17 Mai 2011

Hanse-Kaunas

Wenn von Hansestädten die Rede ist, denken die meisten Deutschen vielleicht an Hamburg, Bremen, Lübeck oder Wismar. Welche Städte aus anderen Ländern historisch zum Hansebund gehörten, das ist schon eine schwierigere Denkaufgabe oder Wissensfrage. Städte im Gebiet der heutigen Staaten Estland oder Lettland, die im Mittelalter im Einflußbereich von Deutschem Orden und Papst lagen, gehörten mit größerer Selbstverständlichkeit zum Hansebund wie im stolzen Litauen. Einzig Kaunas kann in Litauen auf die Existenz eines Hansebüros zurückblicken - fast hundert Jahre lang war dies im 15. und 16.Jahrhundert der Fall (siehe Webinfos der Stadt Kaunas).

Auch in Vilnius ist dieser Tage Werbung
für einen Besuch in Kaunas zu sehen
Seit einigen Jahren nun geht die Organisation eines "Hansetags der Neuzeit" reihum. Die im "Städtebund der Hanse" zusammengeschlossenen Städte haben das Stichwort "Hanse" als verbindendes Element neu entdeckt. Kaunas ist vom 19. - 22.Mai 2011 nun der Treffpunkt und bietet eine gute Gelegenheit, Kulturgeschichte, Markttreiben, Gesang und Tanz und ein wenig politische Kontakte zusammenzubringen. So ist Kaunas auch von Vilnius aus gesehen für einige Tage "Hansehauptstadt".

Unterschiedlich fällt das Echo in den beteiligten Städten aus Deutschland aus. Der Eindruck scheint sich zu verfestigen, dass gerade die eher kleinen (ehemaligen) Hansestädte die Hansetage Gelegenheit zum persönlichen Gedankenaustausch, gepaart mit ein bischen Selbstdarstellung, gerne nutzen. In der "Neuen Westfälischen" ist nachzulesen, wie Manfred Schürkamp seine Erfahrungen mit dem "Bazillus Hanse" beschreibt (Herford wird 2013 selbst Austragungsort der Hansetage sein). Ganze 74 Personen zählt die Delegation aus Herford, aber Schürkamp muss dennoch die Frage über sich ergehen lassen, ob denn nicht eher "richtige" Hansestädte wie Hamburg oder Lübeck Hansetage feiern sollten. Vielleicht füllten Städte wie Herford ja auch Lücken wie zum Beispiel von Bremen, die (trotz insgesamt 35 anmeldete Städteteilnehmer aus Deutschland) wieder einmal fehlen.

Oder bedarf es mutiger Repräsentanten, die auch den Ehrgeiz haben, einen internationalen Hansetag der Neuzeit selbst zu veranstalten? Herfords Hansevertreter Schürkamp schätzt die zu erwartenden Kosten für Herford 2013 auf immerhin 500.000 Euro. Herford hofft dies aus Sponsorengeldern finanzieren zu können und setzt auf touristische Werbeeffekte. 2012 bereitet sich Lüneburg auf die Durchführung des internationalen Hansetags vor.

Fußgängerzone von Kaunas: neuerdings wird mit
kostenlos nutzbarem drahtlosen Internetzugang
geworben
Ob Ähnliches auch Kaunas dieses Jahr zu Gute kommen kann, muss momentan bezweifelt werden. Der unter jungen Leuten beliebte Billigflieger Ryanair hat einige Flüge wieder von Kaunas nach Vilnius verlegt, per Bahn ist Kaunas international schlecht angebunden, und auch die neu zwischen den drei baltischen Staaten kursierenden "Komfortbus"-Verbindungen fahren komplett an Kaunas vorbei direkt nach Vilnius. Setzt man vielleicht komplett auf Autotouristen? Meine neue Erfahrung als Liebhaber von Bus und Bahn am zentralen Busbahnhof der Hauptstadt Vilnius: bei Versuch eine Busfahrkarte nach Kaunas zu erwerben stieß ich kürzlich auf fünf Verkaufsbüros, von denen nur eines besetzt war, die Angestellte aber bei meinem Erscheinen schnell auch noch in die Pause flüchtete. Die verbliebene Dame am Infoschalter weigerte sich unwirsch etwas anderes außer Litauisch zu sprechen - ähnliche Erlebnisse, bei denen potentielle Kunden schnell wie größtmögliche Ärgernisse des geruhsamen (und wahrscheinlich schlecht bezahlten) Alltags gelten, hatte ich zuletzt in den noch sowjetisch geprägten frühen 90er Jahren. Sind alle Fachkräfte mit Sprachkenntnissen bereits ins Ausland abgewandert?

Kaunas hofft also zumindest am kommenden Wochenende auf ein fröhliches, buntes Fest mit vielen Gästen. Ich bin übrigens der Meinung, Kaunas könnte auch noch mehr machen aus seiner reichhaltigen jüdischen Vergangenheit. Die Stadt besteht nun wirklich aus mehr als nur der Fußgängerzone (wo die vielen Hansedelegationen sicherlich gut Platz finden werden). Sollte einmal die historische Aufarbeitung der Schrecken des Holocaust auch in Litauen unumstrittener stattfinden können, wird man vielleicht auch über die Darstellung von Juden als Opfer der Massenvernichtung hinauskommen können. Kulturelle Wurzeln sind an vielen Stellen zu ahnen, auch wenn keine fremdsprachliche Erläuterungstafeln helfen. Angesichts der in neuester Zeit inflationären Aufstellung von Gedenktafeln für "national wichtige" Litauerinnen und Litauer muss ja irgendwann dieser nationale Geltungsdrang entweder den Gästen oder den Litauern selbst etwas langweilig werden.
Baustelle des neuen Basketballstadions in Kaunas
In wenigen Wochen jedenfalls - vom 31.August bis 18.September 2011 -  steht ein weiteres Ereignis in Kaunas an, dass wahrscheinlich spielend die Dimensionen des Hansetags sprengen wird: die Europameisterschaft im Basketball steht an. 24 Teams werden nach Litauen anreisen, die Endrunde - inklusive des EM-Endspiels - wird in der im Bau befindlichen neuen Basketballhalle in Kaunas stattfinden. Also, zumindest für diesen Sommer wird sich Kaunas dem Gästezuspruch einigermaßen sicher sein können.

Webseite Hansetag Kaunas
Infos zur Eurobasket 2011

Vorberichte zum Hansetag 2011 aus der deutschen Lokalpresse: Münster, Herford, Lübeck, Halle, Lemgo, Greifswald, Wesel, Kyritz, Lippstadt, Brilon.

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