21 Juli 2008

Muss Litauen die USA beschützen?

Das alte und das neue Europa - die letzten Monate der Amtszeit des US-Präsidenten Bush hinterlassen noch die Spuren dieses einst so abschätzig gemeinten Spruches. Noch hinken die neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dem Wohlstandsniveau von Westeuropa weit hinterher - konsumieren aber soviel sie können, zur Not auch auf Pump. Da bieten sich andere Betätigungsfelder, wo man "ganz vorn" sein kann, und sich soweit interessanter machen kann, dass man Gegenstand einer internationalen Diskussion wird. Kurz gesagt: was nützen Litauen die gegenwärtigen Verhandlungen um die Stationierung eines US-amerikanischen Raketenabwehrsystems in Osteuropa?

Litauen bietet sich an
In manchen Medien taucht bereits das böse Wort von der "Agressionspolitik" auf - so im Schweizmagazin. Ob Litauen sich für den Fall bereit hält, dass Polen einer Stationierung der US-Raketen nicht zustimmt, darüber spekuliert die Öffentlichkeit bereits seit einiger Zeit, je nach politischer Sichtweise. Mittelbar könnte auch der Konflikt um eine mögliche NATO-Mitgliedschaft Georgiens der Hintergrund für vermehrte Aktivitäten sowohl von US-amerikanischer wie von russischer Seite sein - und Litauen steht dazwischen (als ausgewiesener Georgien-Unterstützer, so zum Beispiel als Mitbetreiber eines georgischen NATO-Informationszentrums).

Schon im Mai 2007 reagierten russische Duma-Abgeordnete sensibel auf Ankündigungen des litauischen Verteidigungsministers Juozas Olekas, er könne sich vorstellen, Elemente des US-Raketenabwehrsystems auch in Litauen aufzustellen (so zitiert es jedenfalls die russische RIA Novosti, auch Russland.ru). Bereits kurz darauf wurde gemeldet, dass Russland nun ebenfalls eine neue Interkontinentalrakete namens SS-24 bzw. SS-27 testen würde (russland.ru). Und ebenso aufmerksam wurde registriert, dass alle drei baltische Staaten demnächst von der US-Rüstungsfirma Lockheed mit neuen (konventionellen) Raketenabwehrsystemen ausgerüstet werden, um das gemeinsame Luftverteidigungssystem BALTNET zu stärken.

Die Entwicklung der vergangenen Monate fasste am 8.Februar 2008 ein Beitrag in der Neuen Züricher Zeitung zusammen: als "Antworten der NATO auf neue Gefahren" werden hier, bezug nehmend auf die litauische Sichtweise, auch Cyberattaken (wofür Estland als Beispiel genannt wird), aber auch Unterbrechungen der Energieversorgung genannt. Angesichts der als Willkür der russischen Seite empfundenen Unterbrechung der Rohölversorung für die Raffinerie Mažeikiai, der rasanten Verteurung anderer aus Russland gelieferter Energieträger (wie z.B. Gas), und der bevorstehenden Abschaltung des veralteten Atomkraftwerks in Ignalina sieht sich Litauen offenbar in die Enge getrieben - auch sicherheitspolitisch. Trotz schon lange bestehender Auflagen der EU will man nun über die Abschaltung des AKW Ignalina am 10.Oktober - parallel zu den Parlamentswahlen - ein Referendum abhalten. Und was die virtuelle Sicherheit angeht, so wurde es kürzlich dann auch noch auf litauischen Internetseiten ein wenig turbulent: auf hunderten von Seiten hatten Hacker sowjetische Symbole platziert.

Wer hilft wem?
Litauen sieht sich also in der Wahrung der eigenen Interessen bedroht, und bietet sich also auch als Standort für US-Raketenbasen an - rein propaganatechnisch geht aber Russland weiterhin voran. Die Schlagzeilen der staatlichen russischen Nachrichtenagentur reichen von "USA will Russland mit Raketenbasen einkreisen" bis "Polen manipuliert die USA". Unklar blieb dabei, in wieweit Polen und Litauen im Gespräch miteinander sind. Sucht nun die USA eine Alternative, um Polen zum Einverständnis zu bewegen, oder sucht Litauen eine Möglichkeit, stärkere Partner zu gewinnen für die Vertretung der eigenen Interessen in Europa?

Vielleicht würde man sich positivere Themen wünschen, um das litauische Image in Europa zu verbessern. Bald sind Olympische Spiele - da könnte es wieder mehr um Basketball oder Diskuswurf gehen. Aber vorerst schreiben Zeitungen wie die FAZ noch davon, dass die USA angeblich auf einen Abschluß der Gespräche um den "Raketenschild" noch vor Ende der Amtszeit von Präsident Bush dränge (18.6.08). Polen wolle US-Militärhilfe in möglichst großer Höhe heraushandeln (Reuters zufolge in Höhe von "Milliarden Dollar"). Aber was will Litauen? Da wird von russischer Seite (RIAN 26.6.08) auch schon mal behauptet, die angeblichen Gespräche Litauens mit den USA seinen nur eine polnische Erfindung zur Verbesserung der eigenen Verhandlungsposition. Russland dagegen denkt angeblich bereits über eine Verstärkung der eigenen Truppen im Gebiet Kaliningrad nach (Russland-Aktuell, 3.7.08). Nach Meinung des Schweizer Tagesanzeigers wiederum ist der Vertrag Polens mit der USA inzwischen abschlußreif, die ORF in Österreich meint dazu, Litauen schüre anti-russische Stimmungen, und die Junge Welt publiziert (am 12.7.) Gerüchte, ein Raketenstandort nahe Palanga sei bereits gefunden.

Wo soll das noch enden?
In Tschechien hat die Regierung inzwischen, im Gegensatz zu Polen, den US-amerikanischen Vorschlägen zugestimmt. Das dortige Parlament muss allerdings noch zustimmen - und manche hoffen nun auf Präsidentschaftskandidat Obama, der dieses Thema angeblich völlig anders angehen wolle. Bei Telepolis (heise.de) werden außerdem interessante Parallelen zwischen der Iran-Propaganda und der USA-Propaganda aufgezeigt, und in einem zweiten Beitrag wird zitiert, dass nur 36% der Polen die US-Raketenstationierung willkommen heißen würden (Telepolis 9.7.08). Umfragen in Litauen gibt es wohl noch keine. Derweil verkündet DIE WELT: "Auch Deutschland könnte vom Iran erpresst werden" (13.7.) und hält den Widerstand Russland gegen den geplanten Raktenschild für "irrational".

Da hilft es wohl auch wenig, auf all die Behauptungen hinzuweisen, die vor dem Irakkrieg so von denen in Umlauf gebracht wurden, die ein militärisches Einschreiten befürworteten. Blogger Ruslanas (ein Litauer), ein genauer Beobachter der Ereignisse in seinem Heimatland, beschreibt in seinem Blog Lituanica ebenfalls die polnisch-litauischen Irritationen. "Aber kein Rauch ohne Feuer", sagt auch er, und sorgt sich ebenfalls um die Sicherheitsinteressen von Litauen. Da liegt auch das Wort vom "Spiel mit dem Feuer" nicht mehr weit.

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