15 Oktober 2024

Sozialdemokraten Gewinner der Wahl in Litauen 2024

von Frank Kulikauskas-Wurft, M.A.- frankas@bicycle.lt. 
Politologe, der seit 25 Jahre in Litauen lebt

Dieser Artikel wurde am 15.10.2024 veröffentlicht und wird nach der Zweiten Wahlrunde am 21.10.2024 ergaenzt. Zu den Eigenheiten des litauischen Wahlsystems siehe unten. 

Premierministerin Ingrida Šimonytė (links) von den Konservativen wird wohl bald ihren Stuhl für Vilija Blinkevičiūtė (Mitte) von den Sozialdemokraten räumen müssen.



Schon am Wahlabend sagte Blinkevičiūtė, dass sie eine Koalition mit den Demokraten und der  Bauernpartei anstrebt, da nach dem zweiten Wahlgang am 20. Oktober wahrscheinlich die Anzahl der Mandate ausreichen werden. Ob das eine gute Idee ist und was die Probleme sein könnten, dazu siehe unten. 

Einer der Fragen des Wahlkampfs: Wird Remigijus Žemaitaitis (rechts) mit der Partei "Morgenröte" an der Koalition teilnehmen oder nicht?

Wahlen in Litauen? 

Schwer sich etwas darunter vorzustellen in einem Land, von dem sowieso kaum jemand was weiss. Irgendwo zwischen Polen und Russland, Hauptstadt: Riga (naja: fast).

Nach den recht unspektakulären Präsidentschaftwahlen - der Amtsinhaber wurde mangels besserem Kandidaten wiedergewählt - standen nun Wahlen zum Litauischen Parlament - dem Seimas an - und damit wird es eine neue Regierung geben. 

Der Wahlkampf war ebenso unspektakulär: Die Konservativen setzen auf das Thema Sicherheit (Klar, wenn man an die Ukraine denkt). Oft ging es aber auch um Soziales, Löhne, steigende Preise. 

Wer allerdings Geld fuer Soziales ausgeben will, der muss das irgendwo her nehmen. Und dann kommt man schnell zurück zum Verteidigungshaushalt....

Auch wenn kleine rechte Partei gegen Einwanderung wettern - ein wichtigeres Thema bleibt die Abwanderung aus Litauen, vor allem aus den Regionen, ins Ausland. 

Parlamentswahlen folgen 2 Prinzipien:

1. Die Regierung verliert.

Es gab nur einen Fall in den letzten 25 Jahren, dass die gleiche Partei an der Macht blieb. 

An der Regierung sind z. Zt. die Konservativen (Vaterlandsunion, am ehesten mit der deutschen CDU vergleichbar) in Koalition mit den zwei liberalen Parteien (Liberaler Aufbruch und Freiheitspartei).

Die Konservativen sind interessanterweise in großen Teilen der Bevölkerung regelrecht verhasst.  

Das mag damit zu tun haben, dass die Familie Landsbergis mit der Privatisierung und Verarmung, d.h. den wirtschaftlichen Problemen nach der Unabhängigkeit in Verbindung gebracht wird. Vytautas Landsbergis war der Führer der Unabhängigkeitsbewegung und sitzt heute - fast 92jährig - im Europaparlament. 

Sein Enkel Gabrielius Landsbergis ist litauischer Aussenminister und Vorsitzender der Partei. 

2. Es gibt einen "Messias".

Jedes mal gibt es zumindest eine populistische Partei mit einem herausragenden Führer (ich benutze den Begriff mit Absicht), die der Gewinner der Wahl ist. 

Darüber hinaus gibt es ein Geflecht von Parteien: Wer sich von wem abgespalten habt, wieder Bündnisse bildet und sich reformiert. Bestimmte Personen (Führer) gewinnen und verlieren an Bedeutung.  

Die Gewinner

Gewinner Nr.1 sind auf jeden Fall die Sozialdemokraten unter Vilija Blinkevičiūtė. 

Ich würde sie eher mit der deutschen Linken / PDS vergleichen als mit der deutschen SPD. Die Sozialdemokraten waren eigentlich in den vergangenen Jahren eher unsichtbar. Trotzdem stiegen ihre Beliebheitswerte in den Umfragen stetig.

Wer die Regierungsparteien aus verschiedenen Gruenden  nicht mag und keine Populisten wählen will, der greift zu den "Socdomai" (alternativ: zu den "Demokraten", s.u.). Passend dazu haben sie einen geniaen Wahlspruch gefunden: "Für einen Staat, der funktioniert (wirkt)." 

Gewinner Nr. 2: (Rechts-) Populisten, die so ein bisschen AfD auf Litauisch machen gibt es einige. Allerdings scheinen alle mit einer Ausnahme deutlich unter der 5%-Hürde bleiben.

Die Ausnahme heisst "Nemuno Aušra", frei uebersetzt etwas "Morgenröte an der Memel" unter Remigijus Žemaitaitis. Ein Programm, das eher Rentnern gefallen koennte (Renten rauf und besesere Gesundheitsversorgung). Vielleicht sieht er auch noch gutem Schwiegersohn oder Enkel auf. Ansonsten fiel Žemaitaitis im Wahlkampf durch antisemitische Äusserungen auf. 

---

"Keinen reinlassen" - so einfach klingt das bei der "Nationalen Sammlung". Wohl auch nicht Zufall, dass die Abkuerzung "NS" ist. Glücklicherweise sind die Radikalen chancenlos.

 

Die Zweite Reihe

Früher Partner, heute Konkurrenten: Saulius Skvernelis (Demokraten) und Ramūnas Karbauskis (Bauernunion) (Quelle: Lrytas.lt)

Bauernunion
Noch vor 2020 an der Regierung, sind sie noch da, aber deutlich auf dem Weg abwärts, nachdem viele bekannte Gesichter zu anderen Partein abgewandert sind. 

Demokraten "Im Namen Litauens". 
Sie bezeichnen sich als "Zentristen" und werden vom ehemaligen Premierminister Saulius Skvernelis geführt. Abgespalten haben sie sich von der Bauernunion. Inhaltlich stehen sie eher sozialdemokratischer Politik nahe. Im Europaparlament sind sie in der Grünen Fraktion. Ein nicht ganz klares Sammelsurium, dass nicht wirklich an Fahrt aufnimmt.

Liberaler Aufbruch
Ähnlich unsichtbar wie die Sozialdemokraten stellen sie gerade die Parlamentspräsidentin. Der Ruhepol scheint sich aber auszuzahlen und sie kommen ohne ein sehr blaues Auge aus ihrer Regierungsbeteiligung (siehe auch "Freiheitspartei" unten)


Die Verlierer


A. Armonyte / V. Uspaskich (Quelle: Lrytas.lt)

Freiheitspartei.
Bei Freiheitspartei mag man an Rechtspopulisten a la De Wilders in den Niederlanden denken. 
Weit gefehlt. In Litauen haben sie sich von den Liberalen abgespalten und verteten eine junge, städtische Wählersicht. Sichtbarste Themen: Gleichgeschlechtliche Ehe, Cannabislegalisierung, freie Wirtschaft. Leider haben sie keines ihrer Themen in der Regierung durchgekriegt und deshalb werden sie dafür abgestraft. Da half es auch nichts, dass sie mit dem Spruch "Wir sind noch nicht fertig" in den Wahlkampf gingen.
Letzte Hoffnung waere hier noch der Gewinn eines oder mehrer Direkrmandate. Parteichefin Aušrinė Armonytė ist im Wahlkreis der Auslandslitauer in der ersten Wahlrunde ganz knapp an der 50%-Huerde gescheitert, hat also gute Chancen in der zweiten Runde. 

Arbeitspartei
Die Partei des russischstämmigen Millionärs Viktor Uspaskich war lange Zeit eine feste politische Größe. Dieses Mal ging sie in der "Friedenskoalition" einiger kleinen Parteien auf, die allesamt in der Unbedeutsamkeit verschwanden.


Bewertung der vorgeschlagenen Koalition
(Sozialdemokraten, Demokraten, Bauernpartei)

Schon in der Wahlnacht lies die Vilija Blinkevičiūtė, die Vorsitzende der litauischen Sozialdemokraten wissen, dass sie eine Mehrheit fuer eine Koalition mit den "Demokraten" des Ex-Premiers Saulius Skvernelis sowie der Bauernunion von Ramunas Karbauskis sieht. 

Ob das eine gute Idee ist? Inhaltlich moegen die Parteien gar nicht so weit von einander entfernt sein, aber:

1. Die Sozialdemokraten verließen vor 2020 eine von den Bauern geführte Koalition. Nun haben sich die Machtverhältnisse umgekehrt. 
Gibt es da noch Ressentiments?

2. Die Demokraten haben sich von den Bauern abgespalten. In einer großen öffentlichen Debatte machte sich Saulius Skvernelis noch einige Tage von der Wahl über die Humorlosigkeit von Karbauskis lustig. 
Persönlich könnte das also schwierig werden.

Und letztendlich gilt die oben genannte Regel: Die Regierung verliert die nächste Wahl. Unwahrscheinlich, dass jemand aus so einer Koalition herauskommt ohne Federn zu lassen. 

Besonderheiten des Litauischen Wahlsystems:
Warum das Endergebnis erst in der Nacht vom 20. zum 21. Oktober feststeht

Die erste Eigenheit ist, dass 70 der der 141 Sitze im litauischen Seimas nach dem Verhaeltniswahlrecht gewaehlt werden.
Diese Sitze werden nach Prozenten der einzelnen Parteilisten verteilt und waren also schon nach der Auszählung der Stimmen in der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober 2024 bestimmt.

71 Sitze  werden jedoch in Wahlkreisen gewaehlt werden, also nach dem Mehrheitswahlrecht. Und zwar völlig getrennt voneinenander. 

Nach der ersten Wahlrunde sind also nur die 70 Sitze, die nach Prozenten besetzt werden, klar.

Von den anderen 71 Sitzen hat nur in 8 Wahlkreisen ein Kandidat die absolute Mehrheit von über 50% erreicht. Im Rest der Wahlkreise treten am 20. Oktober die beiden führenden Kandidaten noch einmal gegeneinander an.

In der Regel gewinnt die gerade beliebte Partei - in diesem Fall die Sozialdemokraten - auch eine übermäßig große Zahl der Direktmandate, was ihren Vorsprung noch vergrößert. 

Darüber hinaus können kleine oder regional beleibte Parteien und Kandidaten in einzelnen Wahlkreisen gewinnen. Besonders die polnische Minderheit erlangt immer einige Sitze.  

Die anderen beiden Besonderheiten, die sich z.Zt. weniger auf das Wahlergebnis auswirken sind:

  • Parteien koennen Wahlbündnisse schmieden , also verschiedene Parteinen gemeinsam eine Liste machen (keine dieser Listen hat es diesmal in den Seimas geschaftt)  
  • Man kann, nachdem man eine Liste gewählt hat, 5 Personen aus der Liste auswählen und damit können sich die Personen, die de facto ins Parlament kommen, sich von der Reihenfolge in der Liste untetscheiden. 


Welche Musik die Parteiführer hören?

Interessante Frage auf  https://www.15min.lt/gyvenimas/naujiena/ar-zinai/kokia-muzika-labiausiai-megsta-lietuvos-partiju-lyderiai-paklauseme-ju-ir-sudareme-grojarasti-1634-2321346

Und hat zu der folgenden Spotify-Playlist geführt:

https://open.spotify.com/playlist/1enJTqeLteSfECJbKwOR2W


Wahlergebnisse

  1. Wahlrunde 13. Oktober 2024

70 Mandate prozentual besetzt

und 8 von 71 Direktmandaten gewaehlt 

 

% 
(Mandate) 

Ergebnis  

2020 

 

Direkt- 
Mandate 
1. Runde 2024 

Sozialdemokraten  

19,4% 

(18) 

9.4%  

(9)  

2 

Konservative 

18% 

(17) 

25% 

(23)  

1 

NEU!  
Morgenroete 

15% 

(14) 

- 

1 

NEU! 

Demokraten 

9,2 % 

(8) 

- 

  

Bauern 

7 % 

(6) 

17,3 % 

(16) 

  

Liberaler Aufbruch 

7.7 % 

(7) 

6.8 %  

(6) 

1 

Freiheitspartei 

4.5 %  

(0) 

9.1 % 

(8) 

  

Friedenskoalition  

2020: Arbeitspartei                    

2.2 % 

(0) 

9.4 %  
(9) 

  

Polnische Wahlaktion (Union der christlichen Familien) 

3.9 %  

(0) 

4.8 %

(0) 

2 

Andere 

  

 

1 

Gesamt 

70 

Mandate     

 

8 von 71 Mandaten 

Wahlbeteiligung 

52% 


48% 

 

 

 


Wahlergebnisse 2. Wahlrunde

  1. Wahlrunde  - Direktmandate

20. Oktober 2024

 

Direkt-Mandate 
2. Runde 

Direkt- 
Mandate 
1. RUnde 

Insgesamt 

Sozialdemokraten  

 

2 

 

Konservative 

 

1 

 

Morgenroete 

 

1 

 

Demokraten 

 

  

 

Bauern 

 

  

 

Liberaler Aufbruch 

 

1 

 

Freiheitspartei 

 

  

 



Polnische Wahlaktion (Union der chirstlichen Familien) 

 

2 

  

Andere 

 

1 

  

Gesamt 

 

8 

 71 

Mandate 

 

.

Endergebnis (21. Oktober 2024)



  1. Gesamt- 
    Mandate 

    Ergebnis  

    2020 

    Sozialdemokraten  

      

    (18+) 

    14 

    (9+5) 

    Konservative 

     

    (17+) 

    49 

    (23+26) 

    NEU!  
    Morgenroete 

     

    (14+) 

    - 

    NEU! 

    Demokraten 

     

    (8+) 

    - 

    Bauern 

     

    (6+) 

    29 

    (16+13) 

    Liberaler Aufbruch 

     (7+ 

    13 

    (6 +7) 
     

    Freiheitspartei 

     

    (0+ 

    11 

    (8+3) 

    Friedenskoalition  
    2020: Arbeitspartei                   

     

    (0+ 

    10 

    (9+1) 

    Polnische Wahlaktion (Union der chirstlichen Familien) 

    2 

    (0+2)

     4 

    (0+4) 

    Andere 

    1+ 

     5 

    Gesamt 

    141 

      



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