25 September 2010

Strahlender Herbst

Was wird vom September 2010 in Litauen in Erinnerung bleiben? Ach ja, Angie war da. Eigentlich ein wohl temperierter und vom Zeitpunkt her gut gesetzter Staatsbesuch: schließlich wünschen sich die baltischen Staaten ja immer auch Aufmerksamkeit für sich selbst, und nicht einfach die Einbindung von Staatsbesuchen in sowieso geplante Konferenzteilnahmen. 
In sofern war der Merkel-Besuch erfolgreich. Und auch aus Sicht von Litauen-Sympathisanten grundsätzlich sehr zu begrüßen. Vor Jahresfrist hatten die Besuchstermine in Litauen wegen des plötzlichen Rücktritts des deutschen Präsidenten noch kurzfristig abgesagt werden müssen. Jetzt fielen sie in den Windschatten der deutschen Aufregung um die politisch durchgedrückten Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke. 

 
Pilze & Atompilze
Und genau hier beginnen auch die Bedenken. Schon seit Jahren wurde die auf Litauen bezogene Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland von nur wenigen Schlagworten geprägt: vom vor allem touristisch erfolgreichen Reiseziel "Kurische Nehrung", von Geldspenden für soziale Projekte in Litauen (also sowohl chronischer Finanznot wie auch vom allgemeinen Notstand im sozialen Bereich), und dann vom Schrottreaktor in Ignalina, der so fatal an alles immer noch Verstrahlte und Verseuchte in aus Richtung Tschernobyl erinnert.
Die Besorgnis vor den Gefahren der Atomkraft ist nicht weniger geworden. Wieso sollte sie auch? Selbst in diesem Blog zeigt sich das: bei den Zugriffszahlen auf einzelne Beiträge liegen die 2 Posts zu Radioaktivität und Pilzen aus Osteuropa weit vorn. Noch am 3.September schob das Umweltinstitut München einen aktuellen Bericht nach, in dem es heißt, vor allem Falschdeklarierungen würden anhaltende Probleme für Verbraucher verursachen.Im Klartext: Auf Pilzlieferungen aus anderen osteuropäischen Ländern wird einfach das Schild "Litauen" draufgeklebt, um die Lieferung dadurch unverdächtig erscheinen zu lassen. So kommt es aber, dass trotz des endlich abgeschalteten Atomreaktors mitten in den schönen Naturgebieten Nord-Ost-Litauens dennoch der Name Litauen mit gefährlicher Strahlung in Verbindung gebracht wird.

Unser "litauisches" Atomkraftwerk
Aber Litauen möchte ja offenbar davon auch gar nicht weg. Lauthals wird in notorischer Beharrlichkeit der Plan eines neuen "litauischen" AKWs immer wieder verkündet. Im Gegensatz zum Wiederaufbau eines Palastes wäre aber ein Großprojekt dieser Art nur durch internationale Mischfinanzierung hinzukriegen. Ein "rein litauisches" AKW ist also sowieso eine Illusion, und der rasche Blick zu (gleichfalls bereits armen und von Krediten abhängigen) baltischen Brüdern und Schwestern hilft dar nicht weiter. Somit ist vielmehr eine gewisse Doppelzüngigkeit zu vermuten: was in der litauischen Innenpolitik noch als "nationale Aufgabe" verkauft werden kann, ist zwischen denjenigen, die Chancen auf Beteiligung an Prämien und Sonderzulagen für den Fall eines Projektzuschlags hoffen können, längst zum Objekt von Streitigkeiten um persönliche Profite zu Vergünstigungen geworden. Im nördlichen Nachbarland Lettland hat die öffentlich so verhasste russische Gazprom soeben mit Millionenaufwand eine prestigeträchtigte Villa gekauft um von hier aus die Geschäftsbeziehungen mit der lettischen "Gazprom" zu festigen - trotz allen Streits um die Ostseepipeline. Für den Fall fortdauernder Liberalisierung des litauischen Energiemarktes ist hier Ähnliches zu erwarten. Und damit ist eines sicher: das Argument der "einseitigen Abhängigkeit von Russland" als Grund, ein AKW bauen zu müssen, ist hinfällig. Aus Polen kommt die Nachricht, dass Ministerpräsident Tusk ebenfalls einen langfristigen Liefervertrag mit Russland abschließen will (siehe Tagesschau). Und dass trotz Atomstrom der Energiepreis nicht billiger wird - denn die Anlagen werden ja gebaut, damit gerade die Konzerne ihre Profite sichern - das zeigt gerade der Fall Deutschland nur allzu offensichtlich.

Doppelzüngige Politiker
Offensichtlich sind auch Kanzlerin Merkel solche Widersprüche bewußt. Zwar spekulieren einige deutsche Medien (siehe Frankfurter Rundschau) zurecht, die flotte Angela könnte sich als Türöffnerin für neue Aufträge für die deutsche Atomindustrie im Ausland betätigen. Anderseits zeigt der Wortlaut der von der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite und dem Bundeskanzleramt veröffentlichten Presseerklärung auch bei genauerem Hinsehen, dass die Litauer keineswegs der Illusion verfallen sollten, Merkel könnte zugunsten LITAUISCHER Interessen handeln. Auf die Frage eines Journalisten, was Deutschland beim Bau eines AKWs in Litauen konkret zu tun gedenkt, antwortet Merkel: "Wir werden alles tun, damit dieser politisch gewollte Bau von uns auch politisch unterstützt wird und damit gegebenenfalls auch Unterstützung geleistet wird, wenn die Bitte an bestimmte Investoren käme."
Solche Sätze muss man mehrfach lesen. Vorherrschend ist überall die Möglichkeitsform. Die Finanzierung bleibt unklar - AKWs in Litauen können ja nun wirklich nicht auch noch mit Belastungen des deutschen Steuerzahlers finanziert werden (und ob Merkel sich mit ihrer so eindeutigen Begünstigung der Atomlobby nicht auch das Ende der eigenen Kanzlerschaft eingeläutet hat, wird sich noch zeigen). In der Regel wird eine "Anfrage" an die Dienstleistungen von Atomfirmen aber erst dann konkret, wenn der "Besteller" auch Finanzen zur Verfügung hat. Gerade die Erfahrungen der Finanzkrise sollte doch lehren, dass nicht alles "politisch Gewollte" erstmal einfach auf Kredit finanziert werden kann - sonst wäre die wirtschaftliche Krisensituation in Litauen noch auf Jahre hinaus konserviert.