30 September 2015

Palast mit Vergangenheit

Der Sportpalast in Vilnius ist heute eine eher einsame Stätte: das "Žalgirio stadionas", 1950 zunächst mit Fußballsplatz, Aschenbahn und Westtribüne eröffnet, später mit Ringtribünen aus Stahlbeton weiter ausgebaut, heute als Überrest vermeindlich heroischer Sowjetzeit leerstehend. Es grüßen noch zwei schöne, mit Reliefs geschmückte Eingangstore. Zu Zeiten des Baus mit 18.000 Zuschauern das größte von damals drei Stadien in Vilnius, 1955 noch durch ein Hallenbad ergänzt - das allerdings bereits 2004 abgerissen wurde.
In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich der von Eduardas Chlomauskas projektierte Sportpalast, dem wegen des üppig zur Schau gestellten Baumaterial (béton brut) das Stichwort "Brutalismus" zugeordnet wird.
Zuletzt einige Jahre ungenutzt: der inzwischen unter
Denkmalschutz gestellte Ex-Sportpalast in Vilnius
Angeblich sei der Entwurf nur vom Sportpalast in Minsk kopiert worden, meinen Architekturkritiker, andere wiederum meinen auch Parallelen in Westeuropa zu erkennen. 6.000 Gäste sollten im Inneren Platz finden, und zu Sowjetzeiten gab es ein Restaurant, zu dem nur hochrangige Parteimitglieder Zutritt hatten.
Auch der zweite Kongress der "Sajudis" tagte einmal hier. Im Januar 1991, nachdem die sowjetischen Sondereinheiten der "Schwarzen Barette" versucht hatte die Volksfront-Regierung zu stürzen, waren einige Tage die Toten der Ereignisse rund um den Fernsehturm im Sportpalast aufgebahrt.

Einen etwas anderen Blick auf den Sportpalast gewinnen diejenigen, die sich auch für die jüdische Vergangenheit von Vilnius interessieren. Da ist - neben den reichhaltigen Beiträgen jüdischer Kulturschaffender zum unabhängigen Litauen, der sowjetischen Besetzung wie der durch die Nazis, und dem darauf folgenden Holocaust - auch die Nachkriegszeit interessant. Die sowjetischen Behörden taten wenig bis nichts, um die jüdische Gemeinde zu fördern. Der Historiker Götz Aly schrieb dazu in einem Beitrag für die Berliner Zeitung: "Von den 60.000 Juden Wilnas tauchten nach dem Rückzug der Wehrmacht im Sommer 1944 einige Hundert wieder auf. Sie eröffneten eine Volksschule, ein Museum und feierten von 1944 bis 1946 ihre Gottesdienste in der stark beschädigten, etwas hergerichteten und reparablen Großen Synagoge."
Das schwer beschädigte Gebäude der Große Synagoge wurde dann abgerissen, den berühmten Friedhof im Stadtteil Šnipiškes ebnete man ein - genau, um Platz zu schaffen für den Bau des Sportpalastes.

So bleibt auch noch ein Stückchen Diskussion um die zukünftige Nutzung des Gebäudes. 2009 wehte Vilnius dann ganz offiziell die Dynamik dieser Diskussion ins Gesicht: nicht nur, dass die Litauer gerade in diesem Jahr von der weltweiten Wirtschaftskrise überrascht wurden und viele gute Projektideen unrealisiert blieben, sondern auch die Überbeibsel unvollständig oder gar nicht aufgearbeiteter jüdischer Geschichte der Stadt flogen den Organisatoren damals ins Gesicht (siehe Zeitungsbeiträge wie WELT, Süddeutsche Zeitung,

Gegenwärtig bemüht sich der litauische Ministerpräsident Algirdas Butkevičius in Gesprächen mit Vertretern der jüdischen Gemeinde Vilnius eine gemeinsame Basis zu finden für die Zukunft. Denn abgerissen werden wird der Sportpalast zwar nicht, aber Butkevičius hatte das Versprechen abgegeben, künftige Projekte an diesem Ort nur dann zu realisieren, wenn die jüdische Gemeinde zustimmt. Auch mit seinem Amtskollegen in Isreal, hatte der litauische Regierungschef das Vorhaben erörtert.
Nun soll das Gebäude also als Ort für Konferenzen und Kongresse modernisiert werden. Ein neues Zugeständnis ist nun, dass in der Halle keine Konzerte stattfinden sollen. Ein kleines, eher symbolhaftes Zugeständnis in Erinnerung an diesen Ort.
Geplant ist der Kauf des Geländes durch die staatliche "Turto Bankas", die 5,6 Millionen Euro dafür bereit stellt. Ein Teil des Geländes war bisher im Besitz der inzwischen bankrotten "Ūkio Bankas Investicinė Grupė", ein anderer wird von der "Žalgirio Sporto Arena" angekauft.
Butkevičius äußerte die Hoffnung, das neue Konferenzzentrum im Jahr 2018 fertiggestellt zu sehen, pünktlich zum 100.Jubiläum der wieder hergestellten litauischen Unabhängigkeit.