Porträts
von Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir, angefertigt vom litauischen Künstler Erikas Varnas - am 4.8.1965 veröffentlicht in der Zeitung "Tiesa" / "Wahrheit" (© LATGA) |
"Der Besuch dieser beiden Persönlichkeiten gab uns Hoffnung, dass die Kultur unseres kleinen Landes auch für andere interessant sein kann", schreibt Literaturwissenschaftlerin Solveiga Daugirdaitė, die sich seit mehr als 10 Jahren mit damaligen Ereignis und den damaligen Umständen beschäftigt. Aus ihrem Buch "Švystelėjo kaip meteoras" sind die auf der "Deepbaltic"-Seite ins Englische übersetzten Texte und Ilustrationen entnommen.
Auch eine Passage der fünfbändigen Memoiren de Beauvoirs ("Tout compte fait", deutsch = "Alles in allem") widmet sich dem Besuch in Litauen und lässt erahnen, wie es aus der Perspektive der beiden Gäste aussah. Litauen, das 1940 von der Sowjetunion besetzt wurde und seine Unabhängigkeit nach Kriegsende nicht wiedererlangte, war bis in die 1960iger Jahre für Besucher aus dem Westen nahezu für verschlossen gewesen.Vom 26.Juli bis 3. August 1965 hielten sich Sartre und de Beauvoir in Litauen auf: am Flughafen begrüßt mit einem Strauß weißer Margariten, mit Zwischenstationen in Vilnius, Kaunas, Klaipėda, Palanga, Nida, Pirčiupiai, und Trakai.
Sutkus in Nida - der zweite Schatten durfte nicht ins Bild |
Zu beachten ist hier allerdings auch, dass es eine langjährige Affäre zwischen Sartre und der Übersetzerin Lena Zonina gab - von vielen, die eher über Sartre schreiben, nur ungern erwähnt. Carole Seymour-Jones, die ein Buch über Sartre und de Beauvoir schrieb ("A Dangerous Liaison"), weist auch auf die vorhergehende Reise Sartres mit Zonina durch Estland hin, "mit de Beauvoir als Anstandsdame". Aber davon gibt es nicht so schöne Fotos. Interessant, dass "EstonianWorld" es heute so beschreibt: "1964 besuchte Simone de Beauvoir auf Einladung Lennart Meri's Estland. Sie wurde begleitet von dem Philosophen Jean Paul Sartre." Sahen die Est/innen es femininer? Oder gentleman-like: Meri sprach französisch, half bei der Weinauswahl, und führte die Gäste in den "Kuku Club." Dass eigentlich drei Personen zu Gast waren, verschweigt dieser Bericht allerdings völlig.
In Litauen soll sich Simone de Beauvoir beeindruckt gezeigt haben besonders von der Gegend bei Trakai, und auch von einer in Holz geschnitzten Christusfigur in Kaunas. Sartre erwähnte besonders die Werke M.K.Čiurlionis. Schriftsteller Justinas Marcinkevičius erinnert sich aber auch an vergebliche Versuche, Sartre zur Unterstützung von Literatur aus "kleinen Sprachen" zu bewegen. Und Solveiga Daugirdaitė weist auf einen wesentlichen Eingriff hin, den Fotograf Anatanas Sutkus damals vornahm. Bei seinen inzwischen berühmten Fotos von Sarte auf den Dünen der Kurischen Nehrung schnitt er radikal Simone de Beauvoir nachträglich heraus. So änderte sich die Bildstimmung völlig, und Sutkus rechtfertigte sich: "ein einsamer Sartre, das ist wie eine Metapher der Philosopie."
Und obwohl Sartre selbst schrieb, er sei gegenüber der Natur eher gleichgültig, schrieb ihm Sutkus in seinen Notizen die Aussage zu: "Ich fühle mich wie am Eingang des Himmels." Das Foto aber zeige Sartre als "existenzialistisches und lakonisches Subjekt", so zitiert Johanna Müller für das Magazin "The article" den französischen Philosophenkollegen Francis Jeanson. "Bildwerdung von Philosophie" (Zitat "The article") - es passierte in Litauen. Seit 2018 gibt es Sartre im Sand von Nida als Bronzefigur zu bewundern. Sutkus war übrigens von Sartre während seines Aufenthalts für einen Schriftsteller gehalten worden, der lediglich ein paar Amateuraufnahmen machte, wie Milda Seputyte in "Baltic Times" enthüllt. Sutkus sei ein Bücherliebhaber gewesen und sei von Sartre nach seinen Lieblingsbüchern gefragt worden. "Ich konnte ihm aber doch nicht erzählen, dass alles was ich las auf dem sowjetischen Index für verbotene Literatur war," beschreibt Sutkus seine Nöte damals. "Ich konnte ihm auch nicht erzählen, dass ich für 25 Rubel ein Buch von Hemingway aus 'speziellen Quellen' ausleihen konnte. Wir waren schon beim Abschlußdinner, als Sartre mich plötzlich fragte: 'Und was schreiben Sie?' Da gestand ich ihm, dass ich ein Fotograf sei."
Spuren von Eindrücken dieser Besuchstage finden sich später in Werken u.a. von Herkus Kunčius, Jurgis Kunčinas und Jokūbas Švarcas wieder. Ein Jahr später, 1966, konnte Sartres erstes Werk in litauischer Sprache in Litauen herausgegeben werden ("Les mots" / "Die Wörter" / "Žodžiai"). Viele seiner bekannteren Werke konnten aber erst nach 1990 in Litauen in Übersetzung erscheinen.
Nur kurze Zeit später aber, als Sarte und de Beauvoir den Einmarsch der Sowjettruppen in Prag öffentlich verurteilten, fielen sie in den Augen der Sowjetmacht in Ungnade.
Webseite Antanas Sutkus / Sutkus Fotoausstellung in Rüsselsheim (bis 28.4.19)
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