11 Mai 2006

Linux-Fans entdecken litauisches Bier

Manchem mag die Abkürzung LINUX genauso unbekannt vorkommen, wie anderen die Namen litauischer Kleinstädte. Glücklicherweise gibt es etwas so verrücktes wie eine LINUX-BIER-WANDERUNG, und dank dieses wagemutigen Unternehmens werden einige Freunde dieses speziellen Computer-Betriebssystems (also keine Freunde von Bill Gates!) nun auch mal die Gegend um den Nationalpark Aukstaicija in Litauen kennenlernen.

Gegründet worden soll das Unternehmen "Bier-Wanderung" 1999 im deutschen Pottenstein. Zu erklären, wo dieser mystische Ort nun überhaupt liegt, da geben sich die Linux-Freunde auf ihrer internetseite erst gar keine große Mühe. Um so mehr machen sie allerdings bereits vorab Reklame für die zu erwartenden Getränke und Speisen. Große Fotos von Bier, Zeppelini und mehr sollen für das Treffen Mitte August 2006 werben, zu dem sich nach Angaben der Veranstalter jedes Jahr um die 80 Leute aus verschiedenen Ländern einfinden.

"Die LBW lebt von der aktiven Beteiligung der Teilnehmer, welche die Programmpunkte selbständig anbieten und durchführen," so stellt es ein Teilnehmer von deutscher Seite heraus (Christopher Arndt). "Jeder kommt für seine eigene Unterkunft, Verpflegung, und Aufwendungen selbst auf", ist dort zu lesen. Neben Ausflügen und Sehenswürdigkeiten ist dann aber eine angemietete Halle vor Ort der Aktionsmittelpunkt. Die Teilnehmer, die wohl alle mindestens einen Laptop dabei haben dürften (womit zu erwarten ist, dass in Aukstaicija zu diesem Anlaß ein Rekord an Technologieansammlung zu verzeichnen gäbe), wollen ihre Hardware natürlich untereinander vernetzen, so dass Erfahrungsaustausch, Seminare und Präsentationen erleichtert werden.

Also: nichts wie auf nach Litauen, lieber Computerfreaks und Linux-Fans! Eine erste Sprachhilfe in Form einer Wortliste Englisch-Litauisch liefern die Organisatoren auch schon mit. Interessenten, die nicht sicher sind, ob sie im August Zeit haben nach Litauen zu kommen, können sich auch auf eine Mailingliste zur Benachrichtigung über weitere Aktivitäten setzen lassen.

04 Mai 2006

Der Ball ist rund - und es geht immer mal wieder gegen Polen ...

Regierungskrise in Litauen? Beitritt zur Euro-Zone wahrscheinlich gescheitert? Wer mag sich denn schon mit solchen Schlagzeilen beschäftigen wollen, wenn es doch immer wieder angenehme Sportereignisse gibt.
Zwar werden Sportwettkämpfe gegen den Nachbarn Polen nicht so verbissen geführt wie gegen östlichen Nachbar-Goliath Russland. Und schließlich war die litauische Fußball-Nationalmannschaft - von der auch heute noch nur der ehemalige HSV-Spieler Valdas Ivanauskas so richtig bekannt ist - in der Qualifikation zur WM in Deutschland gescheitert
(Ergebnisse Litauen). Aber vermutlich ist es doch gut für die litauische Seele, wenn selbst im größten deutschen Fußball-Magazin steht: "Litauen überrascht Polen" (Kicker 2.5.06).

Was ist passiert? Polen, stolzer WM-Teilnehmer und am 14.Juni 2006 Gruppengegner Deutschlands, patzte beim Vorbereitungsspiel im zentralpolnischen Braunkohlerevier von Belchatów gegen Litauen mit 0:1. Fußball-Polen, eigentlich am sensationellen 3.Platz bei der Fußball-WM 1974 orientiert (die ebenfalls in Deutschland stattfand), ist ratlos. "Schlechter geht es nicht", zitieren auch deutsche Medien polnische Fußballexperten (Berliner Morgenpost 4.Mai).

Dabei werden die litauischen Sieger allerdings auch nicht mit Ruhm überhäuft - jedenfalls nicht in den deutschen Medien. "Eine zusammengewürfelte Truppe aus Billiglohn-Profis", so meint die Berliner Morgenpost. Die FAZ dagegen zitiert den litauischen Trainer Algimantas Liubinskas mit den Worten: "Die Presse hatte den Polen leichtes Spiel mit uns versprochen." Unterschätzung des Gegners also? Die Fußballsprache hat noch ein anderes Argument zur Entschuldigung parat: Es fehlten zu viele Stammspieler. (Fussball24.de) "Schlechter geht es nicht", urteilen dennoch die Medien. Gegenüber REUTERS warnte der polnische Nationaltrainer vor einem frühen WM-Aus, wenn seine Mannschaft nicht besser spiele als gegen Litauen. Trockener Kommentar des litauischen Nationaltrainers Liubinskas: "Für die Polen war es eine Überraschung, für uns nicht."

Und was macht eigentlich Valdas Ivanauskas? 2004 startete er eine Trainerkarriere beim FBK Kaunas. Im März 2006 wurde er zum Trainer des
schottischen Erstligisten Heart of Midlothian ernannt. Hintergrund: Besitzer des schottischen Klubs ist der litauische Multimillionär Wladimir Romanow. Dessen vermögen wird, Presseberichten zufolge, auf 80 Millionen Euro geschätzt. Ob solches Kapital nicht auch noch mal für die litauische Nationalmannschaft eingesetzt werden kann?

Mehr zu litauischem Fußball: - Fanseite von
Almantas 'Almis' Lauzadis
- Litauischer Fußballverband (Seite nur Litauisch)
- FC Ekranas Vilnius
- FBK Kaunas

25 April 2006

Österreichs Erfurcht vor Litauen

Der Frühling naht - aber noch spielt der Wintersport in allen drei baltischen Staaten gegenwärtig die Hauptrolle. Im Mai findet in der lettischen Hauptstadt Riga die Eishockey-WM statt - ein mit dem Fußball-Hype in deutschen Landen für lettische Verhältnisse durchaus vergleichbares Ereignis. Zuvor jedoch werden in zwei Spielgruppen die beiden Aufsteiger in die Eliteklasse gesucht, die dann 2007 in Moskau um die WM mitspielen dürfen. Die eine Gruppe wird in Frankreich ausgetragen (dort tritt auch Deutschland an), die andere spielt in dieser Woche ihre Spiele in der Saku Suurhall im estnischen Tallinn.

Sowohl Litauen wie auch Estland sind in Tallinn dabei, neben Turnierfavorit Österreich. Nach acht Jahren in der Elite des Eishockey und der Pleite bei der Heim-WM im Vorjahr soll für die österreichische Nationalmannschaft die Zweitklassigkeit nur kurz sein - so wünschen es sich auch die österreichischen Medien. Die meisten halten Polen für den härtesten Gegner, den Österreichs Spielbilanz ist gegen die Polen mit 19:24 negativ. Trainer Boni warte trotzdem vor möglicher Arroganz gegenüber vermeintlich leichten Gegnern. Und mit ungewohnten Verhältnissen muss sich das Austria-Team anfreunden: Das Auftaktspiel gegen Kroatien gewannen die "Ösis" zwar klar 6:0, spielten aber vor nur 400 Zuschauern in der 7600 Zuschauer fassenden Suurhall. 100 Österreicher, und nur 10 Kroaten (nach angeblich 48-stündiger Zugfahrt in Tallinn angekommen) zählte die Wiener Zeitung. Vielleicht lag es daran, dass es - ungewöhnlich für Estland - für den Ticketkauf im Internet zwar eine Webseite gibt, das aber nur in Estnisch gehalten.

Heimvorteil: Estland. Oder doch Litauen?
Die zweite große Hürde hätten also für die Österreicher im 2.Spiel die einheimischen Esten sein können (die Halle war ausverkauft!). 3:1 hieß es dann doch für das Team Austria - doch am selben Tag schaffte Litauen die Überraschung: sie schlugen Polen mit 2:1. Es war der erste Sieg der Litauer in ihrer Länderspielgeschichte im Eishockey gegen das südliche Nachbarland. Nun gerät die Kalkulation aus österreichischer Sicht etwas durcheinander: soll man sich nun freuen, dass man Polen nun einen Vorteil voraus hat, oder muss Litauen gefürchtet werden als nächster Gegner? (Spiel am 26.4. um 12 Uhr).
Sport1 hat es in Österreich ganz genau recherchiert: in Litauen seien 689 Eishockey-Spieler registriert, 16 männliche Schiedsrichter seien aktiv, und es gäbe fünf litauische Eisplätze (drei Hallen, zwei Freiluft). In Österreich seien es immerhin über 9.000 Spieler und über 100 Spielplätze. Wenn doch solche Statistik zu automatischen Siegen führen könnte!
Es scheint eher doch etwas Überheblichkeit sich auszubreiten. Als "Riverhockey auf einem zugefrorenen Teich" charakterisierte Austria-Teamchef Boni das 6:0 Spiel gegen Kroatien (Wiener Zeitung). Doch kennt er wirklich seine Gegner? Polen kenne er gut, schreibt DER STANDARD, von ihnen habe er sich "via DVD ein Bild gemacht."

Gute Vorbereitung? Am Mittwoch wird sich zeigen, ob Grund zu neuer sportlicher Erfurcht Östereichs gegenüber Litauen besteht.

11 April 2006

Internet in Litauen - Nutzung weniger verbreitet als in restlicher EU

Estland gilt als IT-Vorreiter, auch Lettland betreibt e-government-Projekte, aber wie sehr nutzen die Litauer eigentlich das Internet? Eine neue Studie von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften, enthält Interessantes: trotz allen Erfolgen beim Wirtschaftswachstum in Litauen hängen die Privatpersonen und sogar die Unternehmen in dem südlichsten der drei baltischen Staaten den Trends in der übrigen EU hinterher.

Zahlen für Private und Unternehmen

Der EUROSTAT-Bericht, veröffentlicht per Pressemeldung am 6.April 2006, weist eine Internet-Nutzung in der neuen, erweiterten EU der 25 von durchschnittlich 40% aus. Diese 40% geben eine Nutzung des Internets mindestens einmal wöchentlich an (alle Zahlen auf Grundlage des 1.Quartals 2005). 91% der Unternehmen hatten im Bereich der EU Internetzugang, 63% verfügten über einen Breitbandanschluß.

Bei den Privathaushalten gehen die Schwankungen am weitesten auseinander, und hier kommt Litauen erstmals ins Bild: die meisten Privathaushalte haben in den Niederlanden eigenen Internetzugang (78%), die wenigsten in Litauen (nur 16%). In Estland sind es 39%, in Lettland sogar 42%, in Deutschland 62%..
Auch bei den im Lande tätigen Unternehmen liegt Litauen weit hinten: Spitzenreiter bei der Internetnutzung durch Unternehmen ist mit 98% Finnland, in Litauen sind es nur 86% (dahinter kommen nur noch Zypern mit 85% und Ungarn mit 78%). Hier liegen die entsprechenden Zahlen für Lettland bei 75% und Estland bei 90% (Deutschland 94%).

62% der Unternehmen in den EU25-Ländern sind selbst im Internet durch eine Webseite präsent, in Litauen sind es nur 41% (in Lettland sogar nur 29%, in Estland 53%, Deutschland 72%)

Beim Breitbandanschluß führen erneut die Privathaushalte der Niederlande (54%), bei den Unternehmen ist es Schweden (83%). In Litauen verfügen nur 12% über so einen "schnellen Draht ins Netz" (Lettland 13%, Deutschland 23%, Estland 30%!)


Männer und Frauen - virtuelle und tatsächliche Unterschiede
Speziell für Litauen wie auch für Lettland ist noch, dass dort Männer wie Frauen gleichmäßig oft das Internet nutzen, während es durchschnittlich in der übrigen EU 49% der Männer aber nur 38% der Frauen sind. In Deutschland ist dieser Unterschied sehr hoch: 62% der Männer gaben an, das Internet mindestens einmal pro Woche zu nutzen, bei den Frauen waren es nur 47%.

Die Untersuchung gibt auch Zahlen dafür an, wie groß der Anteil derjenigen ist, die noch niemals das Internet bisher genutzt haben. In Litauen sind das durchschnittlich 61% der Einwohner, allerdings nur 4% der Schüler/innen und Studierenden. In Deutschland haben immerhin noch 29% bisher nie das Internet genutzt, aber bei den Studierenden ist diese Zahl so klein, dass sie nicht mehr extra in die Statistik aufgenommen wurde (wie auch in Estland).

23 März 2006

Kein Euro für Litauen?

Mit großer Mehrheit haben sich die Menschen in Litauen per Volksabstimmung für den Beitritt zur Europäischen Union (EU) zum 1.Mai 2004 ausgesprochen. Schon damals kündigte die litauische Regierung öffentlich an: wenn ihr euch für die EU entscheidet, dann ist damit auch der stufenweise Übergang zum Euro verbunden, also der Abschied von der eigenen Währung (Litas).

Baltischer Wettbewerb
Alle drei baltischen Staaten, also Estland, Lettland und auch Litauen, hatten in den zurückliegenden Jahren ein stetiges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen (Prozentzahlen mehrfach über 5%). Das versuchen die drei kleinen Länder auch jeweils für ihr internationales Image zu nutzen - und zwar, nicht unbedingt "baltischen Schwestern" gemäß - möglichst jeder für sich. Oft stand in diesem Wettrennen um Auslandinvestitionen und neue Technologien eine Art "Schönheitswettbewerb" an: nimm mich zuerst, ich bin bereit.

Auch mit der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung scheint es wieder ähnlich zu laufen. Anfangs kündigten alle drei Staaten an, die Euro-Einführung zu 2007 in Auge zu fassen. Der einzige Staat, der dies im Moment noch konkret betreibt, ist nunmehr Litauen.

Litauen hält derzeit die Vorgaben für Staatsverschuldung, Zinsen und Wechselkurs ohne Mühe ein, und verfehlte die Obergrenze für die zulässige Inflationsrate im Februar von 2,6 Prozent nur um ein Zehntel. In den beiden baltischen Nachbarländern dagegen ist nichts von Eile zu verspüren. Lettlands Zentralbankchef Ilmārs Rimšēvičs äusserte kürzlich öffentlich Zweifel, ob der Übergang zum Euro für Lettland überhaupt 2008 zu schaffen sei (Neatkariga Rita Avize 15.3.06). In Lettland ist Parlamentswahlkampf, und da schätzt der Banker wohl die Tendenz der gewöhnlichen Politiker richtig ein: es werden wahrscheinlich Lohnerhöhungen versprochen werden, und das wird die Inflationsrate nicht unbedingt senken helfen.

Der lettische Regierungschef Kalvitis zitierte seinen estnischen Kollegen Andrus Ansip (LETA, 28.2.06) mit der Aussage, den Euro "nicht unter allen Umständen" einführen zu wollen. Damit nahm Ansip sicherlich Rücksicht auch auf die Äusserungen von EU-Währungskommissar Joaquín Almunia (NZZ 19.1.06) und dem Vizepräsident der EU-Kommission, Günther Verheugen (Financial Times Deutschland, 1.2.06). Beide hatten Estland wegen zu hoher Inflationsrate für "noch nicht Euro-reif" erklärt.

Litauen provoziert Streit in der EU - trotz Befolgung der Vorgaben
Bis zum 1.Januar 2007 bleibt nicht mehr viel Zeit. Litauens Finanzminister Zigmantas Balcytis reichte also am 16.März 2006 seine Unterlagen zur Euro-Einführung offiziell ein. (BALTIC TIMES) "Trotz Warnung der Europäischen Komission" - meinte REUTERS zu wissen. Am Fall Litauens könnte sich nun ein Streit über die Auslegung der Konvergenzkriterien entzünden. Wie FINANZNACHRICHTEN.DE richtig betont, haben neben der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission dann die EU-Finanzminister die endgültige Entscheidung über einen Aufnahmeantrag in der Hand. Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am 15. und 16 Juni in Brüssel soll die Entscheidung stehen.

EUROPOLITAN und N24 berichten ausserdem von weiteren Äusserungen von Almunia im Einklang mit dem deutschen Finanzminister Steinbrück. Der Deutsche, selbst auch nicht gerade bekannt durch sorgfältiges Einhalten von EU-Finanzkriterien, legte Litauen "mehr Diplomatie" nahe. Will heißen: Antrag nur, wenn die Zustimmung als sicher erscheint. Aber die Balten scheinen wieder einmal keine Lobby unter den etablierten EU-Ländern zu haben (die sich dann immer wundern, warum baltische Kontakte in die USA so gut funktionieren ...).

Die Fachleute, die teilweise auch von der deutschen Presse zitiert werden (z.B. Handelsblatt), kommen aber auch zu abweichenden Ergebnissen. Als "unsinnig" werden die Maßstäbe, welche die Europäische Zentralbank nun im Fall von Litauen offensichtlich anzuwenden gedenkt, von Marko Skreb bezeichnet, Bankenberater und ehemaligen Gouverneur der kroatischen Nationalbank. Auch Erik Nielsen, Europa-Chefvolkswirt von Goldman Sachs, hält die minimalen Schwächen bei der Inflationsrate Litauens für keinen ausreichenden Grund, die Einführung des Euro zu verweigern. Und Vermögensberater Jörg Peisert wird im Handelsblatt mit der Aussage zitiert: "Ich halte es für problematisch, Litauen bei anderer Gelegenheit als europäischen Musterknaben zu loben, jetzt aber aufgrund eines (einzigen) Kriteriums das Land einfach abzuweisen."

Eine sehr zurückhaltende Haltung der etablierten EU-Länder meint auch das MANAGER MAGAZIN zu erkennen (22.3.). Es zeige sich hier, wie problematisch es ist, bei immer mehr Mitgliedern eine gemeinsame Geldpolitik für alle zu machen. Der Autor dieses Beitrag geht bereits von der Annahme aus, dass 2007 noch keines der neuen EU-Länder den Euro wird einführen können. Ähnlich spekuliert auch DIE WELT: Die Finanzminister würden sich kaum über eine negative Entscheidung von EU-Kommission und EZB hinwegsetzen wollen. Da werden auch die in der FAZ dargelegten eher philosophischen Überlegenungen (22.3.) über "den Nutzen der Euro-Regeln" wenig nutzen.
Die Konsequenz wird ebenfalls gesehen: in den Ländern könnte der politische Widerstand gegen die Abschaffung einer eigenen Währung auch wieder wachsen.

14 März 2006

Strahlende Zukunft für Litauen?

Symbol Ignalina - auf dem Weg zur litauischen Unabhängigkeit
In den 80er Jahren wurde das marode Atomkraftwerk Ignalina bei Visaginas im nord-östlichen Litauen zum Symbol: spätestens das Unglück von Tschernobyl hatte 1986 gezeigt was es heißt, auf die Versprechungen der Atomindustrie zu vertrauen. Zudem schienen solche überdimensionierten Planungen geradezu eine charakteristische Ausgeburt des zerfallenden Sowjetsystems zu sein: größenwahnsinnig, unehrlich und an den Interessen der Menschen vor Ort vorbei. (Foto oben: Bauzustand der Anlage in Ignalina im Jahre 1995).

Im April 2006 wird der wird der Unfall von Tschernobyl 20 Jahre her sein - das Gedenken daran macht in Litauen gegenwärtig eher die kleineren Schlagzeilen.
Das Unglück kostete über 4.000 Tote, und drei Millionen Menschen leiden an den gesundheitlichen Folgen, so stand es z.B. schlicht in der Baltic Times. Das AKW Ignalina ist baugleich.Es wurde in den 90er Jahren mit Millionen Euro west- europäischer Partner so gut wie möglich sicherheits- technisch nachgerüstet, verbunden mit dem der litauischen Regierung abgerungenen Versprechen, die gesamte Anlage bis 2009 zu schließen.

Wer ohne die Nachbarn plant ....

Was ihr könnt, können wir schon lange! So scheinen die drei Regierungschefs Brazauskas, Kalvitis und Ansip zu denken, als sie am 27.Februar 2006 eine gemeinsame Erklärung herausgaben. Nachdem der russisch-deutsche Deal zum Bau einer direkten Pipeline durch die Ostsee von Ex-Bundeskanzler Schröder und dem russischen Autokraten Putin lieber ohne Konsultation der direkt betroffenen baltischen Nachbarn durchgezogen worden war, sieht sich jetzt die baltische Atomlobby im Aufwind. Den ungleichen Preiskampf der Ukraine um russisches Gas (siehe TAZ v.7.1.06) hatte die Öffentlichkeit der baltischen Staaten ebenso beängstigt verfolgt wie auch den offensichtlichen Diktatoren-Preisnachlaß Russlands für Lukaschenko's Weißrussland.

Globalisierte Kooperation mit baltischem Einschlag
Mit dem litauischen Regierungschef Algirdas Brazauskas an der Spitze verkünden nun also die drei baltischen Staaten, nach Schließung des AKW Ignalina an gleicher Stelle ein neues AKW bauen zu wollen. .
"Latvenergo", "Eesti Energia" und "Lietuvos Energia AB" sollen da gemeinsam ins Rennen gehen, was angesichts der Tatsache, dass auch hier die großen Konzerne wie E-ON oder RUHRGAS bereits Beteiligungen gekauft haben, die scheinbar nationalen Beweggründe wenigstens teilweise zu entkräften scheint. Was die zunächst überraschend große Zustimmung im Nachbarland Lettland für die Atompläne angeht, so ist dies bereits im Lettland-Blog nachzulesen.

Die gemeinsame Abschlußerkläung eines am 26./27.Januar 2006 in Vilnius durchgeführten estnisch-lettisch-litauischen Seminars zur Sicherung der Energieversorgung aller drei Länder konstatiert, die Energieversorgung sei unter den gegenwärtigen Umständen spätestens nach 2015 unsicher. Dies ist Wasser auf die Mühlen einer Reihe von litauischen Lokalpolitikern, die bereits seit längerer Zeit den Niedergang der Stadt Visaginas an die Wand malen. Von der EU fühlt man sich in die Ecke gedrängt (im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Region Ignalina liegt nun direkt an der Ostgrenze der Europäischen Union). Mit der Abschaltung bis 2009 sieht eine ganze Region den endgültigen Niedergang voraus, denn die meisten Auslandsinvestitionen gehen in die Hauptstadt Vilnius oder ni das auch bei West-Touristen leichter zugängliche West-Litauen.

Die Schlußfolgerung der drei Baltenstaaten ist dabei nicht nur, dass die eigenen Länder eines neuen Energieversorgungskonzepts bedürfen. Schließlich hat man mit dem Letten Piebalgs erstens einen EU-Kommissar, und zweitens einen Atomjünger in den eigenen Reihen. Bei den internationalen Begrifflichkeiten ist man sich ebenso sicher, und so wird denn eine "Road map" der nachhaltigen und ausgewogenen Energieversorgung gefordert, die einen guten "Energiemix" enthalten müsse.
Drei Milliarden Euro soll der Bau eines neuen litauischen AKW kosten, das dann nach 6 - 8 Jahren Bauzeit eine Kapazität von 700-1,600 Megawatt haben soll. Damit sei man in der Lage, auch Verbraucher in Skandinavien oder Deutschland zu versorgen, so litauische Regierungsvertreter gegenüber der Presse (BALTIC TIMES).
Während EU-Energiekommissar Piebalgs verlauten ließ, er sei gegen staatliche Unterstützung für den Bau von privat betriebenen Kraftwerken, hat der litauische Wirtschaftsminister Kestutis Dauksys da offensichtlich anderes im Sinn: "mindestens 34% der Aktien" solle der litauische Staat in seinen Besitz bringen, so Dauskys Presseberichten zufolge.

Nach dem Atomrausch: wohin mit dem Müll?
Nunmehr ist nur noch davon die Rede, dass Litauen ja Erfahrung habe mit dem Betrieb und der Sicherung von atomaren Anlagen.
Auf eines kann zumindest die litauische Regierung bauen: die Bewohner der Region Ignalina werden wohl kaum auf die Barrikaden gehen, sollte ein AKW-Neubau in Angriff genommen werden. Und welche andere Region kann das schon von sich behaupten?
Allerdings: auch den atomaren Abfall wird Litauen entsorgen müssen. Litauen plant nach der endgültigen Stilllegung des Kernkraftwerkes Ignalina den Bau eines Atommüll-Endlagers nahe der weißrussischen Grenze. Da kommt das gegenwärtige Aussehen um die wenig demokratischen Wahlen im östlichen Nachbarland offenbar propagandastrategisch gerade recht: es scheint wenig wahrscheinlich, dass Proteste des Lukashenko-Regimes gegen diese wenig (umwelt-)freundliche Absichten im Westen Gehör finden werden.
Zwar berichteten DEUTSCHE WELLE und das Internet-Portal BELARUS-NEWS entsprechend eindeutig, und zitieren eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des radiochemischen Labors der Staatlichen Belarussischen Universität mit ihren Sorgen. Doch wer will das gegenwärtig hören? Gefahren für Belarussische Kurorte? Wer kennt schon belarussische Kurorte, scheinen sich die maßgeblichen Politiker zu sagen.


Die Frage ist vielleicht: gibt es wirklich nur kritiklose Atom-Jünger in Litauen, die sich durch die Folgen der sowjetischen Energieversorgungspolitik so dermaßen in die Irre führen lassen? Und gibt es wirklich nur Ignoranten im übrigen Europa, die sich um die eigenständige Entwicklung auch der ländlichen Regionen in Litauen nicht kümmern, damit dann die wirtschaftlich in die Enge Getriebenen aus angeblich unvermeidlichen Zwängen heraus Projekte mit langfristigen Folgen akzeptieren, die auf Generationen hin weder den Finanzbedarf noch die Sorgen um Umwelt und Gesundheit irgendwie kleiner werden lassen?

27 Februar 2006

Keine Briefe aus Litauen ...

"Litauer schauen nicht in ihren Briefkasten", so berichtet Christiane Fenske aus einer "Ethnologie"-Ecke des Berliner TAGESSPIEGEL. Warum nicht? "Weil sie keine Briefe schreiben", so Fenskes These, die zu begründen ihr die anerkannte Zeitung Raum gegeben hat.
Kann das stimmen? Oder ist es vielleicht im Zeitalter von Internet und Email eine eher allgemeine Tendenz?

Die Argumente lesen sich eigentlich widersprüchlich: einerseits habe man dank Billigtarifen in sowjetischen Zeiten endlose Telefongespräche führen können, und Briefe seien ja oft von der Zensur geöffnet worden, lesen wir da. Andererseits habe aber kaum jemand privat ein Telefon gehabt. Waren die Telefoninhaber also alles staatstragende Leute? Und konnten nicht gerade Telefongespräche ebenfalls prima abgehört werden?
Aber vielleicht hatte man sich ja daran gewöhnt, weder in Briefen die ganz krassen Formulierungen zu verwenden, noch am Telefon über die Regierung zu schimpfen ...


Heute darf man wohl beides. Nur: Telefonieren über Festnetz ist in Litauen manchmal teuerer als über Handy, und wenn sich Weihnachtspost in einem litauischen Briefkasten findet, dann stammt sie oft von einer Behörde - jedenfalls den Recherchen von Fenske zufolge.

Ob die deutsch-litauische Kommunikation unter dieser angeblich Brieffaulheit leiden wird? "Ich bin aus Litauen, ich suche Freunde um die Briefe zu schreiben" - so drückt es Edita aus Litauen im Internetforum "Deutsch als Fremdsprache" aus. Allerdings: Auch dieses Gesuch hat sie wohl als Email geschrieben! Und: Ob sie noch jemand finden wird, der wirklich "Briefe schreiben" will?

Vielleicht sind es die Kirchengemeinden, in denen die wahren Briefeschreiber sitzen. "Die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen der Pfarrei St. Marien in Elektrenai/Litauen und unserer Gemeinde bestehen nun seit zweieinhalb Jahren. Seitdem gibt es einen regen Briefwechsel und gegenseitige Besuche," schreibt Monika Rattunde aus der Pfarrei St. Albert in Freiburg. Aber ob es tatsächlich handgefertigte Sackpost war, lässt auch diese Formulierung offen. Aber vielleicht ist der folgende Satz auch ein Tipp, wie Briefe attraktiv verpackt doch noch ihre Empfänger finden: "Zu Ostern schickten wir als Zeichen der Verbundenheit eine Kerze nach Litauen."

"Du kannst nicht Monate lang nur Briefe schreiben und Dich dann beschweren das Du nicht weiter kommst!" - wo findet man solche Sätze? Und wer schreibt wohl monatelang Briefe? Richtig, das ist eine Partnervermittlung (True Love), und der Beschwerdeführer (ein "Holger" aus Berlin) will auch hier vom Briefeschreiben weg, und endlich "mehr" (er hat die Adressen pro Stück bezahlt). Die Agentur verspricht unter anderem auch "baltische Schönheiten" aus Litauen - aber wer hier Geld ausgibt, ist wohl selbst Schuld.

Im "Forum Brieffreundschaften" suchen die Anfragenden denn auch vorsichtshalber auch schon gleich "Mailfreundschaften", oder drohen gar: "Wer will mit mir in den Emailkrieg treten?"

Was aber lesen wir in Emails? Unter der winterlichen Überschrift "Bibber" teilt Michelle uns mit:
"Es ist schon erstaunlich, wie mich ein Wintersemester im eiskalten litauen so abgestumpft hat, dass mir überhaupt nicht aufgefallen ist, dass ich den ganzen september gefroren habe. heute wurden dann erstmals ein paar übrig gebliebene holzscheite verheizt und ich bin total euphorisch, weil meine hände und füße nicht eiskalt sind, weil ich mich nicht in eine decke einwickeln muss und weil das ganze haus von einer wohligen wärme erfüllt ist." Wer würde da nicht gern zum tröstenden "Mailfreund" werden?

Die Freunde des realen Papierschreibens haben sich auch im Internet längst organisiert. Die "International Pen Friends" (IPF) unterhalten deutsche wie auch internationale Webseiten. Und hier kommen die Schreiberlinge zu doppelten Ehren: handgeschriebenes wird nun auch virtuell einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wo also keine Briefe mehr geschrieben werden, da können sich die Beteiligten über ehemals geschriebenen Werke endlos weiter austauschen ....

08 Februar 2006

Eine Uni für die Nachbarn - Belorussen studieren in Vilnius

Eigentlich war die "European Humanities University" (EHU) Mitte der 90er Jahre als weißrussische Hochschule in Minsk gegründet worden. Bis vor einem Jahr war die Europäische Humanistische Universität (EHU) in Minsk die einzige private Hochschule Weißrusslands. Sie wurde geführt von einer neuen Generation, die vor allem den Dialog zwischen Ost- und Westeuropa voranbringen wollte. Mit ihrem humanistischen Bildungsideal war sie dem autokratisch regierenden Präsidenten Lukaschenko schon lange ein Dorn im Auge. Dem Rektor Anatoli Michailow wurde mehr als einmal gedroht, dass sein Leben in Gefahr wäre, würde er die Universität nicht sofort verlassen. Seit 2003 war die Universität Objekt vieler Schikanen der belorussishen Behörden - 2004 kündigte das Bildungsministerium der EHU kurzerhand den Mietvertrag.

Ohne Räumlichkeiten keine Lehre - inzwischen hat die EHU in der Hauptstadt des Nachbarlandes Litauen, in Vilnius, eine neue Heimat gefunden. Von "Bildungsasyl" schrieben die Macher der "Belarus-News". Das "Eurasische Magazin" spricht von "Intelligenz im Exil".

Der kurze Schritt zum Nachbarn
Die litauische Hauptstadt liegt nur 40 Kilometer von der Grenze zu Weißrußland. entfernt, rund 200 Kilometer sind es von Vilnius nach Minsk. „Die litauische Hauptstadt war für Weißrussen schon immer so etwas wie ein Tor zur Welt," so zitiert das "Eurasische Magazin" Vladimir Dounaev, Vizedirektor der EHU. Er pendelt jede Woche zwischen Minsk und Vilnius hin und her. Seinem Kollegen, Professor Anatoli Mikhailov, erteilte Lukashenko aber bereits Einreiseverbot. An der Weigerung, Mikhailov als Leiter abzusetzen, entzündete sich 2004 der Streit um die Schließung der EHU in Minsk. "Fast 1000 Studenten gingen daraufhin ausser Landes," berichtet Dounaev, "einige Studenten sind sogar auf eigene Faust in den Westen gereist, sogar bis nach Kanada und in die USA."

Geld für die Wiedereröffnung der EHU in Vilnius kamen aus den USA, Frankreich und Deutschland. Auf der EHU-Webseite sind inzwischen über 50 Hochschulpartnerschaften in Deutschland verzeichnet, darunter auch die Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder), die Fachhochschule des Bundes fur öffentliche Verwaltung (Brühl), das Institut fur Recht der Wirtschaft an der Universität Hamburg, die Universitäten aus Greifswald und Hamburg, die Gesamthochschule Essen, und die Kunstakademie Munster.

Neuer Anfang
Seit Oktober 2005 gibt es 170 Undergraduate und 100 Magisterstudenten an der EHU in Vilnius. Einer Sendung des Deutschlandradios zufolge sind zusätzlich sind 600 Studenten für ein Fernstudium eingeschrieben.
Die EU-Kommission und das Nordic Council of Ministers haben am 29. Dezember 2005 einen Vertrag über die finanzielle Unterstützung der EHU unterzeichnet. Einige Länder (z.B. Schweden, Holland, Luxemburg) arbeiten jetzt an spezifischen Projekten. Auch an der Universität Leipzig gibt es Aktivitäten zur Unterstützung der EHU. Die deutsche Robert-Bosch-Stiftung finanziert eine halbe Dozentenstelle an der EHU, und das Auswärtige Amt gab per Pressemeldung vom 18.10.05 bekannt, dass die Gründung der EHU in Vilnius mit 50.000 Euro von deutscher Seite unterstützt werde. Informationen der Neuen Züricher Zeitung zufolge verdankt die "Exil-Uni" in Vilnius ihren raschen und erfolgreichen Start auch der großzügigen Unterstützung der katholischen Kirche in Vilnius. Im gleichen Artikel gibt die NZZ auch interessante Äusserungen von Mitarbeitern der weißrussischen Botschaft in Vilnius wieder - die sich mit gewundenen Stellungnahmen über den angeblich "übertriebenen" Medienrummel um die EHU zu wundern vorgeben.


Auf den Diplomen, die die Exilstudenten bei der EHU ausgehändigt bekommen - so schreibt "Belarus-News" unter Bezug auf Spiegel-online - ist ein Stempel von Litauen, daneben ein Siegel der EHU-International mit der Ortsangabe Vilnius/Minsk. Doch anerkannt werden diese Diplome nirgendwo, weder in Litauen noch in Belarus noch in Deutschland. Das Europäischen Parlament in Straßburg hat allerdings bereits eine Resolution verabschiedet, die alle europäischen Universitäten und Bildungseinrichtungen auffordert, die Exil-Diplome als qualifizierte Abschlüsse anzuerkennen.

Wie kann es weitergehen?
Peter Liesegang, Vorstandsmitglied der deutsch-belarussischen-Gesellschaft und Mitarbeiter der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) hat zur Lage einen Offenen Brief geschrieben an alle deutschen Stellen, die sich für Weißrussland interessieren könnten. Er schätzt, dass bisher etwa 600 Initiativen in Deutschland Kontakte nach Belarus pflegen - meist mit den Themen "Atomunfall Tschernobyl" oder "Aufarbeitung der Geschichte". Seiner Meingung nach sollte alles getan werden, um eine völlige Isolation gerade der jungen Belorussen zu vermeiden. Jede Möglichkeit von Austausch und Begegnung sollten also genutzt werden.
"Solange es noch in Belarus möglich ist," schreibt Liesegang, "sollte versucht werden, Bildungsprojekte im Land zu unterstützen, die sich an nichtstaatlichen Einrichtungen befinden oder die unter ausländischer Trägerschaft laufen."

Problematisch scheint dabei nur, dass Studierende aus Belorussland, die sich in den Augen von Lukashenko oder den ihm hörigen Behörden unliebsam verhalten, erhebliche Schwierigkeiten im Heimatland bekommen können. Was ist, wenn diese dann nach einem Stipendium oder Austauschaufenthalt nicht wieder nach Hause fahren können? Solche Fälle hat es schon gegeben, und jedem Deutschen sind noch die Schwierigkeiten von Ex-Aussenminister Fischer vor Augen, im Zusammenhang mit angeblich zu "lascher" Visavergabe.

Die junge Generation in Belorussland, die sich nicht mit den gegenwärtig sehr eingeschränkten Verhältnissen im eigenen Land abfinden will, geht jedenfalls einen schwierigen Weg. Selbst beim Studium in Litauen sind die täglichen Kosten weit höher als daheim in Minsk. EHU-Vizedirektor Dounaev schätzt die Perspektiven so ein: "Das Lukaschenko-Regime stütze sich auf den günstigen Zugang zu Erdöl und Erdgas aus Rußland. Solange sich in Moskau nichts ändert, bestehen nur geringe Chancen auf einen politischen Wechsel. Aber alle Diktatoren werden irgendwann fallen ...."

17 Januar 2006

Schwieriges Thema, medial aufgearbeitet: neuer Film zum Holocaust in Litauen

Für Litauen ist die Aufarbeitung der jüdischen Vergangenheit im eigenen Lande ein schwieriges Thema. Der Beitrag von jüdischer Seite auch zu Kultur und Gesellschaft war bis zum Beginn des 2.Weltkriegs ganz erheblich - dann folgte die beinahe totale Vernichtung. Zehntausende von Juden wurden - nicht nur in Litauen - getötet, ermordet, enteignet, drangsaliert oder in Ghettos eingesperrt. Die nach Beginn des deutschen Angriffskriegs gegen die Sowjetunion vorrückenden Nazi-Truppen, inklusive Sondereinheiten der SS, bekamen quasi "freie Hand" um gegen Juden vorzugehen, teilweise unterstützt von einheimischen Gesinnungsgenossen. Das Ende war für die meisten schrecklich: die Vernichtung war für Litauens Juden so total, dass eine Versöhnung auch nach mehr als 60 Jahren noch sehr schwierig erscheint, auch wenn sich die heutigen demokratischen Regierungen in Litauen um eine wissenschaftlich abgesicherte Aufarbeitung bemühen, und dies durch aktive Schritte der akutellen Politik zu unterstützen suchen.

Nach jahrelanger Vorbereitung kommt nun ein Film in die Kinos, der dieses schwierige Thema zum Inhalt hat. Vom 27.-29.Februar gibt es in Vilnius eine ungewöhnliche Filmpremiere:
„Vilniaus getas“ – „iššūkis, kurį reikėjo nugalėti“
(Vilniusser Ghetto)

27.-29. Februar 2006

Ort: Kino teatras "Forum Cinemas Vingis", Savanoriu pr. 7, Vilnius.

Zitat aus der Ankündigung zur Veranstaltung, die vom Goethe-Institut Vilniuis mitgetragen wird:

"Während der Besatzung Litauens durch deutsche Truppen wurde fast die gesamte jüdische Bevölkerung ermordet. Das jüdische Wilna (Vilnius), bekannt als das „Jerusalem des Nordens“, wurde nahezu ausgelöscht. Einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des Holocaust in Litauen leistet der Film „Ghetto“ des litauischen Regisseurs Audrius Juzenas. Gemeinsam mit dem Litauischen Filmzentrum wird das Goethe-Institut Vilnius am 17. Februar 2006 den Film vorstellen. Der Film basiert auf wahren Begebenheiten, die sich während der Okkupation 1942/1943 im jüdischen Ghetto von Vilnius abgespielt haben. Im Mittelpunkt steht die Geschichte des jüdischen Theaters, dessen Existenz einigen der zum Tode verurteilten Schauspielern für ein Jahr das Leben rettete.
„Ghetto“ ist die erste große deutsch-litauische Kinoproduktion über den Holocaust. Regisseur Audrius Juzenas näherte sich einem Thema, über das in Litauen lange Zeit geschwiegen wurde. Als Vertreter der Nachkriegsgeneration trägt der Filmemacher dazu bei, die Tabuisierung des Holocaust in der litauischen Gesellschaft aufzubrechen. Auch aus diesem Grund spielt dieser Film eine wichtige Rolle für Litauen.
Zur Premiere in Vilnius sind die Hauptdarsteller Heino Ferch und Sebastian Hülk eingeladen. Ebenso wird der Dramatiker Joshua Sobol, auf dessen Stück der Film basiert und der gemeinsam mit Juzenas das Drehbuch geschrieben hat, anwesend sein."


„Ghetto“ ist eine deutsch-litauische Koproduktion. Der Film wurde von der Filmstiftung NRW, dem litauischen Kultusministerium und der Filmförderung Hamburg unterstützt. Der Kinostart in Deutschland ist für den 16. März 2006 vorgesehen.


Filmo „Vilniaus getas“ premjera įvyks jau šių metų vasario 17d. Tačiau kodėl juostos apie fatališką žydaitės ir nacių karininko meilę, įsiliepsnojusią Vilniaus gete veikusiame teatre, teko laukti net penkerius metus?
„Aš vis juokauju, kalbėdamas apie tuos penkerius metus. O kiek karas vyko? Greičiau nepavyko nugalėti vokiečių. Penkerius metus kariavo. Kol atominių bombų nepagamino. Tai čia lygiai tas pats, - tvirtina „Vilniaus geto“ režisierius Audrius Juzėnas. – Manau, kad kažkuria prasme filmas yra susijęs su istoriniais praeities dalykais, kurių tu negali apeiti ar išvengti. Žmonės neišnyksta be pėdsakų, jie palieka kažkokį informacinį lauką. Ir tie, kurie išnyko ar duobėse buvo sušaudyti, jie kažkokiu būdu paliko savo energiją, kuri bet kokiu atveju veikė tą projektą“.
„Vilniaus geto“ režisierius neslepia, jog pradėjęs šį projektą sulaukė pasiūlymų jo atsisakyti arba bent jau leisti į režisieriaus kėdę atsisėsti kitam žmogui. Tvirtai nusprendęs nesitraukti, A. Juzėnas tapo ir juostos režisieriumi, ir prodiuseriu: „Pragaras ir kančios buvo dvigubos... Tai buvo iššūkis, kurį reikėjo nugalėti. O aš trauktis nemoku. Arba mirti, arba gyventi...“


Weitere Infos zum Thema:
- Artikel der "Baltischen Rundschau"
- Jüdische Zeitung, infos des Internetportals HaGalil
- englischsprachige Infoseite zum Todeslager & Ghetto Vilnius
- Projekt "Spurensuche jüdischer Geschichte - das Ghetto in Vilnius"
- jüdisches Museum Vilnius
- Info des Litauischen Filmzentrums zum Film "Vilniusser Ghetto"
- Kontakt zum litauisch-jüdischen Kulturclub

Kontakt zum deutschen Produktionspartner des Films "Vilniusser Ghetto": Thees Klahn, DRAGON CINE Filmproduktion, Hamburg.

31 Dezember 2005

Litauische Pfifferlinge im Test

Ein litauisches Erfolgsprodukt auf dem deutschen Markt scheinen die Pfifferlinge zu sein. Schon seit Jahren steigt der Export nach Deutschland immer weiter an. Als "Pilzparadiese" sind die baltischen Staaten sowieso bekannt, aber während Touristen sich meist wegen fehlender Kenntnisse nicht so richtig in litauische Flur und Wälder trauen, sind die Händler umso erfolgreicher. Pfifferlinge sind in Deutschland im Vorkommen so stark zurückgegangen, dass die kommerzielle Verwertung und der massenhafte Handel damit verboten sind - also gute Chancen für Importeure.

Im September widmete sich "Servicezeit", eine Fernsehsendung des WDR, einmal ganz den Pfifferlingen. 20 verschiedene Warenproben wurden an verschiedenen Stellen in Nordrhein-Westfalen, im Supermarkt und auf Märkten, gekauft und anschließend auf Qualität im Labor getestet. Diese Testergebnisse sind jetzt auch im Internet einsehbar. Diesen Angaben zufolge stammen die meisten der gegenwärtig im deutschen Handel befindlichen Pfifferlinge aus Ländern in Osteuropa (Weißrussland, Polen, Litauen, Russland, Serbien, Ungarn oder Bulgarien).
Insgesamt waren die Tester nicht besonders zufrieden - nur ein Viertel der getesteten Pilze schnitt mit den Noten „gut“ oder „zufrieden stellend“ ab. Der Rest wurde mit Kommentaren bedacht wie „vergammelt“, „matschig“, „klein, schmutzig und uralt“. Die Preise schwankten übrigens sehr stark: von 5,98 Euro pro Kilo bis hinauf zu stolzen 19,80 Euro!
Wildpilzimporte müssen eigentlich an den EU-Grenzen auf Radioaktivität untersucht werden - nicht nur wegen der Sorgen um Nachwirkungen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Die Fernsehtester fanden bei ihren Nachkontrollen hier in einigen Proben deutlich überhöhte Werte - und hier kommen wir zu den Ergebnisse für die Pilze aus Litauen. Auch zwei Warenproben aus Litauen wiesen erhöhte Radioaktivitäts-Werte auf: 170 Bq/kg bei Ware aus einem HIT-Markt in Geldern / Rheinland, und 140 Bq/kg bei Ware aus einem REAL-Markt aus Düsseldorf.
Bessere Bewertungen gab es für litauische Pfifferlinge eines PENNY-Markts aus Düsseldorf (zudem mit 6,58 Euro/kg) sehr preisgünstig, und jeweils für Ware aus einem REWE-Markt und einem ALDI in Köln. Auch die billigeste Warenprobe im Test, in einem GLOBUS-Markt in Köln gekauft, wurde schlecht bewertet, da sie fast schimmelig war, als sie gekauft wurde.

Warum so relativ schlechte Werte? Schaut man sich die Werbung der litauischen Pfifferlings-Großhändler an, wie z.B. EDELVEISAS aus Kaunas, dann müsste eigentlich alles in Ordnung sein: Fotos von sauberen Verpackungsräumen, alles nach den üblichen Hygiene-Standards. Allerdings wird hier auch mit "Importen aus GUS-Staaten" geworben - sind "litauische Pilze" also überhaupt aus Litauen? Bisher hat offensichtlich noch niemand überprüft, ob eine solche Vermutung stimmen könnte.

Ein anderer Grund für schlechte Ware im Handel könnten natürlich auch Mängel bei Transport und Lagerung in Deutschland sein. Immherhin wiesen die meisten Beanstandungen bei denen vom WDR getesteten Pilzen Feuchtigkeitsschäden auf - was sicherlich nicht daran liegt, dass die Ware etwa nass gepflückt würde. Die besten Testergebnisse hatten übrigens Pilze aus Polen, Frankreich und Ungarn. Aber leider wurde nicht mit untersucht, an welchen Stellen der Produktion und des Handels die Schwächen liegen könnten.

2004 gab es auch beim SWR-Fernsehen (bzw. ARD) schon mal einen Bericht über Pilze aus Litauen ("der Pilzkönig erobert Europa"). Dort wird es so dargestellt, als ob die Lieferungen von Sammlern direkt nach Deutschland gehen - was ja eigentlich der Frische zu Gute kommen könnte.
Auch die Zeitschrift ÖKOTEST hat im Jahr 2005 Pfifferlinge getestet - in erster Linie auf Radioaktivität. Hier wurden 68 Proben untersucht, wovon zwei Drittel keine wesentliche Belastung aufwiesen. Zum Thema "Litauen" sagt ÖKOTEST: "Generell gilt, dass Pfifferlinge aus Osteuropa etwa Weißrussland wegen des höheren Tschernobyl-Fallouts stärker belastet sein können. Ein Drittel der Pfifferlinge kam aus Litauen, wo offenbar auch Pilze aus Weißrussland gesäubert und verpackt werden."

Also: sind wir so schlau wie zuvor? Vielleicht bringen wir uns doch lieber aus dem Litauen-Urlaub eine schöne Portion frischer, trocken gelagerter Pfifferlinge mit und bereiten sie selbst zu?
Hier zum Schluß noch ein schöner Tipp zum Thema "Pfifferlinge aus Litauen" von einer plattdeutschen Seite des Hamburger Abendblattes: "De lütten Körf dreegt den Stempel "Herkunftsland Litauen". Müch nich weten, wat de Minschen, de de Pfifferlingen dor seukt, för jümehr Arbeit kriegt. Wi loot uns dat good smecken, ober wenn wi se nich wörrn keupen, harrn se sachs gor nix. Ok dat mööt wi bedinken. Keupt un geneet man de kotte Pfifferlingstiet, dormit doot wi liektiedig een godet Wark."

NACHTRAG für 2006:
Aktuelle Hinweise der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein gibt "LexisNevis" (Kv-Lex) wieder. Dort wird auf den möglicherweise langen Transportweg hingewiesen, den Pfifferlinge aus anderen Ländern bereits hinter sich haben könnten; verdorbene Exemplare könnten eine sogenannte "unechte Pilzvergiftung" auslösen. Vergessen wird dabei aber meiner Ansicht nach zu erwähnen, dass der Transportweg aus Litauen ja gar nicht so lang ist (nach Berlin sowieso nicht, und per Fähre nach Rostock oder Sassnitz ...). Allerdings: Wenn die Pfifferlinge gar nicht aus Litauen stammen, sondern nur von einer dortigen Firma aus demübrigen Osteuropa eingeführt wurden zum Weitertransport, dann könnte es doch von Belang sein ...


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27 Dezember 2005

Polen schickt Flugzeuge nach Litauen

Polnische Abfangjäger zu Gast in Litauen
Es gab einmal Zeiten, da hat die stolze Republik Litauen nicht so ohne weiteres polnisches Militär ins eigene Land gelassen - zu früheren Zeiten gab es Streit um die Vorherrschaft polnischen Adels in Litauen, und in der Zwischenkriegszeit 1920-1940 ging es wegen des Gebiets um die heutige litauische Hauptstadt Vilnius lange hin und her.
Dass heute ganz andere Zeiten herrschen, macht unter anderem die NATO möglich. Ab dem 1.Januar 2006 übernimmt Polen für drei Monate das "Air Policing", also die Luftraumüberwachung der baltischen Staaten. Die Sicherung des Luftraums erfolgt seit dem Beitritt der baltischen Staaten vorläufig nach einem Rotationsplan im vierteljährlichen Wechsel durch mehrere NATO-Partnerländer.

Kann Routine gefährlich sein?
Seit jedoch am 15.September 2005, während gerade ein deutsches Kontingent im Rahmen der Luftraumkontrolle in Siauliai / Litauen stationiert war, ein russischer Kampfjet vom Typ Su-27 während einem Übungsflug von St.Petersburg nach Kaliningrad sich über litauischem Gebiet sich "verflog" und abstürzte, sind manche Nerven etwas mehr angespannt als sonst. Damals erregten sich nicht nur die litauischen Medien, und vermuteten hinter den Ereignissen mehr als nur die Verkettung unglücklicher Umstände.
Vier noch aus sowjetischer Produktion stammende MIG-29 sollen die in Litauen stationierten Luftwaffeneinheiten bilden, kündigte Piotr Paszkowski, Sprecher des litauischen Verteidigungsministeriums, gegenüber der Presse an. Die polnischen Einheiten werden 24-Stunden rund um die Uhr einsatzbereit sein. Paszkowski bezeichnete die bereits während vergangener Einsatzzeiträume vorgefallene Ereignisse als "Reihe von Provokationen". Er hoffe, dass sich so etwas während der Zeit des polnischen Einsatzes nicht wiederholen werde, so zitiert ihn "NewsfromRussia". An gleicher Stelle werden auch Ereignisse der jüngsten Zeit aufgezählt, die zwischen Russland und Polen wenig Freude aufkommen ließ: die deutliche polnische Unterstützung Polens für die orangene Revolution in der Ukraine gehört ebenso dazu, wie das russisch-deutsche Geschäft mit der Ostsee-Gaspipeline, dass ohne Konsultation Polens durchgezogen wurde.

Litauisch-polnische Sorgenfalten
Mit sorgenvollen Äusserungen zitiert nun das polnische Auslandsradio Bronisław Komorowski, Politiker der oppositionellen Bürgerplattform, und seit mehreren Wochen Vizemarschall im polnischen Sejm. Er meint sogar, Polen "müsse mit russischen Provokationen rechnen." Komorowski weiter: "Sollten russische Flugzeuge die Lufthoheit der baltischen Republiken Litauen, Lettland und Estland verletzen, bliebe den polnischen Abfangjägern nichts übrig, als energisch zu reagieren." So solle "die Geschlossenheit der NATO-Länder demonstriert werden". Aber was stellt sich ein polnischer Oppositionspolitiker unter solch einer "energischen Reaktion" wohl vor? Es bleiben Fragezeichen, und es ist wohl anzunehmen, dass hinter diesen starken Worten nichts als die Hoffnung steckt, alles möge während der dreimonatigen Einsatzperiode bei den nördlichen Nachbarn ruhig bleiben.

Da lohnt vielleicht ein Blick auf die neuesten Äusserungen des Generalstabschefs der Streitkräfte Russlands, Armeegeneral Juri Balujewski, die sowohl vom Internetportal "Russland.ru", wie auch von RIA NOWOSTI ausführlich zitiert werden. "Russland bereitet sich nicht auf Kriege vor", steht da zu lesen (einerseits beruhigend, aber andererseits sind wohl die Kriege ausgenommen, die Russland bereits führt - wie in Tschetschenien ...). Bei Balujewski heisst es so: "Wir werden uns auf die Verteidigung des eigenen Territoriums vorbereiten, nicht aber auf einen Krieg auf fremdem Territorium." Zugleich wandte sich Balujewski gegen Versuche der USA und einiger anderer Länder, die innenpolitische Situation in GUS-Staaten zu verändern. "Wir können unseren amerikanischen Kollegen nicht zustimmen, wenn die innenpolitische Situation in einigen Ländern infolge von 'samtenen' oder sonstigen 'bunten' Revolutionen geändert wird." Und weiter: Auch Russland habe das Recht, seine Interessen im postsowjetischen Raum zu verteidigen. Womit wir wieder bei der Definition des sogenannten "postsowjetischen Raums" wären - genügend russisch-national gesinnte Duma-Abgeordnete rechnen hier auch die baltischen Staaten noch dazu.

General Balujewski ging auch auf den Absturz des SU-27-Kampfjets in Litauen ein. Danach habe es Forderungen gegeben, Kaliningrad völlig zu entmilitarisieren. "Das wird die russische Führung nie akzeptieren", erteilte er solchen Thesen eine klare Absage. Weiterhin urteilte er über den NATO-Beitritt der baltischen Staaten, dieser habe sich negativ auf die Sicherheit in der baltischen Region ausgewirkt. "Diese Länder versuchen, das Potenzial der Allianz für die Lösung eigener Probleme auszunutzen." Nähere Beispiele nannte er aber nicht. Vielleicht stecken aber auch die ständig wiederholten russischen Versuche dahinter, die baltischen Staaten wegen angeblicher Benachteiligung russischer Bürger in ihren Staaten unter Druck zu setzen. Diese Versuche haben nach dem Beitritt Estlands, Lettlands und Litauens zu NATO und EU, und den klaren Stellungnahmen vieler Gremien der EU und des Europarats dazu (den russischen Behauptungen entgegen tretend) klar an Kraft und Argumenten verloren.

Und worüber schreiben die russischen Agenturen, wenn es um die NATO im Baltikum geht? Von angeblich zu befürchtenden "russischen Provokationen" ist da natürlich nicht die Rede. "NATO-Soldaten in Litauen schon wieder in Schlägereien verwickelt", titelt am 28.11. RIA NOVOSTI. Dort macht man sich die Mühe, Berichte aus der litauischen Teitung RESPUBLIKA zu zitieren, nach denen Amerikaner (dunkler Hautfarbe) sich nach einem feuchtfröhlichen Erntedankfest in einem Nachtclub in Siauliai mit einem litauischen Türsteher angelegt haben sollen. Es folgte eine ausgiebige Schlägerei. Angeblich ging es darum, wer Getränke und die Stripshow bezahlen sollte. "Hoffentlich hat das keinen rassistischen Hintergrund", wird der Chef des amerikanischen Kontingents, Joseph Locke, zitiert. Da stimmt wieder die ideologische Brille. Was ist schon von Litauen zu erwarten? Wahrscheinlich Rassismus (um das böse Wort mit F mal ausnahmsweise nicht direkt zu erwähnen). Wie schön, dass es auch eine "Yellow Press" der NATO gibt ....

28 November 2005

Und wieder einmal klebt Öl an vielen Stühlen

Regierungschef in Bedrängnis
Der litauische Regierungschef Algirdas Brazauskas (Foto rechts: mit Frau Kristina) kam in den letzten Wochen mehrfach in schwieriges Fahrwasser: Als eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung wird immer noch die Regelung des Energiesektors in Litauen angesehen. Die kleinen Scharmützel um die mit der EU vereinbarte Schließung des AKW Ignalina scheinen dabei niemand ersthaft zu beunruhigen, auch wenn Unklarheit zu herrschen scheint, was nach der Schließung passiert - die einen wollen möglichst schnell ein neues AKW bauen, die anderen wollen sogar zum Atomklo Europas werden und bieten die preisgünstige Lagerung von Atommüll nahe der Grenze zu Weissrussland an.

Dringendere Probleme verursacht der beabsichtigte Verkauf von Anteilen am Ölkonzern "Mazeikiu Nafta" (MN). 53,7% wurden vom russischen Ölkonzern YUKOS gehalten - nach Inhaftierung des Konzernchefs Mikhail Khodorkovsky (Foto rechts) in Russland und der Zerschlagung des Konzerns durch den Kreml sollen nun neue Partner das Geschäft sichern. Vor Jahren hatte die litauische Regierung die Mazeikai-Nafta-Anteil, um einen zu großen Einfluß russischer Partner zu vermeiden, an die US-Firma WILLIAMS verkauft - zu unverschämt günstigen Konditionen, wie Kritiker damals meinten. WILLIAMS investierte jedoch entgegen der Hoffnung der Litauer fast nichts in die bestehenden Anlagen und verkaufte später die Anteile an YUKOS. Diese Anteile sind nun noch in den Händen einer niederländischen YUKOS-Tochtergesellschaft. Mazeikiu Nafta ist der größte Steuerzahler des Landes und trägt mit mehr als zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei (Foto links: aus einem Firmenprospekt).
40,66% der MN-Anteile werden noch vom litauischen Staat gehalten. Zum Konzern gehören die einzige Ölraffinerie im Baltikum, Mazeikiai, mit einer Leistung von zwölf Millionen Tonnen Öl pro Jahr, das Exportterminal in Butinge (acht Millionen Tonnen Öl pro Jahr) nahe der litauisch-lettischen Grenze, sowie die Ölpipeline in Birzai. Am 20.Oktober hatte die litauische Regierung grünes Licht gegeben, um Geld zum Rückerwerb der Yukos-Anteile bereitzustellen und diese dann an geeignete Interessenten zu verkaufen. Der wirtschaftliche Wert der bisherigen YUKOS-Anteile wird auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt. YUKOS selbst befürchtet laut Pressemeldungen, die Anteile für 800 Millionen US-Dollar verkaufen zu müssen.

Wer in Litauen an Öl denkt, der denkt allerdings auch vor allem einerseits an die schwierige Situation 1990/91, als Russland mit dem Abdrehen der Energieversorgung die litauische Unabhängigkeitsbewegung zu stoppen versuchte. Und in der Folgezeit - wie zum Beispiel während der russischen Wirtschafskrise 1999, als mehrfach die Versorgung der Raffinerie Mazeikiai gestoppt wurde.
Ein anderes Thema ist eigentlich auch die nach wie vor bestehende Umweltbelastung durch die Raffinerie Mazeikiai. Was örtliche Umweltbehörden noch zugeben, wird von regierungsamtlicher Stelle lieber verschwiegen. Jedenfalls spielen unterschiedliche Konzepte der an dem neuerlichen Öl-Deal interessierten Firmenkonsortien wohl gegenwärtig keine Rolle.

Noch gibt es vier seriöse Bieter um die zum Verkauf stehenden Anteile, heisst es in der Presse. Neben "KazMunaiGas" aus Kasastan und "PKN Orlen" aus Polen sind es der russisch-britische Konzern TNK-BP, und LUKoil, Russlands größter Ölproduzent, der sich für diese neuen Investitionen mit seinem US-amerikanischen Partner ConocoPhillips zusammengetan hat. LUKOIL war auch 2004 schon in die Negativschlagzeilen geraten, als trotz Protesten von Umweltschützern und den Umweltministern der Ostseeanrainerstaaten direkt vor dem Naturschutzgebiet der Kurischen Nehrung (22km entfernt), im zu Kaniningrad gehörenden Seegebiet "Kravtsovskoye" (bekannt geworden als D-6), die Ölförderung in der Ostsee begonnen wurde.

Familie Brazauskas - eine Öldynastie?
In die Diskussion geraten sind nun Regierungschef Brazauskas' persönliche Beziehungen zu den LUKOIL-Managern. Anlaß gab seine Frau Kristina Butrimiene-Brazauskiene, die 38% der Anteile am ehemaligen Hotel "Draugyste" (jetzt "Crown Plaza") in Vilnius besitzt. Diskutiert werden nun die Umstände ihres Kaufs, denn frühere Eigentümerin war Ivan Paleichik, Chef von LUKOil-Baltic. Die oppositionelle Konservative Partei im litauischen Parlament wollte nun die Umstände dieses Deals durch eine Untersuchungskommission klären lassen, und befürchtet eine Verquickung von persönlichen und Amtsinteressen bei der Familie Brazauskas. Für die Einrichtung der Kommission kamen bei einer Abstimmung am 10.November aber nicht genügend Stimmen im Parlament zusammen. Zwar stimmten laut Berichten der BALTIC TIMES 55 Abgeordnete für die Einsetzung einer Kommission, 42 dagegen, bei 24 Enthaltungen - das reichte jedoch gemäß der litauischen Gesetze nicht aus.

Derweil lobt Kristina Brazauskiene, zweite Frau des Ministerpräsidenten und inzwischen - wen wundert es - zur Generalmanagerin des Hotel Crown Plaza berufen, die Qualitäten ihres Hotels in einem Hotelprospekt (OTRUM-News): "Es ist eine Ehre für uns, mit der Kette "Crown Plaza" zusammenzuarbeiten, wir habe sehr hart dafür gearbeitet, das zu erreichen."

Gerüchte in der internationalen Presse
Die Situation schlägt auch in der russischsprachigen Presse Wellen. Während KOMMERSANT die Chancen der beiden russischen Bieter noch optimistisch einschätzt, wird bei "RusslandOnline" die Agentur Nowosti zitiert, die eine "Absage Litauens an LUKOIL aus politischen Gründen" voraussieht. NOWOSTI selbst schildert genüßlich die hohen Geldsummen, die bei den politischen Ränkespielen in Litauen dabei im Spiel sind: eine Million Dollar soll Frau Brazauskiene für die Anteile am Crown Plaza Hotel ausgegeben haben.

Seitens der deutschen Presse sorgt sich Hannes Gamillscheg in der FRANKFURTER RUNDSCHAU um den guten Ruf des litauischen Regierungschefs und titelt: "
Der Premier steckt selbst im litauischen Sumpf." Auch Präsident Valdas Adamkus klage, Litauen "stecke in einer Sackgasse", zitiert derselbe Autor in
"Die Presse" aus Österreich, und schreibt weiter: "Präsident Rolandas Paksas und Wirtschaftsminister Viktor Uspaskich hatten schon zurücktreten müssen, weil sie eigene Interessen mit denen des Staates vermengten. Gegen viele andere Politiker gibt es ähnliche Vorwürfe."

Die lettische Tageszeitung DIENA sorgt sich gar um einen möglichen Sturz der gesamten litauischen Regierung. Brazauskas habe auch in einer kürzlichen Fernsehansprache die bestehenden Vorwürfe zur Verquickung seiner Familie in das Ölbusiness nicht ausräumen können, und Aļģimants Salamakins, soziademokratischer Abgeordneter im litauischen Parlament, habe gar den Sturz Brazauskas für möglich erklärt. Und Viktors Uspaskihs, Litauens "Gurkenkönig" und ehemaliger Wirtschaftsminister, habe bereits den Abgang von Brazauskas vorhergesagt, und sich bereit erklärt, dass für diesen Fall seine populistisch orientierte "Arbeitspartei" zu Bildung einer Regierung mit neuen Partnern bereit sei, so DIENA. Aber auch Uspaskich selbst hatte während offizieller Reisen schon versucht, für seine eigenen Firmen Geschäfte anzubahnen, und zudem seine eigenen Hochschulzeugnisse gefälscht, wie auch DER STANDARD richtig bemerkt.

Die BALTIC TIMES berichtet ihrerseits über Konflikte zwischen TRANSNEFT, Russlands staatlicher Monopolgesellschaft zur Betreibung der Ölpipelines, mit "KazMunaiGas" aus Kasastan, die auch beim Deal um "Mazeikiu Nafta" mitbietet. TRANSNEFT habe einen bestehenden 10-Jahres-Vertrag plötzlich gekündigt, was als Zeichen interpretiert wird, den unliebsamen Mitbieter und Konkurrent russicher Firmen ökonomisch unter Druck zu setzen. Premier Brazsauskas habe sich am 16.November bereits besorgt bei der kasachischen Firma erkundigt, ob sie weiterhin die Versorgungssicherheit Litauens garantieren könne - diese habe aber keine Probleme gesehen. Bisher war vorgesehen, dass 12 Millionen Tonnen Öl aus Kasastan nach Litauen im Laufe der nächsten Jahre geliefert werde, so BALTIC TIMES. 1999 war es LUKOIL gewesen, die kasachische Firmen daran gehindert hatten, Öl nach Mazeikiai zu liefern - daher auch die aktuelle Besorgnis.

Wie geht es weiter?
Klar ist bisher nur: die Gerüchteküche kocht noch immer. Am 25.November zitierte REUTERS die Dementis von litauischen Regierungssprechern, Behauptungen in der Presse (u.a. OCNUS-NET, BNS), die beiden russischen Bieter LUKOil und TNK-BP seien jetzt als Käufer ausgeschlossen worden, bestritten. Berichten zufolge waren beide Bieter von den Verhandlungen ausgeschlossen worden. Für diese These konnte weder BNS noch andere aber keine konkrete Belege nennen.
Politische Analysten in Litauen halten nur eines für sicher: der Parteienverdruß wird steigen. "Nun kann man mal wieder der Politik für alles die Schuld gegen, und einfach sagen: das ist ein dreckiges Geschäft," zitiert BALTIC TIMES einen Bericht des litauischen Politikwissenschaftlers Vladimiras Laucius in "Omni Laikas".
BALTIC TIMES titiert ebenfalls Eugenijus Gentvilas, der kürzlich die Union der Liberalen und Zentrumspartei verlassen hatte. "Die Ereignisse der vergangenen Wochen bilden wieder einmal ein gutes Beispiel aus Sicht der jungen Generation in Litauen dafür, wie es die ehemalige kommunistische Nomenklatur auch zu Sowjetzeiten gemacht hat. Sobald jemand in dubiose Geschäfte verwickelt ist, setzen sich einige andere Vertreter der Führungselite zusammen und zeigen sich gegenseitig vergangener Sünden an. Das alleinige Ziel ist dabei, den Eindruck zu erwecken, es lohne sich ncht, etwas zu tun - alle sind gleichermaßen sündenbeladen."

P.S.: Wer sich näher für den Gerichtsprozess in Russland gegen YUKOS und Mihail Khodorkovsky interessiert, kann z.B. die englischsprachige "SupportKhodorkovsky.com" nutzen, die vom US-aerikanischen Washingon aus editiert wird.

20 November 2005

Von Litauen lernen heisst siegen lernen ...

Deutschland schaut auf Bremerhaven. Auf Bremerhaven?? Zumindest Basketball-Deutschland, bisher nur auf NBA-Stars wie Dirk Nowitzki fixiert, blickt im Herbst 2005 erstaunt in Richtung Bremische Hafenstadt. Der 44-jährige, aus Litauen stammende Cheftrainer Sarunas Sakalauskas hat seine Mannschaft, die Eisbären Bremerhaven, in den vergangenen Jahren zunächst zu einer Topmannschaft der 2.Bundesliga gemacht, stieg in die bundesdeutsche erste Liga auf, und steht nun in der laufenden dort auf Platz 2.

"Die Eisbären siegen hoch und stapeln tief" (Schlagzeile auf der Basketball-Fanseite "Schönen-Dunk.de) - so macht die Stadt gerne Schlagzeilen. Selbst die deutsche Haupstadtpresse schreibt vom "Wunder von Bremerhaven". und erklärt die "Eisbären" sogar schon zum Inhaber von "Platz 1"(hinter Alba Berlin). "Sarunas ist ein sehr ruhiger Typ, der alles akribisch analysiert," so zitiert die Presse Andreas Martin, den Bremerhavener Assistenztrainer. Die Presse schaut Chefcoach Sakalauskas nun sehr genau zu, und zitiert auch einfache Aussagen wie: "Alles ist neu und interessant für uns. Deshalb sind wir besonders motiviert. Das hat uns geholfen".(Sportal) "Sakalauskas sieht keinen Grund, das Saisonziel Klassenverbleib zu korrigieren," schreibt Sport1, und fügt hinzu: "Es scheint, als würde die Liga Bremerhaven schneller kennenlernen, als ihr lieb ist." Nach dem 99:69 Erfolg der Eisbären in Braunschweig formulierte NEWSKLICK: "Die Gedanken schwirrten bei den Braunschweigern noch um die Eisbären, die sie mit Haut und Haaren verschlungen hatten."

Bereits seit 2000 arbeitet Sakalauskas in Bremerhaven, nachdem er mit "Lietuvas Rytas" aus Vilnius erfolgreich war und auch die litauische Meisterschaft holte. Heute lebt Sakalauskas mit Frau Ruta und Sohn Juozas in Bremerhaven, und hat 2004 seinen Vertrag auch um 2 Jahre verlängert. Auch das Umfeld der "Eisbären" hat der Coach ein wenig "litauisch sortiert": mit Vidmantas Slapokas ist ein weiterer Litauer für die Fitness und Athletik der Mannschaft zuständig, und natürlich gibt es bei den Eisbären auch litauische Spieler. Audrius Maneikis wurde aus den USA nach Bremerhaven geholt, Edvaldas Jozys kam aus Belgien, und auch Dainius Miliunas ließ sich aus dem litauischen Basketballparadies, wo die Korbjäger spätestens seit dem Gewinn der Europameisterschaft 2004 fast Volkshelden sind, an die Nordsee locken.

Litauen selbst scheint noch nicht so recht bemerkt zu haben, wie erfolgreich ihr Landsmann ist. Die litauische Basketballseite Krepsinis-Net führt Sakalauskas immer noch als 2-Liga-Trainer. Auf der Homepage der Eisbären Bremerhaven dagegen sind schon Spekulationen zu lesen, der Spitzenklub Litauens, Zalgiris Kaunas, wolle Sakalauskas abwerben. Auf Eurobasket.LT werden die litauischen Fans besser bedient: hier verfolgen die litauischen Deutschland-Korrespondenten aufmerksam das deutsche Sportgeschehen. Ein litauisches Infoportal spekuliert sogar über Sakalauskas als zukünftigem Nationaltrainer in Polen.

Bremerhaven gewöhnt sich gerne an die bundesdeutsche Aufmerksamkeit. So musste vor dem Spiel gegen den amtierenden deutschen Meister Bamberg am 20.11. die Anfangszeit von den für die treuen Fans gewohnten 16 Uhr auf 19.20 Uhr verschoben werden, weil der Pay-TV-Fernsehkanal PREMIERE sich für eine Live-Übertragung entschieden hatte.