13 Juni 2018

Zwischen Altlasten und Schlußstrich

Es gibt ein Thema, über das litauische Regierungsstellen offenbar nicht gerne reden: die früher der CIA zur Nutzung in Litauen eingeräumten "Geheimgefängnisse" (Black sites). Geheim deshalb, weil dort offenbar Dinge geschahen, von denen die Beteiligten gerne den Eindruck erwecken, es gäbe sie gar nicht - vor allem Folter. Es wäre also wohl falsch zu erwarten, Informationen hierzu im sogenannten "CIA World Factbook" finden zu können.

Als 2009 Einzelheiten zu CIA-Gefängnissen in Litauen veröffentlicht wurden (z.B. "Washington Post" / "Spiegel online") wirkte alles gleich sehr konkret: nicht nur was die Orten und Gebäude anging (Reithof Antaviliai), wo entsprechendes geschah, sondern auch was die Foltertechniken anging, die dort praktiziert wurden. Die Kritik richtet sich dabei gegen Litauen als Unterzeichnerstaat der UN-Anti-Folter-Konvention, die seit 1986 in Kraft ist (siehe auch: Die Presse). Allerdings zeigen zum Beispiel die jährlichen Berichte von "Amnesty International", dass Folter trotz des völkerrechtlich zwingenden Folterverbots weiterhin in vielen Ländern alltäglich ist (siehe auch: DW).

Als Gründe der litauischen Dienstbarkeit gegenüber US-Behörden wurden bald der litauische Wunsch nach besseren Beziehungen zu den USA vermutet - so habe es "ein ehemaliger CIA-Agent" erzählt. Den Grad des Geheimnisvollen bestärkten auch litauische Offizielle, denn die Regierung Litauens bestritt damals alle Gerüchte und Interpretationen über angebliche Geheimgefängnisse, die es auf litauischem Boden gegeben haben soll und möglicherweise (von der CIA) benutzt wurden (Die Welt). Als stärkstes Indiz galten damals Flugbewegungen von Maschinen der "Richmor Aviation", die dafür bekannt sein sollen öfter im Auftrag der CIA zu fliegen.

Eine der seltenen Stellungnahmen von litauischer Seite zu diesem Thema im Dezember 2009 von der frisch ins Amt gewählten Präsidentin Dalia Gribauskaite. "Litauen wird als Staat nur dann respektiert werden, wenn wir nicht Menschenrechte geringschätzen, oder Kompromisse in unserer nationalen Sicherheit machen - das eine darf das andere nicht beeinträchtigen." - In derselben Erklärung steht aber auch: "Das Komitee für nationale Sicherheit und Verteidigung des litauischen Parlaments hat Anfragen der CIA festgestellt, Einrichtungen für Gefangene einrichten zu dürfen, und das diese Einrichtungen auch entsprechend ausgerüstet wurden; es weist jedoch nichts darauf hin dass hier auch tatsächlich Gefangene gehalten wurden."

Also: Gefängnisse ja, Gefangene nein. Es stellte sich allerdings bald heraus, dass es in Litauen mehrere solche Orte potentieller CIA-Gefängnisse gab - und einer davon durchaus auch genutzt wurde. Quelle für diese Info: Domas Grigaliunas, ein ehemaliger litauischer Geheimdienstmitarbeiter. Litauen selbst startete zunächst auch eine Untersuchung in dieser Sache, stellte diese aber nach nur einem Jahr wieder ein.
Eine neue Entwicklung ergab sich 2013, als Litauen wegen der EU-Präsidentschaft im Fokus der internationalen Öffentlichkeit stand. Das "Human Right Watch Institute" in Vilnius forderte die litauische Regierung auf, die Untersuchungen zu den potentiellen CIA-Gefängnissen wieder aufzunehmen.

Im Jahresbericht für 2013 sagt "Amnesty International" für Litauen: "Die Behörden nahmen die Untersuchung zur Beteiligung Litauens an den CIA-Programmen für außerordentliche Überstellungen und Geheimgefängnisse nicht wieder auf, obwohl es neue Ermittlungsansätze gab und NGOs neue Daten über außerordentliche Überstellungsflüge nach Litauen vorgelegt hatten. Die Behörden versäumten es auch, strafrechtliche Schritte gegen Personen einzuleiten, die für möglicherweise auf litauischem Hoheitsgebiet verübte Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Verschwindenlassen verantwortlich waren.
Im April 2012 besuchten Delegierte des Europäischen Parlaments das Land und kamen zu dem Schluss, dass Litauen keine unabhängige, unparteiische, gründliche und wirksame Untersuchung seiner Beteiligung an den CIA-Programmen durchgeführt hatte. In einem im September vom Europäischen Parlament angenommenen Bericht wurde Litauen aufgefordert, eine Untersuchung zu seiner Mitverantwortung für diese Programme durchzuführen, die mit den international geltenden Menschenrechtsstandards in Einklang steht."

Schon 2010 gab es offenbar einen UN-Bericht über die Existenz von Geheimgefängnissen weltweit - über dessen Veröffentlichung lange gestritten wurde (Tagesspiegel). Allerdings war hier nicht nur vom CIA war darin die Rede, sondern auch von Ländern wie China, Russland, Syrien, Pakistan, Saudi-Arabien, Indien und Usbekistan, wo ähnliches an der Tagesordnung sei.

2015 wurde mit Henrikas Mickevičius ein Litauer in die UN-Kommission "gegen gewaltsames Verschwindenlassen" (engl. = "Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances") berufen (liberties). Mickevičius ist Mitgründer, Anwalt und heutiger Berater des litauischen "Human Rights Monitoring Institute" (HRMI) in Vilnius.

Und dann kam Zayn Al-Abidin Muhammad Husayn, genannt Abu Zubaydah. Als einer von zwei Anklägern behauptete er, von der CIA nach Litauen gebracht und dort festgehalten und gefoltert worden zu sein (beide sind mittlerweile im umstrittenen US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba interniert). Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vom 31.5.2018 fiel eindeutig aus: Die Behörden Litauens hätten von den Gefängnissen gewusst und mit dem US-Auslandsgeheimdienst kooperiert. Damit hätten sie drohende Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen. (DW / ARD / liberties) Die EGMR-Entscheidung fiel einstimmig aus, mit Egidijus Kūris war auch ein Litauer unter den Richtern.
Festgestellt werden konnte auch der genaue Zeitpunkt, wann der Ankläger in Litauen festgehalten wurde: vom 17. oder 18. Februar 2005 bis zum 25. März 2006. Das Gericht verurteilte Litauen zur Zahlung von 100.000 Euro an den Ankläger, zusätzlich 30.000 Euro zur Begleichung von entstandenen Kosten.(siehe auch: HRMI). Außerdem wird Litauen aufgefordert, die Vorwürfe schnellstmöglich aufzuklären und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.