23 Dezember 2015

Kaunas Bilanzen

Eine interessante Jahresbilanz für die Stadt Kaunas, Litauens zweitgrößte Stadt, zieht Daiva Repečkaitė für den "Lithuania Tribune" (siehe auch Delfi.lt). In Kaunas habe sich einiges geändert im Laufe des Jahres 2015: erneuerte Brücken, umgestaltete Fußgängerbereiche, bessere Straßen - und alles unter einem neu gewählten Stadtparlament. Nur die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger sei etwas auf der Strecke geblieben.

Visvaldas Matijošaitis, Unternehmer und einer der reichsten Männer Litauens, machte sein Geld vor allem mit Fischkonserven, Surimi-Fischbrei, und französischen Autos (Vičiūnai-Gruppe). Zu Sowjetzeiten noch im Militär Seit 2011 war er Mitglied im Stadtrat, seit einigen Monaten ist er Bürgermeister von Kaunas. "Bleib ruhig und stimm für Matijošaitis", so der Slogan der Wahlkampagne seiner Wahlliste "Vieningas Kaunas" ("Vereinigtes Kaunas"), einer Wirtschafts-nahen Vereinigung.

Während einige in Kaunas schon davon träumen, im Jahr 2022 "Europäische Kulturhauptstadt" werden zu können - ein Titel, den Vilnius 2009 trug - liegen die größten Probleme immer noch in der fehlenden Wirtschaftskraft und Abwanderung junger Leute - sowohl nach Vilnius, wie vor allem in andere europäische Länder wie Irland, Großbritannien oder auch Deutschland. Litauische Jugendliche müssen vor allem eine Chance auf einen Arbeitsplatz bekommen, damit sie "nicht ihre Heimatstadt verlassen, sondern ihr Leben gestalten und das Leben in ihrer Stadt mit gestalten“ - so bekamen es auch schon Besucherdelegationen aus Deutschland von Bürgermeister Matijošaitis zu hören (lippe-news).

Kritiker, wie Journalistin Repečkaitė hingegen, weisen eher auf den verschwenderischen Lebensstil des Ferrari-Fahrers Matijošaitis hin, der sich auch wohl kaum von den wirtschaftlichen Interessen der ihm gehörenden Firmen distanzieren könne, als kaum als neutral angesehen werden könne; so wie im Fall des alten Hotels "Respublikos" in Kaunas, das jahrelang als unfertige Ruine dastand und die Vičiūnai-Gruppe dann als möglicher Käufer auftrat. Andererseits: der zentrale Busbahnhof der Stadt zog vorübergehend an das Shoppingcenter "Akropolis" um, während der alte Platz umgebaut wird. Und Erleichterungen auch für kleine Unternehmer kündigte die Stadt - ganz modern - Neuerungen per Twitter unter dem Hashtag "#permainos_Kaune" an.

Kaunas wünscht, jede Bürgerin und jeder Bürger mögen
glücklich sein mit und in ihrer Stadt
Auch zu anderen Themen gibt es unklare Tendenzen: einerseits will die Stadt Teil der Altstadt Kaunas, mit Schwerpunkt auf die Architektur der Zwischenkriegszeit, auf die Liste des UNESCO Welterbes setzen lassen (15min); andererseits tue die Stadt nichts dagegen, dass gerade in diesem Bereich einige Hauseigentümer ihre Gebäude völlig verfallen lassen. - Während einige Universitäten in Vilnius, Kaunas, Šiauliai und Klaipėda ihre Kräfte zusammentun und Institute zusammenlegen, gab es in Kanaus Ärger um eine von der Polizei gewaltsam beendete Studentenaktion am 1.September, zu Beginn des neuen Schuljahres. Die Studierenden hatten ein "Glückrad" aufgestellt, und wer sich daran versuchte, konnte allerdings auch bei "Niedriglohnjobs", "Emigration ins Ausland" oder anderen schlechten Zukunftsprognosen landen. Obwohl selbst der Uni-Rektor sich für die Aktivisten einsetzte, wurde einer der Organisatoren sogar vor Gericht schuldig gesprochen, da er gemäß litauischen Gesetzen bereits vorher alle anzumeldenden öffentlichen Aktivitäten genau hätte beschreiben müssen.

Dann gab es eine Initiative von einigen Geschäftsleuten, den Fußgängerbereich der Laisves Allee teilweise für Autos zu öffnen - offenbar um wohlhabendere Kunden anlocken zu wollen. Die Bürger protestierten, aber es ist immer noch nicht sicher, dass die Stadt nicht doch Ähnliches plant. Beim Straßenbau wiederum änderte sich zwar einiges zum Besseren, aber ohne eine Förderung des Fahrradverkehrs - anders als in Vilnius, wo ein öffentliches Fahrrad-Verleihsystem relativ erfolgreich ist.
Die im November eröffnete neue Panemunė-Brücke lobten die Politiker wegen ihrer schnellen Fertigstellung - zur Deckung der 30 Millonen Euro Baukosten musste die Stadt neue Kredite aufnehmen. Von einer anderen, der Aleksotas-Brücke, wurden die alten Sowjetsymbole entfernt und die Brücke in "Vytautas-der-Große-Brücke" umbenannt. Auch durch die Inbetriebnahme der Rail-Baltica Eisenbahnlinie steht Kaunas noch Änderungen bei der Verkehrsentwicklung bevor.

Auch Sportfans können mit dem Sportjahr in Kaunas einigermaßen zufrieden sein: Žalgiris Kaunas wurde erneut litauischer Basketballmeister und in der Euroleague landete man vorerst unter den besten 16 Mannschaften. 
Ein neu gegründetes Filmbüro versucht, Kaunas als Kulisse für Filmproduktionen anzubieten, und ist froh, dass sowohl eine Neuverfilmung von "Anna Karenina" (Christian Duguay) wie auch ein Mercedes-Imagefilm ("die Geschiche der Silberpfeile") dies schon realisiert haben.

Um zu Daiva Repečkaitė zurückzukehren: eigentlich steht es gar nicht schlecht um Kaunas, lautet ihre Bilanz; einzig ob die Einwohner der Stadt wirklich bei der kommenden Entwicklung mitbestimmen können, das muss vorerst noch offen bleiben.

14 Dezember 2015

Baltische Lichterkette

Nein, kein Weihnachtsbaum wurde heute entzündet, aber immerhin die neue Energietrassen "Nordbalt" (mit Schweden) und "LitPol" (mit Polen) wurden heute symbolisch in Vilnius symbolisch in Betrieb genommen. Ein Ereignis, zu dem immerhin die lettische Noch-Ministerpräsidentin Straujuma und der estnische Regierungschef Rõivas neben schwedischen und polinischen Vertretern angereist waren, um jeweils ihr symbolisches Knöpfchen in dieser Lichterkette, installiert in der großen Halle des Präsidentenpalastes - drücken zu können (Pressedienst der Presidentin). 

Eine 700MW-Verbindung mit Schweden und eine 500MW-Verbindung mit Polen sollen in der Zukunft die Energieversorgung Litauens unabhängiger und ausgewogener machen. Präsidentin Gribauskaite betonte dabei auch, dass 25 Jahre nach Wiedererringung der Unabhängigkeit habe Litauen nun seine Eigenständigkeit konsolidiert und sei in der Lage, über wichtige Zukunftsfragen selbst zu entscheiden. Litauen sieht sich weiterhin auch als Vorreiter bei der Sicherung der Energieversorgung für die gesamte Region. "Eine Energie-Insel wurde zum Baltic Power Ring," so Präsidentin Gribauskaite.
Das LitGrid-System ist derzeit bemüht, in Zukunft zumindest digitale Transparenz zu bieten: die Webseite ist prall gefüllt mit animierten Echtzeit-Daten zur Stromerzeugung und Stromverbrauch. 
Von Litauen aus führt eine 400 kV Überlandleitung über 163 km über Alytus und Lazdijai in Litauen nach Podlachia, Warmia and Mazuren in Polen.
Das NordBalt-Projekt verweist stolz darauf, eines der längsten Seekabel der Welt gebaut zu haben - von Nybro nach Klaipeda (siehe Presseinfo). 

Noch wenig Konkretes wurde bekannt zur Preisentwicklung für die Verbraucher. Die Betreiber und die beteiligten Staaten sprechen vor allem von der Energie-SICHERHEIT, weniger von der Bezahlbarkeit der Energieversorgung. Die litauischen Energiekunden werden das also noch abwarten müssen. Eines dürfte aber klar sein: vom Land mit maroden Atomkraftwerken ist Litauen inzwischen auf dem Weg, Teil des nordischen Energieversorgungsnetzes zu werden - inklusive dem dort noch bestehenden Mangel an Zukunftssicherheit, der noch besteht: fossile Brennstoffe bilden noch 25% des finnischen Systems (und sogar 88% des polnischen), 41% der Energie in Schweden und 35% in Finnland kommen immer noch aus der Atomkraft. Ein Stück Unabhängigkeit hat Litauen gewiß nun erreicht - vor allem gegenüber einem möglichen russischen Marktdiktat - aber an der Zukunftssicherheit muss weiter gearbeitet werden. Ein Teil der Argumentation, neue Versorgungsleitungen bauen zu müssen, basierte auf steigendem Stromverbrauch in den baltischen Staaten - auch das bleibt ein Arbeitsfeld; bezüglich intelligenter Lösungen des Stromsparens bleibt Litauen noch Entwicklungsland.