Die Möglichkeit, diese Geschichte noch einmal direkt erzählt zu bekommen, bietet die neue Ausgabe des Journals "FK-Magazine", das in Riga herausgegeben wird. Fragen beantwortet Antanas Sutkus hier per Video. So auch die Frage, warum er keine Ansprüche der Mitautorenschaft stelle an die Bildhauer, die aus dem Vorbild seiner Fotos gleich mehrere Skulpturen schufen.
In den vergangenen Jahren gab es gleich mehrere Ausstellung der Fotos von Antanas Sutkus auch in Deutschland (Zephyr, Susanne-Albrecht, STP), und auch bei Auktionshäusern werden einige Werke angeboten (Lempertz, ArtNet, Bukowskis). Aus diesem Anlass beschrieb Johanna Müller für den Blog "the ARTicle" der Goethe-Universität Frankfurt Sutkus Fotos als "Bildwerdung der existenzialistischen Philosophie". Petra Kammann weist im "Frankfurt Feuilleton" auf den sensiblen Umgang hin, wie Sutkus Sartre begegnete: er habe ihn eben nie gezwungen, direkt in die Kamera zu schauen. Ingeborg Ruthe zitierte in der "Frankfurter Rundschau" den Fotohistoriker Enno Kaufhold, der Sutkus den Satz zuschrieb, "in jedem Lebewesen stecke eine Kathedrale".
Die Skulptur in Nida wurde 2018 aufgebaut, erstellt von Klaudijus Pūdymas. Die Tourismuswerbung Neringa versieht sie mit einem angeblichen Ausspruch Sartres dazu: „Ich fühle mich so, als ob ich im Vorhof des Paradieses stehe.“ Die Litauer hoffen damit eine Attraktion für französische Touristen geschaffen zu haben (Lithuanian Tribune).
Aber es gibt auch andere Reaktionen. "Sartre diente den Sowjets als williges Propagandainstrument", meinen Holger und Rima vom katholisch orientierten Verein "Neues Leben e.V." und sprechen dem Denkmal in Nida nur deshalb eine Bedeutung zu, weil es eben mehr an das Foto von Sutkus als an den Philosophen selbst erinnere.
Mit der Skulptur in Nida wäre Sartre wohl nicht zufrieden gewesen, meint Sutkus. "Zu wenig kreativer Ausdruck" (FK-Magazine). Und auch zum weiteren Schicksal der Fotos, die er Sartre zuschicken ließ, weiß er noch Details zu erzählen. "Da es damals verboten war, das Eigentum von Sowjetbürgern ins Ausland zu exportieren, bat er mich, die Fotos nicht zu signieren, damit es diesbezüglich bei Kontrollen keine Schwierigkeiten gäbe. So landeten sie unsigniert bei ihm, und nach Sartres Tod wurden sie mit irgendwelchen anderen vermischt - niemand wusste mehr, wo sie herkommen."
2017 erhielt Antanas Sutkus den Erich-Salomon-Preis. Im Text zur Preisverleihung heißt es: "Sein Bild der Menschen wie der Gesellschaft entsprach so gar nicht dem
sowjetischen Ideal sondern zeigte die Widrigkeiten des Lebens oder
beobachtete dessen bescheidene Freuden." Kritik daran, dass Sutkus damals vielleicht mit seiner Arbeit sowjetischer Propaganda gedient habe, findet sich immer seltener. Bilder vom Marathon im dunstigen Vilnius seien eben schon damals von der sozialistische Obrigkeit nicht gewollt gewesen, so Ingeborg Ruthe (im Interview erwähnt Sutkus, dieses Foto sei erst bekannt geworden, nachdem Elton John es gekauft habe).
Bei Sartre dagegen wird ja sein Verhältnis zur Sowjetunion schon länger offen diskutiert. Die Aussage der Literaturwissenschaftlerin Solveiga Daugirdaitė habe ich an gleicher Stelle (siehe Beitrag) schon einmal zitiert: "Der Besuch dieser beiden Persönlichkeiten gab uns Hoffnung, dass die
Kultur unseres kleinen Landes auch für andere interessant sein kann". Schon 2005 wurde "100 Jahre Sartre" gefeiert (Literaturhaus München), und 2014 gab es ein Projekt, in dessen Rahmen es um eine fiktive Begegnung zwischen Thomas Mann und Jean Paul Sartre ging (Goethe-Institut). Es scheint ein wenig wie der alte Grundsatz zu sein: je länger es her ist, desto größer erscheinen die Legenden ...
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