Mit großer Mehrheit haben sich die Menschen in Litauen per Volksabstimmung für den Beitritt zur Europäischen Union (EU) zum 1.Mai 2004 ausgesprochen. Schon damals kündigte die litauische Regierung öffentlich an: wenn ihr euch für die EU entscheidet, dann ist damit auch der stufenweise Übergang zum Euro verbunden, also der Abschied von der eigenen Währung (Litas).
Baltischer Wettbewerb
Alle drei baltischen Staaten, also Estland, Lettland und auch Litauen, hatten in den zurückliegenden Jahren ein stetiges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen (Prozentzahlen mehrfach über 5%). Das versuchen die drei kleinen Länder auch jeweils für ihr internationales Image zu nutzen - und zwar, nicht unbedingt "baltischen Schwestern" gemäß - möglichst jeder für sich. Oft stand in diesem Wettrennen um Auslandinvestitionen und neue Technologien eine Art "Schönheitswettbewerb" an: nimm mich zuerst, ich bin bereit.
Auch mit der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung scheint es wieder ähnlich zu laufen. Anfangs kündigten alle drei Staaten an, die Euro-Einführung zu 2007 in Auge zu fassen. Der einzige Staat, der dies im Moment noch konkret betreibt, ist nunmehr Litauen.
Litauen hält derzeit die Vorgaben für Staatsverschuldung, Zinsen und Wechselkurs ohne Mühe ein, und verfehlte die Obergrenze für die zulässige Inflationsrate im Februar von 2,6 Prozent nur um ein Zehntel. In den beiden baltischen Nachbarländern dagegen ist nichts von Eile zu verspüren. Lettlands Zentralbankchef Ilmārs Rimšēvičs äusserte kürzlich öffentlich Zweifel, ob der Übergang zum Euro für Lettland überhaupt 2008 zu schaffen sei (Neatkariga Rita Avize 15.3.06). In Lettland ist Parlamentswahlkampf, und da schätzt der Banker wohl die Tendenz der gewöhnlichen Politiker richtig ein: es werden wahrscheinlich Lohnerhöhungen versprochen werden, und das wird die Inflationsrate nicht unbedingt senken helfen.
Der lettische Regierungschef Kalvitis zitierte seinen estnischen Kollegen Andrus Ansip (LETA, 28.2.06) mit der Aussage, den Euro "nicht unter allen Umständen" einführen zu wollen. Damit nahm Ansip sicherlich Rücksicht auch auf die Äusserungen von EU-Währungskommissar Joaquín Almunia (NZZ 19.1.06) und dem Vizepräsident der EU-Kommission, Günther Verheugen (Financial Times Deutschland, 1.2.06). Beide hatten Estland wegen zu hoher Inflationsrate für "noch nicht Euro-reif" erklärt.
Litauen provoziert Streit in der EU - trotz Befolgung der Vorgaben
Bis zum 1.Januar 2007 bleibt nicht mehr viel Zeit. Litauens Finanzminister Zigmantas Balcytis reichte also am 16.März 2006 seine Unterlagen zur Euro-Einführung offiziell ein. (BALTIC TIMES) "Trotz Warnung der Europäischen Komission" - meinte REUTERS zu wissen. Am Fall Litauens könnte sich nun ein Streit über die Auslegung der Konvergenzkriterien entzünden. Wie FINANZNACHRICHTEN.DE richtig betont, haben neben der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission dann die EU-Finanzminister die endgültige Entscheidung über einen Aufnahmeantrag in der Hand. Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am 15. und 16 Juni in Brüssel soll die Entscheidung stehen.
EUROPOLITAN und N24 berichten ausserdem von weiteren Äusserungen von Almunia im Einklang mit dem deutschen Finanzminister Steinbrück. Der Deutsche, selbst auch nicht gerade bekannt durch sorgfältiges Einhalten von EU-Finanzkriterien, legte Litauen "mehr Diplomatie" nahe. Will heißen: Antrag nur, wenn die Zustimmung als sicher erscheint. Aber die Balten scheinen wieder einmal keine Lobby unter den etablierten EU-Ländern zu haben (die sich dann immer wundern, warum baltische Kontakte in die USA so gut funktionieren ...).
Die Fachleute, die teilweise auch von der deutschen Presse zitiert werden (z.B. Handelsblatt), kommen aber auch zu abweichenden Ergebnissen. Als "unsinnig" werden die Maßstäbe, welche die Europäische Zentralbank nun im Fall von Litauen offensichtlich anzuwenden gedenkt, von Marko Skreb bezeichnet, Bankenberater und ehemaligen Gouverneur der kroatischen Nationalbank. Auch Erik Nielsen, Europa-Chefvolkswirt von Goldman Sachs, hält die minimalen Schwächen bei der Inflationsrate Litauens für keinen ausreichenden Grund, die Einführung des Euro zu verweigern. Und Vermögensberater Jörg Peisert wird im Handelsblatt mit der Aussage zitiert: "Ich halte es für problematisch, Litauen bei anderer Gelegenheit als europäischen Musterknaben zu loben, jetzt aber aufgrund eines (einzigen) Kriteriums das Land einfach abzuweisen."
Eine sehr zurückhaltende Haltung der etablierten EU-Länder meint auch das MANAGER MAGAZIN zu erkennen (22.3.). Es zeige sich hier, wie problematisch es ist, bei immer mehr Mitgliedern eine gemeinsame Geldpolitik für alle zu machen. Der Autor dieses Beitrag geht bereits von der Annahme aus, dass 2007 noch keines der neuen EU-Länder den Euro wird einführen können. Ähnlich spekuliert auch DIE WELT: Die Finanzminister würden sich kaum über eine negative Entscheidung von EU-Kommission und EZB hinwegsetzen wollen. Da werden auch die in der FAZ dargelegten eher philosophischen Überlegenungen (22.3.) über "den Nutzen der Euro-Regeln" wenig nutzen.
Die Konsequenz wird ebenfalls gesehen: in den Ländern könnte der politische Widerstand gegen die Abschaffung einer eigenen Währung auch wieder wachsen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen