08 Dezember 2017

Der Berg rutscht

Wer Vilnius besucht, der gönnt sich auch gern den schönen Rundblick vom Gediminas-Berg, vielleicht auch vom Gediminas-Turm. Von hier aus sind Altstadt, die zahlreichen Kirchen und bewaldeten Höhen hervorragend zu sehen. Die Litauen-Touristik beschrieb die Burgmauer kürzlich auch noch als "idealer Ort für vertrauliche Gespräche" - wohl in Erinnerung an die Sowjetzeit (Lithuania.travel). Am 4. November jedoch musste der Zugang bis auf weiteres gesperrt werden - auch der Aufzug ist derzeit nicht in Betrieb.

Hier noch ohne Erdrutsch, und mit Aufzug: eine der beliebtesten
Aussichtspunkte in Vilnius (Foto aus dem Sommer 2015)
Seit einigen Monaten hatte es immer wieder Hangrutschungen gegeben: bereits im Juli war nach starken Regenfällen der Zugang vorübergehend geschlossen worden. Damals aber hatte der litauische Kulturminister Renaldas Augustinavičius den Zugang schon nach einer Woche wieder öffnen lassen - verbunden mit einer Finanzzusage in Höhe von 3 Millionen Euro für notwendige Reparaturen. Die Behörden erklärten damals eine Absperrung von besonders gefährdeten kleinen Bereichen für ausreichend.

Das Erdreich sackt jedoch weiter ab - dabei ist der Hügel keineswegs künstlich angelegt, sondern schon vor Jahrhunderten Standort von Burgen und Befestigungsanlagen. Vor allem die Nordflanke ist jetzt gefährdet. Allerdings soll es auch einmal in entfernter Vergangenheit einen Erdrutsch am Gediminas-Hügel gegeben haben: 1396 kamen dadurch sogar 15 Menschen zu Tode (Milkulėnas).

Was könnte - außer heftigen Regenfällen - zur gegenwärtigen Instabilität unter dem Gediminas-Turm beigetragen haben? Da gibt es Spekulationen in viele Richtungen. Eine Theorie geht davon aus, dass es zu Zeiten des 2.Weltkriegs einen Tunnel unter dem Hügel gegeben haben soll, gebaut von den deutschen Besatzern der Nazizeit. Der Eingang sei 1948 eingestürzt - aber vielleicht gibt es noch Tunnelreste? Andere halten die in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder vorgenommenen Ausbesserungen für wenig effektiv - mit der Folge, dass es immer wieder neue Erdrutschungen geben könnte. Wieder andere beschuldigten sogar Diebe, immer mal wieder Steine - Überbleibsel der früheren Befestigungen - vom Berg fortgeschafft zu haben (Baltic Times). Manche sehen auch Vibrationen von Seiten der am Hügel vorbeiführenden Durchgangsstraße als Grund. Auch Bäume galten schon mal als Ursache für Unstabilität am wichtigsten Hügel der litauischen Hauptstadt - es wurden alle gefällt. Es half nichts. 

Einige Jahre vergingen zudem mit Streit über Verantwortlichkeiten. Lange Zeit war auch gar nicht klar, wer eigentlich Eigentümer des Geländes ist - der Staat? Das Nationalmuseum? Das Denkmalschutzamt? Zwar sind nach Auskunft der Behörden die Gebäude auf dem Gediminas-Hügel nicht gefährdert, aber die bereitgestellten Finanzmittel wurden inzwischen schon auf 9 Mill. Euro erhöht.
Und auch über den 2003 neu gebaute Aufzug wird noch diskutiert - Kritiker bemängeln, der Aufzug störe die Optik der Stadtsilhouette. Momentan stören aber wohl eher die Erdrutschungen die Optik. "Der Stolz Litauens - Traurig, traurig!", registrieren es auch schon die Tourismusverantwortlichen beim lettischen Nachbarn (Delfi).
Mehrere litauische Ministerien arbeiten inzwischen an Unterstützungsmaßnahmen und fachlichen Stellungnahmen, dazu zählen auch Möglichkeiten der Unterstützung durch die Europäische Union. Ob die für Ostern 2018 geplante Wiedereröffnung der Touristenattraktion dann wirklich erfolgen kann, bleibt vorerst offen. Manchem Litauer bleibt da nur noch Ironie: "Wir sind eben ein flaches Land - da müssen wir jeden Hügel retten, und sei es nur vor der natürlichen Erosion!"