Die “Union der Bauern und Grünen” ist der große Wahlsieger in Litauen. Diese Liste heimst 54 von 141 Sitzen im Parlament in Vilnius ein, abgeschlagen die konservative “Vaterlandsunion” mit 31, die Sozialdemokraten mit 17 und die Liberalen mit 14 Sitzen. Lagen die Konservativen nach der ersten Wahlrunde noch knapp in Führung, hatte niemand mit so einem klaren Sieg der Grünen Bauern gerechnet. Eine Partei, die im vorherigen Seimas noch an der 5-Prozent-Hürde scheiterte und nur einige Direktmandate in Nordlitauen gewinnen konnte, lädt nun die Konservativen und die Sozialdemokraten zu Koalitionsverhandlungen ein, mit den Liberalen hingegen sieht man zu große ideologische Unterschiede. Wer sind diese politischen Nobodys?
Dazu später, zuerst einmal wie es zu diesem Ergebnis kam:
Ein Karton von einer Cognac-Flasche, ein belgischer Schäferhund und eine Erbschaft, sie alle haben eine entscheidene Rolle in diesem Wahlkampf geführt
Was bis jetzt geschah … Einblick, in ein Prinzip der litauischen Politik
Litauische Politik ist vom “Messias-Syndrom” gezeichnet. Das heißt, vor jeder Wahl taucht ein neuer Messias auf, der verspricht alle Probleme zu lösen. Ein kurze Aufzählung: Der ehemalige Generalstaatsanwalt Artūras Paulauskas mit der “Neuen Union”, der Pilot und Ex-Präsident (seines Amtes enthoben weil sein Wahlkampf von einem russischen Waffenhändler gesponsort war) Rolandas Paksas mit “Recht und Gerechtigkeit”, der russischstämmige Millionär Viktor Uspaskich mit der “Arbeitspartei”, der Fernsehmoderator Arunas Valinskas mit der “Volkswiederauferstehungspartei”, zuletzt wenig erfolgreich die Partei “der Mutige Weg”, die im Zuge eines Pädophilie-Skandals entstanden war.
Viele dieser Parteien hatten einen großen Unterhaltungswert, und Wahlen waren von lustiger Wahlwerbung und kleinen Tricksereien umrandet: Da wurde Basketball gespielt, getanzt, sich ausgezogen. Stimmen wurden gegen Geld gekauft, oder gegen eine Wurst. Alles schon mal dagewesen.
Und dieses Mal?
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Wahlsieger Saulius Skvernelis und Ramūnas Karbauskis von der "Union der Bauern und Grünen Litauens" |
Es ging doch äußerst gemächlich zu. Außer heftigen Debatten im Fernsehen und in den Kommentaren der Internetportale – keine nennenswerten Verletzungen des Wahlrechts.
Nur die drei kleinen Skandale haben den drei traditionellen Parteien – Konservative, Sozialdemokraten und Liberale – den wesentlichen Schlag versetzt. Der Aufstieg des “Neuen Messias” konnte geschehen, die altgedienten Populisten “Ordnung und Gerechtigkeit” und “Arbeitspartei” wurden fast zur Bedeutungslosigkeit zusammengestutzt.
Skandal Nr. 1: Die Geschichte mit dem Cognac-Flaschenkarton
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Remigijus Šimašius ist der Parteivorsitzende
der Republikanischen Liberalen Bewegung Litauens |
Noch vor einigen Monaten sahen die konsolidierten Liberalen als der zukünftige Sieger aus. Sie hatten sich gespalten, wieder gefangen, waren ins Europa-Parlament eingezogen, gewannen in den ersten direkten Bürgermeisterwahlen in der litauischen Hauptstadt und standen für einen jungen, erfrischenden und unkorrupten Politikstil. Im Mai passierte der Absturz: Bei einer Hausdurchsuchung des Parteivorsitzenden Eligijus Masiulis wurden 250.000€ in bar gefunden, ein Großteil unsichtbar als “Schmiergeld” markiert. Und futsch war das Image der “Saubermann-Partei” und die Partei durfte um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Die später abgegebene Erklärung, dass Masiulis von einem Industriellen im Auto als privates Immobiliendarlehen 106000€ übergeben worden waren und dass er mangels anderes Behältnis sie schnell in den Karton einer Cognac-Flasche steckte, wirkte wenig glaubwürdig. Nur einer raschen Säuberungsaktion des Vilniusser Bürgermeisters und neuen Parteivorsitzenden Remigijus Šimašius ist es zu verdanken, dass am Ende mit dem 4. Platz ein ganz passables Ergebnis bei den Wahlen herauskam.
Skandal Nr. 2 und ein halber: Der Belgische Schäferhund und die “Goldenen Gabeln”
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Beerdigung der Grenzhundes "Ramzis" |
Der zweite Schuss traf die Sozialdemokraten: Der Bruder des Vizeparlamentspräsidenten erschoss bei der Jagd im Grenzgebiet zum Gebiet Kaliningrad einen Grenzhund. Der Hund hingegen war im Dienst, Zigaretten-schmugglern auf der Spur. Es endete mit einem Staatsbegräbnis für den Hund und einem wahren Shitstorm gegen die selbstgerechten Brüder, deren Verhalten symbolisch für das Bonzen-Dasein der Post-Kommunisten gesehen wird. Überhaupt war die Stimmung für die regierenden Sozialdemokraten auf der Kippe: Lange Zeit wurde Premierminister Algirdas Butkevičius für seine stabile Regierung gelobt - jetzt galt aber das letzte Jahr als bleierner Stillstand.
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Algirdas Butkevičius, scheidender Ministerpräsident,Litauische Sozialdemokratische Partei |
Dass die Sozialdemokraten den Überblick verloren haben dafür gab es noch einen anderen Skandal: Das Verteidigungsministerium hatte neues Besteck gekauft, allerdings bis zum 180fachen des Marktpreises. Sie gingen als die “Goldenen Gabeln” in den Wahlkampf ein. Die verkaufende Firma wieder soll in Verbindung stehen mit der Familie des Vorsitzenden der Konservativen “Vaterlandsunion” ...
Skandal Nr. 3: Die Familienerbschaft
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Gabrielius Landsbergis, Parteichef der "Vaterlandsunion -
Litauens Konservative" |
Blieben also noch die Konservativen. Die haben so ihre Mühen, ihr Image wieder herzustellen. Mit ihrer letzten Regierung mussten sie Litauen durch die Weltwirtschaftskrise 2009 steuern und werden für Preiserhöhungen, Lohnkürzungen und der damit verbundenen gestiegenen Auswanderung aus Litauen verantwortlich gemacht. Versuche, die Partei zu erneuern führten zu einem jungen Vorsitzenden, Gabrielius Landsbergis, Enkel der litauischen Unabhängigkeitsikone Vytautas Landsbergis. Sie profitierten am meisten von dem Skandal der Liberalen und konnten junge Wähler ansprechen. Vor der zweiten Runde der Wahlen riss ihnen dann doch noch eine andere Affäre die Beine weg: Ans Licht kam ein 1.5 Mio Euro schweres Vermögen eines Kandidaten in Kaunas, dessen Herkunft er nicht plausibel erklären konnte. Vieles deutet auf Schmiergeld des Arztes im größten Krankenhaus der Stadt hin, er selbst erklärte es als “Familienerbschaft”. Zweifel blieben. Ergebnis: Bis auf das Mandat für den Vorsitzenden Gabrielius Landsbergis haben die Konservativen alle Direktmandate in der zweitgrößten litauischen Stadt Kaunas verloren.
Das Ergebnis:
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Logo der "Union der Bauern
und Grünen Litauens" |
Viele der Direktmandate gingen an die Grünen Bauern, sogar in ehemaligen Hochburgen der Sozialdemokraten und Konservativen. Dabei war vor einem Jahr noch nicht klar, ob sie die 5-Prozent-Hürde meistern würde. Dann stieß Saulius Skvernelis zu ihnen. Der ehemalige oberste Polizist in Litauen und vormaliger Innenminister war der volksnahe und vertrauenswürdige Politiker, der den meisten wohl gefehlt hat. Sein Gegenpart ist Parteivorsitzender Ramūnas Karbauskis, Großgrundbesitzer; sein „Agrokoncernas“ liefert alles für die Landwirtschaft. Wie er sich Litauen verstellt, konnte man in der TV-Seifenoper „Der Sommer von Naisiai“ sehen, deren Autor er ist und die in seinem Heimatdorf spielt. Da geht es darum, wie das vom Aussterben bedrohte Leben im litauischen Dorf gerettet werden kann. Karbauskis ist eher der Feingeist, als Kunstförderer bekannt, aber im fehlt die Volksnähe.
Jetzt liegen also alle Hoffnungen auf den Grünen Bauern unter dem Duo Skvernelis/Karbauskis. Versprochen habe sie einen Politikwechsel, eine Politik, die sich an Prinzipien orientiert. Was genau diese Prinzipien sind, weiß man aber nicht, bemängeln Kritiker. Auch ob die Politik-Neulinge mit den alten Hasen von den Sozialdemokraten (mit den es inhaltlich mehr Gemeinsamkeiten gibt) oder den Konservativen (deren moralischer Anspruch ihnen näher steht) koalieren. Es gibt viele Ideen, aber werden sie diese auch umsetzen können? Viele Fragen bleiben offen, ob das Experiment „Politikwechsel“ wirklich gelingt, das werden wir wohl erst in einigen Jahren wissen.
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