27 Februar 2006

Keine Briefe aus Litauen ...

"Litauer schauen nicht in ihren Briefkasten", so berichtet Christiane Fenske aus einer "Ethnologie"-Ecke des Berliner TAGESSPIEGEL. Warum nicht? "Weil sie keine Briefe schreiben", so Fenskes These, die zu begründen ihr die anerkannte Zeitung Raum gegeben hat.
Kann das stimmen? Oder ist es vielleicht im Zeitalter von Internet und Email eine eher allgemeine Tendenz?

Die Argumente lesen sich eigentlich widersprüchlich: einerseits habe man dank Billigtarifen in sowjetischen Zeiten endlose Telefongespräche führen können, und Briefe seien ja oft von der Zensur geöffnet worden, lesen wir da. Andererseits habe aber kaum jemand privat ein Telefon gehabt. Waren die Telefoninhaber also alles staatstragende Leute? Und konnten nicht gerade Telefongespräche ebenfalls prima abgehört werden?
Aber vielleicht hatte man sich ja daran gewöhnt, weder in Briefen die ganz krassen Formulierungen zu verwenden, noch am Telefon über die Regierung zu schimpfen ...


Heute darf man wohl beides. Nur: Telefonieren über Festnetz ist in Litauen manchmal teuerer als über Handy, und wenn sich Weihnachtspost in einem litauischen Briefkasten findet, dann stammt sie oft von einer Behörde - jedenfalls den Recherchen von Fenske zufolge.

Ob die deutsch-litauische Kommunikation unter dieser angeblich Brieffaulheit leiden wird? "Ich bin aus Litauen, ich suche Freunde um die Briefe zu schreiben" - so drückt es Edita aus Litauen im Internetforum "Deutsch als Fremdsprache" aus. Allerdings: Auch dieses Gesuch hat sie wohl als Email geschrieben! Und: Ob sie noch jemand finden wird, der wirklich "Briefe schreiben" will?

Vielleicht sind es die Kirchengemeinden, in denen die wahren Briefeschreiber sitzen. "Die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen der Pfarrei St. Marien in Elektrenai/Litauen und unserer Gemeinde bestehen nun seit zweieinhalb Jahren. Seitdem gibt es einen regen Briefwechsel und gegenseitige Besuche," schreibt Monika Rattunde aus der Pfarrei St. Albert in Freiburg. Aber ob es tatsächlich handgefertigte Sackpost war, lässt auch diese Formulierung offen. Aber vielleicht ist der folgende Satz auch ein Tipp, wie Briefe attraktiv verpackt doch noch ihre Empfänger finden: "Zu Ostern schickten wir als Zeichen der Verbundenheit eine Kerze nach Litauen."

"Du kannst nicht Monate lang nur Briefe schreiben und Dich dann beschweren das Du nicht weiter kommst!" - wo findet man solche Sätze? Und wer schreibt wohl monatelang Briefe? Richtig, das ist eine Partnervermittlung (True Love), und der Beschwerdeführer (ein "Holger" aus Berlin) will auch hier vom Briefeschreiben weg, und endlich "mehr" (er hat die Adressen pro Stück bezahlt). Die Agentur verspricht unter anderem auch "baltische Schönheiten" aus Litauen - aber wer hier Geld ausgibt, ist wohl selbst Schuld.

Im "Forum Brieffreundschaften" suchen die Anfragenden denn auch vorsichtshalber auch schon gleich "Mailfreundschaften", oder drohen gar: "Wer will mit mir in den Emailkrieg treten?"

Was aber lesen wir in Emails? Unter der winterlichen Überschrift "Bibber" teilt Michelle uns mit:
"Es ist schon erstaunlich, wie mich ein Wintersemester im eiskalten litauen so abgestumpft hat, dass mir überhaupt nicht aufgefallen ist, dass ich den ganzen september gefroren habe. heute wurden dann erstmals ein paar übrig gebliebene holzscheite verheizt und ich bin total euphorisch, weil meine hände und füße nicht eiskalt sind, weil ich mich nicht in eine decke einwickeln muss und weil das ganze haus von einer wohligen wärme erfüllt ist." Wer würde da nicht gern zum tröstenden "Mailfreund" werden?

Die Freunde des realen Papierschreibens haben sich auch im Internet längst organisiert. Die "International Pen Friends" (IPF) unterhalten deutsche wie auch internationale Webseiten. Und hier kommen die Schreiberlinge zu doppelten Ehren: handgeschriebenes wird nun auch virtuell einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wo also keine Briefe mehr geschrieben werden, da können sich die Beteiligten über ehemals geschriebenen Werke endlos weiter austauschen ....

08 Februar 2006

Eine Uni für die Nachbarn - Belorussen studieren in Vilnius

Eigentlich war die "European Humanities University" (EHU) Mitte der 90er Jahre als weißrussische Hochschule in Minsk gegründet worden. Bis vor einem Jahr war die Europäische Humanistische Universität (EHU) in Minsk die einzige private Hochschule Weißrusslands. Sie wurde geführt von einer neuen Generation, die vor allem den Dialog zwischen Ost- und Westeuropa voranbringen wollte. Mit ihrem humanistischen Bildungsideal war sie dem autokratisch regierenden Präsidenten Lukaschenko schon lange ein Dorn im Auge. Dem Rektor Anatoli Michailow wurde mehr als einmal gedroht, dass sein Leben in Gefahr wäre, würde er die Universität nicht sofort verlassen. Seit 2003 war die Universität Objekt vieler Schikanen der belorussishen Behörden - 2004 kündigte das Bildungsministerium der EHU kurzerhand den Mietvertrag.

Ohne Räumlichkeiten keine Lehre - inzwischen hat die EHU in der Hauptstadt des Nachbarlandes Litauen, in Vilnius, eine neue Heimat gefunden. Von "Bildungsasyl" schrieben die Macher der "Belarus-News". Das "Eurasische Magazin" spricht von "Intelligenz im Exil".

Der kurze Schritt zum Nachbarn
Die litauische Hauptstadt liegt nur 40 Kilometer von der Grenze zu Weißrußland. entfernt, rund 200 Kilometer sind es von Vilnius nach Minsk. „Die litauische Hauptstadt war für Weißrussen schon immer so etwas wie ein Tor zur Welt," so zitiert das "Eurasische Magazin" Vladimir Dounaev, Vizedirektor der EHU. Er pendelt jede Woche zwischen Minsk und Vilnius hin und her. Seinem Kollegen, Professor Anatoli Mikhailov, erteilte Lukashenko aber bereits Einreiseverbot. An der Weigerung, Mikhailov als Leiter abzusetzen, entzündete sich 2004 der Streit um die Schließung der EHU in Minsk. "Fast 1000 Studenten gingen daraufhin ausser Landes," berichtet Dounaev, "einige Studenten sind sogar auf eigene Faust in den Westen gereist, sogar bis nach Kanada und in die USA."

Geld für die Wiedereröffnung der EHU in Vilnius kamen aus den USA, Frankreich und Deutschland. Auf der EHU-Webseite sind inzwischen über 50 Hochschulpartnerschaften in Deutschland verzeichnet, darunter auch die Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder), die Fachhochschule des Bundes fur öffentliche Verwaltung (Brühl), das Institut fur Recht der Wirtschaft an der Universität Hamburg, die Universitäten aus Greifswald und Hamburg, die Gesamthochschule Essen, und die Kunstakademie Munster.

Neuer Anfang
Seit Oktober 2005 gibt es 170 Undergraduate und 100 Magisterstudenten an der EHU in Vilnius. Einer Sendung des Deutschlandradios zufolge sind zusätzlich sind 600 Studenten für ein Fernstudium eingeschrieben.
Die EU-Kommission und das Nordic Council of Ministers haben am 29. Dezember 2005 einen Vertrag über die finanzielle Unterstützung der EHU unterzeichnet. Einige Länder (z.B. Schweden, Holland, Luxemburg) arbeiten jetzt an spezifischen Projekten. Auch an der Universität Leipzig gibt es Aktivitäten zur Unterstützung der EHU. Die deutsche Robert-Bosch-Stiftung finanziert eine halbe Dozentenstelle an der EHU, und das Auswärtige Amt gab per Pressemeldung vom 18.10.05 bekannt, dass die Gründung der EHU in Vilnius mit 50.000 Euro von deutscher Seite unterstützt werde. Informationen der Neuen Züricher Zeitung zufolge verdankt die "Exil-Uni" in Vilnius ihren raschen und erfolgreichen Start auch der großzügigen Unterstützung der katholischen Kirche in Vilnius. Im gleichen Artikel gibt die NZZ auch interessante Äusserungen von Mitarbeitern der weißrussischen Botschaft in Vilnius wieder - die sich mit gewundenen Stellungnahmen über den angeblich "übertriebenen" Medienrummel um die EHU zu wundern vorgeben.


Auf den Diplomen, die die Exilstudenten bei der EHU ausgehändigt bekommen - so schreibt "Belarus-News" unter Bezug auf Spiegel-online - ist ein Stempel von Litauen, daneben ein Siegel der EHU-International mit der Ortsangabe Vilnius/Minsk. Doch anerkannt werden diese Diplome nirgendwo, weder in Litauen noch in Belarus noch in Deutschland. Das Europäischen Parlament in Straßburg hat allerdings bereits eine Resolution verabschiedet, die alle europäischen Universitäten und Bildungseinrichtungen auffordert, die Exil-Diplome als qualifizierte Abschlüsse anzuerkennen.

Wie kann es weitergehen?
Peter Liesegang, Vorstandsmitglied der deutsch-belarussischen-Gesellschaft und Mitarbeiter der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) hat zur Lage einen Offenen Brief geschrieben an alle deutschen Stellen, die sich für Weißrussland interessieren könnten. Er schätzt, dass bisher etwa 600 Initiativen in Deutschland Kontakte nach Belarus pflegen - meist mit den Themen "Atomunfall Tschernobyl" oder "Aufarbeitung der Geschichte". Seiner Meingung nach sollte alles getan werden, um eine völlige Isolation gerade der jungen Belorussen zu vermeiden. Jede Möglichkeit von Austausch und Begegnung sollten also genutzt werden.
"Solange es noch in Belarus möglich ist," schreibt Liesegang, "sollte versucht werden, Bildungsprojekte im Land zu unterstützen, die sich an nichtstaatlichen Einrichtungen befinden oder die unter ausländischer Trägerschaft laufen."

Problematisch scheint dabei nur, dass Studierende aus Belorussland, die sich in den Augen von Lukashenko oder den ihm hörigen Behörden unliebsam verhalten, erhebliche Schwierigkeiten im Heimatland bekommen können. Was ist, wenn diese dann nach einem Stipendium oder Austauschaufenthalt nicht wieder nach Hause fahren können? Solche Fälle hat es schon gegeben, und jedem Deutschen sind noch die Schwierigkeiten von Ex-Aussenminister Fischer vor Augen, im Zusammenhang mit angeblich zu "lascher" Visavergabe.

Die junge Generation in Belorussland, die sich nicht mit den gegenwärtig sehr eingeschränkten Verhältnissen im eigenen Land abfinden will, geht jedenfalls einen schwierigen Weg. Selbst beim Studium in Litauen sind die täglichen Kosten weit höher als daheim in Minsk. EHU-Vizedirektor Dounaev schätzt die Perspektiven so ein: "Das Lukaschenko-Regime stütze sich auf den günstigen Zugang zu Erdöl und Erdgas aus Rußland. Solange sich in Moskau nichts ändert, bestehen nur geringe Chancen auf einen politischen Wechsel. Aber alle Diktatoren werden irgendwann fallen ...."