04 Mai 2019

Da waren es nur noch 9 (nein: 8) - die Kandidaten für den neuen Präsidenten in Litauen


Nachtrag: 
In der Zwischenzeit hat einer der kleineren Kandidaten - Naglis Puteikis - das Handtuch geworfen. Mit dem Argument. dass er keine Chancen sieht, in die zweite Wahlrunde einzuziehen, hat er seine Wahlkampagne eingestellt. Statt eine Wahlempfehlung auszusprechen, hat er  nur gesagt, wen man nicht wählen sollte: Da er sich gegen die "Herrschaft der Banken und Oligarchen" ausspricht, rät er ab, für den Ex-Banker Gintanas Nausėda zu stimmen. Mindaugas Puidokas (ein anderer Kandidat)  geht davon aus, dass er einen Deal mit der regierenden "Union der Bauern  und Grünen" geschlossen hat und damit die Chancen von Premierminister Skvernelis erhöht, in die zweite Wahlrunde zu kommen ... 
https://www.delfi.lt/news/daily/lithuania/puteikis-nebemato-galimybiu-patekti-i-antraji-tura-ragina-balsuoti-pries-viena-is-kandidatu.d?id=81111657

Recht unspektakulär - im Vergleich zur Ukraine - verläuft die Präsidentenwahl in Litauen, die am 12. Mai in ihre erste Runde geht...
Von ursprünglich 15 Kandidaten haben 9 die nächste Hürde im Rennen um die Präsidentschaft in Litauen genommen: Wie die litauische oberste Wahlkommission am 12. April bestätigte haben sie über 30.000 unterstützende Unterschriften vorgelegt (auf Papier und digital). Da mich Alina Rotaru um meine Einschätzung fragte, hier nun ein Überblick über die Anwärter, die den Job im Palast am Daukantas-Platz in Vilnius wollen. Die Wahl findet in zwei Wahlgängen im Mai statt, da es sehr unwahrscheinlich, dass einer der Kandidaten die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang erreicht. Gleichzeitig mit dem ersten Wahlgang findet auch ein Referendum über die doppelte Staatsbürgerschaft statt, das die Gemüter erregt. Es ist also mit einer hohen Wahlbeteiligung zu rechnen, auch wenn keiner der Kandidaten so wirklich überzeugen kann. Amtsinhaberin Dalia Grybauskaitė kann nach zwei Amtsperioden nicht mehr kandidatieren. Vielleicht ist das Referendum auch der Grund, dass die Einwohnerzahl Litauens plötzlich auf wieder über 3 Millionen gestiegen ist: Viele der Auslands-Litauer haben sich in Litauen angemeldet um an Referendum und Wahl teilzunehmen

Aber zu unseren 9 Kandidaten. Da gibt es drei, die als Favoriten gelten, zwei, die vielleicht einen Überraschungserfolg erzielen können und vier, denen keine große Chancen eingeräumt werden.
Die Teilnehmenden an der Wahl müssen ihre Eigentumsverhältnisse offenlegen und auch das ist sehr aufschlussreich für die Frage wie "volksnah" die Anwärter sind.

Die Top 3

In den Umfragen führen diese drei. Interessanterweise ist keiner der drei Parteimitglied obwohl er oder sie mit Parteien identifiziert wird.

Gintanas Nausėda
ehemaliger Hauptfinanzanalyst der schwedischen Bank SEB in Litauen, führte bis vor kurzem knapp in  Umfragen. In den Medien ist er deshalb seit Jahren präsent und strahlt Staatsmännigkeit aus.
Er steht als Kandidat der liberalen Partei nahe und gilt als Vertreter der großen litauischen Konzerne. In letzter Zeit hat der Finanzwolf natürlich viel Kreide gefressen und gibt sich sehr sehr menschlich. Programmatisch gibt er sich auch sehr pragmatisch und diplomatisch. Nicht sehr konkret, aber alles was für einen Präsidenten eben ganz gut aussieht.


Ingrida Šimonytė.
Die einzige Frau im Rennen. Scharfzüngig und kompetent wurde sie zwar von der konservativen Partei aufgestellt gilt aber eher als Vertreterin eines modernen, liberalen, weltoffenen Litauens und damit repräsentiert eher das städtische als das ländliche Litauen. Und dann wird ihr noch die Vergangenheit zu Last gelegt: sie war Finanzministerin im Krisenjahr 2009 und ihr werden schwere finanzielle Einschnitte bei Renten und Gehältern zugeschrieben.
Und letzten Endes ist nicht klar, ob die Mehrheit schon wieder für eine Frau wählt.
In den letzten Wochen vor der Wahl hatte sie Nausėda in der Wählergunst knapp überholt.

Saulius Skvernelis
zur Zeit Premierminister für die Regierung unter der Führung der Union der Grünen und Bauern.
Leider gibt es keinen Amtsbonus, im Gegenteil. Die kleinen Skandale der Regierung - Lehrerstreik, Waldrodung, geschasste Minister - und der zunehmende Reformstau wirken sich negativ aus. Der Bauernpartei würde ihr Kandidat im Amt das Leben wesentlich einfacher gemacht. Skvernelis war früher Polizist und dem Führungsduo aus Premier Skvernelis und Parteivorsitzenden Ramunas Karbauskis könnte man leicht autoritäre Tendenzen im Führungsstil zuschreiben.

Die Verfolger

Alvydas Juozaitis. Unabhängiger Journalist, Olympiamedailliengewinner im Schwimmen (!), Unterzeichner der Litauischen Unabhängigkeitserklärung von 1990 und DER Underdog. Verteidiger der Litauischen Werte, Familie, gegen Migration sowieso. Deklariertes Eigentum: Null. Zitat: "die Leute sollen kein Eigentum anhäufen, sondern Kinder kriegen". Eine Facebook-Seite heißt dann auch gleich "Kaiser Juozaitis"
Mangels Finanzen läuft seine Kampagne "hier ist Litauen" vor allen in der sozialen Medien. Bei der Debatte der 9 Kandidaten im staatlichen Fernsehen verließ Juozaitis demonstrativ das Studio, um gegen die Dominanz der 3 großen Kandidaten (und die Ignoranz der "kleinen Kandidaten") zu demonstrieren.
Und kein Wunder: Juozaitis wurde auch schon auf AfD-Seminaren gesehen.

Vytenis Andriukaitis.
Zur Zeit Europakommissar für Gesundheit und Kandidat der Sozialdemokraten. Manche räumen ihm gute Chancen ein, es doch in die zweite Runde zu schaffen (siehe http://rokiskis.popo.lt/2019/03/30/kandidatai-i-prezidentus-apzvalga/)
Die sozialdemokratische Basis ist gut organisiert und hier haben wir einen passablen erfahrenen Politiker. Eine Bekannte aus dem Gesundheitsministerium erinnerte sich an den damaligen Minister allerdings als Choleriker. Und hat jemand in letzter Zeit etwas von europäischen Gesundheitskommissar gehört?



Die Zählkandidaten

Diesen Vieren geht es vor allen darum, aus taktischen Gründen  im Gedächtnis der Wähler zu bleiben.

Valentinas Mazuronis. Vorsitzender der leicht rechtslastigen populistischen "Arbeitspartei" und Europaabgeordneten. Die Partei, die einst von dem russischen "Konservenkönig" Viktor Uspaskich gegründet wurde, hat ihren Zenit lange hinter sich und kämpft am rechten Rand um den Erhalt ihres Status.

(hat seinen Wahlkampf eingestellt und dazu aufgerufen, NICHT für Nausėda zu stimmen)
Naglis Puteikis.
Hans Dampf in allen Gassen. Das "Phänomen Puteikis" kommt aus der konservativen Partei. Den letzten Parlamentswahlkampf bestritt er zusammen mit einem Filmproduzenten als "Anti-Korruptions-Koalition". Und finanzierte ihn mit schnellen Kurz-Krediten. Einfallsreich und unterhaltsam stellt sich mir die Frage wie lange das gut geht.
In der Zwischenzeit hat Puteikis die Führung der traditionsreichen aber völlig unbedeutenden Zentrumspartei übernommen. Teile der Zentrumpartei streben allerdings in der Zwischenzeit des Parteiausschluss ihres eigenen Vorsitzenden an ...

Valdemaras Tomaševskis. Vorsitzender der Polnischen Wahlaktion und Europaabgeordneter. Eine Frage der Ehre, dabei zu sein und seine Schäfchen einzusammeln. Die polnische Minderheit - das sind rund 7% der Einwohner - wählt fast geschlossen polnisch. Das war's dann auch. Einen kleinen Skandal gab es  die "stalinistischen Methoden" wie in den mehrheitlich polnischen Regionen Unterschriften gesammelt wurde. In Schulen wurden Eltern zum Zeichnen der polnischen Liste angehalten, und ihnen wurde gleichzeitig angedeutet, das eine Verweigerung Auswirkung auf die Schulnoten der Kinder haben könnte ...

Mindaugas Puidokas. Ehemaliger Abgeordnete der Union der Grünen und Bauern. Hat sich mit dem autoritäre Führungsstil überworfen. sein Programm ist de facto nicht existent, irgendwas mit "Grünen Werten" und "Bewahrung der traditionellen Familie".
Allerdings ist er mit 40 Jahren der jüngste Kandidat und dass er bis in diese Runde geschafft hat ist beachtlich. Nur ist seine politische Zukunft unklar.

------
Wer es in der zweite Runde schafft, das ist wirklich unklar. Zu viele Wähler entscheiden sich im letzten Moment. Inwieweit wird das Referendum einen Einfluss haben? Was ist der Einfluss der nahenden Europaparlamentswahl? Der Vorsitzende der regierenden Bauernpartei erklärte die Wahlen gerade zu einer "Schicksalswahl": Sollte die Bauernpartei bei der Wahl das Vertrauen entzogen werden, würde sie aus der Regierung austreten. Das würde Litauen ins politische Chaos stürzen, soll aber aus meiner Sicht nur auf Biegen und Brechen einen konservativen Präsidenten verhindert.
Wer kann seine Wähler am besten motivieren für einen oder gegen einen bestimmten Kandidaten zu stimmen? Einige Komentaroren ziehen schon Vergleiche zu den Wahlen von 2003 und 2004 als Rolandas Paksas überraschend ins Amt gewählt wurde und kurz darauf wegen Mauscheleien mit russischen Geldgebern des Amtes enthoben werden.

In der Nacht vom 12. auf dem 13. Mai wissen wir mehr ...

Bilder von: https://www.15min.lt/projektas/prezidento-rinkimai