27 Juni 2007

Das Dorf wohnt in der Stadt

Darstellung des „Wilna-Bauern“

Schon deslängeren gibt es in Litauen die Diskussion über die “zwei Litauen”, vor allem um Stadt und Land. In seiner Juni-Ausgabe nimmt sich nun das Vilniusser Szene-Magazin “PRAVDA” www.pravda.lt dem Thema “Dorf” an. Und zeigt auf der letzten Seite den “Agrovilnietis Miesto Jurgis”, also etwas den “Wilna-Bauern Stadt-Schorsch”.

Immer noch schlägt das Bauernherz im Stadtbewohner, möge sich auch der Verkehr stauen, er im X-ten Stock eines gläsernen Hochhauses arbeiten und kein Basketballspiel seiner Lieblingsmannschaft verpassen.

Zitat: “Vom bezaubernden kleinen Dorfbewohner, dem der Lauf der Geschichte den Spitznamen “Rübe” verliehen hat, unterscheidet der Wilna-Bauer durch soziale Schizophrenie. Er ist ein rechter Provinz-Bure und stolz drauf, so wie auf Felder, Kleinviech und seine eigenhändig groß gezogenen Radieschen. Trotzdem glaubt Stadt-Schorsch, dass er sich nach 30 Jahren im Beton seiner vier Wände Repräsentant einer Metropole nennen kann, obwohl er sich im Herzen nur um die Schnappsbrennerei sorgt, die er sich in seiner Garage gebastelt hat.“

Charakteristika

  1. Religiös, aber doof.
  2. Trinkt gerne „mal `nen kleinen“...
  3. Stolzer Eigentümer einer Datscha, denn ohne Finger im Mutterboden fühlt er sich „wie amputiert“
  4. Widerspricht jeglicher sprachlichen Öknomie indem der Namen durch Verkleinerungsformen konsequent verlängert, z.B. die „Raimondchens, “Algirdilein“, „Leonchileinchen“
  5. Die Sätze beginnen mit dem sinnlosen „Shita“ (So...)
  6. Stadt-Schorsch ist Entwicklungs-Egon vom Dorfe, besonders in Beziehungen zu Frauen. Nach dem Fund von dreckigem Geschirr bringt er es sofort zur Mutti. Niemals würde er Essen machen. Spült nicht, kann aber hervorragend Dreck machen.
  7. Urlaub macht er im subtilen Kurort Palanga
  8. Geht in den Fastfoodableger „Chili Dorf“, dass speziell zur Nahrungsabnahme des Wilna-Bauern gegründet wurde.
  9. Bietet seinen Arbeitskollegen selbst sauer eingelegte Gurken an.
  10. Riecht als ob er selbst sauer eingelegt wäre
  11. Dem Wilna-Bauern haftet eine tierische Angst vorm Atomkrieg an. Wenn Ihr noch der Meinung seit, solchen eine Krieg wird’s nicht geben, dann besucht ihn in seinem Schuppen.
    Allein die Anzahl der Gläser „Eingelegte Beeren“ lässt Euch ernsthaft Sorgen um den Weltfrieden machen.
  12. Homophob. Er ist davon überzeugt, dass Werbung für die Menschenrechte für andere sexuelle Orientierungen zum Zusammenbruch seiner Familie führt.
  13. Geht nicht wählen. Aber wenn, dann wählt er na-Ihr-wisst-schon-wen...
  14. Macht den Löwenanteil der abendlichen Fernsehzuschauer aus.
    In seinem Handschuhfach stapeln sich „Popstars“- und „DSDS“-CDs
  15. Beim Küssen zieht er die Unterlippe zurück.“

Orginaltext: Carlo Mandrake

Bild: Rikka

Homepage der Zeitschrift “Pravda” (dort kann sich unten rechts auch die aktuelle Nummer als PDF-Datei herunterladen)

www.pravda.lt

Digitales Informationsprojekt für ländliche Gemeinden (mit kurzer Darstellung auch auf Englisch)

http://bendruomenes.lt/

25 Juni 2007

Schweizer streiten über Litauen

Litauen ist gegenwärtig selten in den Schlagzeilen der deutschsprachigen Presse. In Litauen werden keine Denkmäler spektakulär versetzt (sie sind längst versammelt im Grutas Parkas), nicht einmal Präsidenten oder Parlamente werden momentan gewählt. Da mutet es seltsam an, dass ausgerechnet in der so beschaulich anmutenden Schweiz neuerdings Litauen zum Zankapfel wird. Wie konnte das geschehen?

Neben den scheinbar unvermeidlichen Geschichten von abgefahrenen Reifen litauischer LKWs auf deutschen Autobahnen ist es eher die deutsche Regional- und Provinzpresse, die sich für litauische Themen interessiert. Meist sind Besuche von Gastgruppen oder Partnerschaften der Hintergrund. "Folkloristisch und romantisch" nennt das "Wiesbadener Tagblatt" den Auftritt des litauischen Chors VARPELIS in der hessischen Hauptstadt. "Die höchste Erhebung in Litauen beträgt 250 Meter," weiß inzwischen auch der Wolfenbütteler Bürgermeister Thomas Pink, der Gäste aus Sakiai empfing. "In Litauen gibt es keinen Bergbau", fügt die Berichterstatterin bei "Newsklick" hinzu. Da könnte man staunen, dass es in der deutschen Presse überhaupt eine Meldung wert ist.
Berichtet wird natürlich dann, wenn Deutsche für Litauen spenden. Ob in Bocholt ein Rettungswagen für Akmene, in Michelstadt die Ausrüstung für ein Altersheim in Lauksargiai, in Lemgo ein Krankentransportwagen für Kaunas, oder in Schrobenhausen die Hilfe für ein Behindertenheim ebenfalls in Kaunas.

Was finden nun aber die Schweizer so aufregend?

Kennen Sie Frank A. Meyer? Nein? Ich bisher auch nicht. Wollen wir vorsichtig sein, vielleicht ist er ja auf der Finanzinsel Schweiz ein gefürchteter Wirtschaftsreformer. Kennen sie "BLICK"? Ja richtig, es soll so etwas wie das Gegenstück zur deutschen BILD sein. Oder? Frank A. Meyer können sie hier im Großfoto erleben. Frank A. Meyer überrascht uns mit der These, Litauen sei "erst vor kurzem befreit" worden (Sonntags-BLICK, 23.6.2007). Befreit? Von den Schweizern, der Schweizer Garde, oder dem Schweizer Käse?
Nein, nichts davon - von "Äpfeln und Birnen" meint Herr Meyer hier reden zu müssen. Zitiert wird eine Studie der Beratungsgesellschaft KPMG, der zufolge das Steuerniveau Litauens mit dem Schweizer Kanton Obwalden verglichen worden sein soll. "Litauen als Vorbild für die Schweiz?"
Nun, man könnte Herrn M. granteln lassen; wir erinnern uns dunkel, dass die Birnen im Schweizer Bergland sowieso recht winzig ausfallen - sonst könnte auch nicht ein so gehaltvollers Wässerchen daraus gebrannt werden. Warum also aufregen?
Besser stellen wir keine weiteren Spekulationen darüber an, was Herr M. noch alles "befreien" möchte.

Damit noch nicht genug. Auch im beschaulichen Obwalden gibt es vereinzelte Blogger, wie etwa "obwaldner blog". Aufgemacht mit dem schönen Spruch:
"Wer das Böse ohne Widerspruch hinnimmt, arbeitet in Wirklichkeit mit ihm zusammen." Martin Luther King (1929-1968).
Tja, nun wurde aber der Beitrag aus der BLICK hier kommentarlos wiedergegeben. Trotz einer schönen Illustration (siehe oben) leider kein Beweis eigener Intelligenz. Kein Nachweis, dass diese Sonntagsschweizer je in Litauen waren. Und auch leider keine Antwort auf die Frage, wer denn nun Litauen "befreit" haben soll .... :-(