08 April 2011

Die Freiheit des Wortes

Der Litauer Gintaras Visockas ist seit 20 Jahren Journalist und hat viel Erfahrung. Er war Korrespondent in Tschetschenien während des ersten Krieges. Nun hat er im eigenen Land ein großes Problem. Über den Präsidentschaftskandidaten der Wahl von 2009, den ehemaligen Sowjetgeneral und Kampfsportler Česlovas Jezerskas schrieb er, dieser sei wie alle Kampfsportler vom KGB kontrolliert worden. Keineswegs habe er behauptet, der Politiker habe für den KGB gearbeitet. Der Artikel brachte ihm nun eine Verleumdungsklage ein, die vom Gericht zu seinen Ungunsten entschieden wurde. Dieses sagte nämlich, der Leser habe den Text anders verstehen müssen. Die Geldstrafe für Visockas beträgt 10.000 Euro, doch so viel Geld kann der Journalist nicht aufbringen, so wird er wohl ersatzweise für 40 Tage ins Gefängnis müssen. Visockas sagt, für Journalisten sei das leben sowieso schwierig, es werde wenig verdient und Druck von allen Seiten sei hoch. Mit dem Urteil komme es jetzt aber noch schlimmer, es ginge nicht mehr nur darum, was jemand schreibt, sondern wie es ein Durchschnittsleser eventuell verstehen könnte.

Der Journalistenverband ist ebenfalls desillusioniert. Die Justiz handele wie zur Sowjetzeit, in einem Fall werde streng geurteilt, im anderen geschehe nichts.

Visocskas sagt, er werde nun als erster Journalist in seinem Land nach dem Strafgesetzbuch verurteilt, was es in keinem demokratischen Land gebe. Er sei damit vorbestraft und könne beispielsweise faktisch nicht mehr als Politiker kandidieren, so er das eines Tages wolle.

01 April 2011

Deutsch am Engelsplatz

= hinter, und upė = Fluss - solche Begrifflichkeiten sind allen Städten bekannt, die an Flüssen liegen. Oft gibt es einen Stadtkern auf der einen und einen später entstandenen neueren Stadtteil auf der anderen Seite des Flusses. Vilnius ist anders. Hier darf die Neris in aller Ruhe vorbeifließen - wichtiger fürs "diesseits" und "jenseits" ist die kleine Vilnelė. Die Brücken, die hier hin- und herüber führen werden gelegentlich durch Zollstationen der freien Republik Užupis garniert. Einer Republik, deren Paragraph 1 der eigenen fantasiereichen Verfassung auch das Leben an den Ufern des Flüsschens regelt: "Jeder Mensch hat das Recht, am Fluss Vilnelė zu wohnen, und die Vilnelė hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen.

Heute feiert die Freie Republik Užupis ihren 14.Unabhängigkeitstag. "Deutsche Welle" ist diesmal das Motto, denn Jahr für Jahr wird der Verfassungstext in einer weiteren Sprache offiziell ausgehängt und enthüllt. Nun also auch Deutsch. Seit 10 Jahren gibt es auch den "Freiheitsengel", der schnell zu einem der bekanntesten Symbole in Vilnius wurde. Bis mindestens hierher wagen sich fast alle Altstadttouristen herauf, bis hierher wird der Weg wohl in den meisten Reisebüchern beschrieben sein. 

Aber was macht eigentlich den Reiz dieses Stadtteils heute noch aus? Früher einmal haben auch viele Juden hier gelebt - Vergangenheit, verdeckt durch die Wechselfälle und Schrecken der Geschichte. Heute sind die Užupis-Einwohner eher Verfechter von Gelassenheit, Liebe, Irrtum und Gemächlichkeit. Dass der Dalai Lama einer der offiziell ernannten Botschafter der Republik ist, fand ehemals nicht nur der Spiegel interessant. Zur heutigen Feier trug Birgit Fular aus Konstanz die Kosten der neuen Verfassungstafel, ein Knabenchor aus Augsburg verspricht Gesang, und die Gastgeber Brezeln, Würstchen mit Sauerkraut und Weißbier. 

Wohlan denn! Auf dass jeder, der sich im Geiste vereinigt, verbunden oder inspiriert fühlt, den Tag auf eine würdige Weise begehe!

TEXT DER VERFASSUNG VON UŽUPIS
1. Jeder Mensch hat das Recht, am Fluss Vilnelė zu wohnen, und die Vilnelė hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen.
2. Jeder Mensch hat das Recht auf heißes Wasser, Heizung im Winter und auf ein Ziegeldach.
3. Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet.
4. Jeder Mensch hat das Recht, sich zu irren.
5. Jeder Mensch hat das Recht, einzigartig zu sein.
6. Jeder Mensch hat das Recht zu lieben.
7. Jeder Mensch hat das Recht, nicht geliebt zu werden, jedoch nicht unbedingt.
8. Jeder Mensch hat das Recht, weder berühmt noch bekannt zu sein.
9. Jeder Mensch hat das Recht, faul oder untätig zu sein.
10. Jeder Mensch hat das Recht, eine Katze zu lieben und für sie zu sorgen.
11. Jeder Mensch hat das Recht, für seinen Hund zu sorgen bis einer von beiden stirbt.
12. Jeder Hund hat das Recht, Hund zu sein.
13. Keine Katze ist verpflichtet, ihren Hausherren zu lieben, aber in schweren Momenten muss sie ihm beistehen.
14. Jeder Mensch hat das Recht, manchmal nicht zu wissen, ob er Verpflichtungen hat.
15. Jeder Mensch hat das Recht zu zweifeln, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet.
16. Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein.
17. Jeder Mensch hat das Recht, unglücklich zu sein.
18. Jeder Mensch hat das Recht zu schweigen.
19. Jeder Mensch hat das Recht zu glauben.
20. Kein Mensch hat das Recht, Gewalt auszuüben.
21. Jeder Mensch hat das Recht, seine Nichtigkeit und seine Größe zu begreifen.
22. Kein Mensch hat das Recht, nach der Ewigkeit zu trachten.
23. Jeder Mensch hat das Recht zu verstehen.
24. Jeder Mensch hat das Recht, nichts zu verstehen.
25. Jeder Mensch hat das Recht, verschiedenen Nationalitäten anzugehören.
26. Jeder Mensch hat das Recht, seinen Geburtstag zu feiern oder nicht zu feiern.
27. Jeder Mensch ist verpflichtet, sich an seinen Namen zu erinnern.
28. Jeder Mensch darf mit anderen teilen, was er hat.
29. Kein Mensch kann mit anderen teilen, was er nicht hat.
30. Jeder Mensch hat das Recht auf Geschwister und Eltern.
31. Jeder Mensch darf frei sein.
32. Jeder Mensch ist für seine Freiheit verantwortlich.
33. Jeder Mensch hat das Recht zu weinen.
34. Jeder Mensch hat das Recht, unverstanden zu bleiben.
35. Kein Mensch hat das Recht, einen Anderen schuldig zu machen.
36. Jeder Mensch hat das Recht auf Persönlichkeit.
37. Jeder Mensch hat das Recht, keine Rechte zu haben.
38. Jeder Mensch hat das Recht, keine Angst zu haben.
39. Besiege nicht.
40. Wehre dich nicht.   
41. Gib nicht auf. 


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