Der 1. September ist in Litauen für vieles bekannt: Zuallererst als "Tag der Lehre", denn dann beginnen Schulen und Universitäten. Dann als "Tag der Freiheit", denn am 31. August 1993 verließen die die letzten Überreste der Sowjetischen Armee den Baltenstaat. Dieses Jahr fiel der 1. September auf einen Samstag und so schlossen sich auch die Bauarbeiter an, ihren nicht mehr existierenden Ehrentag (26. August) zu feiern. Nur versprachen die Umstände dieses Jahr ein äußerst nüchternes Fest...
Und das kam so: Im scheinbar aussichtslosen Kampf gegen den Alkoholismus hatte ein Parlamentsmitglied eine scheinbar geniale Idee. Schon seit Sowjetzeiten versucht man, dem übermäßigen Alkoholkonsum, Herr zu werden. Berühmtheit erlangte schon Gorbatschows "Trockenes Gesetz" von 1986, dessen Überreste - Verbot von Verkauf von Alkohol nach 22.00 Uhr in Lettland noch teilweise existieren. Die Litauen sind da schon seit langem fortschrittlicher: Gesoffen werden kann immer und überall, 24-Stunden-Läden verkaufen den Stoff, ja, genau: rund um die Uhr. Das ist die neue litauische Freiheit und insofern ist man auch so frei, die höchsten Verkehrunfallraten in der Europäischen Union zu haben. Wen wundert's - ein Hauptproblem: Alkohol am Steuer.
Nun muss man nicht glauben, alle Litauer seien immer im Dauerrausch. Es gibt natürlich auch Gegenbewegungen, vor allem aus der katholischen Ecke, so eine Jugendbewegung für Nüchternheit. Als ob man sich auch darüber lustig machen wollte, war ihr Gründer, der Bischof Valančius früher auf dem 2-Litas-Geldschein verewigt, mit denen Durstige am liebsten ihr Bier bezahlten. Also kommen wir zurück zur neuen genialen Idee.
Ein unbekanntes Parlamentsmitglied (der Name taucht in den aktuellen Nachrichten nicht mehr auf und möchte nach dem ganzen Trubel wohl auch lieber anonym bleiben) brachte noch im vergangenen Jahr eine Änderung des "Gesetzes über Alkoholverkauf" ein. Und wie so oft, der Antrag wurde rasch durchgewunken. Erst nun rückte der 1. September näher, und nie war Litauen so nüchtern: Um unsere Schulkinder vor schlimmen Exzessen zu bewahren gilt ein völliges Verbot von Alkoholverkauf an diesem Tage!
"Litauen wird islamisch!" titelt die größte Tageszeitung Lietuvos Rytas. "Schwachsinn" sagt der sich sonst sehr gewählt ausdrückende Präsident Valdas Adamkus. Und natürlich beschwert sich auch der Gaststättenverband.
Andere machen aus der Not eine Tugend: "Wir erinnern Sie daran, dass am 1. September der Alkoholverkauf verboten ist." heißt es in Radio und TV. Und dann kommt der Name der größten Supermarktkette: "MAXIMA. Wir denken an alles."
Der Rest ist schnell erzählt: Nie war ein 1. September so ruhig, nie wurde soviel alkoholfreies Bier verkauft. Ein Lehrstück über Medienrummel und Parlamentsarbeit in einer jungen Demokratie. Ob das Gesetz wieder geändert wird? Abwarten und Tee trinken ...
Links (Litauisch)
Interview mit Präsident Valdas Adamkus
Interview mit dem Psychologen Gediminas NAVAITIS "Die Lust zum Trinken ist uns genetisch veranlagt"
Artikel in "Lietuvos Rytas" /Quelle des Bildes/
2 Kommentare:
"Prohibition light" nennt es der "Kurier" (Österreich). Präsident Adamkus soll die Kampagne als "dämlich" bezeichnet haben, und macht den Beitrag mit einem prostenden Staatsoberhaupt auf ...
Der ganze Beitrag hier:
www.kurier.at/nachrichten/chronik/106500.php
Wer gedacht hat, dass hier nicht "gesoffen" wird, hat sich aber gewaltig getäuscht. "Hamsterkäufe" am Vortag ließen das ganze Verbot zwar gut gemeint, aber vollkommen undurchführbar aussehen.
Das Resultat: Bier- und Schnapsleichen wohin man schaute. Flaschen, Müll und sonstige Exkremente wie nach jedem Feierchen.
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