zt. 18,45% sicherlich ein großer Erfolg, zumal sie die personelle Basis besitzen, das Land wieder einmal zu führen (man kann sich naturgemäß über den Führungsstil der Postkommunisten streiten).
In eine neue Koalition gesellen sich zwei Skandal umwitterte Stehaufmännchen, die von deutschen Kommentaren zwar vorschnell dem "linken Lager" zugerechnet werden, aber deren Vorstellungen äußerst diffus sind:
Der Wahlsieger heißt Viktor (Viktoras) Uspaskich(as), Russisch stämmiger Millionär aus der Kleinstadt Kedainai und reich geworden mit - Konserven. Seine Partei - die am Ende auf knapp 20% kam - heißt  "Arbeitspartei". Das klingt zwar links, aber  die Partei war eine Gründung von neu-reichen Wirtschaftsvertretern, die ziemlich schamlos ihre persönlichen Interessen in Parlament und Regierung durchbringen wollten. Seine Wahlkampfberater für dieses Mal waren auch gut ausgewählt: Landesweit lächelte er uns mit einer gebildet aussehenden randlosen Brille und dem Spruch "Wir wissen wie" an - z.B. einfach mal das Mindestgehalt auf 1549 Lt anzuheben (Es liegt jetzt gerade bei 850 Lt). Kann man natürlich machen, Staatspleiten sind ja in Europa nichts neues mehr. Ganz neu ist Viktoras aber nicht: 2004 war die "Arbeitspartei" der große Wahlsieger, kam mit in die Regierung und Uspaskich wurde Wirtschaftsminister. Zurücktreten musste er einige Monate später, weil sein angebliches Universitätsdiplom sich als Fälschung erwies, er flüchtete nach Russland, wurde mittels internationalen Haftbefehl gesucht und ließ sich bei seiner Rückkehr am Vilniusser Flughafen vor laufenden Kameras medienwirksam Handschellen anlegen. Um sich vor Strafverfolgung - auch wegen unklarer Parteienfinanzierung - zu schützen ließ er sich ins Europaparlament wählen und genießt Immunität.
Ähem... dieser Mann hat reelle Chancen der nächste Premierminister Litauens zu werden, zumindest aber bald ein wichtiges Ministeramt inne zu haben... Oh, mein Gott!  
Dabei ist er noch ein kleines Licht gegen den dritten im Bunde: Rolandas Paksas ein alter Kunstflieger, Liebling vieler Rentner und "Präsident der Herzen". Paksas - der es immer schafft, sich klarer politischer Aussagen zu enthalten - hatte es mit einer martialen Kampagne 2003 geschafft Präsident von Litauen zu werden. Allerdings wurde er bereits im April 2004 seines Amtes enthoben, nachdem herauskam, das sein Wahlkampf von einem russischen Waffenhändler gesponsort worden war. Auch er fand Zuflucht im Europa-Parlament und kämpft um seine Rehabilitierung. Seine Partei mit dem wohlklingendem Namen "Ordung und Gerechtigkeit" kam auf 7,4 Prozent und wird höchstwahrscheinlich Juniorpartner in der Regierung.
Einzige neue Kraft im Parlament wird die Partei "Mutiger Weg", eine Art Protestpartei. Sie hatte sich Anfang des Jahres aus Wut über das Verhalten des Staates in einem Fall von Kindesmissbrauch gegründet. Ein Fall, der die Emotionen über Monate hat hoch kochen lassen. Inwieweit das Sammelsurium von Personen jedoch praktisch wird Politik machen können, bleibt unklar.  

Visionen für die Zukunft?

Also statt des alten "Messias"-Schema haben wir diesmal drei "Wiederauferstandene" - die "Arbeit'ler", die "Socdemai" und die "Ordner". Und bald wird der Kampf um die Plätze an den Futtertrögen los gehen, denn was sie vereint, ist der Wunsch, die seinigen mit Pfründen zu versorgen.

Was es allerdings für Weichenstellungen für die Zukunft Litauens, dass 2013 die EU-Präsidentschaft übernimmt, bringt, bleibt unklar. Dieser "linken" Regierung wird es schwieriger fallen als früheren,  Staatsausgaben (besonders im sozialen Bereich) auf Pump aufzublähen.
Viele Initiativen der vorherigen Regierung kamen nur viel zu langsam voran, z. B. was die Renovierung der zahlreichen unisolierten Wohnhäuser aus Sowjetzeiten angeht. Der Umbau des Energiesektors wurde mit der Diskussion um ein mögliches neues Atomkraftwerk angehalten und die Renovierung der Eisenbahn kam erst in Gang als im Zuge des Vulkanausbruchs auf Island auch die letzten Brüsseler Beamten verstanden, dass es keine Zugverbindung mit Polen gibt. Kurzum - Baustellen gibt es genug, Geld in Krisenzeiten wenig. Paradoxerweise erwarte ich von dieser geplanten "linken" Regierung im wesentlichen eine Liberalisierung in vielen Bereichen. Aber das bleibt natürlich noch abzuwarten. Später machen wir vielleicht mal einen Ausblick auf den Koalitionsvertrag. Wer Fragen zur litauischen Politik hat, kann mich gerne kontaktieren :) 

Die Wahlbeteiligung lag übrigens nur bei knapp über 50%. Sie reichte aber für eine andere Frage. Parallel zur Wahl fand eine Volksbefragung über den Bau des neuen Atomkraftwerks statt. Überraschend deutlich sprachen sich 63% GEGEN den Bau eines neuen AKWs aus.


Wahlergebnisse (Listenwahl)

Das litauische Wahlrecht ist etwas kompliziert, insofern 70 der 141 Sitze im litauischen Parlament nach Liste besetzt werden und 71 - völlig getrennt davon - in Direktwahlkreisen gewählt werden. 

Zum Zeitpunkt dieses Artikels waren nur 3 Mandate von 71 besetzt (über eine Mehrheit im Wahlkreis), In allen anderen kommt es zu einer Stichwahl. Die meisten Sitze werden aber zwischen Konservativen, Arbeitspartei und Sozialdemokraten ausgemacht.


Quelle: Litauische Wahlkommission


Listennr. Name % von Wahlteilnehmern Sitze im Parlament
3
Partei der Arbeit / Darbo partija
19,96
17
8
Sozialdemokratische Partei Litauens / Lietuvos socialdemokratų partija
18,45
15
5
Vaterlandsunion – Christdemokraten Litauen / Tėvynės sąjunga - Lietuvos krikščionys demokratai
14,93
13
1
Bewegung der Liberalen in der Republik Litauen / Lietuvos Respublikos liberalų sąjūdis
8,46
7
6
Politische Partei "Mutiger Weg" / „Drąsos kelias“ politinė partija
7,92
7
9
Partei Ordnung und Gerechtigkeit / Partija Tvarka ir teisingumas
7,38
6
7
Wahlaktion der Polen Litauens/ Lietuvos lenkų rinkimų akcija
5,84
5
14
Union der Bauern und Grünen Litauens/ Lietuvos valstiečių ir žaliųjų sąjunga
3,91
0
16
Union von Liberalen und Zentrum / Liberalų ir centro sąjunga
2,07
0
18
Politische Partei "Ja-Union" / Politinė partija „Sąjunga Taip“
1,72
0
11
Christenpartei / Krikščionių partija
1,22
0
13
Sozialistische Volksfront / Socialistinis liaudies Frontas
1,20
0
10
Nationale Vereinigung "Für Litauen in Litauen" (Litauische Zentrumspartei, Litauische sozialdemokratische Union, Koalition aus Nationalistenunion und Volkseinheitsunion / Nacionalinis susivienijimas „Už Lietuvą Lietuvoje“ (Lietuvos centro partijos, Lietuvos socialdemokratų sąjungos, Tautininkų sąjungos ir Tautos vienybės sąjungos koalicija)
0,93
0
15
Partei "Das Junge Litauen" / Partija „Jaunoji Lietuva“
0,63
0
4
Demokratische Partei der Arbeit und Einheit / Demokratinė darbo ir vienybės partija
0,32
0
17
Emigrantenpartei / Emigrantų partija
0,29
0
2
Republikanische Partei / Respublikonų partija
0,26
0
12
Partei der Menschen Litauens / Lietuvos žmonių partija
0,25
0