Aufsehen um Litauen

Die Europäische Union möchte mit Russland ein neues, für alle EU-Mitgliedsstaaten geltendes Partnerschaftsabkommen (PKA) aushandeln - das bisherige lief 2007 aus. Vereinbart ist bisher nur, dass dieses alte weiter gelten soll, bis ein neues ausgehandelt ist. Neu verhandelt werden unter anderem die Bereiche der Energieversorgung und der Sicherheitspolitik.
Und in diesem Zusammenhang wurde die Position Litauens in den vergangenen Wochen zum Faktor der Diskussion, bzw. zum Bestandteil von Schlagzeilen in den deutschen Medien: "Russlands Verhandlungen mit EU und WTO blockiert" (Deutsche Welle), "Litauen bremst weiter EU-Russland-Verhandlungen" (Reuters), "EU streitet über Umgang mit Russland" (Financial Times Deutschland), oder sogar: "Litauen weiter gegen EU-Verhandlungen mit Russland" (AP / Finanzen.net).


Weiterhin möchte Litauen dem EU-Russland-Abkommen eine gesonderte Erklärung zur rechtlichen Zusammenarbeit beifügen. Und Litauen strebt auch an, Kriminalprozesse zu starten bezüglich der Ereignisse am 13.Januar 1991 in Vilnius (versuchter Putsch der "schwarzen Barette", Erstürmung des Fernsehturms in Vilnius) und auch am 31.Juni 1991 in Medininkai (ein damals neu eingerichteter Grenzübergang). Und schließlich wird auch die Frage möglicher Schadenersatzforderungen heutiger EU-Bürger/innen, die zu sowjetischen Zeiten nach Sibirien deportiert wurden, nicht unerwähnt gelassen.
Am 29.April bekundete das litauische Außenministerium im Rahmen einer erneuten Presseerklärung erste Zufriedenheit: "die Europäische Union versteht die litausche Position immer besser." Eine weitere Annäherung der Positionen sollen jetzt unter Vermittlung der gegenwärtigen EU-Präsidentschaft Sloweniens versucht werden.
Nur Vorwahlkampf? Profilierungsversuche? Oder europäische Ignoranz?
Was bleibt, ist der auch in der Presse sich wiederspiegelnde Eindruck, dass Litauen sich auch innenpolitisch als selbstständig handelnder Partner zu profilieren sucht. Kommentator Andrej Fedjaschin versucht bei "RIA Novosti" gleich alles als Wahlkampfgeklingel abzutuen - und die litauische Position gegenüber den anderen EU-Partnern zu isolieren. "Alles eine Sache von höchstens ein paar Wochen", so Fedjaschin, dies hätten ihm "EU-Diplomaten, die anynoym bleiben wollten", versichert. Schließlich seien am 12.Oktober in Litauen Parlamentswahlen angesetzt - andere Gründe der Vorsicht gegenüber Positionen Russlands will er nicht gelten lassen.
Für den größten Kontrast dazu hat nun Stefan Bickerich im "Tagesspiegel" gesorgt. Dort ist gar zu lesen: "40 Jahre nach dem CSSR-Aufstand erhebt sich wieder ein Land in Osteuropa gegen Moskau. Es ist das kleine Litauen." Russland blockiere die Öllierungen an das kleine baltische Land aus fadenscheinigen Gründen, und nach Fertigstellung der Ostsee-Pipeline, an Litauen vorbei, sei Litauen sowieso einer möglichen Willkür Moskaus ausgeliefert. Deutschland dagegen setze weiterhin auf "Sonderbeziehungen zu Moskau".
Eine Meinung, die viele andere deutsche Journalisten nicht unbedingt teilen mögen. Zumindest das deutsch-litauische Verhältnis wird für besser gehalten, als man aus solchen Szenarien folgern müsste.
Bei "Europolitan" wird Europa-Staatsminister Günter Gloser (SPD) mit der zuversichtlichen Äusserung zitiert, die slowenische EU-Präsidentschaft werde Litauen "zu einem Umdenken" bewegen. In "die Presse" werden gar die litauischen Argumente verwischt und verwechselt; Zitat: "Außerdem müsse Moskau gedrängt werden, stärker bei der Suche nach Litauern zu helfen, die in den 1990er-Jahren verschwunden sind."

Derweil zitiert RIA Novosti genüßlich die Position der estnischen Botschafterin Kaljurand in Moskau: "Estland hat die EU-Russland-Gespräche nie blockiert."
"Das größte Risiko für die Europäische Union liegt aber darin, dass Putins Politik sie spaltet" - so formulierte die "Süddeutsche Zeitung" bereits am 16.5.2007 zum gleichen Thema. Es sieht so aus, als ob noch nicht alle Diskussionen zu einem konstruktiven Ende geführt werden können, mit dem dann auch Litauen und Deutschland gleichermaßen zufrieden wären.