Es wird ja derzeit viel über Belarus berichtet - manche deutsche Medien machen offenbar inzwischen auch schon die belarussische Oppostion nur noch in Litauen aus (Schwäbische). Aber dass so manche litauischen Politiker*innen derzeit auch vor allem an die eigene Wahl oder Wiederwahl denken, das ist bisher irgendwie kein Thema. Wo gibt es Informationen dazu für diejenigen, die Litauisch nicht so fließend verstehen? Der erste Wahlgang wird am 11. Oktober stattfinden (VRK). Das litauische LRT hat sich nun mal an einer Übersicht versucht (Lietuvos nacionalinis radijas ir televizija).
Bei LRT steht die Litauische Vaterlandsunion / Christdemokraten (Tėvynės sąjunga TS - LKD) ganz oben. Sie erreichten 2016 31 der 141 Parlamentssitze, ihr mit 38 Jahren noch recht junger Parteichef Gabrielus Landsbergis gilt momentan als führende Figur der Opposition im Parlament. Umfragen sehen die Partei gegenwärtig zwischen 13,8 und 15,3% der Wählerstimmenanteile. LRT schätzt es so ein, dass die Partei nun, nach zwei Legislaturperioden in der Opposition, einen Wahlsieg erwarte. Es scheint aber nicht sicher, ob in diesem Fall auch erfolgreich Koalitionspartner geworben werden können. Ingrida Šimonytė, Ex-Finanzministerin, die den Präsidentschaftswahlkampf gegen Gitanas Nauseda verlor, würde in diesem Fall wohl gern Regierungschefin werden.
Dann ist da die Union der Bauernpartei und der Grünen (LVŽS), die treibende Kraft in der seit 2016 (mit wechselnden Partnern) regierenden Koalition. Die Partei liegt in den Umfragen etwa auf der gleichen Höhe wie die TS-LKD, und verweist auf einen leichten Wirtschaftsaufschwung, steigendes Lohnniveau und die Selbsteinschätzung, die Corona-Krise einigermaßen gut bewältigt zu haben. Die LVŽS errang 2016 54 Sitze, regiert aber seit 2017 in einer Minderheitsregierung, da die Koalition mit den Sozialdemokraten bald zerbrach. Führende Figuren sind Regierungschef Saulius Skvernelis und der Agrar-Millionär Ramūnas Karbauskis im Hintergrund.
Dann also die litauischen Sozialdemokraten (LSDP). Hier schwanken die Umfragewerte gewaltig: zwischen 8,5% und 13.3%. Als der neue Parteichef Gintautas Paluckas 2017 entschied, die Rolle des Juniorpartners der LVŽS aufzugeben und die Regierungskoalition zu verlassen, hatte er gleichzeitig Ex-Präsidentin Gribauskaite Vorwürfe gemacht, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben (Lithuanian Tribune). Das Resultat war eine Spaltung der Partei: die neugegründete LSDDP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) blieb regierungstreu. Die jetzige Wahlkampagne wird für Paluckas auch einen Test seiner Führungsqualitäten bedeuten, denn sein vorangegangener Versuch, Bürgermeister von Vilnius zu werden, endete eher kläglich. Die LSDDP hat immerhin auch den amtierenden Außenminister Linas Linkevičius in ihren Reihen, aber die Umfragewerte liegen nur zwischen 2-3%.Wieder auf der politischen Bildfläche erschienen ist auch die "Arbeitspartei" ("Darbo partija"), die sich so gern in englisch Übersetzung "Labour Party" (leiboristai) nennt. Nach mehreren heftigen Skandalen um Viktor Uspaskich, der zwischendurch nach Russland floh und den Parteivorsitz abgegeben hatte, sich dann aber auf einen Sitz im Europaparlament retten konnte, taucht nun die Partei mit 6% bis 8% in den Umfragen wieder auf. 2016 war die Partei bei 4,88% Wählerstimmen hängen geblieben (2 Sitze), seit 2018 ist Uspaskich auch wieder Parteivorsitzender.
Die aus früheren Anhängern der Liberalen 2019 frisch gegründete "Freiheitspartei" (Laisves partija) baut auf Frauenpower: Spitzenkandidatin Aušrinė Armonaitė blickt auf eine vielleicht typisch litauische Karriere zwischen Klavierspielen und Politikwissenschaft zurück. Derzeit in den Umfragen zwischen 2,5% und 4,8%.
Auch Schachgroßmeisterin Viktorija Čmilytė-Nielsen, dänisch verheiratet, nennt sich "liberal", muss versuchen an früherere Erfolge der "Lietuvos Respublikos liberalų sąjūdis" (LRLS) anzuknüpfen. Die Kandidat*innen geben sich vor allem wirtschaftsfreundlich und liegen landesweit in den Umfragen gegenwärtig bei 4 - 6%. Auch die Partei "Freiheit und Gerechtigkeit" ("Tvarka ir teisingumas", TT) gibt es noch, deren Ursprünge beim Ex-Präsidenten Rolandas Paksas liegen. Inzwischen finden sich hier jedoch drei Parteien vereinigt: die "Union der Freiheit" des Ex-Bürgermeisters von Vilnius, Artūras Zuokas, "Vorwärts Litauen" des früheren Parlamentsvorsitzenden Artūras Paulauskas, und eben "Ordnung und Gerechtigkeit" von Remigijus Žemaitaitis, der inzwischen Vorsitzender geworden war. Diese drei traten auch schon vor der Presse als "drei Musketiere" auf - die Umfragewerte schwanken zwischen 3,2% und 5,4%. Die Vereinigung nennt sich jetzt "Freiheit und Gerechtigkeit" ("Laisvė ir Teisingumas").Schließlich gibt es auch noch die Wahlunion der Polen in Litauen / christliche Familien (LLRA-KŠS), deren unumstrittene Führungsfigur Valdemar Tomaševski im Europaparlament immerhin stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für die Beziehungen zu Belarus ist. In den Umfragen gegenwärtig nur um die 3% schwankend, hatte es 2016 immerhin für acht Sitze gereicht. Nach der Regierungsumbildung 2019 besetzte die Partei mit Jaroslavas Narkevičius (Verkehr) und Rita Tamašunienė (Inneres) zwei Ministerposten.Rein optisch kommt nur die TS-LKD mit an belarussische Farben angelehnter Friedenstaube daher. Bei den "grünen Bauern" dagegen ist die Parteiwerbung weiterhin gespickt mit Devotionalien in Nationalfarben - und mit dem Storch: einem Tier, das zwar in die Ferne fliegt, aber immer wieder kommt. Die Sozialdemokraten kommen weiterhin in folkloristischem getöntem Rot daher, die LSDDP hat es durch Nationales ergänzt. Bei der "Darbo Partija" scheint weiterhin die sozialistische Sonne in dunkelblau, die "Freiheitlichen" lassen ein lila Vögelchen fliegen, und die Liberalen tauchen ihre Kandidat*innen ganz in wirtschaftsfreundliches Orange. Der freie, gerechte Reiter kommt in blau-gelb daher, und die zurechtgebogene Schere der polnischen Wahlallianz lässt viel Freiraum für Phantasie.
Wodurch fallen die Kandidaten inhallich auf? Laurynas Kasčiūnas, Kandidat Nr. 3 der TS-LKD, schlägt eine strategische Militärallianz mit den USA vor (Lithuania Tribune). "Truppen direkt an der Ostgrenze der EU - kein Problem!" sagt er. Er weist darauf hin, dass laut aktuellen Umfragen immer noch 74% der Litauerinnen und Litauer der USA positiv gegenüber stehen. Dass immerhin schon 22% die USA auch als Gefahr sehen, schreibt Kasčiūnas allein der Person des US-Präsidenten Trump zu.
Dass die katholischen Polen auch in Litauen für totales Abteibungsverbot eintreten, oder die Liberalen inzwischen auch in Litauen die Gender-Thematik für sich entdeckt haben, dürfte hingegen international niemand überraschen.
Beim Portal "Delfi" dominieren ganz andere Schlagzeilen. "22 Millionäre kandidieren für das Parlament" heißt es dort. Hier erleichtert es die Recherche, dass eben auch eine Erklärung zum eigenen Einkommen bei der Kandidatur eingereicht werden muss. So gerechnet, seien die Kandidat*innen der regierenden "Grünen+Bauern" insgesamt 45.2 Millionen Euro "wert", gefolgt von der "Arbeitspartei" mit 32,6 Mill. und der Vaterlandsunion mit 20,8 Millionen.
2 Kommentare:
Stimmt schon so ungefähr. Außer dass ich noch nie dieses komische Logo der Laisvės partija gesehen habe, benutzen eigentlich nur ein pinkes Ausrufezeichen (La!svės partija).
Im Moment gibt es Schlangen an den Vorab-Wahlstationen (wegen Corona hat man da einige auf öffentlichen Plätzen aufgebaut), mit Wartezeiten mit bis zu 1 1/2 Stunden.
Ich kann ja dann wieder mal ein paar Worte zum Ergebnis schreiben :)
Sehr gerne, Frankas!
Das "pinke Vögelchen" ist ja direkt verlinkt - aber vielleicht ja nur im Internet zu finden.
Mich würde zum Beispiel interessieren, ob eifrige Belarus-Aktivist*innen derzeit Chancen haben, damit politische Karriere in Litauen zu machen.
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