29 September 2012

Litauen: Arbeit suchen, oder wählen gehen?

11.000 im Ausland lebende Litauer haben bisher ihr Interesse bei den Botschaften und Konsulaten angemeldet, sich an den am 14.Oktober stattfindenden Parlamentswahlen zu beteiligen.Das wäre etwas mehr als beim letzten Mal, als zwar 16.000 Wahlberechtigte sich registrieren ließen, aber nur 10.300 der Auslandslitauer tatsächlich teilnahmen.
Leicht deprimiert
scheint die "Ich-geh'-
zur-Wahl"-Figur
der zentralen
litauischen
Wahlkommission

dreinzuschauen:
wo sind die Wähler?
Die meisten Anfragen gingen auch diesmal in England und Irland ein, wo bei den vergangenen Wahlen von 3500 registrierten Litauern 1886 zur Wahl gingen. Mitglieder der zentralen Wahlkommission äußerten die Hoffnung dass wenigestens insgesamt 20.000 der im Ausland lebenden Litauer sich an der Parlamentswahl beteiligen werden. "Nicht alle gehen zu den Botschaften und geben ihre Adressen und persönlichen Angaben dort an," so wird ein Vertreter der Wahlkommission in der litauischen Presse zitiert.

Dazu passen vielleicht Meldungen, denen zufolge die Bevölkerung in Litauen nun auch offiziell unter 3 Millionen gefallen sein soll. Das offizielle Ergebnis einer Volkszählung aus dem Jahre 2011 hatte noch 3.043 Millionen Einwohner ergeben (siehe 15min). Seit diesem Zeitpunkt sei die Bevölkerung aber nur in vier Bezirken in Litauen leicht gestiegen: in Vilnius, im Bezirk Kaunas, in Neringa und in der Stadt Klaipeda; in den 56 anderen Gemeinden sei sie weiter gefallen. Der Zählung von 1989 zufolge waren es damals 3,67 Millionen Einwohner gewesen.
Eine andere interessante Besonderheit der aktuellen Einwohnerstatistik ist, dass 42% der Frauen, aber nur ein Drittel der Männer einen Bildungsabschluß an einer höhere weiterführenden Schule angeben. Ob auf dieser Grundlage aber die Schlußfolgerung erlaubt sein könnte, dass die meisten besser ausgebildeten litauischen Männer längst im Ausland arbeiten, wird in der litauischen Presse nicht weiter kommentiert.

Entwurf des Wahlzettels für den 14.Oktober
Diejenigen, die zur Wahl gehen wollen, machen sich vielleicht über zwei Dinge Gedanken: wen soll ich wählen, und was soll sich inhaltlich in der Politik ändern. Aktuelle Umfragen weisen die bisherigen Oppositionsparteien als wahrscheinliche Sieger aus: Sozialdemoraten (Lietuvos socialdemokratų sąjunga) und "Arbeits-Partei" (Darbo partija) liegen jeweils bei über 15%. Ebenfalls voraussichtlich die 5%-Hürde überwinden werden die Partei "Ordnung und Gerechtigkeit" (Tvarka ir teisingumas) sowie die regierende "Vaterlandsunion - litauische Christdemokraten" (Tėvynės Sąjunga – Lietuvos krikščionys demokratai) von Ministerpräsident Kubilius. Die Umfragen weisen für die gegenwärtig noch mit regierende Partei der "Liberalen Bewegung" (Lietuvos Respublikos liberalų sąjūdis) um die 5% aus.
Für Präsidentin Dalia Grybauskaite kennzeichnet sich der litauische Wahlkampf auch durch einen "Mangel an Ideen" (siehe Baltic Times). "Zwar stellen sich 20 Parteien zur Wahl, aber ich höre von ihnen wenig Vorschläge was in Zukunft zu tun sei," sagte sie.

Zwar gibt es auch inhaltliche Themen im litauischen Wahlkampf, aber für die Wähler ist nur schwer zu erkennen was sie bekommen, wenn sie bestimmte Kandidaten oder Parteien unterstützen. Tritt Litauen wirklich schon 2014 der Eurozone bei? Für die Regierung war dies bisher eines der Hauptargumente für allerlei Sparmaßnahmen und Einschnitte. Inzwischen schwenken führende Regierungspolitiker um und reden öffentlich nur noch vom "Beibehalten der Sparpolitik" - der Beitrittstermin ist aber angesichts sinkender Popularität des Euros in der Bevölkerung erstmal offen.
Gleichzeitig mit den Parlamentswahlen findet ein Referendum zum Bau eines neuen Atomkraftwerks bei Ignalina statt. Ausgerechnet in Japan hat sich die litauische Regierung einen neuen Partner für das Projekt gesucht - Hitachi. Ein Reaktor, der nach Aussagen der Planungsverantwortlichen 2021 ans Netz gehen soll - während die tatsächliche Höhe der Baukosten aber vorerst im Unklaren bleibt, und verbindliche Zusagen der Kofinanzierung aus Estland, Lettland und Polen noch ausstehen. Worüber kann also eigentlich wirklich abgestimmt werden? Es wird wohl allenfalls ein Stimmungsbild werden, und die neue litauische Regierung muss nach den Wahlen dann unter denen, die an der Regierungsbildung beteiligt werden aushandeln, was sie daraus macht. Zwischenzeitliche Umfragen wiesen bereits aus, dass eine Mehrheit der Litauer sich inzwischen gegen den Bau eines neuen Atomkraftwerks ausspricht. Die Konzernspitze bei HITACHI scheint sich einstweilen aber auch bereits auf einen möglichen Ausstieg vorzubereiten: falls Litauen selbst das nicht auslösen möchte, könnte auch eine Reaktion aus Estland, Lettland oder Polen auf das Ergebnis des litauischen Referendums dies verursachen (siehe 15min). 

Regierungsvertreter jedenfalls zeigen sich momentan äußerst nervös: Außenminister Audronius Ažubalis ließ vor einigen Tagen die weißrussische Anti-Atom-Aktivistin Tatyana Novikova die Einreise nach Litauen verweigern (Bellona), und verweigerte auf Nachfragen von Journalisten jede Stellungnahme dazu. Angeblich habe man Novikova bescheinigt, "die Sicherheit mindestens eines EU-Staates zu gefärden". - Die Hoffnung, dass regierungstreue Medien die Sache solange nicht zum Thema machen wie die Regierung sie zum Un-Thema erklärt mag aber trügen: litauische Behörden mussten sich bereits öfter mit Verdächtigungen auseinandersetzen in Europa mit zwei Zungen zu sprechen: einerseits den "letzten Diktator Europas" in Weißrussland gemeinsam mit allen EU-Mitgliedern zu kritisieren, aber intern auf Behördenebene immer dann, wenn es den litauischen Regierenden gerade passt, wunderbar zu kooperieren.

Weitere Infos zur Wahl:
Zentrale Wahlkommission Litauen

03 September 2012

Tierquälende Litauer?

Litauen gilt als eines derjenigen Länder in Europa, wo noch mehr naturgemäße Landschaften erhalten sind als im restlichen Europa. Gerade aus den dichter besiedelten Metropolen fahren Menschen gerne nach Litauen, auch um selten gewordene Tiere und Pflanzen in freier Natur zu bestaunen. Auch der Tourismus in Litauen profitiert davon: den Deutschen ist zumindest die Kurische Nehrung ein Begriff, und allzu oft stehen auch vor jedem Storchennest am Wegesrand in Litauen bereits staunende, fotografierende Gäste.
Da passt nicht so recht ins Bild, was der Deutsche Tierschutzbund vor einigen Tagen meldete: eine Braunbärin mit dem schönen "baltischen" Namen Maya (oder, einigen litauischen Quellen zufolge, auch ""Maša" - es gab extra eine Umfrage zur Namenswahl) musste aus einem nur 20qm großen Käfig in Litauen "gerettet" und in den Anholter Bärenwald (Isselburg/Nordrhein-Westfalen) überführt werden. Über 15 Jahre soll die Bärin, die inzwischen 18 Jahre alt ist, angeblich in einem Käfig neben einem Restaurant in Litauen eingesperrt gewesen sein. Beteiligt an der Aktion war auch die litauische Tierschutz-NGO "Lietuvos gyvūnų teisių apsaugos organizacija" (LGTAO).

Die Berichte zur Aktion dazu sagen nichts über den bisherigen Eigentümer in Litauen. Welche Art Retaurant war das? Gab er die Bärin freiwillig ab, was sagte er zur Begründung der Bärenhaltung? Die kleine Bärin soll anfangs aus Russland zum Restaurantbesitzer gelangt sein - Tierbabies als Attraktion für irgendwelche Geschäfte, so wäre es nicht zum ersten Mal. Die Besucher des Restaurants sollen die Bärin mit Eis, Süßigkeiten und Cola "gefüttert" haben. Vielleicht ist es auch besser, über Einzelheiten jetzt zu schweigen. Manchmal kommt eben denen, die Natur mehr als genug zur Verfügung haben, der Sinn fürs lebendige Leben etwas abhanden - anonsten wäre es ja vielleicht auch eine Idee gewesen, einen solchen "Bärenwald" in Litauen einzurichten, statt im dicht besiedelten Deutschland. Der Haken dabei: auch in Anholt lebt das Projekt allein von privaten Spenden - Tierschutz in dieser Fall also vor allem dort, wo Menschen ihn bezahlen können ...

Bericht Tierschutzbund  / Anholter Bärenwald / LGTAO / Video zur Ankunft der Bärin in Anholt

13 August 2012

Fast vergessen

Edwin Geist,etwa 1934
(Abb. aus dem Buch
"Edwin Geist: Stündlich
zähle ich die Tage")
Als er in den 30er Jahren nach Kaunas ging, um dort ein neues Leben anzufangen, träumte er von einer erfolgreichen Arbeit als Kapellmeister und Komponist. In Kaunas fand er seine große Liebe, Lyda Bagriansky. Er arbeitete an einem Musikschauspiel "die Heimkehr des Dionysos" und komponierte inspiriert von litauischen Liedern und Gedichten von Benediktas Rutkūnas. Er interessierte sich für Sutartinen und kannte Jadwiga Čiulionytė, die Schwester des Komponisten und Malers Mikolajus Konstantinas Čiulionis. Jadwiga erzählt: "Sein Haar war immer etwas zerzaust, und er blickte kurzsichtig hinter seiner spiegelnden Brille hervor, stets bereit, sich an den Flügel zu setzen und eine Melodie zu improvisieren. Er war immer gut aufgelegt und kameradschaftlich, aber er hatte einen aufwallenden Charakter. Er war heißblütig, weshalb wir öfters in Streit gerieten. Aber gewöhnlich versöhnten wir uns schnell wieder. Danach erschien es mir immer, als kennten wir uns schon sehr lange. Denn so in Streit geraten und sich danach wieder versöhnen, das können nur alte Freunde."
Lyda Geist,etwa 1940
(Abb. aus Edwin Geist
"Stündlich zähle
ich die Tage")
Im Frühsommer 1940 veröffentlichte er das Buch "Antikes und modernes im litauischen Volkslied". Danach wurden seine kurze Zeit lang seine Kompositionen im litauischen Radio gespielt. Nach der Besetzung Litauens durch die Nazis muss er mit seiner Frau Lyda ins Ghetto Kaunas ziehen. Nach einiger Zeit gelingt es Freunden, ihn herauszuholen, die Nazis verlangen als Bedingung die förmliche Scheidung von Lyda. Außerhalb des Ghettos schriebt er fünf Hefte voll, Tagebücher an Lyda, die er auch herausholen will aus dem Ghetto. Sie kommt sogar frei - aber er wird wieder verhaftet und kurz danach erschossen. Lyda nimmt sich selbst das Leben - und Freunde retten die Noten aus der polizeilich versiegelten Wohnung.

Die Details dieser Geschichte sind erst seit kurzem bekannt geworden. Der Komponist hieß Edwin Geist, oder, mit seiner Lyda verheiratet in Kaunas lebend, Edwinas Geistas. Reinhard Kaiser gab zwei Bücher dazu heraus, kürzlich erschien "Edwin Geist - Stündlich zähle ich die Tage" in der Reihe der Anderen Bibliothek. Das Werk von Edwin Geist wird Thema eines ausführlichen Gesprächs mit der Sopranistin Verena Rein sein, dass am 28.August in der Sendung "Baltische Stunde" zu hören sein wird.

30 Juli 2012

Litauen schwimmt

Überraschende Medaillenhoffnung für Litauen:
Ruta Meilutyte
Montag, 30.Juli, kurz nach Mitternacht. Wird Litauen heute zu einer Schwimmer-Nation? Gut, Basketball ist immer noch Sportart Nummer Eins, aber aus verschiedenen Gründen sieht es dort ganz so aus, als ob Litauen bei Olympia 2012 weit außerhalb der Medaillenränge bleiben wird.
Da überrascht eine junge, erst 15-jährige Schwimmerin, die heute abend im Finale über 100Meter Brust mit guten Chancen an den Start geht: Ruta Meilutytė.
In England hat sich die junge litauische Sportlerin schon länger eingewöhnt, denn sie studiert am Collage in Plymouth.
"No stories about this athlete" - diese magere Nachricht im
Sportportal der britischen BBC wird sich voraussichtlich
sehr bald ändern
"Keine Nachrichten zu dieser Sportlerin" - diese schlichte Auskunft wird sich wohl sehr bald das Sportportal der britischen BBC auch nicht mehr leisten können.

Wer bei "This is Plymouth" dagegen vorbeischaut, erfährt schon wesentlich mehr: 2011 gewann Ruta bei der erstmals durchgeführten Jugend-Olympiade schon mal eine Goldmedaille, aber London 2012 wolle sie "zum Lernen" nutzen, sagt sie selbst vor Beginn der Spiele. Auch der Vater, Saulius Meilutis, ist in Plymouth ansässig und arbeitet mit Behinderten, so weiß es das Portal zu berichten.
Den bisherigen litauischen Rekord über 100m Brust von 1:07.30 min hat Ruta jetzt im Vorlauf bereits deutlich auf 1:05.21  min verbessert - der viertschnellsten je auf dieser Strecke geschwommenen Zeit, und gleichzeitig neuer Europarekord (das Foto auf Eurosport gibt wieder, wie überrascht sie selbst davon war).
In Plymouth wurde inzwischen Ruta's englischer Schwimmtrainer John Rudd interviewt (BBC Sport), der sich ebenfalls von den Erfolgen seines Schützlings überrascht zeigt, aber auch die 100m Brust zu Ruta's großer Stärke erklärt. Auch das Magazin "SwimmingWorld" sieht sich veranlasst vorauszusagen, dass Meilutyte die erste Medaillengewinnerin des unabhängigen Litauen im Schwimmen werden könnte. Die drei die es bisher gab schwammen für die Sowjetunion: Robertas Žulpa und Lina Kačiušytė gewannen Gold in Moskau 1980, Arvydas Juozaitis in Montreal 1976 Bronze. Alle drei in der Disziplin Brustschwimmen übrigens!
Auch die Zahl ihrer (Stand heute) erst 37 "Ruta"-Fans auf Facebook wird sich wohl schnell vermehren. Und das US-Sportportal ESPN macht die Story zur Schwimm-Überraschung Meilutyte mit der Schlagzeile auf: "am Tag, als sich alles änderte". Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite jedenfalls verschob ihre Rückkehr aus London um einen Tag, um sich heute das Finalrennen noch ansehen zu können.

Nachtrag, Montag, 30.Juli, 21.30 Uhr: Noch Fragen?

Dienstag, 31.Juli. Nachzutragen wäre die Reaktion der Presse.
Ruta and family - ein Foto aus der englischen "Daily Mail"
zwei Brüder, Vater und Oma (die Mutter starb bei
einem Autounfall als Ruta vier Jahre alt war)
In England ist man offenbar stolz auf das "Plymouth-Girl" - "unfortunately she's competing for Lithuania!" schreibt die "Daily Mail", und ergänzt die Berichterstattung mit einigen Fotos: Ruta mit Goldmedaille, Ruta mit Familie, Ruta mit weiteren drei Olympiateilnehmern des Plymouth College, Ruta bei der Siegerehrung."Von dem Moment an, in dem sie das Wasser berührte, dominierte sie die Konkurrenz" ist im "Independent" zu lesen. Und im "Guardian" äußerte sich eine Sprecherin des Plymouth-College stolz auf die Schülerin aus Litauen, denn die 1877 gegründete Schule sieht ihren Ruf jetzt erheblich gestärkt - trotz langer Tradition wurden hier bisher keine besonderen Sporttalente hervorgebracht. Erst vor 12 Jahren wurde in Plymouth die Entscheidung getroffen, ein 25m-Schwimmbecken zu bauen, und heute nutzen Sportler aus insgesamt 67 Ländern die verschiedenen neu entwickelten Sportanlagen, im Schwimmtraining sind Schülerinnen und Schüler aus 15 Ländern anzutreffen, die jeden Schultag um 5.30 Uhr morgens zum ersten Mal in den Pool springen. Fast hätte Turmspringer und Plymouth-Schüler Tom Daley am Vortag die erste Olympia-Medaillenernte einfahren können - er wurde Vierter. Ruta bügelte diese kleine Enttäuschung auch aus englischer Sicht aus.
Auch der "Standard" stimmt in die Euphorie ein: "How teenage Ruta stole a Nation's heart" - was aber wohl nicht bedeuten soll, jemand fühle sich bestohlen. Im Gegenteil: "we are so proud of her" - wir sind so stolz auf sie.

Da sehen die Reaktionen in der deutschen Presse doch etwas anders aus. Sportlich wird der litauische Sieg hauptsächlich als Rückschlag fürs US-Team geschildert (so wie in der Rheinischen Post oder Sport1 : "15-Jährige düpiert Weltmeisterin Soni"). Bei Spiegel online, Bravosport, Sport-Bild und TAZ dagegen wird Ruta Meilutyte nur in Zusammenhang mit der 16-jährige Chinesin Ye Shiwen genannt, die über 400m Lagen gewann. Im Leserforum des Spiegel beschwert sich sogar jemand, dass der Erfolg der Chinesin negativer gesehen wird in der deutschen Öffentlichkeit als derjenige der Litauerin. Ja, wie alt war denn "Franzi" von Almsiek, als sie ihre erste Olympiamedaille gewann? Deutsche "Schwimmfans", bisher medaillenlos, werden zu zynischen "Experten". "Komisch finde ich das schon, dass es SchwimmerInnen gibt, die plötzlich aus dem Nichts auftauchen und sofort auf Weltspitzen-Niveau schwimmen," solche Ansichten sind scheinbar opportun und karrierekompatibel für die deutsche Öffentlichkeit (Zitat Sigrid Deitelhoff im TAZ-Blog). Ok, es gab schon litauische Radrennfahrer, die erst Tour-de-France-Etappen gewonnen und sich dann als fleissige Doper herausstellten - aber ist das wirklich der einzige Aspekt, wenn deutsche Journalisten über die Sportszene in Ländern berichten wollen, die sie offenbar nicht kennen? Da wird die Überraschung offenbar auch zur eigenen Entschuldigung genutzt, sich damit nicht näher befassen zu müssen. Schade.

Dann kämen noch die litauischen Medien. In allem Überschwang und bei aller Freude scheint da ein leichter Ton der Selbstkritik mitzuschwingen: Ruta Meilutytė steht NICHT für hervorragende Sportförderung ihres Landes, das sie so gern auf dem Siegertreppchen vertritt. "Komm nach England, es ist besser für Dich" sagte ihr Vater, und steht damit für viele, die unter den gegenwärtigen Lebens- und Arbeitsbedingungen in Litauen keine Chance sehen, oder als Arbeitslose sogar gezwungen sind, sich irgendwo anders eine Chance zu suchen. Aber ich denke, die meisten Litauer wissen das: für große Sporterfolge braucht man in einem so kleinen Land auch eine Menge Glück. Nur könnte vielleicht der Neid auf "die ins Ausland fliehen" in Zukunft vielleicht etwas weniger werden. Nicht wenige werden, wenn sie das Land verlassen, als "Verräter" beschimpft. Vielleicht wird es auch durch die Erfolge von Ruta etwas leichter, die Chancen und Risiken in Europa auch aus litauischer Sicht etwas gelassener zu diskutieren.

Noch ein Nachtrag, 2.August. Liebe Leute von (deutschsprachigen) Wikipedia: es war interessant zu beobachten, wie eure Schreiber diesen kleinen Post über meine Vorahnung vom litauischen möglichen Schwimmsieg als einzige deutschsprachige Quelle zitierten, und einiges daraus inhaltlich übernahmen - zwischen dem 30.7. um 21.36 Uhr (erster Wikipedia-Beitrag) und dem 31.Juli 8.11 Uhr morgens. Dann schlug die "Schwarmintelligenz" zu, ehemalige Quellen sind nicht mehr wichtig, in der neuen Fassung wird "Spiegel online" als Quelle angegeben. Na gut. Positiv ist, dass nun auch litauischsprachige Quellen ergänzt sind.
Auch interessant, dass die Argumente dabeistehen, warum andere, ehemals hier übernommene Inhalte inzwischen im deutschen Wikipedia-Beitrag zu Meilutyte wieder weggestrichen wurden. Zum Beispiel, Zitat Wikipedia-Autor: "Die Nennung der anderen litauisch/sowjetischen Sieger ist hier unnötig. Es wird ja explizit gesagt, sie sei die erste des unabhängigen (!) Litauen. Da muss man nicht noch Sieger aus der Ära vor der Unabhängigkeit nennen."
Beim Blick ins litauischsprachige Wikipedia sehe ich (Stand heute), dass dort ebenfalls die sowjetisch-litauischen Schwimm-Medaillengewinner im Beitrag zu Meilutyte (noch?) nicht genannt sind. Verschiedene Seiten von Euphorie offenbar - aber meinerseits schreibe ich lieber über persönliche Eindrücke als über schwarmgeschminkte Fakten. Und ich glaube auch nicht, dass diejenigen litauischen Sportler, die zu Sowjetzeiten ihre Erfolge erungen haben, im Litauen von heute vergessen sind. Das nur am Rande, weil es so interessant war zu beobachten, wie gesagt. 
Und auch der Leser/innenansturm ist nach Rücknahme der Wikipedia-Verlinkung wieder aufs Normalmaß gesunken, puuh. Ende Hausmitteilung.

14 Juli 2012

Der Panther zieht nach Litauen

Fünf Millionen Fahrräder wurden im litauischen Schwesterunternehmen BALTIK VAIRAS
seit Beginn der Zusammenarbeit im Jahre 1993 hergestellt - in Deutschland vermarktet von den Pantherwerken AG mit Sitz in Löhne / Westfalen. Nun wird auch die Produktion von Elektro-Fahrrädern ins litauische Šiauliai verlegt, das ist übereinstimmenden Pressemeldungen zu entnehmen (Westfalenblatt, Neue Westfälische, Vlothoer Anzeiger).

Zur Strafe für Optimismus: ab nach Litauen
Als Grund wird überraschenderweise "Überkapazität" angegeben: am litauischen Standort sei zu optimistisch geplant worden. Es seien Kapazitäten in Litauen aufgebaut worden, die nicht vollständig ausgelastet werden konnten. Bei Baltik Vairas in Šiauliai sind 400 Mitarbeiter beschäftigt. In Löhne werden für die dort dann noch verbleibenden Dienstleistungen nur noch 50 der bisher 125 Mitarbeiter benötigt.

In der westfälischen Lokalpresse (Westfalenblatt) ist inzwischen nachzulesen, dass Gewerkschaft, Betriebsrat und Bürgermeister von Löhne sich empört zeigen über die Vorgehensweise des Unternehmens. In letzter Zeit seien Litauer im Werk Löhne eingesetzt worden, angeblich um diese "einzuarbeiten" und "Auftragsspitzen abzubauen". Nun fühlt man sich hintergangen. Zudem wird befürchtet, dass ein Interessenausgleich zwischen Firmenleitung und bisher Angestellten so aussehen könnte: ein paar Monate lang könnte die Arbeit daraus bestehen, Produktionsanlagen in Löhne ab- und in Litauen wieder aufzubauen.

26 Juni 2012

Alekna schockt deutsche Sportjournalisten

"Ich bin bereit - die EM und Olympia können kommen!"
so scheint es "Altmeister" Virgilius Alekna allen
Konkurrenten sagen zu wollen (Abb. "sportas.lt")
Virgilius Alekna ist ein in Deutschland gut bekannter Name. Olympiasieger im Jahr 2000 in Sidney (2004 ebenfalls, da der eigentliche Sieger wg. Dopings überführt wurde), Weltmeister 2003 und 2005. Inzwischen ist Alekna 40 Jahre alt und einigen noch durch vielfache Duelle mit Lars Riedel bekannt. Vielleicht haben einige gedacht, seine Erfolge seien schon ein bischen zu lange her. Morgen beginnen im finnischen Helsinki die Leichtatlethik-Europameisterschaften (allerdings ohne Alekna). Und gestern meldete der deutsche Sportinformationsdienst (sid) ein Ergebnis eines Diskus-Wettkampfes aus dem litauischen Klaipeda: Alekna warf 70,28m, und damit nur wenige Zentimeter weniger als der deutsche Europameisterschafts-Favorit Robert Harting, und 9cm weiter als bei seinem letzten großen Erfolg bei den Europameisterschaften 2005 - in Helsinki!

Schon vor einigen Tagen hatte "leichtathletik.de" gemeldet: "Alekna mit 40 in der Form für Gold". Vielleicht freuen sich einige also wieder auf die bekannten "deutsch-litauisch-estnischen" Wettkämpfe in dieser Sportart (Gerd Kanter aus Estland ist ein weiterer Favorit). Nun sind es aber schon so viele "Balten" dass die deutschen Medien leicht durcheinander geraten. Der Zweitplatzierte von Klaipeda, Alexander Tammert, wurde vom Sid nach "ebenfalls Litauen" einsortiert. Auffällig dabei die Gleichzeitigkeit: der vom sid stammende Text wurde online am gleichen Tag von "Welt", "Zeit", "Focus" "Sport1" und mehreren Nachrichtendiensten identisch verwendet. Einzig die estnische Heimatpresse ("Õhtuleht") meldet es korrekt, und der Betroffene selbst erzählt auch noch von starkem Wind, der die Werfer in Klaipeda begünstigt habe und für etwa 2-3 zusätzliche Meter pro Wurf gesorgt habe. Hmm, war also vor Ort kein deutscher Journalist dabei?
Besonders "schlau" berichtet die "Rheinische Post": der vorgegebene Text vom "ebenfalls Litauer" Tammert wird leicht umformuliert und liest sich dann so:
"Der zweimalige Olympiasieger Virgilijus Alekna setzte sich im litauischen Klaipeda an die zweite Stelle (70,28) und dürfte trotz seiner 40 Jahre der größte Konkurrent des Berliners bei den Olympischen Spielen in London werden. Dort wird auch Aleknas Landsmann Alexander Tammert nach seinem Wurf auf 69,28 Meter dabei sein."
Begehrte Objekte in dieser Woche in Helsinki:die
Veranstalter wünschen sich vor allem gutes Wetter,
die Teilnehmer natürlich Medaillen
Glückwunsch! Noch mehr Wind im litauischen Stadion? Hier wird nun nicht nur "Aleknas Landsmann" falsch zugeordnet, sondern auch noch die Herkunft der verdrehten Infos kenntlich gemacht. Der Ursprungssatz des sid hieß nämlich so: "Der bereits 40-Jährige übertraf damit den Masters-Weltrekord, den seit 1980 der viermalige Olympiasieger Al Oerter (USA) mit 69,28 m hielt." 

Also: Nur keine Angst, Robert Harting. Weniger Zeitung lesen, mehr trainieren! Beim Diskus-Endkampf in Helsinki (Samstag abend ab 19.10 Uhr, finnische Zeit) wird es vielleicht auf wenige Zentimeter ankommen, bei der Berichterstattung darüber manchmal auf wenige Buchstaben.

Webseite der Leichtathletik-Europameisterschaften Helsinki 2012

20 Juni 2012

Der liebe Herr Paleckis

Interessante Nachrichten gibt es aus Litauen. Da kämpft angeblich ein Mensch namens Algirdas Paleckis um die freie Meinungsäußerung und legt sich deshalb mutig mit mehreren Gerichten an. Der Ex-Sozialdemokrat Ex-Parlamentarier und Ex-Vizebürgermeister von Vilnius spricht ein für Litauen immer noch heißes Eisen an: die Vorgänge im Januar 1991 vor dem Fernsehturm von Vilnius, als sowjetische Sondereinheiten mit Panzern dort auffuhren, um die Unabhängigkeitsbewegung zu stoppen. Mehrere Menschen kamen damals ums Leben. Paleckis Behauptung: damals schoss nicht das anrückende Militär in die Menge, sondern litauische Provokateure.

spielt die sowjetische Karte, gibt sich als Sozialist
und Russen-Versteher: Algirdas Paleckis
(Abb.: Ru-news)
Offene Wunden
Gerade was die historischen Ereignisse von 1991 angeht, reagiert Litauen sehr sensibel. Das mussten auch Grenzbehörden in Österreich im vergangenen Jahr lernen, die einen von litauischer Seite gesuchten Ex-KGB-Mann wieder freiließen, der damals im Januar 91 die "Gruppe Alpha" ("schwarze Barette") befehligte (siehe "europäische Nachhilfestunden"). Man kann also nicht gerade von einer hohen Aufklärungsbereitschaft auf Seiten russischer Behörden reden - dort wurde bisher alles versucht, konkrete Details der damaligen Vorgänge eher im Dunkeln zu lassen, einschließlich der interessanten Frage, in wieweit der damalige Regierungschef Gorbatschow über Pläne und Vorgänge informiert war. Die heutige Berichterstattung der staatlich gelenkten russischen Medien versucht sich in herablassendem Ton: während Litauen sich selbst als "zeitweise besetztes Land" sieht, definieren es die russischen Organe gern als "ex-Sowjetstaat" und lassen die genauen Umstände, wie es dazu kommen konnte, dass Litauen nicht mehr zum Moskau-dominierten System gehören möchte, gerne außen vor. Noch diese Woche zitierte "RIA NOVOSTI" genüßlich den litauischen Regierungschef Andrius Kubilius, den Begriff "sowjetische Besatzung" in Anführungszeiten setzend - und mit dem Hinweis darauf, dass "stalinistischen Repressalien" alle "Völker der damaligen Sowjetunion" tangiert hätten. Die Litauer sollen sich mal nicht so anstellen! Ist das eine mögliche Einstellung von Russen gegenüber ihren Nachbarn? Oder ist es nur Teil des üblichen Dominanzgehabes eines selbstherrlichen Machtapparats?

Smart, wohlerzogen, sprachgewandt
Nun also Herr Paleckis. Wohlerzogen, wenn man so sagen darf: sein Vater Diplomat und Mitglied des Europaparlaments, sein Großvater von Sowjetbehörden installierter Ministerpräsident, scheint dies eine Familie der Antagonisten zu sein. Immerhin saß auch Algirdas Paleckis zweieinhalb Jahre für die litauischen Sozialdemokraten im Parlament, bevor er seine eigene Partei "Sozialistische Volksfront" („Socialistinis liaudies frontas“ ) gründete. Im Internet ist ein Video verfügbar, in dem er seine Einstellung erklärt (link youtube). Schon die bloße Wiedergabe dieser Thesen ist aufschlußreich:
- 1991 habe Gorbatschow unberechtigterweise Panzer nach Vilnius geschickt, bei den folgenden Unruhen rund um den Fernsehturm in Vilnius habe es Tote gegeben. Aber nie sei es bewiesen worden, wie diese Menschen zu Tode gekommen seien. Die "litauische Propaganda" habe aber behauptet, dies sei durch die sowjetischen Sondereinheiten verursacht worden, und DAHER sei der Zusammenbruch der Sowjetunion beschleunigt worden. DADURCH sei auch "Russland zum Feind erklärt wurden", und dieselbe Begründung ("Folgen der Sowjetzeit") nutze die litauische Regierung bis heute, um die Wirtschaftskrise zu begründen. Diesen Thesen folgend, wäre am Ende wohlmöglich gar kein Makel mehr zu finden am Sowjetsystem, sondern allein bei Gorbatschow.
- Paleckis zitiert eigene Aussagen aus dem Jahr 2010, wo er behauptet habe, im Januar 1991 seien es litauische Provokateure gewesen, die "von den Dächern aus geschossen hätten" ("auf Befehl von Landsbergis"). Dafür habe er "eine Menge Zeugen"  (welche das genau sind, sagt er aber nicht). Die Kugeln in den Körpern der Getöteten stammten von Jagdflinten, so seine Behauptung. Diese Aussagen seien Auslöser für einen Gerichtsprozeß gegen ihn gewesen.

Neue Mythenbildung?
Nun widersprechen seine Aussagen allen vorliegenden Untersuchungsergebnissen zu den Ereignissen von 1991. Paleckis selbst hat keine Zeugen für seine Behauptungen, sondern zitiert nur andere Publikationen, die ihrerseits ebenso grundlos sich nur auf Vermutungen und Verdächtigungen stützen. Auffällig ist auch die behauptetete Ausschließlichkeit: vielleicht kommt es Liebhabern von Verschwörungstheorien ja entgegen, wenn man nicht für wahrscheinlich erklärt dass es auch andere Todesschützen gegeben haben könnte - nein, gleich ALLE müssen dann von Litauern erschossen worden sein. Möglichst dick auftragen.
So what? Es wäre ja schön, wenn die Gründe für die gegenwärtige Wirtschaftskrise (zum Beispiel) so einfach zu finden wären (und dann mit Wiedererrichtung Sowjet-Litauens abzustellen? Na, die Litauer werden sich bedanken!). Paleckis hofft offenbar - wenn man seinen selbst aufgezeichneten Erklärungen glauben kann - dass gleich die ganze "litauische Ideologie des gegenwärtigen nationalistischen und xenophobischen Regimes" zusammenbricht, sollte es gelingen öffentlich zum Ablauf der Ereignisse 1991 Zweifel zu säen. Gleichzeitig gibt sich Paleckis aber auch gewissermaßen als "russischer Seelenversteher", wenn er zur Eröffnung eines Prozeßes gegen Gorbatschow aufruft (dem viele Altstalinisten und Sowjetromantiker ja anlasten, er habe die Sowjetunion zu Grunde gerichtet).

Und Paleckis baut offensichtlich auch auf eine gewisse Unkenntnis des Westens, Osteuropa betreffend. Wer interessiert sich schon explizit für Litauen? Zielgruppe zu klein, könnte man sagen. Wer weiß schon, in welchem der drei baltischen Staaten die Russen eigentlich zahlenmäßig stark vertreten sind und teilweise keine reguläre Staatsangehörigkeit besitzen? Irgend wo da in der Nähe war das doch? Und marschieren da nicht immer wieder Ex-SS-Angehörige auf? Die Lieblingsschlagzeile aller, die sich sonst eher wenig für diese Staaten interessieren. Und bin ich schon Faschist, Russenhasser oder gar Antisemit, wenn ich die Argumentation Paleckis als ziemlich merkwürdig anzweifle? Immerhin haben bereits verschiedene Anti-Faschismus-Seiten im Internet für Paleckis (z.b. "World without Nazism /  "our friend") Partei ergriffen. Immerhin auch der für seine berechtigt kritischen Thesen zur fehlenden Aufarbeitung des Holocaust in Litauen bekannte Dovid Katz und seine Webseite "Defending History", dessen Engagement ich für bewundernswert halte. Die Liste der Palecki-Unterstützer ist also bunt. 
Und sogar im Sinne aktueller europäischer Diskussionen läßt sich das Thema offenbar wunderbar einspannen. So veröffentlichte die Kommunistische Partei Griechenlands ein "Gratulationsschreiben" an Herrn P. als vermeintlichem "Kämpfer gegen Verbrechen des Kommunismus". Paleckis habe die "zeitlose Notwendigkeit des Sozialismus/Kommunismus" nachgewiesen. Es wächst die Zahl der Ehrenmedaillen an Paleckis Brust. Aus griechisch-kommunistischer Sicht ist dann der Einsatz gegen "angebliche sowjetische Verbrechen" auch gleichzeitig eine "fundamentale ideologische Aufgabe bei der Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse".

Skuriller Zündstoff für alte Frontlinien
Da fragt man sich langsam: wo bleibt das Glückwunschschreiben von Margot Honecker? Anti-Gorbatschow Putschist Alfred Rubiks aus dem baltischen Nachbarland Lettland wird sich ja wohl längst hier eingereiht haben. Der Blog "Sovjetrussianow" jubelt bereits: "Paleckis, der neue Dreyfus in Europa". Immerhin greift das "Neue Deutschland" den Fall schon mal auf, und spöttelt süffisant über "Menschenrechtler im Westen", die "schweigend beobachten" würden, wie hier "ein Dissident für sieben Worte bestraft" wird (ist das "neue Deutschland" also "Osten"?). Bestraft? Ach ja, das Urteil. Ob die 3000 Euro Geldstrafe nun das letzte Wort in dieser Sache sein werden, wird man sehen. Gerichtsgegenstand war jedenfalls nie das erneute Aufrollen der Untersuchungen der Toten am Fernsehturm - sondern der Versuch, die gegen die Republik Litauen gerichtete sowjetische Agression (Litauen hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits von der Sowjetunion losgesagt) herunterspielen oder bestreiten zu wollen.

Verknüpft mit dem Gerichtsurteil im Fall Paleckis werden vielfach Beschwerden über ungehindertes Auftreten von Nationalisten und Neo-Nazis in Litauen. Gegen Anti-Semitismus und Rassenhass bleibt in Litauen zweifellos genug zu tun. Aber ob der nette Herr Paleckis da der richtige Anwalt ist, um auch der breiteren Öffentlichkeit hier ein kritischeres Bewußtsein zu vermitteln, muss angesichts seiner merkwürdigen Kapriolen zweifelhaft bleiben.Der Unterschied mag vielleicht darin liegen, dass einige einfach auf Umsturz hoffen, andere auf eine Stabilisierung des Rechtssystems und der Demokratie.


Andere Berichte zu den Ereignissen im Januar 91
Volker Schmidt bei N-Ost / Reinhard Wolff in der TAZ / Knut Mellenthin /

01 Juni 2012

Halbvoll oder halbleer? Mit Atom keinen Euro?

In froher Erwartung sind auch die Numismatiker:
schön soll er werden, der litauische Euro ...
Einige Beiträge in deutschsprachigen Medien dieser Woche stellen unter anderem die Frage, ob Litauen denn noch die Einführung des Euro beabsichtige. Wer ständig die Nachrichten über staatlich gestützte Banken in verschiedenen Euro-Ländern, weiterhin rücksichtslosen Börsenspekulanten und nicht rückzahlbaren Krediten liest, dem mögen Gedanken an weitere Euro-Länder vielleicht wie eine geradezu anachronistische Überlegung vorkommen. Die Situation ist auch nicht so eindeutig, wie es vielleicht scheint: zum einen ist ein eher kleines Land wie Litauen vielen nicht so wichtig wie manche Diplomaten es behaupten mögen. So bleibt ein Für und Wider eines Beitritts zum Euro einerseits ganz der innenpolitischen Diskussion Litauens und andererseits eben den Wirtschaftsexperten überlassen, vor allem denjenigen, die eifrig immer wieder in den Medien zitiert werden. Und andererseits denken die anderen Länder - so auch Deutschland - erstmal immer nur an sich. Könnte die Einführung des Euro FÜR UNS etwas Negatives bedeuten?

Reif oder unreif?
Auch der Blick in die Wirtschaftsnachrichten macht nicht immer schlauer. "Neue Euro-Kandidaten noch nicht reif für Beitritt" schreibt zum Beispiel der FOCUS, ohne allerdings im einzelnen zu erwähnen was bei Litauen angeblich falsch laufe. Das wird die "Märkische Allgemeine" schon genauer: "Litauen und Lettland müssen Inflation senken". Andere sehen in in der Krise eher eine Chance. So schreibt die WELT: "Krise um Griechenland kann Litauen den Weg zum Euro erleichtern." Wie soll das funktionieren? Zitiert wird die litauische Finanzministerin Ingrida Simonyte, die hoffe auf fallende Rohstoffpreise und damit zurückgehende Inflation. "Je schwächer der Ölpreis, desto leichter tut sich ein Land wie unseres beim Eintritt in den Euro" soll sie dem Finanzdienstleister "Bloomberg" gesagt haben. Beim Blick in den aktuellen Konvergenzbericht der EZB wird klar: die gegenwärtige Inflationsate (4,2% im Mittel der letzten 12 Monate) wird nach Prognosen der EZB zwar sinken, die Rohstoffpreise aber steigen. Besonders das Wachstum der Arbeitsproduktivität wird noch in Zweifel gestellt. Die öffentliche Schuldenquote liegt aber nur bei 38,5% gegenüber dem Referenzwert 60% - aber es werden Zweifel am litauischen Rechtsystem geäußert.
Nachdem die Euro-Einführung für Litauen im Jahr 2006 nur an wenigen Statistik-Zehntelpunkten scheierte, schauen litauische Minister offenbar jetzt mit besonderer Akribie auf die Zahlen. Noch 5,5% des Bruttoinlandprodukts betrage das Staatsdefizit, die Messlatte der EU läge bei 3%. Hoffentlich können solche Zahlenspiele diejenigen nachvollziehen, den die Löhne drastisch gekürzt, oder die bereits im Ausland arbeiten.

Jedenfalls gibt es offenbar - unter Bezug auf genau dieselben Zahlen der Europäischen Zentralbank EZB - auch optimistischere Interpretationen. "Litauen sieht sich als Modell für Eurozone" stellt die "Financial Times Deutschland" fest Ein interessanter Satz steht hier in Bezug auf Litauen: "Hinzu kommt dem Bericht zufolge, dass die litauische Zentralbank nicht die Unabhängigkeit genießt, die für die EZB zu den Beitrittsbedingungen gehört." Einzelheiten siehe EZB-Bericht. Aber vor allem Ministerpräsident Andrius Kubilius bemüht sich offenbar um Stimmungsaufhellung, im Gegensatz zu Äußerungen zu Äußerungen von Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite Anfang des Jahres, die eine Euro-Einführung für 2014 als "unrealistisch" bezeichnet hatte (siehe Wirtschaftsblatt, Bild). "Litauen verschiebt die Euro-Einführung" hatte die Schweizer Tagesschau damals gemeldet.

Litauen - ein Modell für Europa?
Kubilius nutzt dagegen in dieser Woche die FAZ um seine Haltung ausführlich darzustellen. "Die Menschen in Litauen erinnern sich noch an die Sowjetzeiten, daher erscheinen ihnen die Sparmaßnahmen die wir treffen mussten als gar nicht so radikal" - so die These des Regierungschefs. Na, dann sind die Zehntausende auf Arbeitssuche in Irland oder anderen angeblichen Arbeitsparadiesen ja wohl aus purer Lebensfreude ausgewandert! Der Satz "Wir haben die Sowjetunion überstanden, da werden wir diese Krise auch überstehen" ist allerdings nicht zum ersten Mal zu hören. Nur: welche Konsequenzen die Menschen in Litauen daraus ziehen, und wie sie die Lage beurteilen - das wird sich ggf. doch stark von dem unterscheiden was Banken sich wünschen. So auch die Lesereaktion in der FAZ: "Litauen ist ein Paradebeispiel für ein geprügelte Bevölkerung ohne Aussichten" schreibt da jemand, und erntet promt als Antwort die Gegenthese: "reisen sie doch mal nach litauen, sie werden wahrscheinlich in kaum einem anderen europaeischen land so viele zufriedene oder gar glueckliche menschen finden...".

Gut, die Reisesaison steht sowieso bevor. Besichtigen wir noch mal den Ort, wo heute mehrere Blöcke veralteter Atomkraftwerke bereit stehen zum Abbau. Oder vielleicht werden diese Fragen auch noch mal als Alternative im Raum stehen: entweder sich hoch neu verschulden durch teuren Ausbau der Atomkraft, oder Euro einführen. Mal sehen wie das ausgeht.

Eine litauische Sicht dazu; siehe VEIDAS

15 Mai 2012

Žinutė von Mamužėlė

Litauer reisen gern durch Europa - aus purer Freude an fremden Sehenswürdigkeiten, oder auf der Suche nach gut bezahlter Arbeit. Oder die Chance auf einen Studienplatz in einer attraktiven westeuropäischen Großstadt wird wahrgenommen. Auf jeden Fall ist anzunehmen, dass all diese litauischen Reisenden die Erfindung des Internets und der damit zusammenhängenden virtuellen Kontaktmöglichkeiten für einen Segen halten. - Die Elterngeneration muss sehen dass sie hinterherkommt, oder auf Grußkarten zu Weihnachten und zu Ostern hoffen.

Die neuesten Statistiken sagen jedenfalls aus, dass die Litauer - so beweglich sie neuerdings sein mögen - sich sehr bemühen untereinander Kontakt zu halten. "Litauer sind Europameister im SMS-Versenden" - diese in manchen Medien als Neuigkeiten verkauften Schlagzeilen sind in Wahrheit nicht ganz so neu, sondern zeigen Trends der vergangenen Jahre. Besonders österreichische Medien (siehe "Relevant" oder "die Presse") scheinen sich gegenwärtig für den Vergleich mit Litauen zu interessieren: 2800 Kurznachrichten habe jede Litauerin / jeder Litauer im Jahr 2009 versendet, das wären mehr als 7 pro Tag! Der EU-Durchschnitt lag im gleichen Jahr noch bei 583. Žinutė-Euphorie im Kulturhauptstadtsjahr? (bevor die Wirtschaftskrise so richtig ausbrach?) Handy-Käufer auf Pump? Dazu kommt noch, dass in dieser "Rekordstatistik" Irland auf Platz 2 liegt - wo doch Tausende Litauer bereits in Irland leben. SMS - Save my soul, I am Lithuanian?
Wer die solchen Spekulationen zu Grunde liegende Statistik-Info von EuroStat liest, könnte auch zu ganz praktischen Schlußfolgerungen kommen. Lettland wird als dasjenige Land benannt, wo die Preise für internationale Telefongespräche am höchsten sind, da wird Litauen nicht weit dahinter liegen. Also Telefon kaufen und mit SMS sparen, wer im Ausland unterwegs sein muss. Und so kommt die Gewöhnung daran. Vielleicht.

11 Mai 2012

Litauen-Krimi in Stralsund

"Willkommen in Stralsund!" heißt es auch
fürs ZDF-Krimiteam (Foto: Stralsund-Werbung)
Filmaufnahmen werden dieser Tage gemacht, in Stralsund und auf Rügen. Bei ZDF-Kommissarin Nina Petersen (Katherina Wackernagel) steht Litauen auf dem Stundenplan. Wieder einmal Option 2 für die litauischen Themen im Deutschen Fernsehen: wenn kein Naturfilm über die Kurische Nehrung, dann muss es wohl die kriminelle Szene sein die hier beleuchtet wird.
Diesmal kommt das "Böse" von der Fähre: aus Klaipeda kommt ein Mann mit einem Baby in Stralsund an - so die ZDF-Story. Kurz darauf ist der Mann tot, und die Ermittler müssen unter anderem auch nachforschen, was vorher in Litauen geschah. Ein Sendetermin steht noch nicht fest, aber es wird interessant sein welches Litauen-Bild hier vermittelt werden wird. Neben Mord werden mögliche Verwicklungen in Raubüberfälle, aber auch humanitäre Projekte angedeutet. Das Drehbuch schrieben Martin Eigler zusammen mit Sven Poser. Die Dreharbeiten dauern voraussichtlich bis Anfang Juni, von Dreharbeiten auch in Litauen war nichts zu erfahren. Der Sendetermin für "Stralsund - Rache" wird voraussichtlich im Herbst liegen.
Pressemeldung "Stralsund-Intern"

10 April 2012

Es sind ja nur 5 Milliarden

Schaut auf diese Hände: fester Händedruck zwischen
Ansip und Dombrovskis, Kubilius legt nur seine Hand drauf,
als wolle er sagen: gut, ich beuge mich dem Minimal-
konsens, über den die beiden anderen sich einig sind!
Nun also doch: Litauen macht wieder einmal mit Atomkraft Schlagzeilen. Ein gegensätzlicherer Spiegel zur Entwicklung in Deutschland scheint kaum möglich: während die einen die Ereignisse rund um die in Japan nachlässig gebauten und durch Erdbeben und Tsunami schwer beschädigten Atomreaktoren zum Anlaß für ein Umdenken in Sachen atomare Energieerzeugung nehmen, holen die anderen genau extra japanische Konzerne um nun in Europa Atomanlagen zu bauen (Hitachi). Und das in einer keineswegs einfachen Ausgangslage: sowohl Polen, wie auch Russland (in der Region Kaliningrad) und Belorussland werden jeweils eigene Atomanlagen planen, in sehr konkurrenzfähiger Nähe. Und ob die litauische Regierung - die sich in den vergangenen Monaten als keineswegs fest im Sattel sitzend gezeigt hat - diese Strategie der Verschuldung zugunsten des Atomklos in der Region Ignalina durchhalten kann - das wird längerfristig auch die Reaktion der litauischen Öffentlichkeit zeigen.

Gern werden die Pläne zur Wiederbelebung der Atomkraft mit dem beliebten Schlagwort "Unabhängigkeit" überschrieben. Doch unabhängig wovon? Dass man loskommen möchte von Monopolisten ist soweit verständlich. Doch schon jetzt kommen bei einigen Litauern Bedenken auf, ob angesichts der hohen Abhängigkeit von Krediten internationaler Finanzgeber die litauische Politik wirklich "unabhängig" gemacht werden kann. Eine neue litauische Atomanlage wird weitere riesige Geldsummen verschlingen: wer glaubt, die Kosten würden wirklich bei der nun zunächst veranschlagten Summe von 5 Milliarden Euro bleiben, der könnte auch, analog zu einem bekannten litauischen Schlager, ausrufen: "Wir sind ja nur drei Millionen!"
Bisher ist die Strategie nicht erkennbar, die Litauens Engergieversorgung aus möglichst vielseitigen Quellen sichern - und damit Unabhängigkeit von Monopolisten schaffen würde. Nein, im Gegenteil: hier wird ein neues Monopol aufgebaut, und die spätere Folgenbeseitigung kennt zwei bekannte Varianten: entweder die Preise steigen erheblich, oder der litauische oder der europäischer Steuerzahler muss einspringen. Schon jetzt schafft Litauen es nicht, die alten maroden Sowjetatombauten abzubauen - es wird nach mehr EU-Geld gerufen, weil ja angeblich die EU Litauen zum Abschalten dieser Anlagen "gezwungen" habe. Das wird man über die zukünftige Anlage nicht behaupten können - und die künftige Generation derjenigen Litauer, die sich nach vorübergehendem Auslandsaufenthalt (da im eigenen Land keine Arbeit für angemessenen Lohn zu finden war) wird sich fragen müssen: warum soll ich zurückkehren, wenn ich dann in Litauen für die Fehler dummer, kurzsichtiger und selbstsüchtiger Politiker bezahlen soll? Litauen hat sich festgelegt, mindestens 34% an dem Projekt zu halten - die anderen Anteile sind noch unklar, und selbst die kürzliche gemeinsame "baltische" Erklärung macht eine Einschränkung: Beteiligung nur soweit, wie es die "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erlaube". Also, wie gehabt: Hoffnung auf großes Wirtschaftswachstum, das dann Kredite günstig hält.

Ja, es gibt sie noch - und es werden immer mehr:
Litauische Anti-Atomdemonstranten, hier am 26.4.2011,
dem 25.Jahrestag
des Tschernobyl-Unfalls
Aber noch ist die Sache nicht ausgemacht. Auch wenn sich litauische Politiker allergrößte Mühe geben, durch gemeinsame Fotos wenigstens Einigkeit mit den lettischen und estnischen Regierungskollegen öffentlich zu demonstrieren. Was ist diese "Partnerschaft" wirklich wert? Estland hängt weiterhin am (nur umweltschädlich zu verarbeitenden) Ölschiefer, und gelegentlich sagt auch mal ein estnischer Politiker, man könne ja auch ein AKW auf eine der vielen estnischen Inseln bauen. Jedenfalls hat Estland, einschließlich der Kooperationsmöglichkeiten mit skandinavischen Partnern, genug Vergleichsmöglichkeiten und Alternativen, falls vom litauischen Abenteuer nur das "teuer" zurückbleiben sollte. Lettland wiederum bemüht sich gerade, die zuletzt in den Nöten der Wirtschaftskrise aufgenommenen Kredite gerade so rechtzeitig wieder zurückzuzahlen, dass eine ernsthafte Bewerbung für die Aufnahme in den Kreis der Euro-Länder bereits 2014 realistisch bleibt. Vorausgesetzt dieses Ziel wird aufrecht erhalten, dann schließt dies jedenfalls weitere finanzielle Abenteuer aus - denn Litauen will ja nicht nur Strom verkaufen, sondern Kostenteilung beim Bau und Betrieb erreichen. Einzig sicher wäre, dass sowohl Estland wie auch Lettland Abnehmer für Atomstrom sein könnten - aber darauf zielt Litauen ja gerade nicht ab. Wie gewöhnlich wird den Atom-Werbern blind geglaubt, dass Betreiber die Kosten bald wieder einspielen, aber für Verbraucher der Atomstrom am Ende "billig" zu haben sei. "Billig anbieten" muss sich Litauen neuerdings sogar schon bei Tschechien (siehe Wallstreet online) - ein Land, das genug eigene Probleme mit dem umstrittenen Reaktor bei Temelin hat (= Solidarität unter Abhängigen?).

Achtung, Politiker! Auch die litauische Jugend
wird ungeduldiger!
Und zu guter letzt - nicht zu unterschätzen - in allen drei baltischen Staaten hat die wirtschaftliche Entwicklung seit 1991 bisher nur Wohlstand für eine kleine Minderheit gebracht. Der Status vieler dieser "Wendegewinnler" gilt zwar allgemein inzwischen als "legal" - ob nun  früher mal Geld aus kriminellen Geschäften "gewaschen" wurde, Verwandte massiv begünstigt, ein Beamtenapparat sich selbständig und unangreifbar macht, oder Einzelne nur einfach Kapital daraus geschlagen haben, dass sie "zur rechten Zeit am rechten Ort" waren. "Am rechten Ort", dazu zählt nach litauischen Erfahrungen auch, als Politiker über Großprojekte entscheiden zu können. Es ist aber damit zu rechnen, dass auch in Litauen zunehmend die Bürgerinnen und Bürger mitbestimmen wollen, was ihre Institutionen so in Vorbereitung haben. Einiges ist dafür noch zu tun, damit dafür auch die richtigen Grundsteine gelegt werden: Vertrauen zu schaffen in unbestechliche Gerichte zum Beispiel. Aber bereits jetzt äußert sich in Litauen eine Mehrheit kritisch gegenüber den atomaren Abenteuern - und auch die zwischenzeitlich eingeschlafene Anti-Atombewegung ist wieder erwacht. Hinzu kommen jetzt interessante Kooperationsmöglichkeiten und der Austausch japanisch-litauischer Erfahrungen auf Seiten der betroffenen Bürger. Und schon bald werden die litauischen Atombetreiber vermutlich die Bevölkerung selbst beschuldigen, durch vermehrten Protest die Kosten hochzutreiben - eine schon jetzt durchsichtige Argumentation. Zumindest wird die Möglichkeit einer Volksabstimmung über das neue Ignalina-Projekt in Litauen bereits diskutiert. Kein Grund also, ein schickes Foto von drei Staatschefs und Möchtegern-Bestimmern gleich für demokratische Realität zu halten. Auch wenn es nur drei Millionen (für fünf Milliarden) sind!
Die Reaktionen auf den Hitachi-Deal im eigenen Land (Japan) sind interessant zu lesen (siehe zum Beispiel "Japan Today"): Hoffentlich halten die Hitachi-Kraftwerke länger als die Hitachi-Elektronik!

Und übrigens: so ganz unbeteiligt am Litauen-Atomgeschäft ist auch Deutschland nicht - das zeigte zuletzt wieder die Stellenausschreibung der NUKEM, eine besonders in Hessen berühmt-berüchtigte Firma. Hier wird offenbar der "Dreck" weggeräumt für diejenigen, die schon mit dem Bau einer Atomanlage erstmal genug Rechtfertigungsprobleme haben. Auch Atommüll ist ja - wie bekannt - nahezu nirgendwo gern gesehen.

Webseite der litauischen Anti-Atombewegung

Webseite von Hitachi Litauen

Infoseite des AKW Ignalina

11 März 2012

Litauen zum Elften

Botschafterehepaar Mindaugas Butkus und Jūratė Butkienė
empfangen die Gäste
(links: Militärattaché Oberst Klaidas Tolys)
Als am 11.März 1990 Litauen die Erneuerung seiner Unabhängigkeit, und damit die Loslösung von der Sowjetunion proklamierte, war auch die Unterstützung von deutscher Seite zunächst unsicher. Regierungsamtlich sorgte man sich eher um "Gorbi", dessen angeblicher Ausspruch "wer zu spät kommt den bestraft das Leben" wohl nicht für die Unterstützung der Sajudis, der litauischen Unabhängigkeitsbewegung gelten sollte. Eine wochenlange Wirtschaftsblockade Gorbatschows gegen Litauen folgte, und erst die glücklichen Umstände des gescheiterten Putsches gegen Gorbatschow selbst brachte im August 1991 die Wende hin der diplomatischen Anerkennung auch durch Deutschland.

Heute sind die regierungsamtlichen Beziehungen weitaus selbstverständlicher. Umfangreiche Wirtschaftskontakte sind hinzugekommen. Litauen ist Mitglied von Europäischer Union und NATO, man kennt sich gut. Darauf wies auch Botschafter Mindaugas Butkus am vergangenen Donnerstag hin, als sich über 250 Gäste in Berlin im Gästehaus der Commerzbank, direkt neben dem Brandenburger Tor versammelten.
Zu sehen war auch eine neu zusammengestellte Ausstellung zur Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und Litauen, die den Schwerpunkt auf die zurückliegenden 100 Jahre legt.
ein Foto aus der neuen deutsch-litauischen Ausstellung:
DDR-Staatsratsvorsitzender Honecker besucht
Vilnius, u.a. aus Anlaß der Städtepartnerschaft mit Erfurt
Und Botschafter Butkus wies in seiner Ansprache auf das Thema hin, das die litauische Diplomatie im Hinblick auf die internationalen Beziehungen am meisten beschäftigt: schon 2013 wird Litauen für ein halbes Jahr die Präsidentschaft der Europäischen Union übernehmen, und dafür möchte man gut gerüstet sein.

01 März 2012

Neues für Trolley-Freunde

Das eine ist vielleicht die Diskussion darüber, ob es nun "O-Bus" oder "Trolleybus" heißen muss. Angeblich sei "Trolleybus" nur in der Schweiz üblich, meint Wikipedia dazu. Andererseits sind die Oberleitungsbusse nur in so wenigen Gegenden in Deutschland im Einsatz (glücklich, wer im Raum Solingen wohnt!), dass viele vielleicht doch beim Besuch in Osteuropa dieses Verkehrsmittel erstmals nutzen - und sich auch an den Namen "Trolleybus" gewöhnen.
der neue Bus ist da! - ein Foto
aus den 50er Jahren aus dem Archiv
der Trolleybus-Betreiber in Vilnius
Das andere sind die unterschiedlichen Meinungen dazu, ob Trolleybusse ein modernes Verkehrsmittel sind. Dabei steht die Versorgung über Strom weniger in Zweifel, eher schon organisatorische Überlegungen: da ist die Meinung zu vernehmen, das Fassungsvermögen von O-Bus-Fahrzeugen sei im Vergleich zum Bespiel zu modernen Niederflurstraßenbahnen eher begrenzt.

Das hindert aber offenbar diejenigen Städte nicht, in denen die Oberleitungen weitgehend bereits gespannt und die Linien erprobt sind, auf eine Weiterentwicklung dieser Verkehrsart zu setzen. In Vilnius wurden kürzlich neue Fahrzeuge in Dienst gestellt, deren Typenbezeichnung gute Chancen hat zur Legende für Oberleitungs-Fans zu werden: "Amber Vilnis 12 AC" kommt aus litauischer Produktion. 
Wer Fahrgasttests unternehmen möchte, sollte die Linien Nr. 3 (Karoliniškės–Žvėrynas–Žygimantų g.–Antakalnis) oder Nr. 21 (Saulėtekis–Šilo tiltas–Žirmūnai) nutzen, berichtet nicht ohne Stolz das Internetportal der litauischen Hauptstadt (siehe vilnius.lt). Andere Argumente der Litauer: mit einem Anschaffungspreis von 200.000 Euro seien die neuen Trolleys um 30-60% günstiger als diejenigen anderer Hersteller. Ob dies dadurch erreicht wird, dass Einzelteile der Fahrzeuge von Zulieferern aus Deutschland, aus der Tschechischen Republik, aus Polen und sogar aus Weißrussland geliefert werden? "Neu, sauber und komfortabel" so das Motto der Betreibergesellschaft. Innen jeweils mit Videokamera übrigens, plus Fahrgastzählsystem. Angeblich sollen die litauischen "Amber" auch 15% weniger Strom verbrauchen als die bisher häufig eingesetzten Škoda-Modelle.

kein alltägliches Zusammentreffen: Bürgermeister
bedrängt Trolleybus-Fahrgäste.
Es bleiben Fragen. Natürlich die Befürchtungen der Beförderungswilligen nach Fahrpreiserhöhungen, um die Investitionskosten wieder reinzuholen. Oder die Frage nach dem Schicksal älterer Fahrzeuge. Teilweise kann das beantwortet werden: die Betreibergesellschaft "Vilniaus Troleibusai" bietet den Ausleih von Fahrzeugen auch für private Zwecke an. Ein Kindergeburtstag im Trolleybus? In Vilnius kein Problem. Sollte der Strom übrigens mal ausfallen - oder der Führungsarm von der Oberleitung springen: der Hersteller wirbt damit dass die Fahrzeuge bis zu 1000Meter auch ohne Strom fahren können. Und auch auf Wikipedia sind die Litauer fleissig: der Eintrag von Vilnius ist dort bereits durch den Satz ergänzt: 2012 wurden die neuen Busse "Amber Vilnis 12 AC" eingeführt. 

Trolleybus-Netzplan von Vilnius

03 Dezember 2011

Traurige Tendenzen

Eher traurige Geschichten sind derzeit rund um litauische Straßenmusiker in Deutschland zu erzählen. Straßenmusiker aus Litauen? Vielleicht kaum jemandem bisher groß aufgefallen: Litauisch werden sie kaum singen am Straßenrand.

Drei Jugendliche, 16 und 17 Jahre alt, stehen derzeit in Wiesbaden vor Gericht. Kestutis Vaicackas war mit seiner Gitarre häufig in Wiesbaden zu sehen gewesen. Warum die Jugendlichen ihn an diesem Abend so schwer mit Tritten und Schlägen malträtierten, dass er noch an Ort und Stelle starb, blieb auch im Prozeß bisher unklar. Es gab öffentliche Trauerveranstaltungen, Solidaritätsadressen auf einschlägigen Internetseiten (Forum Straßenmusik, Baffy Skorpion), ein virtuelles Kondolenzbuch. Währenddessen brüsteten sich die Täter sogar offen mit ihre Tat - und randalierten sogar noch nach der Festnahme in der Haftanstalt (FR-online).
Jetzt sorgt ein ähnlicher Fall in Hameln für Aufsehen. Erst vor wenigen Tagen war es wieder ein litauischer Straßenmusikant, der schwer verletzt aufgefunden wird (siehe Bericht DeWeZet). Sind die Verhältnisse so brutal auf deutschen Straßen? Was ist da los?
Teilweise merkwürdige Diskussionen finden sich zu beiden Taten im Internet. Im Fall von Hameln sollen (laut Hamburger Abendblatt) die Täter mit dem Opfer vor der Tat Russisch gesprochen haben, und im Fall von Wiesbaden wird da plötzlich wichtig, ob die Täter einen türkischen oder deutschen Hintergrund haben. Hoffentlich will sich da keiner auf Kosten anderer reinwaschen. Mahnende Zeichen, und ein Aufruf zu mehr Mitmenschlichkeit, Aufmerksamkeit und Zivilcourage.

27 November 2011

Litauen-Rap

Je nach Stimmungslage konnten sich die Litauen-Interessierten in der vergangenen Woche aussuchen, welche litauischen Nachrichten das Litauen-Bild am meisten beeinflusst haben.
Grämen Sie sich mehr über die Snoras-Bank und deren zweifelhaften Geschäften? Zumindest für die Kontoinhaber bei dieser Bank war es die Hauptsorge der vergangenen Tage.

Oder finden Sie es beachtenswerter, dass in Belorussland der Regimekritikter Ales Bjaljatski verhaftet und nun zu viereinhalb Jahren Haft im Straflager verurteilt wurde? Dass dies in der "letzten Diktatur Europas" möglich wurde (so wie viele das von Lukaschenko mit harter Hand regierte Land bezeichnen) ist auch litauischen Behörden zu verdanken, die bereitwillig die Kontodaten des Betroffenen an die belorussischen "Kollegen" weiterleiteten. Die litauische Regierung entschuldigte sich dafür bei den Angehörigen - kein Meisterstück litauisch-belorussischer Beziehungen also.

Oder möchten Sie das alles lieber hinter sich lassen und schlichtweg einmal ein Lied auf Litauen singen?
Dann ist vielleicht der Wettbewerb des "British Council" zu den Sprachen in Europas interessant. Unter dem Motto "Speak up" gewann Deividas Jakavičius einen zweiten Preis mit seinem Litauen-Rap. Leider ist der Text dieses Songs nirgendwo aufgeschrieben - ob es und was es von Litauens aktuellen Themen erzählt - in Litauisch, Englisch und Russisch - wir müssen es Deividas von den Lippen lesen.