06 März 2010

Litauisch Frühstücken, Osteuropa in den Genen

Litauens Mittel gegen die Kälte
Nicht selten ist über Litauen in der deutschsprachigen Presse Seltsames zu lesen. Auch die Essgewohnheiten der Engländer sind oft eher Gegenstand mitleidigen Lächelns.
Aber ein litauisches Frühstück als Mittel gegen die Kälte? Das meinte zumindest ein deutschsprachiges Presseportal in dieser Woche (PR Presse). Grund: Da in Litauen das Frühstück "gekocht" würde, sei es besser geeignet zum Überstehen kalter Wintertage (im Gegensatz zu Müsli mit "kalter" Milch, oder Brot und Brötchen).
Also: von Litauen lernen, heißt offenbar das Frieren vergessen. Solange man noch eine warme Mahlzeit am Tag hat.

Osteuropa in den Genen
Da war der "Vorwärts", das Parteiblatt der deutschen SPD, mal schnell. Noch bevor der von den deutschen Öffentlich-Rechtlichen eingekaufte Stefan Raab seine Nachwuchs-Sternchen durch alle Achtel-, Viertel- und Halbfinals gebracht hat, entdeckt das "als Zentralorgan gegründete Blatt" (so die Selbstdarstellung) im Vorwärts-Blog "modernes Musiktheater mit politischem Anspruch". Wo? Beim litauischen Sieger der Vorentscheidung "ein Lied für Oslo" (also der Eurovision). Wer möchte, kann es auf Youtube selbst nachempfinden: ist das nun "Klamauk mit Plastikinstrumenten", oder "ein Touch von politischem Straßentheater" (wie der Autor des Vorwärts-Blogs, Martin Schmidtner, meint).
Dankbar können wir Schmidtner sein, der uns schon mal einige Zeilen dieses Songs ins Deutsche übersetzt liefert:
Ihr solltet uns eine Chance geben, wir sind doch Opfer der Verhältnisse,
haben die Roten und zwei Weltkriege überlebt.
Ja, Sir, wir sind legal, auch wenn wir nicht ganz so legal wie Sie sind.
Nein, Sir, gleich sind wir nicht, auch wenn wir beide aus der EU sind,
wir bauen Ihre Häuser und waschen Ihr Geschirr,
halten Sie Ihre Hände ruhig weich und sauber,
aber eines Tages werden Sie erkennen, dass Osteuropa in Ihren Genen ist.
Steh auf und tanze mit mir……


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15 Februar 2010

Kinder, Kuchen und Bier: was Litauen-Blogs berichten

Waren Sie schon mal in Litauen? Im Urlaub, oder sogar für länger? Vielleicht ein Berufspraktikum, ein Studienjahr, ein Arbeitsaufenthalt, oder als freiwilliger Helfer in einem sozialen Projekt? 
Gut, dass es das Internet gibt. Auf der Suche nach persönlichen Erfahrungen und Berichten aus Litauen muss zumindest virtuell nicht lange gesucht werden. 

Von Trolleybussen, fettem Essen, und Männern in Jogginghosen
Da wäre zum Bespiel Lilli. Beschwerden hat sie wenige, aber wenn sie keine Fotos ins Netz stellt von ihren Aufenthalt in Kaunas, dann bekommt sie welche - schreibt sie zumindest. Das Ergebnis liest sich sehr anschaulich für alle, die auch einmal an Eindrücken aus dem litauischen Alltag interessiert sind. 9 Monate war die Österreicherin Lilli als freiwillige Mitarbeiterin in einem Kinderheim in Litauen: Trolleybus-Fahren lernen, Abenteur beim litauischen Friseur, und Essen "4mal so fett wie daheim". Sich nicht öffentlich zu schneuzen scheint in Litauen "out" zu sein,  Karaoke-singen dagegen um so populärer. Jungs laufen in Kaunas nur in Jogginghosen rum, die Madels alle ziemlich "aufgetusst" - aber beim KaunasJazz" kann man wunderbar abchillen. Die spontane Entscheidung, nach Litauen ("mein Litauen") zu gehen, hat Lilli jedenfalls nicht bereut.

Ständige Dröhnung
Männererlebnisse in Litauen sind da offenbar ganz anders. Schon nach wenigen Zeilen ist "Zulu", der ansonsten wenig Privates von sich preisgibt, "total voll" und macht sich lustig darüber, dass Litauer diesen Zustand offenbar ausnutzen und ihn um ein paar Litas anpumpen. "Ein Euro, scheißegal, ich lach' mich tot". Offenbar ist es also in Litauen lustig ("alles ist hier billiger außer Shampoo, Haargel"). Besoffene Litauer beobachten, diese mit dem Handy filmen und auslachen. Offenbar eine echt deutsche Freizeitbeschäftigung und der Beweis, dass nicht jeder Blog lustig zu lesen ist. "Zulu" kann hier nur ärgern, dass die Litauer immer im Basketball gewinnen. Was fehlt hier wohl dazu, für einen "geiler Typ" gehalten zu werden? Andere nennen sowas wohl eher ein "verwöhntes Muttersöhnchen", dem kein Essen schmeckt außer dem, wo er zeigen kann was er mit seinem mehr an Taschengeld sich alles leisten kann ("Bigmac Pommes Coke, also ein normales Menu").
Und es heisst ja immer, solche schönen Geschichten würden ja auch zukünftige Arbeitgeber lesen? Bei manchen Zitaten hier kommt mir der Wunsch auf, dass sie das wirklich tun (z.B. "alle in diesem bus scheinen deutsch zu sprechen außer monsieur busfahrer. der würde in deutschland höchstens als säufer durchkommen"). Kaum zu glauben, dass hier ein Student schreibt.

Viele Handys - und Laubharken als Volkssport
Wesentlich leichter lesbar, ansprechender aufgemacht ist da der Blog von Julia (Julibö), die  im Rahmen des Freiwilligendiensts in einem Kinderbetreuungszentrum in Elektrenai ("Elektro-City") mitarbeitet.
Ob deutsch-türkische Filme mit litauischen Untertiteln, Supermarktshoppen auch am Wochenende, oder litauischen Jugendliche die mehrere Handys besitzen - hier ist die eigene Haltung zum Geschehen klar nachvollziehbar, und wer etwas über Litauen erfahren möchte, wird nicht mit selbstsüchtigem Gesülze belästigt. Was ist neu in Litauen? Vielleicht Laubharken als Volkssport, Rollschuh-Clubs, Black-Taxis als Konkurrenz für Busse, oder der "Ballermann von Litauen"?  Da verlieren "Plattenbauten" ihren Schrecken, und "Maxima" wird zum "besten Freund" - aber Versuche, Kümmel aus dem litauischen Brot zu verbannen, bleiben allerdings nur vorübergehend erfolgreich.

Auch Katja arbeitet in Litauen mit Kindern, auch sie schreibt ausführlich darüber in ihrem Blog. Aber vor allem ist Katja auch eine "Kollegin" von Julia, und wer zuerst den einen Blog gelesen hat, kann danach ähnliche Dinge aus einer zweiten Perspektive kennenlernen.


Ich bin freiwillig hier ...
Eine etwas andere Perspektive bietet Uli (Uli Rohde),die offenbar teilweise in Deutschland (Hamburg) und teilweise in Litauen (Kaunas) lebt und seit 2007 von ihren Erfahrungen schreibt. Ausgangspunkt ist hier ein Auslandssemester (Studium). Uli genießt das Leben in Litauen bei Degtine, Theater, Gesang und Kepta Duona, und wer ihre Notizen liest, kann auch ein paar Schilderungen bzw. Erläuterungen dazu finden. Interessant zu lesen außerdem die kleine Distanzierung: "ich bin freiwillig hier, und habe nicht wie andere nur woanders keinen Platz mehr bekommen."
"Man gera cia (mir geht es gut hier)", schreibt Uli, "Hier ist fast alles schön und es gibt sogar Kuchen (siehe Photo) der einen anlacht, ganz im Gegensatz zu den Litauern auf der Straße." Es finden sich auch herrlich formulierte atmosphärische Eindrücke wie zum Beispiel diesen hier: "Bei dem ganzen Nippes, den die Litauer so auf ihren Schränken stehen haben, könnte man auch meinen, man sei auf einer Bad-Taste-Party eingeladen. Ach und die Litauer sind einfach herrlich unkompliziert. In der Küche standen große Plastikschüsseln, in denen man eben noch die Füße gebadet oder den Pansen für die Hunde gewaschen hat, um nun die Salatunmengen darin zu verarbeiten. Da läuft einem das Wasser doch im Munde zusammen."
Und Uli scheut sich auch nicht, mal ein paar Sätze aus der Sicht einer Frau loszulassen: "Aber schon krass diese Rollenverteilung hier in Litauen; die sind echt konservativ und ich habe es beinahe schon aufgegeben hier noch irgendetwas ändern zu können. Lieber fahre ich nach hause und erziehe meinen eigenen Mann. Das ist einfacher, als die Litauer zu bändigen." Obendrauf noch eine nette Sprachübung für Litauisch-Kundige, ebenfalls eine Fundsache aus Ulis Blog: ""Jei ne grybai ir ne uogas, dzuku mergos butu nuogas..." (kleiner Tipp noch nebenbei: Uli bietet in Hamburg an, privat Litauisch-Unterricht zu geben)

Aus litauischer Sicht
Erstaunlicherweise machen sich teilweise auch Litauerinnen die Mühe, auf Deutsch etwas von ihrem Land zu erzählen. Das ist mutig, denn die Gefahr besteht natürlich dass sich andere über nicht ganz 100%ige Deutschkenntnisse amüsieren. Agne bemüht sich vor allem, einige typische Kennzeichen ihres Landes vorzustellen: Basketball, die Hauptstadt Vilnius, Klaipeda, und die wichtigsten Tatsachen über Litauen. Ausbaufähig!

Etwas anders liest es sich schon, wenn (Deutsch-)Schüler/innen in Litauen aufgefordert werden, etwas über ihr Heimatland zu schreiben. "Fachbegleitender Deutschunterricht" nennt sich das denn, und hier ist es offenbar die (litauische) Deutschlehrerin, die Beiträge ihrer Schüler/innen in den Blog stellt. Da mag es helfen, wenn gleich mal ein Lebenslauf mit reingestellt wird - aber echte Meinungsäusserungen der eigentlichen Autor/innen sind dermaßen "beaufsichtigt" dann wohl eher nicht zu finden. Hier finden sich lediglich Aussagen wie "Mein Praktikum hat mir insgesamt sehr gut gefallen. Es war sehr interessant," oder "Litauer sind freudliche Menschen". Na ja, die Frau Lehrerin wird's zufrieden sein.
Nachwuchsprobleme beim Blogschreiben über Litauen gibt es offenbar keine: gleich mehrere bereits eröffnete Blogs kündigen kurz bevorstehende Litauen-Aufenthalte an. Judith (Judyweiny), die - wie sie selbst schreibt - "ihre Lebensreise im Alter von 15 Jahren Jesus übergab", betreut als Coach die baltischen Staaten bei der Deutschen Missionsgemeinschaft (DMG), dies schließt auch gelegentliche Aufenthalte in Litauen ein.
Wie es sich anfühlt, kurz vor Start eines längeren Litauen-Aufenthalts, beschreibt Jonas, der seine Beiträge beim "Jugendnetz International" einstellt und auch schon aus England Beiträge geschrieben hat: "Ein Jahr Spaß haben, mitnehmen was geht, außer Aids und andere Dinge."

Die Blogs zum Nachlesen: 
Lilli
KatjaJulia - Zulu
Uli in Litauen   -  Agne's Blog "Gelb-grün-rot"
"Deutschlernende über Litauen"
Judyweiny - Jonas

23 Januar 2010

Zeit zum Aufräumen

Eigentlich ist es ja kein Wunder, dass viele Regierungen zu Zeiten von Wirtschaftskrise in Schwierigkeiten kommen - besonders die von kleineren Ländern. Nun kann man sich beim Blick auf die Lage in Litauen darüber streiten, ob das, was sich da im Moment tut, mehr positive oder eher negative Vorzeichen bedeuten. 

1.Variante: die Präsidentin räumt auf
Manche sehen in Dalia Grybauskaite, der seit einigen Monaten neu im Amt befindlichen Präsidentin Litauens, eine Unterstützung für einen etwas "russlandfreundlicheren" aussenpolitischen Kurs. Ein Anzeichen dafür könnte sein, dass die staatliche russische Nachrichtenagentur RIAN sich bemüht, präsidiale Neuigkeiten immer sehr schnell berichtet. Aber auch Hannes Gamillscheg schätzt es für "Die Presse" nur einen Tag später ähnlich ein. "Grybauskaite tritt für eine vorsichtigere Linie gegenüber Moskau und dem schwierigen Nachbarn Weißrussland ein."
Aber das allein kann ja kein Rücktrittsgrund sein. Wer einem amtierenden Minister vorwirft, die Außenpolitik "als Geisel für seine persönliche Profilierung" zu benutzen", da muss schon mehr passiert sein, auch im Umgangston. Die Präsidentin hat laut litauischer Verfassung zudem noch eine relativ starke Stellung, und vor allem auch mehr Einfluß auf die Außenpolitik als zum Beispiel der deutsche Amtkollege, oder auch die baltischen Nachbarn.

2.Folgen US-amerikanischer Verpflichtungen?
Auffälliger noch sind die Schlagzeilen, der Rücktritt von Außenminister Usackas hänge mit der komplizierten Diskussion um die Geheim-Gefängnisse des US-amerikanischen CIA zusammen. Litauische Untersuchungsausschüsse tagen wochenlang, und manch litauischer Politiker wird vielleicht eher mit der Haltung da reingehen, lieber nichts Belastendes für die litauische Seite finden zu wollen. Ex-Minister Ušackas die Position zugeschrieben, dass es diese CIA-Gefängnisse zwar gegeben habe, aber deren tatsächliche Nutzung ja nicht bewiesen sei. Als ob die bloße Existenz einer solchen Vergehensweise - also die Zusammenarbeit bestimmter Geheimdienstkreise zur Einrichtung von Foltergefängnissen, an der Politik vorbei - nicht schon Skandal genug wären. Auch gibt es daran, dass US-Flugzeuge mit Gefangenen an Bord in Litauen gelandet sind, keine Zweifel mehr. Bleibt nur noch zu spekulieren, was Litauen den amerikanischen Bündnispartnern zugesagt hat, um uneingeschränkte Unterstützung für einen schnellen NATO-Betritt zu bekommen. Allein die Möglichkeit der Spekulation darüber kann Litauen kaum dienlich sein.

3. Oder doch Anzeigen einer Regierungskrise?
Aber kaum sind ein paar Tage vergangen, hat die internationale Presse schon wieder Futter aus Litauen."Vize-Minister Skikas in U-Haft", schreibt der "Standard" aus Österreich. Was ist da wieder passiert? Von "Annahme von Bestechungsgeldern" ist die Rede, und schon ist auch Präsidentin Grybauskaite wieder zu vernehmen, die auch von Gesundheitsminister Juozas Galdikas Konsequenzen fordert.
Die betroffenen Minister sehen offenbar zumindest gegenüber dem Ausland wenig Erklärungsbedarf. Auf der englischsprachigen Seite des litauischen Aussenministeriums steht lediglich zu lesen: "Am 21.Januar überreichte Litauens Aussenminister Vygaudas Ušackas dem Ministerpräsidenten Andrius Kubilius sein Rücktrittsschreiben." In der litauischen Fassung ist viel von "Ehre und Freude" die Rede, für das "ausgezeichnete Team" von Regierungschef Kubilius gearbeitet zu haben, verbunden mit einem Dank an seine eigenen Mitarbeiter/innen und seine Familie.
Welche Zeichen für Litauens Zukunft jetzt gesetzt werden, und wo persönliche Ambitionen oder interne Anfeindungen vorherrschend werden, ist eher schwer zu beurteilen.

10 Januar 2010

Licht aus in Litauen

Irgendwie hatte ich das anders in Erinnerung. Als es Ende der 80er Anfang der 90er Jahre erstmals von Deutschland aus unkomplizerter wurde, nach Litauen zu reisen, und die Gastgeber dort auch keine durch geheime Staatspolizei überwachten erzwungenen Programmabläufe zu beachten hatten. Da wurde mir - neben der Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit - vor allem von den Wahnsinnsplanungen einer riesigen Atomanlage erzählt: aus vier Blöcken sollte sie einmal bestehen, Typ Tschernobyl (viele hatten noch die toten Arbeiter in Erinnerung, die auch aus Litauen zwangsweise zur Räumung der Unglücksstelle 1986 eingesetzt wurden). Vom "größten Atomkraftwerk der Welt" war die Rede.

Größenwahnsinnige Planungen - zurecht kritisiert
Die Proteste der Litauerinnen und Litauer wurden immer zahlreicher. Auch damals waren es unsichere Zeiten. Nein, eine größenwahnsinnige Zentralplanung mit eingebauter Umweltzerstörung wollte man nicht haben - ähnlich wie die Nachbarn in Estland und Lettland. Gerufen wurde nach Aufmerksamkeit der (westeuropäischen) Öffentlichkeit - und diese produzierte schon sehr bald entsprechende Schlagzeilen. "Alptraum Ignalina" - so wie diese Schlagzeile der TAZ vom 19.2.1993 sahen es nicht alle, denn es gab auch westeuropäische Atomfirmen, die schlicht auf eine "Übernahme" der litauischen Anlage hofften, um dann selbst auf einfache Art und Weise Gewinne machen zu können. Milliarden zur Nachbesserung an den Sicherheitsmängeln gab es vor allem von Seiten Schwedens und der EU (also alles staatliche Hilfen). Vor allem Notkühlsystem, Brandschutz, und die unzureichende Ummantelung mussten damals bemängelt werden, ja es wurden sogar Risse in den Brennelementekammern entdeckt. Schweißnähte waren fehlerhaft, zudem weigerten sich die zuständigen litauischen Behörden lange standhaft, den international üblichen Haftungsschutz für den Fall von Schäden oder Unfällen zu übernehmen. Die vor Ort tätigen schwedische Experten wurden damals mit den Worten zitiert: "so ein Reaktor dürfte in Schweden keine Stunde weiterlaufen" (TAZ 11.10.93). Und zu allem Überfluß gab es zwischendurch an der litauischen Atomruine auch noch gelegentlich Bombendrohungen.

Entwicklungshindernis AKW
Auch die litauische Tourismusindustrie wusste von den Gefahren. Öffentlich wagte kaum jemand zu sagen, warum in den 90er Jahren der Zustrom von naturbegeisterten Touristen (auch aus Deutschland) im östlichen Litauen noch zu wünschen übrig ließ. Ignalina, der Name unter dem das AKW als eines der gefährlichsten der Welt bekannt wurde, war in der Bezeichnung zudem keinesfalls identisch mit der Umgebung der gleichnamigen Stadt Ignalina - Visaginas ist der Name der tatsächlich in der Nähe liegenden Städtchens, gegründet erst 1975 speziell wegen dem Reaktorbauvorhaben). 
Die ganze Region wurde von Touristen gemieden - so auch der naheliegende Nationalpark Aukštaicija, der auch heute noch, im Gegensatz zu der in deutschen Medien üblichen Hochpreisung der Kurischen Nehrung, selbst für Ökotouristen ein Geheimtipp geblieben zu sein scheint. 

Selbst eine ansonsten umfassende Darstellung zur Geschichte der mühsam gesicherten litauischen Atomanlage, der bei  Wikipedia zu finden ist, verzichtet darauf, nach 1994 die Vielzahl der teuren Sicherungsmaßnahmen und Nachrüstungen noch aufzuzählen. Das Versprechen war, dass es bis 2005, dem damals vorgesehenen Abschaltdatum beider Blöcke, keine größeren Unfälle drohen. - Der Rest ist eine Geschichte verzögerter Konsequenzen. Diese Hinhalte-Taktik hätte beinahe noch Litauens Beitritt zur EU in Gefahr gebracht. Und zwischen 2005 und 2009, der "zusätzlich gewonnenen Zeit" durch das Zugeständnis, einen Block noch bis Ende diesen Jahrzehnts laufen lassen zu dürfen, ist keine Geschichte litauischer energiepolitischen Heldentaten. Vielleicht war die Verlockung zu groß, doch noch - an den politischen Entscheidungen vorbei - mit einem der großen Atomkonzerne einen großen Deal abschließen zu können? Denn wo einzelne groß verdienen können, ist die Einsicht ins gesellschafts- und umweltpolitisch Notwendige schnell vergessen. Wer sich vorher zu 80% abhängig macht von nur einer Form der Energieerzeugung, muss sich wegen der Phantomschmerzen nachher nicht wundern. 


Litauen endlich atomfrei? 
Lange war Litauen nicht mehr in den Schlagzeilen. Eigentlich seit 2004 nicht mehr so richtig - die Finanzkatastrophen mal ausgenommen. Aber zu Beginn des Jahres 2010 tun nun die deutschsprachigen Medien ganz überrascht: "Einziges Atomkraftwerk im Baltikum schließt" (Stromsparer), "Litauen nimmt Kernkraftwerk vom Netz" (Die Welt), "Uralt-Reaktor stillgelegt" (Schweizer Fernsehen), "Litauen muss zu Jahresende sein KKW schließen" (Euronews), "ein Atomkraftwerk wird abgerissen" (Morgenpost). Manche haben auch schon die Zukunft im Blick, entweder mit Blick auf das Unvermeidliche der Entwicklung in Litauen, oder mit einer frechen Spekulation auf neue Atom-Liebhaber als "Genosse Trend". 

Während Dennis Buchmann in der WELT davon schreibt, dass "Rückbau von Atomanlagen Zukunft hat" (inklusive Arbeitsplatzchancen), Gary Peach für AP Überlegungen anstellt zu den Marktchancen Russlands in der Atomenergie (dazu passt die ausführliche Darstellung der russischen RIA Novosti über die Abbaukosten Litauens), sehen Hannes Gamillscheg (in DIE PRESSE) und Mike Collier (DPA) Litauen schon in einem "Energieloch". Auch das "Neue Deutschland" sieht wohl in erster Linie mit Blick auf die mächtige russiche Energielobby "unsichere Alternativen" für Litauen. Einzig Malte Kreutzfeldt (TAZ) stöberte wohl ein wenig in alten Archiven und kommt in seinem Kommentar konsequent zur Ansicht, bezogen auf die ambitionierten Klimaschutzziele der EU-Staaten, sei diese "Abschaltung eines Schrottreaktors" auch lediglich erst "ein halber Erfolg für Europa". 

Interessant sind in diesen Tagen auch die Reaktionen, die den baltischen Nachbarländern zugeschrieben werden. Schließlich wird schon seit längerer Zeit bei allen Treffen baltischer Spiztenpolitiker nahezu gebetsmühlenartig wiederholt: wir bauen ein neues Atomkraftwerk. Passiert ist bislang: gar nichts. Im Gegenteil, die Geldsorgen sind eher noch größer geworden. Da kann auch der "vierte Teilhaber" Polen nicht helfen.

Nun wird besonders die Rolle Estlands bei dieser Atom-Scharade in den deutschen Medien thematisiert: von "Estland möchte Elektrizität im Wert von mehreren Millionen EEK an Litauen verkaufen" (BalticBusinessNews) bis hin zu "Estland baut Bau eines eigenen AKW" (Ostpreußenblatt). 

Wie man sieht, ist die Spannbreite zwischen ungesicherten Behauptungen, wilden Spekulationen, romatischen Träumen, nationalen Alleingängen, interkulturellen Missverständnissen und übertriebenen Gewinnerwartungen immer noch sehr weit. So gesehen, könnten die Geschichten (wahr oder unwahr) rund um Litauens atomare Zukunft ruhig noch eine Weile so weitergehen. Vielleicht als Schulung für demokratische Mitbestimmung der Litauer selber - denn Entlarvungen von Illussionen sind ja gerade populär, sowohl was den schnellen Aufschwung durch bloße Einführung des Kapitalismus angeht, wie auch dem Schönreden der eigenen Politiker/innen. 
Oder möchte vielleicht demnächst jemand behaupten, Litauen würde aus Dank für die US-Unterstützung beim NATO-Beitritt nicht nur ein CIA-Geheimgefängnis dulden, sondern auch noch gerne weiter Atomklo Nordosteuropas sein?


30 Dezember 2009

Litauisches 2009 - kulturell


War 2009 ein litauisches Jahr? Viele Menschen in Litauen lässt es eher ernüchtert zurück. Nicht nur wegen zerplatzender Illusionen, die gerade frisch ins Amt gekommene konservative Regierung würde ein besseres und für die Litauerinnen und Litauer erträglicheres Krisenmanagement auf Lager haben als ihre Vorgängerregierung. Zwar steht Litauens Image international nicht so stark angekratzt da wie das Nachbarland Lettland - von Staatsbankrott kann noch keine Rede sein. Aber wenn immer mehr Menschen im eigenen Land keine Zukunft mehr sehen, keine Chance sehen sich etwas aufzubauen (und auf Arbeitssuche in ganz Europa ausschwärmen), dann ist auch das Selbstverständnis und das Selbstbewußtsein Litauens betroffen. Gleichzeitig wird keine Litauerin oder kein Litauer, der (vorübergehend?) im Ausland lebt, vom Stolz auf sein / ihr "Litauisch-Sein" so ohne weiteres Abstand nehmen - aber zunehmend wird das Bedürfnis artikuliert, das eigene Land müsse nicht den Rückblick auf wichtige Phasen der Geschichte betonen, sondern auch etwas für die Zukunft entwickeln.

Krise mit Feuerwerk
Vor allem die Auswirkungen der Wirtschaftskrise trafen Litauen hart. Zumindest hatten sich die Verantwortlichen das Projekts "Vilnius - Kulturhauptstadt Europas 2009", die am 28.November 2008 in der litauischen Botschaft in Vilnius ihre Planungen und Projekte vorstellten, vielleicht ein positiver verlaufendes Kulturjahr gewünscht. "Vilnius soll wichtiger als Basketball werden", so wurde der Schauspieler Marijus Jampolskis in der oberösterreichischen Presse zitiert. - Nun gut, von großen internationalen Basketball-Erfolgen Litauens war 2009 auch nicht viel zu hören.

"Wer einmal in Vilnius war, schwärmt von der Schönheit dieser baltischen Stadt und der Sorgfalt und Liebenswürdigkeit ihrer Bewohner," solche Stimmungen - obwohl bei jedem Litauen-Besuch jederzeit leicht nachzuvollziehen - fanden sich in der deutschsprachigen Presse bezüglich Vilnius eher in den Vorberichten (in diesem Fall ein Zitat aus dem Schweizer Tagblatt vom 9.10.2007 - die gleiche Zeitung berichtete 2009 über die Kulturhauptstadt Vilnius übrigens nur ein mal: am 1.Januar). 

Vorfreude und Nachwehen
Aber es gab auch bei den Vorberichten schon nicht ausschließlich Begeisterung. Allerdings mahnen diejenigen, die Holocaust und Judenmord zurecht anprangern und etwas Ähnliches in der Zukunft verhindern wollen (inklusive latent vorhandenem Antisemitismus), auch völlig unabhängig vom Projekt Kulturhauptstadt - die litauische Seite hätte sich also sowieso mit diesem Thema auseinandersetzen müssen, und wahrscheinlich wären auch die einen mit dem Ergebnis zufrieden gewesen sein, die anderen eher nicht. In Vorberichten aber schon Vilnius die Berechtigung zur Kulturhauptstadt absprechen zu wollen (wie zum Beispiel Andrew Baker in DIE WELT vom 6.7.2008), erscheint da doch eher als willkommene Chance zum Beleuchten der eigenen Sache im aufkommenden Lichte der Kulturhauptstadt. (das es auch anders geht, siehe das Gespräch von Cornelius Hell mit Irena Versaite beim ORF, zum Thema Antisemitismus in Litauen, oder auch Matthias Kolb im Deutschlandradio)

Licht - ein gutes Stichwort für den Start ins Kulturhauptstadtsjahr 2009. Im weltweiten Netz diskutierten einige noch lange über die technischen Einzelheiten von Gerd Hof's spektakulären Lichtevent rund um die Kathedrale von Vilnius. Ob es nun Halogen-Metalldampflampen HMI 2500W waren, oder doch Xenon-Kurzbogenlampen XBO 7000W- jedenfalls wurde der Name des offensichtlichen Sponsors häufig genug genannt.

Selbst ausgewiesene Sozialisten (und damit potentielle Sowjet-Romantiker) mochten beim Start des Kulturhauptstadtjahres nicht abseits stehen; "der baltische Tiger springt nach Europa" schrieb am 2.Januar das "Neue Deutschland". Aber wer den "Tiger" lobt, schürt ja vielleicht auch gleichzeitig dessen Gedanken an den anderen Spruch, in dem von einem "Bettvorleger" die Rede ist. So mancher hat es beim Anblick von im Himmel verglühenden Sylvesterraketen und der bunt bestrahlten Kathedrale in Vilnius vielleicht schon geahnt: dieser leuchtende Höhepunkt kam vielleicht zu früh, um nachhaltig Wirkung zu erzielen.

Aller Anfang ist schön
Rund um den vergangenen Jahreswechsel waren die Kulturhauptstadt-Schlagzeilen am positivsten: "Auftakt zum Kulturmarathon" (news.de), "eine Tausendjährige tief im Osten" (Sächsische Zeitung), "vom Rand ins Zentrum Europas" (der Standard), "baltische Perle, blank poliert" (Die Presse) oder gar "verliebt in Vilnius" (Münstersche Zeitung).

Was danach kam, war eher so etwas wie "feiern trotz Krise". Von einer "Sparversion" war dann zu lesen, wenn die Rede auf Vilnius kam. Schon im November 2008 waren in der "Kleinen Zeitung" Warnungen zu vernehmen ("Litauen feiert sich mit teuren Werbespots"). Bereits am 3.Januar - also die Gerd Hofs Lichter waren kaum ausgegangen - schrieb der "Mannheimer Morgen": "Ein Land desertiert vor der eigenen Kultur" und schrieb von Kürzungen des Kulturhauptstadtetats um 50%. Zwei Tage später stand in der Basler Zeitung etwas von "Ein Land, verloren in der Mitte Europas" und beschrieben waren Hindernisse im Kulturaustausch mit Litauens Nachbarn Weißrussland und Kaliningrad. Und die Frankfurter Rundschau hatte schon zu Sylvester die Situation mit "schmaler, kürzer, ärmer" gekennzeichnet. Die WAZ schrieb am 12.Januar: "Neujahr strahlten sie noch, jetzt wird gespart". Nur DIE WELT wollte auch am 9.Januar 2009 ausschließlich "freudige Aufbruchstimmung" in Vilnius registriert haben.

Im März war auch bei der kommenden europäischen Kulturhauptstadt, Essen, angekommen, dass in Vilnius kaum Austauschmöglichkeiten übrig geblieben waren. Während in Bremen noch ein mehrtägiges Kulturprogramm zur Vorstellung der Kulturhauptstadt Vilnius über die Bühne gehen konnte, war anderswo von der Absage eines Treffens des Netzwerks europäischer Kulturhauptstädte (ECOC) zu lesen, dass in Vilnius hätte stattfinden sollen. Aus Protest gegen die Entlassung der Leiterin des Kulturhauptstadtbüros in Vilnius, wurde betont. Der "Österreichische Rundfunk" (ORF) - wegen der parallel erkorenen Kulturhauptstadt Linz immer besonders auch an Vilnius interessiert (und auch in vielen Sendungen darüber berichtete), bezeichnete die Vorgänge in Litauen am 9.März als "kulturpolitisches Lehrstück".

Und die Künstler?
Ja, es lässt sich durchaus beklagen, dass die kulturellen Leistungen und Veranstaltungen selbst oft leider viel weniger Schlagzeilen machen und "öffentliche" und "veröffentlichte" Meinungen beeinflussen, als die Rahmenbedingungen, ein bestimmtes "Image" eines Landes oder einer Stadt, Trends und Moden, wirtschaftliche oder politische Rahmenbedingungen. Ich habe noch keinen Jahresrückblick in der deutschsprachigen Presse gelesen, der rückblickend Vilnius als Europäische Kulturhauptstadt gewürdigt hätte. Bei keiner der inflationär gerade während Feiertagen sich vermehrender Fernsehquizsendungen wurde eine Frage nach Vilnius gestellt.
Tja, hätte mal Boris Becker seine (wievielte?) Hochzeit in Vilnius gefeiert, irgendeine Schauspielerin ihren neuen Film dort vorgestellt, Barack Obama seine Anti-Atomwaffen-Rede nicht in Prag gehalten, oder wenigstens deutsche Politiker mit (heimlichen?) Freundinnen in Litauen gesehen und fotografiert (was schon vorgekommen ist!).

Nun, immerhin: bis auf den absehbaren Geldmangel und den Personalwechsel zu Anfang des Jahres wurden in Vilnius keine weiteren Skandale produziert, die an die deutschsprachige Presse gedrungen wären. Die "Schuldfrage" wurde etwas verlagert: "die Presse" schrieb im April vom "harten Diktat des IWF" und meinte damit die (Spar-)bedingungen des Währungsfonds bei der Kreditvergabe an Litauen. Ähnlich beschrieb die Süddeutsche im gleichen Monat "Länder im Regen", und spielt dabei auf eine der möglichen Herleitungen des Namens "Litauen" an.
Ein Sängerfest wurde gefeiert - parallel zu Estland dieses Jahr - musste das sein? DIE WELT berichtet zwar, schreibt aber seltsamerweise von einem "baltischen Sängerfest". Ein "Pflichtbericht", wo doch wenigstens das Schlagwort "Sängerfeste" in Deutschland bekannt ist? Na ja, viele haben sich damit abgefunden, dass auch die drei "baltischen" Hauptstädte ständig verwechselt werden.

Hochsommer mit Palastfassade
Dann ein weiterer Höhepunkt. Zwar musste die Wiedereröffnung des ehemals zerstörten Großfürstenpalasts etwas "abgespeckt" werden, aber sie fand statt. Für den Rheinischen Merkur war Litauen damit "auf der Suche nach der nationalen Seele". "Das ist keine Hollywood-Fassade", wird hier ein örtlicher Palast-Guide zitiert, und der neue Kulturhauptstadt-Chef Kvietkauskas beteuert im Blick auf die vorgenommenen Einsparungen (jetzt ist von 40% die Rede): "die Ideen bleiben unverändert."

Vielleicht sollte man eher die Urlaubszeit abwarten mit der Berichterstattung. Da können in den Reisebeilagen verschiedener Presseorgane ungestört von öffentlicher Diskussion die "must-see" Sehenswürdigkeiten dargestellt werden: ein wenig Užupis, ein wenig "Hauptstadt der Kirchen", dazwischen einige Opern- und Theateraufführungen, bildlich stimmhaft erhänzt manchmal sogar von Luftaufnahmen der Kurischen Nehrung. Die neue Züricher Zeitung findet am 10.August mit "Leben wie die Cowboys" eine eher ungewöhnliche Überschrift für einen Überblick zu dargebotenen Vielfalt in Vilnius (geschichtlich, kulturell, aktuell). Die in Litauen durchaus nicht unbeliebten Countryfestivals werden (wie der Titel es vielleicht vermuten ließe) allerdings nicht erwähnt.

Am 24.August bietet die Deutsche Welle schon Ansätze einer Bilanz - klar, die Hauptsaison scheint vorüber. Motto: Die Litauer lassen sich ihre Freude über ihr Vilnius nicht nehmen.
Im September greift der MDR schließlich auf die bevorstehenden Jahrestage von "Mauerfall" auf (so sie deutsche Sicht - der Jahrestag des Baltischen Wegs war ja schon im August), und spiegelt die Ereignisse des litauischen Kampfes für die Unabhängigkeit in einer Sendung.

Zum Jahresende macht der Evangelische Pressedienst schließlich noch aufmerksam auf ein "Kulturhauptstadtkreuz", das im Rahmen einer Vielzahl von Veranstaltungen auf Wanderschaft gehen soll, auch 2011 in "Tallin". Na gut, so etwas hätte auch im katholischen Litauen vielleicht Anklang gefunden - aber von dort wurde ja immer wieder betont, eher ein modernes Litauen dem Ausland darstellen zu wollen, abseits von Vorurteilen und Schablonen. Nun, ob in Essen gerade das Kreuz innovativ wirkt (und ob es dann auch in Tallinn ankommt), muss abgewartet werden.

Und was tun, wenn nicht fliegen?
Nein, das Programm der Kulturhauptstadt Vilnius 2009 war kein bewusst umwelt-grün-angestrichenes. Auch wenn zu Jahresanfang der Zusammenbruch der halbstaatlichen Fluggesellschaft FlyLAL umweltfreundliches Reisen hätte nahelegen können - Konkurrent AirBaltic eröffnete die Direktverbindung Berlin-Vilnius pünktlich zum Jahresabschluss. Nie wurden im litauischen Kulturhauptstadtjahr so viele Litauer/innen in Riga und in Bremen gesehen (nächste erreichbare Billigflieger). 10.000 Mitarbeiter/innen der Touristikbranche hätten im Zuge der Flieger-Pleite ihren Job verloren, war bei der Deutschen Welle zu lesen. Nein, dass bei solchen Zahlen Vilnius unbesucht von Touristen bleibt, und die Litauer/innen selbst auf Arbeitssuche in Europa gehen müssen, dass ist diesem schönen Land wirklich nicht zu wünschen.
Deutschsprachige werden allerdings ein wenig raten müssen, was die Kulturhauptstadt Vilnius 2009 eigentlich war - ein großer Teil der bereits erstellten deutschsprachigen Seiten wurden wieder vom Netz genommen. Da bleibt uns zur Kommunikation - falls nicht Lithuanist/in - nur "the most popular language of the world: bad English".

09 Dezember 2009

Litauischer Abend - ohne Sportlerkrone

Litauens favorisierte Sportart ist landesweit immer noch mit weitem Abstand Basketball. Aber als am vergangenen Samstag die Mannschafts-Weltmeister- schaften der Lateinamerikanischen Tänze in Bremen stattfanden, da konzentrierte sich das Interesse vieler litauischer Sportfans ausnahmesweise mal auf die norddeutsche Hansestadt. Denn obwohl auch das Formationstanzen durchaus als "litauischer Nationalsport" angesehen werden kann - dank der vielen Erfolge der Mannschaft von ŽUVĖDAS (dem Klub "Seemöve") aus Klaipėda - haben die Litauer kaum eine Möglichkeit, die Wettkämpfe LIVE vor dem heimischen Bildschirm zu verfolgen. Selbst bei den diesjährigen Europameisterschaften war das so - sie wurden in Litauen ausgetragen, aber wer keine Eintrittskarte ergattern konnte oder wem diese zu teuer war, der konnte den Wettbewerb erst einige Wochen später im litauischen Fernsehen als Aufzeichnung sehen. 

Nun, wie viele litauische Fans am vergangenen Samstag im AWD-Dome in Bremen dabei waren, wissen wir nicht. Immerhin kommen bei Veranstaltungen der Litauische Gemeinschaft in Bremen manchmal über Hundert Litauerinnen und Litauer zusammen. Aber nachdem die deutschen Medien kein Interesse zeigten, auch mal aus diesem besonderen Anlass aus der Perspektive von Litauern zu berichten, die in Bremen lebten, sagten sich die Litauer: "Gut, dann feiern wir aber trotzdem!"

Star des Abends war also nicht die Seemöve aus Klaipeda (die diesmal am Ende auch nur den 2.Platz belegten), sondern die Sängerin und Entertainerin Birutė Dambrauskaitė, die in Bremen am 5.Dezember ein Sonderkonzert gab. Eingeladen hatte die Litauische Gemeinschaft, und alle die dabei waren konnten ein ganz besonderes Konzertereignis.

Dambrauskaite? Fragen, wer das denn genau sei, werden hier wohl nur Nicht-Litauer/innen stellen. Schon eine Warteschlange am Flughafen geriet zum Autogrammmarathon (da Bremen ja eine Flugverbindung nach Kaunas hat). Jahrzehntelange Bühnenerfahrung, Liebe zum Publikum, und mit Gefühl und einer Menge Energie vorgetragene Lieder machen Birutė Dambrauskaitė zu einer der beliebtesten Entertainerin Litauens. Allerdings nicht zu Zeiten der Sowjetunion: da sie auch jiddische und polnische Lieder und Kompositionen bekannter litauischer Künstler aus den 30er Jahren im Programm hat, konnte sie zwar auftreten, aber eine besondere Förderung bekam sie nicht. Nach dem Abschluß der M.K. Čiurlionis Kunstschule, (im Fach Chordirigieren) trat Dambrauskaitė jahrelang im Restaurant "Dainava" in Vilnius auf - sozusagen als "Alleinunterhalterin". Immerhin lernte sie hier den Jazzpianisten Vyacheslav Ganelin kennen und trat mit ihm zusammen auf. 
Weniger bekannt ist heute vielleicht, dass sie auch bereits 1968 eine Hauptrolle in Litauens legendärem Musical "Velnio Nuotaka" (des Teufels Braut) hatte (sie spielte die Ursule - siehe Informationen des Litauischen Filmzentrums). 1969 bekam Dambrauskaitė den "Preis des polnischen Liedes), 1975 wurde sie beim Festival "Vilniaus boskstai" (Türme von Vilnius) ausgezeichnet.

Die eigentliche Karriere der Birutė Dambrauskaitė begann jedoch erst nach der Wende zur Freiheit Litauens. Nun ist sie ständiger Gast in verschiedenen Fernsehshows, spielte in drei weiteren Filmen mit (1997 in „Ar yra Venecija?“ 2001 „ Kurto Weillio  moterys“ 2005 „ Meile ir mirtis Veronoje“), und als kürzlich ein anderer litauischer Sänger, Zilvinas Žvagulis, Konzerte in Dubai(Arabische Emirate) gab, drängte er solange bis auch Dambrauskaitė dort ein Konzert gab. Für Neues, für Experimente ist sie sich also nicht zu schade. Im Gegenteil: ihre Bühnenshow, ihre Professionalität im Gesangsvortrag, und ihre persönliche Präsenz ist so hoch, dass auch des Litauischen Unkundige mitgerissen werden und beeindruckt sind.

Dabei hat Dambrauskaite auch einige persönliche Probleme mit viel Lebensmut überwunden. Jahrelang hatte sie mit Übergewicht und gesundheitlichen Wehwehchen zu kämpfen, ihr geliebter Mann starb vor einigen Jahren. Aber ihre künstlerische Bandbreite ist erstaunlich: 1995 sang sie im Duett mit Opernsänger Virgilius Noreika, scheut sie sich aber bei ihren Konzerten auch nicht, bekannte Schlager zu singen und damit ihr Publikum zu Begeisterungsstürmen mitzureissen. Auch das Blues-Feeling ist ihr keineswegs fremd - so als ob dieses in Litauen erfunden worden sei. Und als Ergebnis ihrer vielen Methamorphosen kennen sie dann wiederum andere auch als "Primadonna der Estrada-Musik".

2007 wurde Dambrauskaite Trägerin des Antanas-Šabaniauskas-Preises (benannt nach einem der berühmtesten litauischen Sänger der 20er und 30er Jahre). Da wagt ihre neu erschienene CD noch zu fragen „Ar pažinot mane?" (Kennen Sie mich?) Diejenigen, die es am 5.Dezember zu ihrem Konzert nach Bremen geschafft hatten, die haben sie kennengelernt. Wahrlich mit Leib und Seele!

Birutė Dambrauskaitė bei "Music.lt"

Über Birutė Dambrauskaitės Buch "Esu, kokia esu" ("Ich bin was ich bin")

Mehr Fotos vom Gastauftritt bei der Litauischen Gemeinschaft in Bremen

Live-Ausschnitt 

12 November 2009

Litauische Prinzessin für Vechta

Die Zeiten litauischer Herzöge und Könige sind eigentlich lange vorbei. Aber vielleicht lässt sich so manchen wieder aufleben, wenn litauische und deutsche Traditionen vermischt werden.

Im niedersächsischen Vechta, ein hübsches Städtchen mit 30.000 Einwohner im Oldenburger Münsterland, ist nun eine litauische Prinzessin gekrönt worden. Ja, richtig, ob sie von litauischem "blauen Blute" ist, das ist nicht bekannt.  
Bekannt ist aber, dass "Jolanta die Erste" in Vechta zunächst ihren Prinz Matthias fand, und beide am 11.11. zu "Prinz und Prinzessin" des örtlichen Karnevalsvereins berufen wurden.

Mit einem dreifachen "Vechta Helau" wurden sie im Rathaus begrüßt, so berichtet die Nord-West-Zeitung.
So eine Regentschaft ist ja manchmal nicht billig. Aber vielleicht fällt diesmal ja auch noch etwas Werbung für die Druckerei Ostendorf in Vechta dabei ab - denn im "bürgerlichen Leben" ist Prinz Matthias dort Juniorchef.

Karnevalsklub Vechta

Stadt Vechta

30 Oktober 2009

2010 keine Euro-Einführung

Verschnaufpause für Euromünzen-Sammler! Das verkündet ein Beitrag in der neuen Ausgabe des "Deutschen Münzenmagazins". Als gesichert wird dort bezeichnet, dass es in den kommenden 2 Jahren keine neuen Euroländer geben wird. Zwar werden gleichzeitig die bereits seit Jahren im Entwurf feststehenden künftigen neuen Euromünzen aller drei baltischen Staaten vorgestellt, aber dem wird eine Einzelanalyse zu jedem Kandidatenland gegenübergestellt.  

Folgende Aussage wird dabei zu Litauen getroffen:
"Eisern hält die Regierung zwar noch immer an ihrem neuen Zieldatum 2012 fest, doch Experten sind skeptisch, ob die Haushaltsprobleme des Landes bis dahin gelöst sind. 2015 gilt aus heutiger Sicht als realistischer."


Für Estland halten die Autoren des Münzmagazins das Beitrittsdatum 2012 eher für realistisch. Für Lettland wird eine Aussage der lettischen Zentralbank zitiert, die "frühestens 2014" derzeit prognostiziert.
Mal sehen, ob es ähnlich wie beim EU-Beitritt ausgeht. Da wurde auch erst Estland als einziges beitrittsfähiges Land angesehen, später haben die Entscheidungsträger eingesehen, dass ein gemeinsamer Beitritt doch sinnvoller war. (Abbildungen: Deutsches Münzenmagazin)


29 Oktober 2009

Grußadresse an Guido

Die Glückwunschbotschaft, die Litauens Außenminister Vygaudas Ušackas seinem neuen deutschen Amtskollegen nur wenige Stunden nach seiner Ernennung als zukommen ließ, zeugt von Würdigungen wie auch von Erwartungen. 

Gemäß einer Pressemitteilung des litauischen Außenministeriums (leider nur Englisch) habe Ušackas darin seine Hoffnung ausgedrückt, dass die deutsch-litauischen Beziehungen auf den Gebieten Politik, Wirtschaft und auch anderen in Zukunft noch enger werden. 
Ušackas hob hervor, dass die Bundesrepublik Deutschland für Litauen ein wichtiger Partner in EU und NATO sei, und drückte seine Zufriedenheit aus über den gegenwärtigen Stand der bilateralen Handelsbeziehungen. Entsprechend dem Außenhandelsvolumen sei Deutschland momentan der drittgrößte Partner Litauens. 

Ušackas hob außerdem die Bedeutung des 9.November hervor, denn der Fall der Berliner Mauer habe auch einen Anstoß gegeben für demokratische Bewegungen in ganz Osteuropa. 
Außerdem nannte Ušackas das "deutsch-litauische Forum" als eines der wichtigesten Beispiele bilaterialer Kooperation und drückte sein Vertrauen darin aus, dass gemeinsame Werte, Ideen, Interessen und Projekte diese Beziehungen zu stärken in der Lage seien.

Schließlich fügt das litauische Außenministerium für alle Leser/innen dieser Pressemitteilung noch hinzu: "G.Westerwelle ist ein Politiker und Chef der Freidemokratischen Partei. Am 27.September gewann seine Partei bei den Bundestagswahlen 14,6% der Stimmen und bildete zusammen mit der Christdemokratischen Union / Christsozialen Union eine Koalitionsregierung, die von Angela Merkel angeführt wird." 

Na dann: an die Arbeit, meine Damen und Herren!

27 Oktober 2009

Vilnius als Projekt

Die litauische Hauptstadt Vilnius steht dieses Jahr als Europäische Kulturhauptstadt besonders im Fokus des Interesses. Vielleicht wird sich das durch ein Projekt in Zukunft noch optimieren lassen, das durch eine Gruppe von Studierenden aus drei Universitäten in Litauen, Polen und Deutschland gerade vorbereitet wird.
Der "Lauterbacher Anzeiger" zufolge ist Ihr Ziel: einen GPS-gestützten, dreisprachigen Reiseführer für Vilnius. Diesem Zeitungsbericht zufolge geht es einerseits um die Thematik der Holocaust-Aufarbeitung, andererseits um Studierende der Germanistik.

Weniger profan klingt die Zielsetzung des Studienprojekts dann schon auf der Hompepage der Studierenden selbst: Ziel sei die "interdisziplinären, multilateralen Erforschung der Rolle von Sprache und Literatur in nationalen und regionalen Identitätsfindungs- und Erinnerungsprozessen sowie der Komplexität solcher Identitätsfindungsprozesse in heterogenen Literaturlandschaften". 
Etwas einfacher zusammengefasst, wird Vilnius hier als "ideales Beispiel einer multinationalen und -kulturellen Literaturstadt" definiert. 

Vom 1.-14.Oktober 2009 waren die drei Gruppen der Studierenden nun zum ersten Mal an der Universität Gießen zusammen. Wer sich den Ablaufplan des dortigen Projekts ansieht, dem mag auch klar werden, wo die Schnittmenge zwischen den beiden Schlagworten vom "Reiseführer / Kneipenführer" und den "Literaturlandschaften" liegen soll: Projektziel ist die Erstellung eines "literarischen Reiseführers" (da werden sie das Buch von Claudia Sinnig als Vorbild haben?). Wollen wir hoffen, dass das Projekt gelingt, auch wenn die Partner in Litauen nicht etwa von einer Hochschule in Vilnius selbst kommen, sondern ...  aus Kaunas.

21 September 2009

Die Pilze sprießen wieder ...

Nach dem Regen ... - die Pressemeldungen
Regelmäßig versuchen wir im Litauen-Blog Themen zu finden, die auch diejenigen interessieren könnten, deren Lebens- oder Interessenmittelpunkt nicht nur Litauen ist. Es wäre vielleicht Zeit zu offenbaren, welches Thema, dass mit schöner Regelmäßigkeit immer im Spätsommer seinen Höhepunkt hat, auch hier die umfangreichste Stammkundschaft hat. Woche für Woche interessieren sich in dieser Jahreszeit über 30 Leser/innen dieses Blogs pro Woche nur für eines: für Pilze.

Gerai, grybai! Klar, sagen Sie nun vielleicht - also doch Litauen-Fans! Aber die Erklärung ist einfacher: es handelt sich nicht einfach um Pilze, sondern zu 95% konzentriert sich das Interesse nur auf Pfifferlinge (Cantharellus cibarius). Ein Blogbeitrag vom Dezember 2005 hatte es angestossen: fast genauso intensiv, wie die Litauer/innen im August / September jedes Jahr auf Pilzsuche gehen, suchen die Deutschen nach Ratgebern für den Einkauf im Supermarkt. Mögliche radioaktive Rückstände (die Pilze besonders lange speichern können) oder andere Schadstoffe sind dabei die Leitthemen. 

Böses aus dem Osten?
Was gibt es Neues dazu? 2005 mögen Importe aus dem neuen EU-Mitglied Litauen ja noch ungewöhnlich und deren Qualität eher unbekannt sein. Noch dazu geht ein Teil der Fragen dahin, ob nicht Ware mit einem Schild "aus Litauen" nicht auch aus anderen Ländern weiter östlich kommen könnte, also Litauen in diesem Fall nur ein Zwischenhandelspartner wäre. Pilze in und aus Weißrussland oder der Ukraine haben nachweislich eine höhere Belastung mit Radioaktivität. Also würde hier eine bessere Warenauszeichnung schon helfen?

Fakt ist, dass die deutschen Verbraucher sehr sensibel auf mögliche Radioaktivität reagieren - die Intensität, mit der im Internet nach eine möglichen Kombination von "Litauen" und "Radioaktivität" gesucht wird, zeigt es. Litauens Pläne, nach Schließung des Tschernobyl-Reaktors Ignalina eventuell gleich ein neues AKW zu bauen, wird die Unsicherheit gegenüber Waren aus Litauen vermutlich eher befördern - obwohl Technologie-Fans ja immer bei Neubauten erstmal das Gegenteil behaupten.

In diesem Monat ging nun ein neues Thema durch die Presse: Reste von Insektenschutzmittel in nach Deutschland importierten Pilzen. Von "Insektenabwehrmittel in frischen Pfifferlingen" hatte "Umweltruf" schon am 24.Juli 09 berichtet (oder auch "Top-News", ähnlicher Inhalt am 18.9.09). Diese Informationen stammen offenbar aus dem Umweltministerium NRW, und beziehen sich auf die Verwendung von DEET (Diethyltoluamid), einem Wirkstoff zur Abwehr von Steckmücken und Zecken. Die im "Umweltruf" und anderswo vielfach veröffentlichten Angaben gestalten sich allerdings sehr vage: 16 von 54 in den Jahren 2007 und 2008 untersuchten Pilzproben aus dem Handel seien mit zu hohen Grenzwerten an DEET gemessen worden. Im Folgenden werden dann EU-Länder und Nicht-EU-Länder zusammengeworfen: Litauen, Rumänien (wer weiß schon, dass auch dieses Land inzwischen zur EU gehört?), Polen und Russland. 8 der 13 beanstandeten Proben kamen aus Russland, ganze 2 aus Litauen. "Die Proben aus Polen wiesen keine Belastung auf", steht hier sogar.

Untersuchungen, Vermutungen, Bewertungen 
Was müssen wir heraus schließen? Ich möchte nicht spekulieren, ob Pilze aus Litauen eher von polnischen Großhändlern auf dem deutschen Markt angeboten werden, oder die beanstandeten "litauischen" Pilze überhaupt in Litauen gesammelt waren. Das steht in solchen Kurzberichten regelmäßig nicht so genau dabei (weil es nicht mit überprüft wird).  

Zwei Fakten aber bleiben: 

a) DEET-Belastung ist ein interessantes Thema, denn es geht hier um Wirkstoffe, die erst NACH der Ernte von den Handelsfirmen aufgebracht werden; 82 solcher Biozide sind AUCH IN DEUTSCHLAND zugelassen und auf dem Markt (BfR)

b) NRW-Umweltminister Uhlenhorst gibt zu, dass ein Gesundheitsrisiko nur darin liegen könnte, dass Lieferungen aus Nicht-EU-Staaten nicht sorgfältig genug in dieser Hinsicht kontrolliert wird (also Pilze aus Russland). (siehe auch Pressemeldung Katalyse-Umweltinstitut)

c) die Unterschiede liegen oft in der Behandlung des Themas in den Medien. So könnten über der erwähnten Pressemeldung zwei ganz unterschiedliche Schlagzeilen stehen, zum Beispiel: "Warnung vor Pilzen aus Russland", oder "Gesundheitsrisiko bei Pilzen aus Osteuropa". Die Angst und das Unwissen gegenüber allem, was östlich des Berliner Reichstages liegt, ist immer noch sehr groß!

Pfifferlinge und Tierversuche 
Und sonst? Schauen wir doch einmal im Originaltext des Gutachtens zu DEET des "Bundesinstitutes für Risikobewertung" (BfR) nach. Die Verfügbarkeit dieser Informationsquelle erwähnen nur die wenigsten Presseberichte zu diesem Thema.

Hier lernen wir verschiedenes.

1) Um mögliche Auswirkungen von DEET zu testen, werden Tierversuche mit Hunden herangezogen. Während bei Menschen 0,75 Mikrogramm DEET pro kg Körpergewicht und Tag als unbedenklich angesehen wird, wurde bei diesen Hunden das Zehnfache als unbedenklich eingestuft (also bekamen sie auch mehr als das Zehnfache verabreicht!). Untersuchungsergebnis ist hier also nur: "der Sicherheitsabstand bis zu der Menge, bei der im Tierversuch eine schädliche Wirkung einsetzt, wird als bei weitem ausreichend angesehen." (BfR). Im weiteren ist im BfR-Bericht auch von DEET-Versuchen mit Ratten und mit "menschlichen Freiwilligen" die Rede.

2) Wir lernen: die BfR kann Untersuchungsergebnisse bekannt geben (auf die sich dann Minister bei der Schlagzeilenproduktion stützen), obwohl sie selbst gar keine neuen Forschungen getätigt hat. Im Bericht steht nämlich, dass sich alle Bewertungen auf eine Untersuchung aus Schweden zur Gesundheitsgefährung von DEET stützt. Die BfR hat also lediglich Warenproben auf ihren DEET-Gehalt messen lassen (und Tierversuche in Auftrag gegeben?). Warum fragen die Minister, wenn sie zu DEET etwas wissen wollen, also nicht direkt in Schweden an - zitieren in der Presse aber einen Bericht, in dem mehr von Tierversuchen die Rede ist als von Pilzen? Angst und Unsicherheit gegenüber Osteuropa also als Mittel zum Zweck der Rechtfertigung von Tierversuchen?? - Aber nein, einfacher für die deutschen Medien war es wohl, die 15-Zeilen-Meldung aus Ministerhand zu zitieren. 

Und wenn doch mal etwas gefunden wird?
Lobenswert sind da Berichte wie in der "Ärztezeitung" - hier ist lediglich das sachliche Untersuchungsergebnis, nicht aber ein Rückschluß auf bestimmte Herkunftsländer zu lesen. Und auch ein anderer Bericht aus Ärztesicht ist lesenswert: ein Tagungsbericht von Amtstierärzten in Mecklenburg-Vorpommern vom 1.7.2009 - dort sind bei Pilz-Stichproben auch Daten zu Ware aus Deutschland nicht ausgenommen, und siehe da: auch diese ist nicht immer einwandfrei. Und: hier wird auch mal der Diskussionsstand unter den Sachverständigen verschiedener Bundesländer zusammengefasst. 
Und es steht hier auch Erstaunliches nachzulesen: was passierte eigentlich 1999, als bei Kontrollen Pilze aus Russland mit einem überhöhten Gehalt an Radioaktivität von 2.100 Bq/kg festgestellt wurden? "In BY in einem Müllkraftwerk vernichtet". (BY = Weißrussland). Aha, nicht einmal von "Entsorgung" ist hier noch die Rede, und Weißrussland ist ja eh radioaktiv belastet - also Entwarnung für Deutschland?

Und noch eine Bemerkung, so kurz vor den deutschen Bundestagswahlen: Behauptungen, Parteiprogramme oder Politikersprüche seien in der Regel "keinen Pfifferling wert", haben ebenfalls kaum ursächlich direkt etwas mit Litauen zu tun, gelten dort aber wohl ähnlich. 

Nachtrag: hier noch die Ergebnisse einer neueren Messung der Jahre 2008, 2009 und 2010 (Umweltruf März 2011)

19 September 2009

Zu Gast bei dreimal Null



Mehr als null Erkenntnis brachte offenbar der Besuch deutscher Schachspieler in Kaunas. Anlaß ein Schachturnier des Klubs "0-0-0-" der Landwirtschaftlichen Universität Kaunas. Hierzu findet sich ein ausführlicher und - wegen der vielen Fotos - sehr anschaulicher Bericht auf "chessbase.de".

Gewinner waren drei Balten: der litauische Großmeister Šarūnas Šulskis, vor den beiden Letten Normunds Miežis und Arturs Neikšāns. Das wird vielleicht einige der Interessierten dazu bringen, sich auch einmal etwas mehr für die litauische Schachwelt zu kümmern - eine Internetseite (chess lyga - Šachmatų naujienos) gibt es bereits, doch durch die litauischsprachigen Tabellen und Begriffe muss sich der deutsch- oder englischsprachige "hindurchkämpfen". Immerhin lernen wir schon mal, dass der litauische Begriff "šachmatai" ganz einfach die Übersetzung des Wortes "Schach" ist (na ja, "Schachmatt" ist ja auch immer das Ziel des Spiels...)

Die beiden Berichterstatter für "Chessbase News" jedenfalls, Fabrice Wantiez und André Schulz, berichten (erfreulicherweise in Deutsch) auch über andere Erfahrungen und Erlebnisse, über aus ihrer Sicht Wissenswertes zu Kaunas und zu Litauen. Das reicht von der Schlacht bei Tannenberg über verschiedene andere geschichtliche Ereignisse bis zu schönen Fotos aus Kaunas und Porträts von einzelnen Teilnehmern des Schachturnieres. Nicht unerwähnt bleiben auch diejenigen Politiker, von denen bekannt ist, dass sie Schach miteinander spielten - so zum Beispiel Vytautas Landsbergis und Otto Schily (Landsbergis siegte 3:0). 
Interessant auch zu lesen, dass weltweit gesehen aus der litauischen Schachwelt den höchsten Bekanntheitsgrad eine Frau genießt: Victorija Cmylite, welche die Berichterstatter als "zur erweiterten Weltspitze gehörend" beschreiben (ein älteres Interview mit Cmylite findet sich schon bei "Schachlinks.com").

Litauische Schachvereinigung  ----   Bericht CHESSBASE NEWS