07 Oktober 2008

Wer geht zur Wahl?

Am kommenden Sonntag wird in Litauen ein neues Parlament gewählt. Weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ging 2004 zur Wahlurne. Wofür setzen sich die Parteien und deren Abgeordnete ein, was wollen sie erreichen? Das ist in Litauen noch immer nicht einfach zu verstehen, wo doch Personen und kurzfristige Aktionen viel mehr Aufmerksamkeit erregen. "Spass, Spam und wenig Inhaltliches", so das Fazit etwa des "Standard" aus Österreich zum litauischen Wahlkampf.

Auch in Litauen hat die zentrale Wahlkommission nun ihr virtuelles Projekt auf - per Internet wählen bedeutet das noch nicht, aber das Ziel heißt hier: finde dein Wahllokal virtuell (Abbildung links).
Nur
46,8% der Wahlberechtigten gingen 2004 noch zur Wahl - allgemein ist nichts von einer wesentlichen Steigerung des Interesses zu vernehmen. Viele schütteln sich schon, wenn sie nur einen Kommentar zur Arbeit der eigenen Politiker/innen abgeben sollen. Da hilft nur eines (aus Regierungssicht): dramatisieren.

Plötzlich soll der Untergang Litauens bevorstehen. Einerseits wegen der russischen Vorgehensweise in Georgien ("die Urangst der Litauer vor den Russen" - so sieht es Hannes Gamillscheg in "
die Presse"), andererseits weil angeblich ohne Atomkraft in Litauen "das Licht ausgeht". Welche Konsequenz die Wähler aber aus dieser Lage ziehen - selbst wenn sie diese Szenarien für glaubwürdig halten - das bleibt unklar. Was soll ich bloß wählen? Soll ich überhaupt wählen?

Mitbestimmung nur dort, wo es der Regierung in den Kram passt?
Nebenbei ist aber noch regierungsamtlich verordnet worden, dass volksabgestimmt wird. Auch mal eine neue Variante: wo die politische Überzeugungskraft fehlt, installieren sich die Regierenden selbst eine Volksbewegung inklusive Volksabstimmung, passend zum Wahlkampf. Neue Konzepte zur Versorgung des Landes mit Energie ausarbeiten und umsetzen? Zu kompliziert. Vier Jahre Zeit, vier Jahre Klagen über die EU-Auflagen (deren Erfüllung einst Voraussetzung für den EU-Beitritt Litauens waren!).

Nun wird den Litauerinnen und Litauern eine schwer zu beantwortende Frage vorgelegt. Wörtlich: "Ich befürworte die Verlängerung der Betriebsdauer des Atomkraftwerks Ignalina für eine technisch sichere Periode, aber nicht länger als bis ein neues Atomkraftwerk fertiggestellt ist."
Den Wählerinnen und Wählerin - denen ja nun parallel zur Ausübung des demokratischen Wahlrechts diese Frage vorliegt - wird also vorgegaukelt, die Verträge mit der EU könnten nochmal nachverhandelt werden.

Unbekannte und bekannte Kandidaten
Immerhin lassen sich von den im Internet zur Verfügung stehenden Kandidatenlisten einige Informationen ablesen. Angaben zu Geburts- und Wohnort sowie Geburtsdatum finden sich bei jedem Kandidaten. Dazu kommen schriftlich dokumentierte Antorten auf Fragen zum Beispiel nach evtl. ausstehenden Gefängnisstrafen, ob man Bürger eines anderen Staates sei, oder etwa gar in Diensten fremder Staaten arbeite. Wer das säuberlich mit nein beantwortet hat, muss dann noch Angaben zum Schulabschluß öffentlich machen, auch zu Fremdsprachenkenntnissen, Name der Frau/des Mann es und der Kinder, und sogar zu Hobbies. Und es findet sich auch ein direkter Link zu Angaben zur Höhe des versteuerten Einkommens.

Auf diese Art und Weise lässt sich also - wen es interessiert nachlesen, dass Ministerpräsident Kirkilas gern Tennis spielt und dass seine Kinder Diana und Rolandes heißen, oder dass der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Parlamentspräsident Paulauskas sich als Literaturfan outet und 79512,56 Litas Einkommen versteuert hat.

Ob es das aber ist, was zur Wahlbeteiligung motiviert? Vorläufig sind noch die schein-demokratischen Wahlen in Weißrussland Thema politischer Kommentare, für die sich Litauen sehr interessiert hat. In einer Woche muss es dann wieder um das Geschehen im eigenen Lande gehen.

Infos:
Text des Refendums zum Atomkraftwerk Ignalina

Infos zum Litauischen Parlament

Litauische Wahlkommission (Wahlergebnisse 2008)

Kandidatenlisten der zur Wahl stehenden Parteien

12 September 2008

Österreich blickt auf Litauen (3)

Gerai - Litauen hat gegen Österreich zwei Fußballtore erzielt. Dass es aber zwischen Österreich und Litauen noch mehr aktuelle Bezüge gibt, haben die beiden Herren Juhann und Jod thematisiert. In Linz kommentierten sie auch das Fußballspiel (eine Dokumentation ist bisher nicht überliefert). Die eigentliche Perspektive richtet sich aber auf das Jahr 2009, wenn das österreichische Linz und das litauische Vilnius gemeinsam den Titel "Europäische Kulturhauptstadt" innehaben werden.

Bis dahin sind es jetzt noch etwas mehr als 100 Tage. Die ersten Veranstaltungen mit litauischem Bezug werden in Linz angekündigt: am 23.Februar 2009 ist
der Lyriker Laurynas Katkus zu Gast, am 4.März 2009 werden Bibelpfad und Bücherschmuggel thematisiert. Musik aus Litauen und Österrreich wird am 13.März 2009 vorgestellt, am 18.März geht es im Linzer Volkshaus Franckviertel um die Sprachen Deutsch und Litauisch. Am 2.April 2009 wird die Frage gestellt, ob Vilnius oder Linz die schmackhaftere Küche hervorgebracht haben, und schließlich gibt es (voraussichtlich) am 10.Oktober 2009 das Fußball-Rückspiel des WM-Qualifikationsspiels Österreich gegen Litauen.

11 September 2008

Österreich blickt auf Litauen (2)

"Warum dauern österreichische Fußballmärchen immer so kurz?" So fragte sicher nicht nur ZDF-Moderator Johannes B.Kerner nach dem litauischen 2:0 Sieg. Österreich schaut auf Litauen: mit wenig Vergnügen.

Einige Schlagzeilen:

"Litauen sorgt für österreichische Ernüchterung" (Die Presse)

"Nach der Sensation folgte das Trauerspiel" (networld.at)

"Verdiente Pleite" (Kurier)

"Andreas Herzog hat sich seinen 40. Geburtstag anders vorgestellt" (Sportlive.at)

Auch österreichisches "Fußball-Chinesisch" konnte man dazulernen. Das 2:0 des Litauers Danilevicius bezeichnet "die Presse" als "Ferserl, fast schon ein Scheiberlspiel". Armes Österreich!

Andere beschreiben ein paar Erlebnisse in Litauen - angesichts der Niederlage offenbar zusätzlich ernüchternd beschrieben:

"Gespielt wurde nämlich im kleinen Marijampole Football Club Stadion, das aus nur einer einzigen Tribüne besteht, auf der sich allerdings beinahe 4500 Zuschauer drängten. Ein besserer Dorfplatz, der ein wenig an Kottingbrunn erinnerte, in näherer Umgebung aber fanden sich weder Geschäfte, noch Gasthäuser, eine Tankstelle war der einzig belebte Platz." (Die Presse)

10 September 2008

Österreich blickt auf Litauen

Während die deutsche Fußball-Nationalmannschaft sich heute im regnerischen Finnland vergnügt, blickt Sport-Österreich gebannt auf Litauen. Vor wenigen Tagen hatte Litauen im Rahmen der Qualifikationsspiele für die Weltmeisterschaft 2010 in Rumänien 3:0 gesiegt, Österreich gleichzeitig gegen Ex-Weltmeister Frankreich 3:1. Heute treffen beide im Stadion von Marijampole aufeinander; ein Spiel, für das auch Regierungschef Gedeminas Kirkilas seinen Besuch angekündigt hat. Österreichische Medien - vielleicht etwas enttäuscht von der Gastgeberrolle bei der EM - sprechen nun bereits von einem "Gigantenduell" (OE24, 9.9.08) (Foto: Webseite FC Suduva).

Auch im Vereinsfußball gab es zuletzt vermehrt ähnlich spannende Duelle zu sehen: der FC Suduva (Marijampole - in dessen Stadion des heutige Spiel stattfindet) scheiterte in der Qualifikation zur UEFA-Pokal-Hauptrunde nur knapp an Red Bull Salzburg (1:4 /1:0), dem FBK Kaunas (aktueller litauischer Meister) gelang beinahe die Qualifikation zur Champions-League (Sieg gegen Glasgow Rangers, Niederlage gegen den dänischen Aalborg BK).

Auch Valdas Ivanauskas, ehemaliger Profi des Hamburger SV (dessen Frau dann nicht nach Wolfsburg umziehen wollte, und der danach auch bei Austria Wien spielte), kürzlich aber nach wenigen Wochen als Trainer bei Carl Zeiss Jena gescheitert (Abstieg aus der 2.Liga), äussert in österreichischen Medien nun Respekt vor dem Alpenlande. In Litauen werde zuwenig Jugendarbeit betrieben, meint er - da sei Österreich Vorbild. Vielleicht will er sich dort für einen neuen Trainerjob bewerben?

Im eigenen Land reichte es für "Ivan den Schrecklichen" trotz internationaler Bekanntheit noch nicht zum Nationaltrainer: Österreich holte den tschechischen Erfolgscoach Brückner, Litauen den Portugiesen
Jose Couceiro, der gleichzeitig auch bei Meister FBK Kaunas den Trainerjob wahrnimmt (dazu: ÖONachrichten).

Gespannt bin ich mal auf das Einlaufen der Mannschaften. Als Ösi-Coach Brückner im Frühsomm er 2008 noch als Trainer der Tschechischen Nationalmannschaft ein Vorbereitungsspiel gegen Litauen in Prag absolvierte, wurde den Litauern in Prag eine falsche Nationalhymne serviert. Was wohl nun in Marijampole zu hören sein wird?
Der österreichische "Kurier" warnt schon mal (vielleicht für das Rückspiel?): Vieles ist im Fußball ähnlich zwischen Litauen und Österreich, aber "Rot-weiß-rot, das sind die Farben Lettlands!"

20 August 2008

Viel zu tun in Litauen

Vor wenigen Tagen trat der neue Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Litauen, Hans Peter Annen, sein Amt in Vilnius an. Annen war zuvor als Botschafter in Albanien tätig, und war auch schon in New York, Budapest, Madrid und Kiew tätig gewesen.
Eine unruhige Zeit in Litauen -und das nicht, weil im Oktober Parlamentswahlen anstehen. Vor allem wegen dem Geschehen in Georgien ist dabei, die politische Gemütslage Litauens stark zu beeinflußen.

Das sieht auch der litauischen Außenminister Petras Vaitiekūnas ähnlich, der Annen am 20.August empfing. Bereits nächste Woche wird Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch in Litauen erwartet. Eigentlich wäre ja vielleicht eine Zwischenbilanz der unter dem Label "essentia-baltica" konzentrierten Kulturveranstaltungen vielleicht ein angenehmeres Gesprächsthema gewesen. Nun hat aber heute auch noch Polen eilig seine Unterschrift unter die US-amerikanische Raketenaufrüstung gegeben, und auch aus litauischer Sicht wächst die Besorgnis, was sich da wohl im Osten zusammenbraut. Der EU-Russland-Rat ist vorerst auf Eis gelegt, und die NATO beeilt sich Georgien eine Beitrittsperspektive zu versichern. Die litauische Regierung betont, dass eine friedliche Lösung in Georgien nur auf Basis der Unantastbarkeit georgischen Territoriums erfolgen könne.

Wichtig wird für Litauen weiterhin die Frage der Sicherung der Energieversorgung bleiben - auch das ist mit der zukünftigen Entwicklung des Verhältnisses mit dem östlischen Nachbarn Russland verknüpft. Mal sehen, welche Rolle Deutschland in dieser Hinsicht in der nächsten Zeit übernehmen wird. Ende 2009 soll die veraltete Anlage des Atomkraftwerks Ignalina endlich geschlossen werden - was danach kommt, bleibt weiterhin teilweise unklar. Zu erwarten ist vielleicht eher, dass beide Seiten die guten wirtschaftlichen Beziehungen allgemein loben werden. Kanzlerin Merkel wird sicher ein paar fotogene Orte in Litauen finden, um sich dort nächste Woche ablichten zu lassen ...

Pressemeldung des litauischen Außenministeriums zur Amteinführung von Botschafter Annen

Pressemitteilung der Deutschen Botschaft in Vilnius

Litauische Pressemitteilung zum NATO-Treffen mit Thema Georgien

Zusammenfassung der litauischen humanitären Hilfe für Georgien

14 August 2008

12 August 2008

Zeit der Besinnung - auf Freunde und Nachbarn

Hin und hergerissen, verunsichert, besorgt müssen wir verfolgen, was sich in Georgien tut. Aus litauischer Sicht ist es ein Top-Thema: am 9.August (Samstag) war der litauische Außenminister Petras Vaitiekūnas selbst zu Besuch in Georgien. Zurecht glaubte er sich am Ort eines wichtigen Geschehens und telefonierte eifrig, unter anderem mit Javier Solana, mit Repräsentanten der NATO, und bereitet einen Bericht fürs EU-Außenministertreffen vor. Die EU-Initiative einer unabhängigen Friedensmission wurde von ihm mit ausgearbeitet.Litauische Vermittlung - funktioniert das?
Am 10.August entschied sich
Vaitiekūnas, in Georgien zu bleiben, und bemühte sich als Vermittler. Allerdings: immer wenn in den Pressestatements die russische Seite erwähnt wurde, hieß es von litauischer Seite immer nur schlicht: "die Russen stellten ihre Haltung dar." Mich hätten ja mal für Details interessiert: Putin und Medwedjew hatten ja da schon Statements abgegeben, die Georgiens Präsident Saakaschwili als "Kriegsverbrecher" bezeichnen, und das militärische Vorgehen Georgiens gegenüber Südossetien verurteilen. Was sagt Zaakaschwili selbst dazu? Was hatte das georgische Militär vor, was haben sie tatsächlich gemacht? Auch da haben Menschen gelitten - aber dazu nichts von litauischer Seite. (ich kann nur sagen: es hätte die Welt interessiert). Eine Auseinandersetzung mit den russischen Anschuldigungen findet eher in Blogs (schon wieder diese Blogs!) einzelner Aktivisten statt, so z.B. hier.

Das litauische Bemühen scheint mehr auf eine Stärkung der eigenen Rolle im europäischen Rahmen ausgerichtet zu sein. Vaitiekūnas telefoniert mit Steinmeier, mit Maris Riekstins, Radoslaw Sikorski, Alexander Stubb, Carl Bildt, Condoleezza Rice.
... und verspricht medizinische Hilfe für die georgische Stadt Gori. Beim
Democracy and Development Assistance Fund wird ein litauisches Sonderkonto für Georgien-Spenden eröffnet, ebenso beim litauischen Roten Kreuz. In einer Pressemtteilung am 10.August macht der litauische Außenminister unmißverständlich klar, wie er die Lage sieht: "eine offensichtliche Agression Russlands" sei im Gange. Dies müsse gestoppt werden, darüber seien sich die EU-Kollegen einig. "Unschuldige Zivilisten leiden darunter", so Vaitiekūnas.
Noch am gleichen Tag erreicht Präsident Adamkus ein Anruf von US-Präsident Bush. Adamkus informiert Bush darüber, dass er selbst zusammen mit den Präsidenten Estlands, Polens, und der Ukraine, sowie mit Regierungschef Godmanis aus Lettland in Kürze Tblissi besuchen wollen, um ihre so ihre Unterstützung für Präsident Saakaschwili zu zeigen.

Der nächste Schritt
Gut, nun also keine Vermittlung mehr, sondern Organisation der Georgien-Hilfe. Am 12.August kehrte
Vaitiekūnas nach Litauen zurück, dafür ist nun Adamkus in Georgien. Da die Webseiten der georgischen Regierung zeitweise nicht erreichbar waren (blockiert von Russland-freundlichen Hackern?). Das litauische Außenministerium schaltet auf der eigenen Webseite einen Hinweis: nutzen sie den Blog des georgischen Außenministeriums! Aha, so werden auch Minister zu Aushilfs-Bloggern. Seit dem 12.August schildert dort die georgische Regierungsseite ihre Sicht der Dinge.
Das von Russland verkündete "Ende der Kampfhandlungen" wird eilens von litauischer Seite so kommentiert, dass sich russische Truppen "aus ganz Georgien" zurückziehen müssten. Damit werden sie so schnell keine gemeinsame EU-Position aufbauen können.

Zeit der gemeinsamen Erklärungen
Bereits am 9.August - also bereits vor den oben beschriebenen Abläufen - hatten die Präsidenten Estlands, Lettlands, Litauens und Polens den Text einer gemeinsamen Erklärung veröffentlicht (Wortlaut). Darin wird festgestellt, man wolle gemeinsam alles tun, "damit es nicht still werde um die Agression Russlands gegen ein kleines Land in Europa". Gefordert wird quasi ein Stop der Verhandlungen um das neue EU-Russland Abkommen; das Aufkommen einer neuen "imperialistischen und revisionistischen Politik" in Osteuropa müsse verhindert werden. Weiterhin drückt die Erklärung gemeinsames Bedauern darüber aus, dass Georgien noch keine Beitrittsperspektive zur NATO eröffnet wurde. Mehr: die Ablehnung des NATO-Beitrittsgesuchs habe "grünes Licht gegeben für eine Agression in dieser Region". - Das kann - mit Verlaub, liebe Präsidenten - auch umgekehrt gesehen werden: mit Zaakaschwili wird es wohl keinen NATO-Beitritt geben, auch durch seine eigene Rolle bei den nun hoffentlich sich wieder beruhigenden Konflikten.

Einen Tag später, am 10.August, zogen die Parlamentspräsidenten Ergma (Estland), Daudze (Lettland) und Juršėnas (Litauen) mit einer eigenen Erklärung nach. Das, was im Moment in Georgien vorgehe, müsse in all jeden Ländern Besorgnis hervorrufen, in denen russische Staatsbürger wohnen. So steht es hier zu lesen. Die Regierungen der Unterzeichner seien nun aufgerufen Maßnahmen zu ergreifen - in Kooperation mit NATO und EU - damit es ähnliche Vorgänge in Zukunft nicht mehr geben könne.


Doch im Eifer des Gefechts (im wahrsten Sinne des Wortes) waren auch manche Töne zu hören, welche die Besorgnis nicht so schnell schwinden lassen.
Angesichts dessen, was die USA an "sicherheitspolitischen Maßnahmen" so alles in Osteuropa kürzlich veranstaltet hat (Raketenstationierung, Militärberater für Georgien), ist anzunehmen, dass Russlands Reaktion im Fall Georgien auch Sympathisanten hat - nicht nur unter den ethnischen Russen.

"Die EU muss dem russischen Agressor klar machen, dass er zu weit gegangen ist." Das meint ein Kommentar in der "Financial Times". Deutlich zu vernehmen sind aber auch Stimmen, die meinen, insbesondere der georgische Präsident Saakaschwili habe sich "verspekuliert" und wohl angenommen, die NATO käme ihm zuhilfe, wenn er die internen Konflikte Georgiens auf militärische Art und Weise zu lösen beginnt.
Abseits von allen Aufgeregtheiten bleibt hoffentlich klar: Europa muss in erster Linie an der Erhaltung des Friedens interessiert sein.

06 August 2008

Kaunas kommt groß raus

"Istorinis Kauno laimėjimas" - so jubeln die Sportfans in der zweitgrößten litauischen Stadt Kaunas. Aus verschiedenen Gründen wurden in dieser Woche Erinnerungen an bessere Zeiten im litauischen Männerfußball wach. Der "Fußball- und Baseball-Klub Kaunas" schlug in der Qualifikation zur Championsleague immerhin Glasgow Rangers (Hinspiel in Schottland 0:0, Rückspiel in Kaunas 2:1).

Dabei sind litauische Fußballer in Schottland nichts Unbekanntes. Der FBK Kaunas wird gesponsert von der
Ūkio-Bank, dessen Hauptanteilseigner der russische Unternehmer Vladimir Romanov ist (Vladimiras Romanovas - der SPIEGEL nannte ihn mal "Mini-Abramowitsch ohne Herz", die BBC "former soviet nuklear submariner"). Romanov ist auch Eigentümer des schottischen Klub "Hearts of Midlothian", und hat so schon für den einen oder anderen Transfer von Litauen nach Schottland gesorgt. Hat sich nun also genug Kenntnis über den schottischen Fußball in Litauen angesammelt? (Auch die Ūkio-Bank hat Filialen in Schottland...) Die UEFA-Webseite zur Championsleague titelt: "Kaunas überrascht ganz Europa", und verrät gleichzeitig, dass der FBK seit wenigen Wochen einen neuen Trainer hat, einen Portugiesen.

Der bisher bekannteste Trainer der Litauer war ihr bisheriger Nationaltrainer Algimantas Liubinskas. Ja richtig, derjenige, der 2003 die litauische Nationalmannschaft auch zum 1:1 im Länderspiel gegen Deutschland führte. Nun schmeisst Liubinskas seinen Job hin und wechselt in die Politik - zumindest kandidiert er zunächst mal, und zwar bei den litauischen Parlamentswahlen im Oktober auf der Liste er Partei "Tvarka ir Teisingumas" (Ordnung und Gerechtigkeit), dessen Vorsitzender der skandalumwitterte Rolandas Paksas ist. Nun muss der ehemalige Nationaltrainer zumindest mehr Offenheit üben, als es früher mit Mannschaftsaufstellungen und Trainingsmethoden nötig war: auf der Wahlliste seiner Partei steht er immerhin mit Email und Telefonnummer.
Ein Amt soll ihm, verschiedenen Medienberichten zufolge, schon sicher sein: das des Sportbeauftragten des Bezirks Vilnius.

Webseite FBK Kaunas

02 August 2008

Wer nach China fährt, müsste Mamontovas heißen!

"Nereikalingi žmonės - das mag gewöhnlichen Deutschen durchaus ähnlich wie chinesisch klingen. Aber gerade in China ist dieses litauische Kulturprodukt seit kurzem am besten bekannt. Es ist der Titel eines Films, der im Juni 2008 beim Filmfestival in Schanghai (einem der größten Filmfestivals der Welt) gleich zwei Preise gewann: beste Regie und beste Filmmusik. Der erste Preis auf einem internationalen A-Festival für einen litauischen Film.

Ein Film über Irland. Eine irisch-litauische Koproduktion, die stolz darauf verweist, der erste 100%ig privat finanzierte litauische Film zu sein. Der bald nach seinem Kinostart Anfang 2008 Rekorde an litauischen Kinokassen aufstellte. Mit Maris Martinsons ein Regisseur aus Lettland, der sich auch im litauischen TV in litauischsprachigen Interviews gut schlägt. Irland, ein Thema in Litauen spätestens mit dem Aufkommen der Insel als Zielland für Arbeitssuchende. Und Musik aus Litauen - auch über Irland. Nun hat auch Andrius Mamontovas seine "Rose of Irland" geschrieben. Soundtracks hat der ehemalige FOJÉ-Leadsänger und Mamlet-Darsteller schon einige geschrieben. Und bei der Eurovision ist er auch schon aufgetreten - relativ erfolgreich (LT United).

Mamontovas selbst spielt einen Priester in "Loss" (so der englische Filmtitel). Auch Kostas Smoriginas
ist wieder dabei - und so erinnert die Thematik auch etwas an "Geflüsterte Sünden", der mit Jurga Ivanauskaites Themen (und Mithilfe) entstandene Film. Wieder geht es um zwei zentrale und sehr unterschiedliche Frauen, aber letztlich auch um ein Kind. Um Illusionen und Zukunftshoffungen, Emigration und Heimat.

Regisseur Martinsons äusserte zur Szene der Filmproduktionen in Litauen wie in Lettland: "Ein geschlossener Kreis von Direktoren und Produzenten rund um das Ministerium für Kultur, die sich das Geld untereinander aufteilen." Martinsons zog zusammen mit seiner (zweiten) lettischen Frau Linda Krukle nach Litauen und gründete die Filmproduktionsfirma ARTeta. "Ich habe mich auch in Vilnius verliebt", sagt er. "Manchmal fahren wir noch nach Riga und besuchen das 'Osiris', unser Lieblingsrestaurant dort. In Litauen kann man eigentlich eher ein berühmter Basketballspieler oder Wissenschaftler werden. Aber wir können ja reisen."

Erfolge in China - also länderübergreifend möglich, unter der Flagge Litauens.

Mehr Infos zum Film

Intervieww mit Maris Martinsons, Linda Krukle und Andrius Mamontovas bei "Vilnius now" (Alfa.lt, engl.)

"Loss" bei Wikipeda

TV-Interviews zum Film (litauisch)

Filmrezension (litauisch)

31 Juli 2008

Auf nach China - oder auch nicht?

Wie hält es Litauen mit den olympischen Spielen? Nun, Präsident Adamkus hat verlauten lassen, er werde nicht zur Eröffnungsfeier fahren. Ob das irgend etwas mit einer "Free-Tibet"-Sympathie zu tun hat, blieb offen.
Regierungschef Kirkilas dagegen reist mit Frau gleich eine ganze Woche an: vom 17. - 25.August weilen die beiden in Peking. Der Ma
nn ist Optimist: am 16.8., 18.8. wird die Basketball Vorrunde zu sehen sein, am 20.8. Basketball Viertelfinale, am 22.8. Halbfinale, am 24.August Finale. Dazwischen, am 19.August, noch das Finale im Diskuswerfen. Nur die Radrennen der Frauen werden schon zwischen dem 9. und 13.8. ausgetragen - auch hier waren gerade Litauerinnen oft schon mit vorne zu finden.

Auch Basketball-Sponsor DNB-Nord-Bank möchte mit litauischem Basketballerfolgen in Peking werben: pro Sieg der Krepsinis-Jung soll es 0,1% Zinserhöhung auf entsprechend vorher platzierte Einlagen geben. Schon 2007 habe das gut funktioniert: 29 Millionen Litas seien auf einem speziellen Basketball-Fonds angelegt worden, und das Team habe 12 Siege eingefahren, also 1,2% Zinsgewinn.

Bei der Eröffnungszeremonie wird Basketballstar Šarunas Jasikėvičius die litauische Fahne tragen - zur Teilnahme nominiert sind bisher 70 litauische Sportlerinnen und Sportler. "Möge die Liebe zu Litauen hell in unseren Herzen brennen!" schreibt Artūras Poviliūnas, Präsident des litauischen NOC, in der Olympiabroschüre. Und weiter, fast schon US-pathetisch: "i believe you can do it!" - Was "es" zu bedeuten hat, dürfte klar sein: auch Litauen möchte möglichst Medaillen erreichen.

Mehr dazu:
litauisches Olympiateam (PDF-Datei)

Olympiageschichte Litauens (PDF)

Litauisches olympisches Komittee

Olympischer Zeitplan

29 Juli 2008

Litauische Eisbären für Bremerhaven

Drei minus eins plus eins gleich drei - kompliziert, und doch so einfach: seit 2001 trainiert der Litauer Šarūnas Sakalauskas die Basketballmannschaft der Bremerhavener Eisbären. 2005/2006 wurde Sakalauskas sogar zum "Trainer des Jahres" in der deutschen Basketball-Bundesliga gewählt. Zuvor hatte der "Basketball-Doktor" die Bremerhavener Mannschaft aus der 2.Liga bis ins Halbfinale um die deutsche Meisterschaft geführt.
Und jedes Jahr fürchten die Bremerhaven
er, ihr litauischer Sportlehrer könnte auch noch zu höheren Ehren berufen werden: zum Beispiel für den Job des litauischen Nationaltrainers.

Für die neue Saison 2008/2009 wird es aber vorerst auf der Trainerbank nur eine Änderung geben:
für die Fitness wird künftig Kestutis Laurinskas zuständig sein, nachdem Vorgänger Vidmantas Slapokas zum litauischen Spitzenclub Lietuvos Rytas Vilnius wechselte; Assistenzcoach bleibt neben Sakalauskas weiterhin Algirdas Milonas. "Der 26 Jahre alte Absolvent der Medizinischen Universität in Kaunas (Fachgebiete Public Health und Rehabilitation/Kinesiotherapie) verfügt trotz seines jungen Alters über erstaunlich viel Erfahrung in seiner Heimat Litauen," so steht es auf der Homepage der Eisbären zu lesen, und weiter: "... so gehört er unter anderem zum medizinischen Betreuerstab für die Olympischen Spiele in Peking im kommenden August." Ein "halber" Bremerhavener Olympiateilnehmer also. Ein rein litauisches Spitzentrio. Und mit Arturas Valeika wurde auch wieder mal ein litauischer Spieler zu den Eisbären geholt (bisher: Zygimantas "Zygi" Jonušas). Glückliches Bremerhaven!

Homepage Eisbären Bremerhaven

Fanseite
Eisbären-Power e.V.

21 Juli 2008

Muss Litauen die USA beschützen?

Das alte und das neue Europa - die letzten Monate der Amtszeit des US-Präsidenten Bush hinterlassen noch die Spuren dieses einst so abschätzig gemeinten Spruches. Noch hinken die neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dem Wohlstandsniveau von Westeuropa weit hinterher - konsumieren aber soviel sie können, zur Not auch auf Pump. Da bieten sich andere Betätigungsfelder, wo man "ganz vorn" sein kann, und sich soweit interessanter machen kann, dass man Gegenstand einer internationalen Diskussion wird. Kurz gesagt: was nützen Litauen die gegenwärtigen Verhandlungen um die Stationierung eines US-amerikanischen Raketenabwehrsystems in Osteuropa?

Litauen bietet sich an
In manchen Medien taucht bereits das böse Wort von der "Agressionspolitik" auf - so im Schweizmagazin. Ob Litauen sich für den Fall bereit hält, dass Polen einer Stationierung der US-Raketen nicht zustimmt, darüber spekuliert die Öffentlichkeit bereits seit einiger Zeit, je nach politischer Sichtweise. Mittelbar könnte auch der Konflikt um eine mögliche NATO-Mitgliedschaft Georgiens der Hintergrund für vermehrte Aktivitäten sowohl von US-amerikanischer wie von russischer Seite sein - und Litauen steht dazwischen (als ausgewiesener Georgien-Unterstützer, so zum Beispiel als Mitbetreiber eines georgischen NATO-Informationszentrums).

Schon im Mai 2007 reagierten russische Duma-Abgeordnete sensibel auf Ankündigungen des litauischen Verteidigungsministers Juozas Olekas, er könne sich vorstellen, Elemente des US-Raketenabwehrsystems auch in Litauen aufzustellen (so zitiert es jedenfalls die russische RIA Novosti, auch Russland.ru). Bereits kurz darauf wurde gemeldet, dass Russland nun ebenfalls eine neue Interkontinentalrakete namens SS-24 bzw. SS-27 testen würde (russland.ru). Und ebenso aufmerksam wurde registriert, dass alle drei baltische Staaten demnächst von der US-Rüstungsfirma Lockheed mit neuen (konventionellen) Raketenabwehrsystemen ausgerüstet werden, um das gemeinsame Luftverteidigungssystem BALTNET zu stärken.

Die Entwicklung der vergangenen Monate fasste am 8.Februar 2008 ein Beitrag in der Neuen Züricher Zeitung zusammen: als "Antworten der NATO auf neue Gefahren" werden hier, bezug nehmend auf die litauische Sichtweise, auch Cyberattaken (wofür Estland als Beispiel genannt wird), aber auch Unterbrechungen der Energieversorgung genannt. Angesichts der als Willkür der russischen Seite empfundenen Unterbrechung der Rohölversorung für die Raffinerie Mažeikiai, der rasanten Verteurung anderer aus Russland gelieferter Energieträger (wie z.B. Gas), und der bevorstehenden Abschaltung des veralteten Atomkraftwerks in Ignalina sieht sich Litauen offenbar in die Enge getrieben - auch sicherheitspolitisch. Trotz schon lange bestehender Auflagen der EU will man nun über die Abschaltung des AKW Ignalina am 10.Oktober - parallel zu den Parlamentswahlen - ein Referendum abhalten. Und was die virtuelle Sicherheit angeht, so wurde es kürzlich dann auch noch auf litauischen Internetseiten ein wenig turbulent: auf hunderten von Seiten hatten Hacker sowjetische Symbole platziert.

Wer hilft wem?
Litauen sieht sich also in der Wahrung der eigenen Interessen bedroht, und bietet sich also auch als Standort für US-Raketenbasen an - rein propaganatechnisch geht aber Russland weiterhin voran. Die Schlagzeilen der staatlichen russischen Nachrichtenagentur reichen von "USA will Russland mit Raketenbasen einkreisen" bis "Polen manipuliert die USA". Unklar blieb dabei, in wieweit Polen und Litauen im Gespräch miteinander sind. Sucht nun die USA eine Alternative, um Polen zum Einverständnis zu bewegen, oder sucht Litauen eine Möglichkeit, stärkere Partner zu gewinnen für die Vertretung der eigenen Interessen in Europa?

Vielleicht würde man sich positivere Themen wünschen, um das litauische Image in Europa zu verbessern. Bald sind Olympische Spiele - da könnte es wieder mehr um Basketball oder Diskuswurf gehen. Aber vorerst schreiben Zeitungen wie die FAZ noch davon, dass die USA angeblich auf einen Abschluß der Gespräche um den "Raketenschild" noch vor Ende der Amtszeit von Präsident Bush dränge (18.6.08). Polen wolle US-Militärhilfe in möglichst großer Höhe heraushandeln (Reuters zufolge in Höhe von "Milliarden Dollar"). Aber was will Litauen? Da wird von russischer Seite (RIAN 26.6.08) auch schon mal behauptet, die angeblichen Gespräche Litauens mit den USA seinen nur eine polnische Erfindung zur Verbesserung der eigenen Verhandlungsposition. Russland dagegen denkt angeblich bereits über eine Verstärkung der eigenen Truppen im Gebiet Kaliningrad nach (Russland-Aktuell, 3.7.08). Nach Meinung des Schweizer Tagesanzeigers wiederum ist der Vertrag Polens mit der USA inzwischen abschlußreif, die ORF in Österreich meint dazu, Litauen schüre anti-russische Stimmungen, und die Junge Welt publiziert (am 12.7.) Gerüchte, ein Raketenstandort nahe Palanga sei bereits gefunden.

Wo soll das noch enden?
In Tschechien hat die Regierung inzwischen, im Gegensatz zu Polen, den US-amerikanischen Vorschlägen zugestimmt. Das dortige Parlament muss allerdings noch zustimmen - und manche hoffen nun auf Präsidentschaftskandidat Obama, der dieses Thema angeblich völlig anders angehen wolle. Bei Telepolis (heise.de) werden außerdem interessante Parallelen zwischen der Iran-Propaganda und der USA-Propaganda aufgezeigt, und in einem zweiten Beitrag wird zitiert, dass nur 36% der Polen die US-Raketenstationierung willkommen heißen würden (Telepolis 9.7.08). Umfragen in Litauen gibt es wohl noch keine. Derweil verkündet DIE WELT: "Auch Deutschland könnte vom Iran erpresst werden" (13.7.) und hält den Widerstand Russland gegen den geplanten Raktenschild für "irrational".

Da hilft es wohl auch wenig, auf all die Behauptungen hinzuweisen, die vor dem Irakkrieg so von denen in Umlauf gebracht wurden, die ein militärisches Einschreiten befürworteten. Blogger Ruslanas (ein Litauer), ein genauer Beobachter der Ereignisse in seinem Heimatland, beschreibt in seinem Blog Lituanica ebenfalls die polnisch-litauischen Irritationen. "Aber kein Rauch ohne Feuer", sagt auch er, und sorgt sich ebenfalls um die Sicherheitsinteressen von Litauen. Da liegt auch das Wort vom "Spiel mit dem Feuer" nicht mehr weit.

01 Juli 2008

Gefährliche Straßen

Nicht zum ersten Mal werden Statistiken bekannt, nach denen Litauen das Land mit den meisten Verkehrsunfällen in Europa ist. Warum? Ist das immer noch dem Umstand zuzuschreiben, dass Litauer mit Vorliebe PS-starke Westmarken kaufen, um sie dann rücksichtlos (und möglichst noch in angetrunkenem Zustand) über ihre staubigen Straßen zu jagen? Das kann ja wohl nicht sein. Oder doch? Der Europäische Verkehrssicherheitsrat (ETSC) gab dieser Tage eine Statistik für das Jahr 2007 heraus, der zufolge in Litauen die Zahl der Verkehrstoten immer noch ansteigt - trotz aller internationalen Bemühungen um die Verkehrssicherheit. Zitat: "Litauen hält in Europa den Negativrekord". Interessant nur, dass sich die Situation beim Nachbarn Lettland - bislang ebenso betroffen von hohen Unfallzahlen - langsam verbessert.

Kommentare von litauischer Seite finden sich bisher selten. Auf der Webseite der litauischen Gemeinschaft in Frankfurt/Main wird die Tatsache lediglich vermeldet. Imagefördernd kann es allerdings kaum sein, wenn deutsche Medien schon seit Jahren schreiben, in Litauen sei es am gefährlichsten, sich in den Straßenverkehr zu wagen (z.B. Spiegel online 10.10.2007). Dabei gilt in Litauen ein ziemlich strenges Alkoholverbot im Straßenverkehr (o,4 Promille), während in Lettland immerhin 0,5 Promille im Blut noch keine Strafen mit sich bringt. Doch wo fast nichts erlaubt ist, erregen dann krasse Übertretungen wiederum besonderes Aufsehen: mit über 7 Promille im Blut sollen bei einem litauischer LKW-Fahrer schon mal festgestellt worden sein, zitiert genüsslich der "JuraBlog".

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten - Ausgangsjahr ist hier 2001 - bis 2010 zu
halbieren. Den jetzt vorgelegten Zahlen für 2007 zufolge werden das in dieser Zeit aber voraussichtlich nur Frankreich, Portugal und Luxemburg erreichen. Dank einer seit 2001 langsam sinkenden Zahl von Verkehrstoten in Lettland wird das Erreichen dieses Zieles hier für 2015 prognostiziert (ebenso Deutschland).Die litauische Straßenbauverwaltung stellt diese Statistiken und Prognosen offenbar in einen ganz anderen Zusammenhang. Ganz nach dem Motto "Schuld waren unsere Vorgänger" werden hier die Unfallzahlen seit 1980 aufgelistet. Damit verglichen, wären die Unfallzahlen heute wieder etwa auf dem Stand von 1981 (6600 gegenüber 6329 damals), die Zahl der Toten im Straßenverkehr sogar kleiner (739 im Jahr 2007, 836 im Jahr 1980, mit einer Spitze von 1173 Toten im Jahr 1991 - da bekommt der Satz von der "road to independence" eine ganz neue Bedeutung ...).
Verletzte im Straßenverkehr gab es offenbar, diesen Zahlen zufolge, vor 25 Jahren weniger: 4673 waren es im Jahr 1980, 1991 ein Anstieg auf 6558, um im Jahr darauf wieder auf 4194 abzusinken, und heute bei 8234 Verletzten zu landen.
Verursacher von Verkehrsunfällen sind mit steigender Prozentzahl zu 75% die Autofahrer (14,9% Fußgänger, 6,9% Radfahrer).

Die Zahlen des Europäischen Verkehrssicherheitsrats ETSC hingegen beruhen weitgehend nur auf den Statistiken seit dem Jahr 1992. Im Zeitraum von 1992 bis 2006 seien im Straßenverkehr in Litauen insgesamt 10.000 Menschen getötet und etwa 60.000 verletzt worden, heißt es hier. Eine der häufigsten Unfallarten - neben überhöhter Geschwindigkeit (200 Tote hierdurch 2007), Alkohol am Steuer und Unachtsamkeit des Fahrers - seien immer noch Unfälle mit Fußgängern. Also: Augen auf besonders für diejenigen, die zu Fuß sich in Litauen bewegen! Die Zahl der Unfälle mit Radfahrern ging zuletzt leicht zurück (73 getötete Radler im Jahr 2007). Beim Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit gehen die Unfallzahlen auf den Autobahnen und Schnellstraßen zurück, während sie auf den Landstraßen steigen.

Vielleicht liegen die steigenden Unfallzahlen auch einfach in der wachsenden Anzahl von Autos auf litauischen Straßen begründet? Im Jahr 2000 waren in Litauen noch
1,28 Millionen Autos registriert (348 pro 1.000 Einwohner), 2007 ist die Zahl auf 1,97 Millionen angewachsen (585 Autos auf 1.000 Einwohner). (Quelle)

Im Laufe des Jahres 2003 reduzierte Litauen die erlaubte Geschwindigkeit innerhalb von Ortschaften von 60km/h auf 50km/h, was eine sofortige Reduzierung der schweren Unfälle um 12% für die restlichen Monate diesen Jahres und nochmals um 4% für 2004 mit sich brachte. In vielen Städten gibt es auch Zonen mit 40km/h Geschwindigkeitsbegrenzung, man überlegt zur Zeit eine Reduzierung auf 30km/h. Gemäß Aussagen der ETSC ist die gegenwärtig gültige Begrenzung auf 130 km/h auf Schnellstraßen noch zu hoch angesetzt - verglichen mit dem Straßenzustand.

Mut machen immer wieder die radelnden deutschen Touristen in Litauen. "Man kann ja auf einsame Nebenstraßen ausweichen", das ist immer noch der meistgelesene Rat für Furchtsame auf diversen Radler-Blogs und Infoseiten. Na denn: hoffen wir auf (zunehmend) einsichtige Autofahrer!

Weitere Infos:
Europäischer Verkehrssicherheitsrat (ETSC): Fact Sheet Lithuania (PDF-Datei, engl.)

Download der gesamten Studie zur Verkehrssicherheit in Europa 2008 (PDF-Datei)

Übersichtskarte der litauischen Straßenbauverwaltung zu besonders unfallträchtigen Stellen im litauischen Straßennetz

05 Juni 2008

Nicht bei der EM dabei - aber dennoch mit Aufsehen

Vielleicht ist der Name Valdas Ivanauskas das Einzige, was deutsche Fussballfans über Litauen wissen. Der frühere Profi beim Hamburger SV scheiterte kürzlich als Trainer in Jena. Für die Europameisterschaft in der Schweiz und Österreich konnte sich Litauen nicht qualifizieren - gab aber offenbar einen prima Trainingspartner für die Vorbereitungsphase anderer Mannschaften ab. Dass Litauen gegen Russland dabei 1:4 verlor (als Gastspiel im deutschen Burghausen), wird kaum soviel Ärger bereitet haben, als wenn es ein Basketballspiel gewesen wäre. Dass aber ausgerechnet im EU-Partnerland Prag beim Spiel gegen Tschechien sämtliche Zeremonien daneben gingen, wird vielleicht doch Überraschung verursacht haben.

Einem Bericht der Online-Ausgabe der "Prager Zeitung" ist es zu verdanken, dass auch deutschsprachigen Interessierten Details bekannt wurden.
Zitat:
Eine Stunde vor Spielbeginn musste die Verteilung des offiziellen Programmheftes gestoppt werden, weil darin nicht die litauische, sondern die lettische Flagge und ein Foto der lettischen Auswahl abgebildet sowie Riga als Hauptstadt Litauens genannt wurde. Vor dem Anpfiff im Stadion Eden hatten die Verantwortlichen zudem die lettische Hymne abgespielt.

Wird uns Deutsche das nun beruhigen? Fällt es uns doch immer noch schwer, die drei Staaten auseinanderzuhalten, von denen es heißt sie seien entweder "baltisch" oder gar ein einziges "Baltikum"...
Fazit: ein bischen Länderkenntnis kann nicht schaden. Besuchen Sie Litauen!

Webseite des litauischen Fußballverbands (lit.)

01 Juni 2008

Wege nach Litauen

Umfangreiche Hinweise zum Arbeiten in Litauen gibt es inzwischen auch ... bei ihrem deutschen Arbeitsamt (pardon: Arbeitsagentur). Unter dem Motto "Wege ins Ausland" gibt es Tipps zum Umzugs ins niedrige Lohnniveau. Vor allem "Verkäufer, Busfahrer, Köche, Bauarbeiter" seien gefragt, so die deutschen Berater. "Gut dotiert" seien allerdings nur diejenigen Fachkräfte, die von ihren Firmen nach Litauen entsandt würden.

Aber auch die deutsche Arbeitsagentur weiß, dass in Litauen selbst die einheimischen Arbeitskräfte und Facharbeiter vielfach in andere EU-Länder auswandern (Details über die Gründe werden uns erspart). Der Sozialhilfesatz in Litauen betrage 50 Euro monatlich, weiß auch die deutsche Arbeitsagentur. Wer das Abenteuer trotzdem wagt, kann ja als Deutscher einfach mit dem Personalausweis einreisen, und muss bei Kontrollen nur beachten, nicht zweimal innerhalb von 90 Tagen erwischt zu werden (denn offiziell gilt eine Aufenthaltshöchstdauer von 90 Tagen). Und wer dann in Litauen tatsächlich Arbeit findet: der litauische Arbeitgeber informiert die zuständigen Behörden, und schon kommt die Aufenthaltsgenehmigung (so könnten man es aus den Infos herauslesen). Ungleiche Behandlung? Für Litauer bleibt der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt weiterhin fest verschlossen.

Für Deutsche, die in Litauen arbeiten wollen, gibt es sogar Jobsuchmöglichkeiten im Internet. Zunächst die Jobbörse der Arbeitsagentur selbst. Der Test der beschriebenen Vorgehensweise führte allerdings nicht zum Ziel: wer "Litauen" als bevorzugten Arbeitsort angibt, kann bei der Jobbörse kaum verhindern, dass auch Angebote in anderen Ländern angezeigt werden (Holland, Schweiz, Österreich, Dänemark). Angebote in Litauen: Fehlanzeige.
Zweite Möglichkeit: das Eures-Portal. Zwar kann hier nur nach einzelnen Berufszweigen gesucht werden, aber dafür umso erfolgreicher. Für die "mittleren Fachkräfte" werden hier über 40 Angebote ausgewiesen - Litauisch-Kenntnisse allerdings vorausgesetzt, um diese einordnen und nutzen zu können. Auch Angebote für Verkäufern, Mechaniker , Physiker und Ingenieure finden sich hier. Auffällig auch, wie viele Lehrkräfte gesucht werden (für ein Gehalt von 430 Euro monatlich, Litauisch sprechend natürlich).
Für Wissenschaftler und für die Forschung gibt es noch "Eracareers": hier läuft die Suche komplett in Englisch, und einzelne Angebote werden auch für Litauen ausgewiesen - zum Beispiel in der Nukleartechnologie (sic!).

Auf den Webseiten der litauischen Arbeitsvermittlung (Lietuvos Darbo Birža) finden sich die aktuellen Statistiken zur Entwicklung des Arbeitsmarktes. Die Arbeitslosigkeit liegt landesweit durchschnittlich bei 4,7% (April 2008); in Druskininkai mit 9,4% am höchsten, und in
Elektrėnai und Neringa mit 1,7% im niedrigsten. Als besorgniserregend wird der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit bezeichnet.

Und schließlich: interessant sind noch die Angaben zur Höhe des Kindergeldes in Litauen. Bei Geburt eines Kindes gibt es 310 Euro vom Staat. Und danach? (Zitat Arbeitsagentur): "
Danach gibt es ein monatliches Kindergeld. Familien mit einem oder zwei Kindern bekommen für jedes Kind bis zum dritten Geburtstag etwa 28 € und danach bis zum neunten Geburtstag 15 € Kindergeld. Für Familien mit mehr Kindern gibt es für jedes Kind bis zum dritten Geburtstag 41 € und danach bis zum 18. Geburtstag 15 €. Arbeitnehmerinnen haben vor dem Entbindungstermin 70 Kalendertage Mutterschaftsurlaub, danach 56 Kalendertage. In dieser Zeit wird ihr volles Gehalt vom staatlichen Sozialversicherungsfonds weitergezahlt. Allerdings müssen sie in den vorangegangenen zwölf Monaten mindestens drei Monate oder in den 24 Monaten zuvor insgesamt sechs Monate versichert gewesen sein."

Infodatei der Arbeitsagentur (PDF-Datei) "Arbeiten in Litauen"