Am kommenden Sonntag wird in Litauen ein neues Parlament gewählt. Weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ging 2004 zur Wahlurne. Wofür setzen sich die Parteien und deren Abgeordnete ein, was wollen sie erreichen? Das ist in Litauen noch immer nicht einfach zu verstehen, wo doch Personen und kurzfristige Aktionen viel mehr Aufmerksamkeit erregen. "Spass, Spam und wenig Inhaltliches", so das Fazit etwa des "Standard" aus Österreich zum litauischen Wahlkampf.
Auch in Litauen hat die zentrale Wahlkommission nun ihr virtuelles Projekt auf - per Internet wählen bedeutet das noch nicht, aber das Ziel heißt hier: finde dein Wahllokal virtuell (Abbildung links).
Nur 46,8% der Wahlberechtigten gingen 2004 noch zur Wahl - allgemein ist nichts von einer wesentlichen Steigerung des Interesses zu vernehmen. Viele schütteln sich schon, wenn sie nur einen Kommentar zur Arbeit der eigenen Politiker/innen abgeben sollen. Da hilft nur eines (aus Regierungssicht): dramatisieren.
Plötzlich soll der Untergang Litauens bevorstehen. Einerseits wegen der russischen Vorgehensweise in Georgien ("die Urangst der Litauer vor den Russen" - so sieht es Hannes Gamillscheg in "die Presse"), andererseits weil angeblich ohne Atomkraft in Litauen "das Licht ausgeht". Welche Konsequenz die Wähler aber aus dieser Lage ziehen - selbst wenn sie diese Szenarien für glaubwürdig halten - das bleibt unklar. Was soll ich bloß wählen? Soll ich überhaupt wählen?
Mitbestimmung nur dort, wo es der Regierung in den Kram passt?
Nebenbei ist aber noch regierungsamtlich verordnet worden, dass volksabgestimmt wird. Auch mal eine neue Variante: wo die politische Überzeugungskraft fehlt, installieren sich die Regierenden selbst eine Volksbewegung inklusive Volksabstimmung, passend zum Wahlkampf. Neue Konzepte zur Versorgung des Landes mit Energie ausarbeiten und umsetzen? Zu kompliziert. Vier Jahre Zeit, vier Jahre Klagen über die EU-Auflagen (deren Erfüllung einst Voraussetzung für den EU-Beitritt Litauens waren!).
Nun wird den Litauerinnen und Litauern eine schwer zu beantwortende Frage vorgelegt. Wörtlich: "Ich befürworte die Verlängerung der Betriebsdauer des Atomkraftwerks Ignalina für eine technisch sichere Periode, aber nicht länger als bis ein neues Atomkraftwerk fertiggestellt ist."
Den Wählerinnen und Wählerin - denen ja nun parallel zur Ausübung des demokratischen Wahlrechts diese Frage vorliegt - wird also vorgegaukelt, die Verträge mit der EU könnten nochmal nachverhandelt werden.
Unbekannte und bekannte Kandidaten
Immerhin lassen sich von den im Internet zur Verfügung stehenden Kandidatenlisten einige Informationen ablesen. Angaben zu Geburts- und Wohnort sowie Geburtsdatum finden sich bei jedem Kandidaten. Dazu kommen schriftlich dokumentierte Antorten auf Fragen zum Beispiel nach evtl. ausstehenden Gefängnisstrafen, ob man Bürger eines anderen Staates sei, oder etwa gar in Diensten fremder Staaten arbeite. Wer das säuberlich mit nein beantwortet hat, muss dann noch Angaben zum Schulabschluß öffentlich machen, auch zu Fremdsprachenkenntnissen, Name der Frau/des Mann es und der Kinder, und sogar zu Hobbies. Und es findet sich auch ein direkter Link zu Angaben zur Höhe des versteuerten Einkommens.
Auf diese Art und Weise lässt sich also - wen es interessiert nachlesen, dass Ministerpräsident Kirkilas gern Tennis spielt und dass seine Kinder Diana und Rolandes heißen, oder dass der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Parlamentspräsident Paulauskas sich als Literaturfan outet und 79512,56 Litas Einkommen versteuert hat.
Ob es das aber ist, was zur Wahlbeteiligung motiviert? Vorläufig sind noch die schein-demokratischen Wahlen in Weißrussland Thema politischer Kommentare, für die sich Litauen sehr interessiert hat. In einer Woche muss es dann wieder um das Geschehen im eigenen Lande gehen.
Infos:
Text des Refendums zum Atomkraftwerk Ignalina
Infos zum Litauischen Parlament
Litauische Wahlkommission (Wahlergebnisse 2008)
Kandidatenlisten der zur Wahl stehenden Parteien
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