16 Juli 2006

Litauen als Zentrum des Weltkulturerbes - 9 ereignisreiche Tage

Das Stichwort vom "Weltkulturerbe" ist auch im deutschsprachigen Raum inzwischen etwas bekannter geworden. Was sonst auch von strengen Naturschutzmaßnahmen bekannt ist - das Erstellen von "roten Listen für besonders gefährdete Arten" - hat sich jetzt auch bewährt, um die Weltöffentlichkeit für die Erhaltung der wichtigsten Kulturgüter der Welt zu sensibilisieren. Auf einer solchen UNESCO-Liste geführt zu sein, gilt als Prestigesache. Gefürchtet dagegen die UNESCO-Warnungen vor diesen Status gefährende Entwicklungen. Die litauische Hauptstadt Vilnius war 9 Tage im Juli (8.-16.7.06) Versammungsort für die 30.Sitzung des UNESCO-Weltkulturerbe-Komitees.

Aus Sicht Deutschlands und Österreichs war das Ereignis weitgehend von den Interessen einiger Städte verbunden, die entweder in die prestigeträchtige Liste des Weltkulturerbe aufrücken wollten (Regensburg), oder Befürchtungen hegten, die Beratungen der UNSECO-Gremien in der litauischen Hauptstadt könnte einen offiziellen Tadel für die kulturpolitischen und architektonischen Entwicklungen in ihrer Stadt ergeben (wie Köln, Dresden und Graz). Bisher umfasste die UNESCO-Liste des Welterbes bereits 812 Kultur- und Naturstätten in 137 Staaten (32 in Deutschland, darunter z.B. die Altstädte von Stralsund, Wismar, Bamberg, Quedlinburg, Lübeck, die Fossiliengrub in Messel, oder Rathaus und Rolandstatue in Bremen - siehe DER SPIEGEL).
Man braucht eigentlich nur auf die Liste der Neuaufnahmen der vergangenen Woche zu schauen, um die Vielfalt kultureller Leistungen zu erkennen, die hier versammelt sind: ein Panda-Reservat in der chinesischen Provinz Sichuan, die Insel Malpelo bei Kolumbien, zwei prähistorische Stätten von Steinkunst in Tansania und Malawi, die grenzübergreifenden Steinkreise von Gambia und dem Senegal, die mexikanische Algave- Landschaft, die Stadt Harar Jugol in Äthiopien sowie die Hafenstadt Port Louis auf der Insel Mauritius.

Im Bl
ickpunkt: Köln, Graz, Dresden, Regenburg
Leider wird die öffentliche Diskussion über das Welterbe-Thema in deutschsprachigen Medien meist nur von Schlagzeilen dominiert -
allerdings angesichts des oft mangelnden Interesses an kulturellen Werten vielleicht auch zumindest von lokalpolitischem Wert. So musste die Stadt Köln ihre nahe des Doms projektierten Hochhausplanungen erheblich ändern, um jetzt in Vilnius einen negativen Beschluß der UNESCO verhindern zu können - eine Einstufung als "gefährdetes Kulturerbe. Die für Köln positiven Nachrichten fanden dementsprechend in der Kölner Lokalpresse breiten Rückhall (Kölner Stadtanzeiger, KST-Chronologie der Ereignisse, Koeln.de).
Auch um das österreichische Graz gab es eine Diskussion: ein geplanter Kaufhausausbau in der Altstadt erhielt nicht das Placet der UNESCO-Kommissionen (Kleine Zeitung, der Standard). Von "Enterbung" war in Graz plötzlich die Rede, und ein Funktionär der Grazer Wirtschaftskammer ließ sich sogar hinreißen, "Einreiseverbot" für die Verantwortlichen für die UNESCO-Entscheidung zu fordern.
Die Diskussion beruhigte sich aber schnell wieder, und nun soll in den nächsten Monaten eine spezielle UNESCO-Kommission in Graz helfen, Kompromisse zu finden.

Ungeteilte Freude dagegen rief die Aufnahme der Altstadt Regensburgs in die Weltkulturerbeliste hervor (Frankenpost, SPIEGEL, DIE WELT). "Wir sehen einen Trend zu weniger Neuaufnahmen", zitierte die FRANKENPOST die litauische Komitee-Vorsitzende Ina Marciulionyte, "aber die Entscheidung für Regenburg war einfach und hat nur etwa sieben Minuten gedauert!"

Nicht im Sinne der sächsischen Regionalpolitiker kam dageben Dresden mit dem geplanten Bau der Waldschlößchen-Brücke weg. Die UNSECO sah das Projekt als Kulturerbe-gefährdend an. Zuvor hatte ein Volksentscheid in Dresden knapp für den Brückenbau entschieden. "Wir haben entschieden, wir sind das Volk. Punkt." So zitiert DIE WELT die Einstellung einflußreicher Politiker, die sich für die Brücke einsetzen (hier: Sachsens früherer Ministerpräsident Kurt Biedenkopf). Da werden Kritiker des Brückenprojekts, wie der Nobelpreisträger Günther Blobel, auch schon mal als "Verräter" gebrandmarkt (Lausitzer Rundschau). "Wir sind auch ohne den Welterbe-Titel ein
Tourismusmagnet", werden in der WELT wutschnaubende CDU- und FDP-Lokalpolitiker zitiert. Ob man diese Einstellung tatsächlich durchhalten will?

Konservieren, erhalten - warum eigentlich?
Überhaupt sind auch die kritische Stimmen mitzuverfolgen. "Welterbe der Menschheit, das ist ein Status, der nicht nur Ruhm und Zuschüsse einbringt, sondern auch Kosten verursacht. Die ausgezeichnete Kommune ist verpflichtet, den Erhalt des Denkmals zu garantieren - und das kostet viel Geld. Die Unesco gibt dafür keinen Cent," so war es in NEWSKLICK zu lesen. Und die TAZ meinte gar: "warum eigentlich bewahren?" und zeigte sich auch seltsam gleichgültig gegenüber der Diskussion um das Dresdner Elbtal - dessen Schönheit erschließe sich "sowieso nur von wenigen Aussichtspunkten aus". DIE WELT dagegen zitiert auch andere Beispiele der Vergangenheit, wo immer Kompromisse zwischen lokalen Bauprojekten und Erhaltung der traditionellen Bausubtanz gefunden werden konnten, so z.B. bei einem überdimensionierten Projekt der Deutschen Bahn in Potsdam.

Prestigegewinn für Litauen
Das weltweit beachtete Kulturthema brachte jedenfalls für Litauen - und auch wohl für Vilnius als Konferenzort - einen eindeutigen Gewinn an Ansehen und Beachtung. Zudem passt das Thema auch zur großen Bedeutung, die kulturelle Themen auch in Litauen selbst genießen
Schließlich wurde auch die Altstadt von Vilnius selbst bereits 1994 in die Welterbe-Liste aufgenommen.

Weitere Infos zum Thema:
- Pressemeldung der UNESCO zum Fall Dresden
- Litauisches Sekretariat zur UNESCO-Konferenz
- UNESCO Webseite zu World Heritage
- die Welterbe-Liste der UNESCO
- litauisches nationales UNESCO-Komittee (Seite nur in Litauisch)
- Webseite der Stadt Vilnius (englisch)

05 Juli 2006

Litauen: Ohne Euro, ohne stabile Regierung?

In Litauen ist was los im Parlament: Misstrauenvoten gegen den Parlamentspräsidenten, Abwahlanträge und Korruptionsverdacht gegen den Wirtschaftsminister, und Versuche von Koalitionsbildungen mit nur 50-60 von 141 Sitzen im Parlament - wo gibt es das sonst? Dennoch wahrscheinlich kein Grund, stolz darauf zu sein - weder politisch Interessierten aus dem Ausland, noch potentiellen litauischen Wähler/innen kann das Ränkespiel so richtig gelegen sein.

Rücktritte, Skandale, Gerüchte
Bis zum April 2006 hatte Litauen eine Regierung aus vier Parteien, ausgestattet auch mit einer Stimmenmehrheit im Parlament. Nach einem Mißtrauensvotum gegen den Neoliberalen Arturas Paulauskas zog sich dessen P
artei aber aus der Regierungskoaltion zurück, und Regierungschef Brazauskas konnte nach 18 Monaten Amtszeit nur noch auf die Unterstützung seiner eigenen Sozialdemokratischen Partei, zusammen mit der populistischen Arbeitspartei von Wirtschaftsminister Uspaskich, und der Bauernpartei/Neue Demokratie bauen. Auch das hielt nicht lange, die Meinungsverschiedenheiten wurden größer, und als am 31.Mai die Arbeitspartei auch ihre Minister aus der Regierung zurückrief, brach das Kartenhaus erst einmal zusammen. Die Büros der Arbeitspartei waren kurz zuvor von Mitarbeitern der litauischen Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf doppelte Buchführung durchsucht worden. Ausserdem gab es Gerüchte, wonach die Arbeitspartei von russischen Geheimdiensten finanziell ausgehalten werde (Novosti 31.5.06) - einen ähnlichen Vorwurf hatte es schon gegen den 2003 gewählten litauischen Präsidenten Paksas gegeben, der dann auch seines Amtes enthoben wurde. Ebenfalls schon vor zwei Jahren war dem damaligen Wirtschaftsminister Uspaskich Korruption bei der Verteilung von EU-Geldern vorgeworfen worden (Der Standard 3.6.06).

Am 1.Juni trat Algirdas Brazauskas als Regierungschef zurück, nicht ohne zu betonen, seine Partei sei jetzt für eine Regierungsumbildung nicht am Zuge, sondern "diejenigen, welche die bisherigen Regierung zerstört" hätten. Der litauischen Verfassung gemäß muss der Präsident nach Rücktritt einer Regierung im Laufe der darauf folgenden 15 Tage einen neuen Kandidaten als Regierungschef vorschlagen.

Glorreiche Pläne, Rückzugsgefechte
Eigentlich hätte der Mai 2006 zu einem strahlenden Erfolgsmonat für Litauen werden sollen. Litauen hatte noch Ende April eine förmliche Bewerbung an den Präsidenten der EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, sowie an EZB-Präsident Jean-Claude Trichet abgeschickt - der Euro sollte zum Januar 2007 auch in Litauen eingeführt werden. Warnungen gab es in der internationalen Presse schon sehr früh: "schlechte Karten" attestierte "
Europolitan" den Litauern, "Erweiterung mit gebremstem Schaum" sagte die Börsenzeitung schon Anfang April voraus, und REUTERS prognostizierte treffsicher für Litauen "einen weiteren Rückschlag". Punktgenau zusammengefasst hat es dann die DEUTSCHE WELLE mit der Schlagzeile: "Baltische Erfolgsgeschichten ohne Happy End."
Erstaunlich dabei nur, dass Litauen sich wegen 0,1% zu hoher Inflationsrate sich nicht so leicht schrecken ließ, und zunächst sogar erreichte, dass manche Kommentatoren an den Beitrittskriterien zum Euroland zu zweifeln begannen - so z.B. die F
AZ "vom Nutzen der Euro-Regeln" (22.3.06). Das HANDELSBLATT zitierte eine kritische Stellungnahme des ehemaligen Chefvolkswirts der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Willem Buiter, schon am 15.März in vollem Wortlaut. Und am 17.Mai kommentierte Michael Moravec im österreichischen STANDARD: "Realitätsverlust? Litauen leidet eher nicht darunter."

Hannes Gamillscheg zitierte in DIE PRESSE am 22.5. zurecht Litauens glänzendes Abschneiden bei den übrigen Kriterien zur Euro-Einführung: "Das öffentliche Defizit beträgt 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (drei Prozent wären erlaubt), und die Verschuldung ist mit 18,7 Prozent des BIP (Kriterium: 60 Prozent) niedriger als in allen Euro-Staaten außer Luxemburg."

Auch EU-Haushaltskommissarin Dalia Grybauskaite aus Litauen setzte sich natürlich argumentativ im Sinne der litauischen Euro-Wünsche ein, und fand sogar noch Unterstützung sowohl beim tschechischen Kommissar für Beschäftigung und Soziales, Vladimír Spidla, sowie der aus Polen stammende Kommissarin für Regionalpolitik, Danuta Hübner. Zwischenzeitlichen Erfolg hatte Litauen im Europaparlament am 1.Juni, als die EU-Parlamentarier mit Mehrheit gegenüber der EU-Kommission "eine Strategie für den schnellen Beitritt Litauens zur Eurozone" forderten.

Am Tag vor dieser Sitzung des Europaparlaments war die Regierung Brazauskas aber bereits zurückgetreten. Der konservative Oppositionsführer im litauischen Parlament, Andrius Kubilius, hatte schon einen Monat zuvor verkündet: "die litauische Regierung ruiniert die Euro-Einführung".

Alles weiter wie gehabt?
Die Regierungsbildung gestaltete sich als erwartet schwierig. Präsident Adamkus meinte zunächst in Finanzminister Zigmantas Balcytis einen geeigneten neuen Regierungschef gefunden zu haben, aber im Parlament fiel er mit nur 52 von 141 Stimmen glatt durch (DIE WELT 21.6.). Eine Nachwirkung seiner vermeintlichen Mitverantwortung beim Debakel um den Euro? Dann stieg Verteidigungsminister Gediminas Kirkilas in den Ring. Wie Brazauskas und Balcytis ist es nun, nach allem Hin und Her, doch wieder ein Sozialdemokrat, der die Fäden zusammenhalten soll. Die Abstimmung am 4.Juli erbrachte 85 Ja-Stimmen bei nur 13 Gegenstimmen.

Was lernen wir daraus? Etwa, dass Litauen - unter der Decke von brüchiger Zusammenarbeit unter den demokratischen Parteien - ein sich stabil entwicklendes Land ist? Oder, dass es die EU vielleicht noch eines Tages bereuen wird, den Euro in Litauen nicht einfach geräuschlos eingeführt zu haben? Jedenfalls werden deutsche Touristen an der Kurischen Nehrung, in Vilnius oder in Kaunas weiterhin nicht ohne Litas in der Tasche auskommen können. Und die Frage: "Wie lange wird die neue Regierung halten" ist vielleicht eine der unbeliebtesten Fragen im litauischen Lande zur Zeit.

Am 6.Juli feiert Litauen jetzt erstmal den Jahrestag der Krönung von König Mindaugas - vielleicht ein symbolischer Tag im richtigen Moment. Der neue Regierungschef heißt immerhin Gediminas mit Vornamen - nach dem litauischen Großfürsten, dem immerhin die Gründung von Vilnius zugeschrieben wird. Was Kirkilas aber in nächster Zeit wirklich erreichen kann, das wagt wohl gegenwärtig kaum jemand vorherzusagen.