Eigentlich haben ja die Nachbarn Estland und Lettland die längere Tradition: ein "Liederfest", von vielen auch "Sängerfest" genannt - litauisch "Dainų šventė" - gibt es in Estland seit 1869, Lettland seit 1872. Die Geschichte der litauischen Liederfeste (Dainų šventė) beginnt 1924 - seitdem fand es 17mal statt. Hier steht das Hundertjährige also noch bevor.
2003 wurde das Liederfest gemeinsam mit den anderen baltischen Liederfesten (Estland und Lettland) von der UNESCO als Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit anerkannt und 2008 in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.
Wenn am 1. Juli 2018 das diesjährige litauische "Dainų šventė" eröffnet wird, dann soll, gemäß Programm, auch speziell auf die geschichtliche Entwicklung eingegangen werden. Nicht nur auf die 1918 erfolgreich erneuerte Selbstständigkeit Litauens, sondern die Litauer/innen definieren ihr Traditionen, mehr als die estnischen oder lettischen Nachbarn, international verwurzelt. Also ist auf dieser litauischen Geschichtstafel manches bunte zu finden:
- das Erste Eidgenössische Sängerfest in Zürich / Schweiz des Jahres 1843, das mit 80 Chören und 2100 Sänger/innen als der erste der Welt gilt;
- ein Sängerfest in Würzburg im Jahr 1845, eine Tradition die selbst in Deutschland eher unbekannt ist (hier soll unter anderem die Landeshymne Schleswig-Holsteins zum ersten Mal erklungen sein);
- das erste "baltische" Sängerfest in Tartu (Dorpat) 1869, Die Litauer nennen auch vier litauische Komponisten, deren Lieder während der estnischen Sängerfeste der ersten Estnischen Unabhängigkeit dort aufgeführt wurden: Domas Andrulis, Eduardas Balsys, A. Andriulis und Zigmas Venckus;
- das erste lettische Sängerfest 1873, aber besonders das Lettische Sängerfest 1931, an dem auch 100 Gäste aus Litauen teilnahmen;
- 1895 als das Jahr, in dem der erste litauische Chor, und auch die erste litauische Sängervereinigung gegründet wurden;
- der Komponist Stasys Šimkus soll dann 1909 zum ersten Mal mehrere Chöre eingeladen haben zu einer gemeinsamen Aufführung. Die Idee zur Schaffung eines litauischen Sängerfestes scheiterte damals noch am Ausbruch des 1.Weltkriegs.
- 1924 war dann der Boden bereitet für die ersten "Tage des Liedes".
Interessant nachzulesen sind auch die Aktivitäten der sowjetlitauischen Zeit. Ob 1946 wirklich fröhlich gefeiert werden konnte ist unklar - wo doch manche noch hofften, Litauen könnte sich wieder vom sowjetischen Zugriff befreien, und viele andere waren nach Westen geflohen. Aber 1946 gab es erstmals einen Wettbewerb der Chöre untereinander, seitdem ist so ein Chörewettstreit schon traditionell. Mit dem Liederfest 1950 spielte sich ein vorübergehender Fünfjahres-Rhythmus der Liederfeste ein. Ab 1955 wurde mit “Skambėk, daina” ("Klinge, Lied") auch eine eigene Zeitschrift zum Festival herausgegeben - insgesamt erschienen 47 Ausgaben. Die 1960 fertiggestellte Liederfestbühne im VingisPark erstellten estnische Architekten - der Ort wurde später auch Bühne für so manche Kundgebungen zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit. Seit dem Jahr 2000 ist die Organisation der litauischen Liederfeste durch Regierungsentscheidung abgesichert - seit 2007 sogar mit einem speziell geschaffenen Gesetz.
Etwa 37.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden im Juli 2018 wieder zum Liederfest erwartet.
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