05 Oktober 2018

Mentalität der Schnittstellen


"Wir davon profitiert, aus Ländern zu kommen, die eine kulturelle Schnittstelle sind", meint Modestas Pitrenas, Chefdirigent des Sinfonieorchesters St. Gallen in der Schweiz. Journalist Martin Preisser, Journalist beim Schweizer "Tagblatts", begibt sich in einem Interview mit Pitrenas auf die Suche der Mentalität der Litauer. "Stärkere Leidenschaft" vermuteter.

Pitrenas sagt zur Musik Litauens: "Die Melancholie ist natürlich ein Thema. Und die Musik der baltischen Länder spiegelt diese wider, genau wie auch die Musik des Finnen Sibelius oder des Russen Tschaikowsky. In Litauen sagen wir: «Bei uns ist der Himmel sehr nah». Es gibt viele Wolken, nur wenig Sonne. Unsere Lieder sind in Moll gehalten. Und dennoch sagen wir: «Wir sind am Leben.» Letzteres ist durchaus als trotzige Entgegnung angesichts der hohen Selbstmordstatistik Litauens gedacht.

Selbsteinschätzungen von Litauerinnen und Litauern sind sonst ziemlich schwer zu finden, 100 Jahre nach der Wiedererrichtung eines unabhängigen Litauen.

Deutsche Gäste, Studierende oder dort Arbeitende geben meist eher schlichte Tipps weiter, auf Sehenswürdigkeiten oder Essen und Trinken bezogen. "In Litauen gibts gutes Essen" meint Janett auf "Teilzeitreisender.de", und hebt Juoda ruginė duona (litauisches Schwarzbrot), Baumkuchen und litauische Biersorten besonders positiv hervor. Natürlich auch Zepelinas und Rote-Beete-Suppe. Persönliche Einschätzungen zu Menschen und Mentalität finden sich sehr viel seltener. Ob es an den Werbepartnern liegt, von denen die eifrigen Autorinnen und Autoren belohnt zu werden hoffen?

Sehr viel aufschlußreicher sind die schon die Erfahrungsberichte von (Erasmus)Studierenden. "Von deutscher Ordnung keine Spur - außer bei der Bürokratie" traut sich Maike zu resümieren. Pluspunkte gibts aber für das litauische Nachtleben in Vilnius und Kaunas, und dann die Nützlichkeitserwägung: "wer will, kann in Litauen von allem ein bisschen haben, und das auch noch zu guten Preisen!"

Einen "Kulturschock im Studium" glaubt Anna Kokott auf "Krosse" diagnostizieren zu können. Gleichzeitig meint sie "überall" noch einen "Hauch von Sowjetunion" verspüren zu können - und wieder mal jemand, der sich mit dem Litauisch lernen nicht anfreunden kann. Kein Wunder also, dass in der allgemeinen Sprachlosigkeit dann auch "schlechtes Wetter und schlechte Laune" diagnostiziert werden. Der Höhepunkt hier: im Krankenhaus mit einer verstauchten Hand ignoriert werden, weil man kein Litauisch spricht. Den Hintergrund, "nach Litauen gezogen zu sein", beschreibt Frau Kokott leider nicht (zumindest nicht im selben Beitrag). Denn in Litauen wohnen ohne Litauisch lernen zu wollen - was das auslöst, ist ihr leider nicht bewußt.

Bedingungslose Freundlichkeit, Höflichkeit auch gegenüber Fremden, und gleichzeitig günstiges Preisniveau (was ja für Litauerinnen und Litauer ganz anders aussieht) - ist es nur das, was Deutsche von Litauen erwarten? Offenbar gar nicht so einfach, eine "Schnittstelle" zu sein. Übergang von einem zum anderen, möglichst reibungslos - wenn es eine Serviceleistung wäre. Es wäre doch schön, wenn auch die Deutschen verstehen würden: erst wenn Litauen ein Land geworden ist, wo Litauerinnen und Litauer selbst einigermaßen sorgenfrei, mit ausreichendem Einkommen und der ganzen Familie selbst leben können, werden Vergleiche mit Deutschen auch gerechter ausfallen.

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