29 Mai 2009

Die Kommissarin geht um

So, nun ist es aber genug mit den Schablonen. Na gut, Dalia Grybauskaitė, ab Juli 2009 neue Präsidentin Litauens, war EU-Kommissarin für Finanzplanung, und es herrscht Wirtschaftskrise. Gewöhnlich wird da nach dem sogenannten "starken Mann" gefragt. Nun wurde es eine Frau - zumindest der deutschen und der internationalen Presse gefällt es, und die neue Präsidentin selbst scheint auch nichts gegen die gefälligen Wortschöpfungen zu haben, die dort in breiter Variation laut werden.

Eine Frau räumt auf?
"Eiserne Lady" (
Die Welt, N-TV, Westdeutsche Zeitung) "Power-Frau" (TAZ) "Karate-Lady" (t-online-Nachrichten, Sächsische Zeitung), "Retterin statt Grüßtante" (Handelsblatt) und auch "starke Mutterfigur" (wiederum Die Welt). Die Interpretationen, was die Wahl dieser Präsidentin zu bedeuten hat, unterscheiden sich da schon eher.

Grybauskaite studierte zu Sowjetzeiten politische Ökonomie an der Universität Leningrad, unterrichtete an der Hochschule der Kommunistischen Partei Vilnius. Sie war Vize-Außenministerin, bevor sie 2001 zur Finanzministerin ernannt wurde. Aber schon 1991 absolvierte sie auch ein Programm für Führungskräfte an der Georgetown University Washington. Botschafterin Litauens in den USA war sie auch schon, später also Litauens erste EU-Kommissarin.

"Das »Neue Europa« des Ex-US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, das im Vorfeld des Irak-Krieges an der Seite Washingtons offen gegen Brüssel rebellierte, befindet sich in Auflösung," meint die sozialistisch orientierte "Junge Welt", und stört sich offenbar nicht daran, dass die neue Präsidentin ja auch sowohl einen Teil der Ausbildung wie auch einen Teil ihrer Ämter in den USA absolviert hat.Rechtfertigungen, Analysen, Erwartungen
In Litauen selbst hatte Grybauskaite sich eher wegen ihrer politischen Vergangenheit in der Sowjetzeit und sogar wegen ihrer privaten Verhältnisse rechtfertigen müssen. Die Präsidentin ist nicht verheiratet (wer absolviert bei Staatsbesuchen das "Damenprogramm"?) und hat keine Kinder ("sind Sie lesbisch?").

Die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zitiert in einem Bericht den bisher amtierenden Präsidenten Adamkus, der seine Enttäuschung über den langweiligen Präsidentschaftswahlkampf geäusert habe. "Es wurde nicht deutlich, wofür die einzelnen Kandidaten stehen", so zitiert KAS. Gemeint sei auch die Berichterstattung in den Medien, die den Kandidaten keine Plattform zur Darstellung ihrer Ziele geboten habe.

Während die KAS resümiert, hier sei eine "richtige Frau am richtigen Platz". Die russische Agentur NOWOSTI hofft auf bessere Beziehungen mit Russland. Auch Vergleiche mit dem russischen Präsidenten Putin werden gemacht, der die Vorliebe zum Kampfsport mit der zukünftig ersten Litauerin teilt. Andere wiederum hoffen auf Änderungen im litauischen Regierungskabinett, denn die litauische Verfassung gibt der Präsidentin relativ viele Vollmachten auch für eine aktive Rolle in der Politik.
Im bunten Strauß der Erwartungen ist auch die Hoffnung auf fiskalische Disziplin und die Einführung des Euros inbegriffen. Grybauskaite soll dies bis 2015 für möglich halten (der Standard).
Die "Junge Welt" sieht außerdem in Grybauskaite eine "Frau Brüssels" im Gegensatz zu Adamkus als "Mann Washingtons" ("ehemaliger US-Regierungsmitarbeiter"). Na ja.

Im Blog von LAPELIS lassen sich einige weitere Stimmen und Meinungsäußerungen mitverfolgen. Dort wird Lietuvos rytas-Korrespondentin Monika Bončkutė zitiert, die nun eine Chance zur Stärkung der Rechte der Frauen in Litauen sieht. Zitat: >>Litauen sei zwar sicherlich kein Scharia-Staat, dennoch sei Gewalt gegen Frauen ein großes und alltägliches Problem – besonders in den kleinen Städten und ländlichen Regionen, wo die Frauen versuchen müssten, „ein Kind großzuziehen und gleichzeitig den alkoholkranken Ehemann zu besänftigen.“<< Auch gegen Vorwürfe, sie sei mit dem KGB in Kontakt gewesen, musste ich Gribauskaite auseinandersetzen (zitiert z.B. in "Der Standard").

Stimmen "aus dem Volke"
Einige litauische Wortmeldungen sind auch bei der englischen BBC zu finden. "Alle sind gegenwärtig enttäuscht von unseren Politikern", meint dort Linas aus Vilnius. "Daher ist es keine Überraschung, dass Grybauskaite gewonnen hat, da sie von außen kam."
"Dalia Grybauskaite ist der litauische Obama!" begeistert sich Marius, ebenfalls aus Vilnius, während Audra aus Kaunas etwas weniger enthusiastisch sagt: "eine Präsidentin der Hoffnung".Und Edgar aus Vilnius ergänzt: "Litauen gehört zu derselben baltischen Region, die mit Ttarja Halonen in Finnland und Vaira Vike-Freiberga in Lettland auch schon starke Frauen als Präsidentinnen hatte."

Weitere Infos:

Zur Funktion und den Aufgaben des litauischen Präsidenten / der Präsidentin siehe auch: www.president.lt

Andere Infoquellen: zu den Eltern von Dalia Grybauskaite

Reinhard Veser in der FAZ mit einem Rückblick auf das Wirken von Valdas Adamkus

08 Mai 2009

Nichts Neues im Osten?

Welches Thema bringen litauische Regierungsstellen im Moment mit weitem Abstand am häufigsten in die Presse? Die Zahl der Pressemeldungen, die sich um Georgien, die Ukraine, Armenien, Weißrussland oder Moldavien kümmern möchten, ist nicht mehr zu zählen (ob sie dann in den Medien - besonders den nicht-litauischesprachigen - auch immer abgedruckt werden, ist eine andere Frage). Litauen scheint zu handeln nach dem Motto: Im Westen liegt die Schattenseite der globalen Finanzkrise, im Osten liegt die Zukunft für Litauen?
Nur Schönheitsreparaturen?
Was ist neu an der Europäischen Nachbarschaftspolitik? "Nichts" sagt ein Beitrag von Horst Bacia in der FAZ. Alles, was jetzt diskutiert werde, sei von der EU bereits spätestens mit der Erweiterung 2004 genau so vorgesehen gewesen. Russland gehört nicht dazu (zur Nachbarschaftspolitik), sondern ist gesonderter, strategisch wichtiger EU-Partner, um dessen Gunst sich ja ganze Sondergipfeltreffen streiten. Was jetzt also neu benannt werde, seien lediglich "Schönheitsreparaturen". Längst sei klar, dass die benannten Staaten zwar laut Bekundungen gerne auch in die EU wollen, dass es dem gegenüber aber lediglich zwei realistische Ziele gäbe: die Schaffung eines gemeinsam geordneten Wirtschaftsraums (ohne EU-Beitritt!), und irgendwann einmal die Abschaffung der Visumspflicht (wenn die Kriminalität und Schmuggel eingedämmt werden könnten). - Wenn solche Thesen stimmen, was macht dann noch Litauen, das sich in einer Sonderrollen als Vermittler zwischen den östlichen Nachbarstaaten und der EU sieht?

Hilfe suchen bei den einen, als Spender einziehen bei den anderen
Der litauische Außenminister Vygaudas Ušackas dagegen sieht in der Verabschiedung der Erklärung von Prag zur EU-Initiave "östliche Partnerschaft" ein "neues Kapitel der Geschichte" begonnen (siehe Presseerklärung). Klar, welcher Politiker wollte nicht gerne "Geschichte schreiben" - oder sogar in Geschichtsbüchern genannt werden. Hier klingt plötzlich positiv, was westlich gewendet so dunkel aussieht: aus dem Westen betrachtet wirkt Litauen fast (staats-)bankrott, aus dem Osten betrachtet erscheint es dann schon fast wieder wie zumindest der Bote der Kunde von der Rettung vor genau derselben.

Zu vermuten ist, dass diese Geschichtsbücher zumindest in Deutschland und in Litauen doch weiterhin noch sehr unterschiedlich aussehen werden. Ist das Treffen von Prag überhaupt Thema im Auswärtigen Amt - neben "Schweingrippe", Afghanistan, und beginnenden Wahlkampf-Rochaden? Am 7.5.09 läßt Außenminister Steinmeier bekannt geben, dass er den Amtkollegen aus Israel, Avigdor Lieberman, in Prag getroffen habe (Pressemitteilung). Am 8.5. steht einsam auf des Außenministers Terminkalender: "Treffen mit EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner". Zum Stichwort "Prag" ist aus der Sicht von Berlin wohl eher bekannt, dass auch die deutsche Außenpolitik die sich abzeichnende Zustimmung Tschechiens zum EU-Vertrag von Lissabon als "wichtigen Meilenstein" und "gut für Europa" empfindet.

Die Frankfurter Rundschau titelt sogar: "Staatschefs schwänzen Gipfel". Weder Großbritannien, Spanien, Italien, noch Österreich oder Luxemburg seien durch Staatschefs beim Prager "Ostunionsgipfel" vertreten gewesen.

Das neue Geschichtsbuch, dessen Seiten Litauen meint schon geöffnet und beschrieben zu finden, liegt wohl in diesem deutschen Amtsstuben eher noch in Hinterzimmern herum. Offenbar - das sagt schon das Stichwort "Lissabon" - wird aber noch an anderen europäischen Geschichtsbüchern geschrieben, die einige schon für beendet und allen bekannt hielten, während andere sich in der Rolle gefallen, am Inhaltsverzeichnis gerne noch Ergänzungen vornehmen zu wollen.

Mehr Infos:
- Webseite "Europäische Nachbarschaftspolitik"

- gemeinsame Abschlußerklärung des Prager Gipfels "östliche Partnerschaft" (PDF)

- EU-Partnerschaftsgipfel 7.5.09 in Prag - Programm, Dokumente, Materialien

02 Mai 2009

Litauen feiert in Quedlinburg

Die traditionsbewußte Stadt Quedlinburg hat sich auf das 1000-jährige Jubliläum der ersten urkundlichen Erwähnung Litauens gut eingestellt.
Auf der Internetseite der Stadt steht zu lesen: "Die erste urkundliche Erwähnung des Landes bezieht sich auf eine markante Eintragung in den Quedlinburger Annalen. Dort heißt es: 'Der heilige Erzbischof und Mönch Bruno, zubenannt Bonifacius, wurde an den Grenzen von Pruscia und Litauen von den Heiden mit 18 seiner Gefährten enthauptet und kam am 9. März im elften Jahre seiner Bekehrung in den Himmel.' Damit verdankt Litauen seine 1000-Jahr-Feier dieser Hinrichtung."

Neueste Forschungen vermuten übrigens, dass diese Quedlinburger Annalen höchstwahrscheinlich von einer Frau geschrieben wurden. Die wichtigsten Infos aus litauischer Sicht sind auf einer Internetseite lietuvai1000.lt - die allerdings noch etwas unvollständig wirkt ("German version under construction", und Projektbeschreibungen ausschließlich in Litauisch).

Der Quendlinburger Bürgermeister Eberhard Brecht empfing auch zum 1.Mai litauische Gäste, unter anderem Litauens Botschafter Mindaugas Butkus. Bis Ende des Jahres sind in Quedlinburg noch einige weitere Veranstaltungen mit Litauen-Bezug geplant (siehe Pressemitteilung). Ende August wird im Schloßmuseum eine Ausstellung zur Geschichte Litauens eröffnet, begleitet von einem Jubiläumskonzert im Rahmen des Quedlinburger Musiksommers. Ende Oktober ist dann noch "Art Quitilinga" zu beachten, ebenfalls mit Beteiligung aus Litauen.