22 September 2007

Mit Ivanauskas aus dem Keller

Ein Trainerwechsel beim FC Carl Zeiss Jena, Tabellenletzter der 2.Liga, ist eigentlich nichts Besonderes. Auch den beiden "Ostklubs" der Fußball-Bundesliga geht es im Moment nicht besonders gut: Rostock und Cottbus sind die Schlußlichter der Liga. Ein glückloses Jahr für Fußballfans im Osten Deutschlands?

Da taucht ein Name wieder auf, der für viele in Deutschlands der erste bekannte Sportler aus dem kleinen baltischen Land war, das 1991 wieder unabhängig wurde: Valdas Ivanauskas. Zwischen 1993 und 97 spielte er 91mal für den Hamburger SV in der Bundesliga, davor bei Austria Wien. Beim Abgang vom HSV machte er nur noch kurz Schlagzeilen, als er zum Vfl Wolfsburg wechseln wollte, wogegen aber seine Frau energisch Einspruch erhob. Wolfsburg als langweilige Stadt, in der man nicht leben könne? Da war auch der überwiegende Rest Fußballdeutschlands damals solidarisch beleidigt. 1999/2000 spielte Ivanauskas dann noch einmal in Deutschland, beim SV Wilhelmshaven, mit dem er aus der Regionalliga Nord abstieg.

23mal spielte Ivanauskas für Litauen, davor bereits 4mal für die UdSSR. Als Ivanauskas im November 1990 zu Austria Wien kam, musste der Transfer noch über Lok Moskau abgewickelt werden (mit einigen Millionen Schilling als Dankeschön). In seiner Zeit in Wien schoß Ivanauskas einmal das "Tor des Jahres" in Österreich. Viermal war er Litauens Fußballer des Jahres. 2002 machte "Ivan der Schreckliche" seinen Trainerschein an der Deutschen Sporthochschule Köln, arbeitete 2003 als Co-Trainer der litauischen Nationalmannschaft während der Qualifikation für die Fußball-Europameisterschaft 2004 in Portugal. In Litauen trat er mehrfach als Sponsor des Fußballnachwuchses auf.

Eine schöne Geschichte schrieb "Sport1" in Österreich einmal über den angeblich so "unbeherrschten" Stürmer. In einem Spiel gegen St.Pölten sei er wegen Beleidigung des Linienrichters des Feldes verwiesen worden. "Blöde Sau" hatte der Unparteiische behauptet gehört zu haben, während Ivanauskas es so darstellte, auf Litauisch "nieko sau" gesagt zu haben, und das bedeute eben nur "was ist los?"

Als Vereinstrainer arbeitete Ivanauskas in der Saison 2004/05 beim FBK Kaunas in Litauen und wurde anschließend Trainer in Schottland bei Heart of Midlothian. "Die Litauer kommen," schrieben im Januar 2005 auch deutsche Medien, nachdem ein gewisser Vladimir Romanov (das ZDF und der Berliner Tagesspiegel damals: "Mini-Abramovitsch") aus Litauen nach Schottland kam und kurzerhand den gesamten Verein kaufte.
Als Trainer des schottischen Traditionsvereins wurde Ivanauskas Vizemeister und schottischer Pokalsieger, legte das Amt aber im März 2007 wegen gesundheitlicher Probleme nieder.

Interessant ist aber auch ein Bericht in der BERLINER ZEITUNG, der von neuen Investoren beim FC Carl Zeiss berichtet. Eine Firma aus der Baustoff- und Immobilienbranche wolle 20 Millionen Euro zahlen. Das Geld soll aber aus dubiosen russischen Quellen stammen.

Der Ostthüringischen Zeitung zufolge reagieren die Fans von Carl Zeiss Jena eher irritiert auf den neuen Trainer Ivanauskas. Sie zweifeln teilweise an Ivanauskas' Trainerfähigkeiten, und verdächtigen andererseits auch die neuen russischen Investoren als eigentlichen Hintergrund für die Entscheidung.

Da gibt es noch viel Arbeit, Valdas. Gero vėjo! Sėkmės!

Pressemitteilung des FC Carl Zeiss Jena zum neuen Trainer

Bericht Berliner Zeitung

Bericht Ostthüringer Zeitung

Diskussionsforum der Jena-Fans

Valdas Ivanauskas im Interview mit "Lietuvos Rytas" (litauisch)

Bericht Sportas.lt (Litauisch)

Wie Ivanauskas damals nach Österreich kam ... (Bericht bei Sport1.at)

19 September 2007

Hafenzufahrt Klaipeda jetzt sicherer

"Die Schifffahrt vor Litauen ist ein Stück sicherer geworden," so lautet das Resumee von Fregattenkapitän Detlef Schäfer, Kommandeur des Internationalen Minenabwehr-Verbandes "OPEN SPIRIT 2007", das jetzt seitens der Bundesmarine veröffentlicht wurde. "Gastland" war diesmal Litauen, und im Visier der Minensucher war in diesem Jahr ein Gebiet südlich der Hafenzufahrt Klaipeda.

Wieviele Munitionsrückstände aus dem 2.Weltkrieg dabei beseitigt werden konnte, darauf kommt es den Minenräumern laut Pressemitteilung gar nicht so sehr an. "Entscheidend aus Sicht der Minenabwehr ist, dass die internationale Seeschifffahrt, die Fischerei und die Touristikindustrie, diese Zahl erfährt: 90 Quadratseemeilen Küstenstreifen vor Litauen können als frei von Munitionsrückständen - und damit als sicher - gemeldet werden. Das ist der konkrete Erfolg.“

Derweil laden Umweltschützer in Deutschand für den 19.Oktober 2007 zu einem Symposium nach Kiel ein, um im Kreis von Fachleuten und Interessierten über alternative Methoden der Munitionsbeseitigung nachzudenken. "
Hohe Schalldrücke und explosionsbedingte Druckwellen, wie sie bei Munitionssprengungen auftreten können, führen bei Meeressäugern zu schwerwiegenden Verletzungen und Hörschäden," heißt es in der Ankündigung zur Veranstaltung.

Pressemitteilung der Bundesmarine

Fotos "Open Spirit 2007"

Infos des Naturschutzbundes Deutschland zum Symposium am 19.10.07 in Kiel
Download des Veranstaltungsprogramms (PDF-Datei)

NAB'U-Meereschutz

06 September 2007

Deutschland Krepsinis lehren

In Litauen sicher eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres: die Basketball-Europameisterschaft. Und wenn Deutschland der Gegner ist:Krepsinis gegen Nowitzki sozusagen. Nun hat Litauen in der Vorrunde Deutschland knapp geschlagen - zurückhaltende litauische Taktik, oder winkt ein Wiedersehen im Halbfinale oder Finale?

"Es sieht ganz so aus, als ob Šarunas Jaskevičius die Basketball-Krone dieses Jahr wiederhaben will," so stellen es Berichte auf der offizielle Webseite der EM dar (Eurobasket2007).
Auch die deutschen Medien stellen Jaskevičius heute als den herausragenden Spieler heraus.

"Sport1.de" zitiert den deutschen Nationaltrainer Dirk Bauermann mit der Aussage über Jaskevičius: "Er hat die Athletik eines Michael Ballack, die Spielintelligenz eines Zinedine Zidanes, vor allem aber die Ausstrahlung eines Stefan Effenberg." Nur so versteht es wohl (Fußball-)Deutschland. Bauermann weiter: "Es ist schon unglaublich, dass in Litauen mit weniger als vier Millionen Einwohnern gelingt, was wir mit 80 Millionen nicht schaffen."

Schließlich war Litauen aber im Spiel gegen Deutschland schon schon klar auf der Siegerstraße - und ließ sich kurz vor Schluß beinahe noch abfangen, oder wurden nur Kräfte geschont? Für den Rest der EM kann jetzt spekuliert werden, denn beide Teams wollen mehr erreichen: möglichst ins Endspiel.

Also, auf ein Wiedersehen bei der EM: Deutschland-Litauen zum Zweiten!

Basketball-Fanseite der litauischen Vereinigung in Nürnberg

Offizielle Seite der Basketball-EM 2007

Bericht zum Spiel Deutschland-Litauen (litauisch)

Bericht zum Spiel (Englisch)

"Frust bei den Deutschen" - Bericht bei Sport1

"Das deutsche Team ist noch eine Wundertüte" - Bericht DIE WELT

"Gruppensieg verpaßt, Selbstvertrauen gewonnen" (Manager-Magazin)

"Dumme Niederlage" (Netzeitung)

"Dirk und die Schattenspieler" (Spiegel online)

"Dämpfer für deutsche Basketballer" (Frankfurter Neue Presse)

Bericht bei SPORT1.DE zur litauischen Mannschaft

Infos zu litauischen Basketballklubs (Seiten meist nur in Litauisch)

Basketball-Diskussionsforum (litauisch)

Litauischer Basketball-Verband

02 September 2007

Fahrradfahren unter Polizeischutz

NACHTRAG: Am vergangenen Freitag fand nun die Fahrraddemo "Critical Mass" (CM) in Vilnius nach den dramatischen Ereignissen vor einem Monat statt (siehe unten) - Sie endete mit der Verhaftung von Radfahrern.
Diesmal schützten 2 Polizeiautos den (Auto-)Verkehr vor den mehreren Hundert Radfahrern. Alles verlief friedlich und interessant war das Medienecho.

Empfehlenswert:

  • Bericht, Fotos auf www.delfi.lt mit 3-minütigen Film (wer mich mal Litauisch reden sehen will, muss allerdings bis zum Ende schauen...)
  • Neue CM Dokumentationsseite www.dviratis.org mit Links zu Bildern und Filmen
  • Film vom "eko(b)logas"

Ein trockener Tag oder: Alkoholismus heute verboten!

Der 1. September ist in Litauen für vieles bekannt: Zuallererst als "Tag der Lehre", denn dann beginnen Schulen und Universitäten. Dann als "Tag der Freiheit", denn am 31. August 1993 verließen die die letzten Überreste der Sowjetischen Armee den Baltenstaat. Dieses Jahr fiel der 1. September auf einen Samstag und so schlossen sich auch die Bauarbeiter an, ihren nicht mehr existierenden Ehrentag (26. August) zu feiern. Nur versprachen die Umstände dieses Jahr ein äußerst nüchternes Fest...

Und das kam so: Im scheinbar aussichtslosen Kampf gegen den Alkoholismus hatte ein Parlamentsmitglied eine scheinbar geniale Idee. Schon seit Sowjetzeiten versucht man, dem übermäßigen Alkoholkonsum, Herr zu werden. Berühmtheit erlangte schon Gorbatschows "Trockenes Gesetz" von 1986, dessen Überreste - Verbot von Verkauf von Alkohol nach 22.00 Uhr in Lettland noch teilweise existieren. Die Litauen sind da schon seit langem fortschrittlicher: Gesoffen werden kann immer und überall, 24-Stunden-Läden verkaufen den Stoff, ja, genau: rund um die Uhr. Das ist die neue litauische Freiheit und insofern ist man auch so frei, die höchsten Verkehrunfallraten in der Europäischen Union zu haben. Wen wundert's - ein Hauptproblem: Alkohol am Steuer.
Nun muss man nicht glauben, alle Litauer seien immer im Dauerrausch. Es gibt natürlich auch Gegenbewegungen, vor allem aus der katholischen Ecke, so eine Jugendbewegung für Nüchternheit. Als ob man sich auch darüber lustig machen wollte, war ihr Gründer, der Bischof Valančius früher auf dem 2-Litas-Geldschein verewigt, mit denen Durstige am liebsten ihr Bier bezahlten. Also kommen wir zurück zur neuen genialen Idee.

Ein unbekanntes Parlamentsmitglied (der Name taucht in den aktuellen Nachrichten nicht mehr auf und möchte nach dem ganzen Trubel wohl auch lieber anonym bleiben) brachte noch im vergangenen Jahr eine Änderung des "Gesetzes über Alkoholverkauf" ein. Und wie so oft, der Antrag wurde rasch durchgewunken. Erst nun rückte der 1. September näher, und nie war Litauen so nüchtern: Um unsere Schulkinder vor schlimmen Exzessen zu bewahren gilt ein völliges Verbot von Alkoholverkauf an diesem Tage!
"Litauen wird islamisch!" titelt die größte Tageszeitung Lietuvos Rytas. "Schwachsinn" sagt der sich sonst sehr gewählt ausdrückende Präsident Valdas Adamkus. Und natürlich beschwert sich auch der Gaststättenverband.

Andere machen aus der Not eine Tugend: "Wir erinnern Sie daran, dass am 1. September der Alkoholverkauf verboten ist." heißt es in Radio und TV. Und dann kommt der Name der größten Supermarktkette: "MAXIMA. Wir denken an alles."
Der Rest ist schnell erzählt: Nie war ein 1. September so ruhig, nie wurde soviel alkoholfreies Bier verkauft. Ein Lehrstück über Medienrummel und Parlamentsarbeit in einer jungen Demokratie. Ob das Gesetz wieder geändert wird? Abwarten und Tee trinken ...

Links (Litauisch)
Interview mit Präsident Valdas Adamkus
Interview mit dem Psychologen Gediminas NAVAITIS "Die Lust zum Trinken ist uns genetisch veranlagt"
Artikel in "Lietuvos Rytas" /Quelle des Bildes/

29 August 2007

Deutsche Bauern durchpflügen Litauen

Kann ein Bauer Karriere machen? Er kann!
Natürlich nicht auf dem heimischen Bauernhof. "Über die heimische Scholle hinaus" bekommt eine ganz neue Bedeutung, meist erst im Ausland. Es sind Geschichten auch für die landwirtschaftliche Regionalpresse: vom 7. - 17. September 2007 finden in Kaunas / Litauen die Weltmeisterschaften im Wettpflügen statt.

Drei Deutsche werden in Kaunas teilnehmen: Stefan Brudy aus Appenweier und Michael Podehl aus Oyten / Bassen. "Mit einem nagelneuen Traktor per Fähre via Kiel über die Ostsee nach Litauen", berichtet die Syker Kreiszeitung. Eine der ungewöhnlicheren Arten zu reisen - allerdings wird der Traktor verladen. "In Kaunas untergebracht in einem gerade neu eröffenten Studentenwohnhiem", weiß der "Züricher Unterländer" über den Schweizer Teilnehmer Peter Ulrich zu berichten. Ulrich blickt gemäß dieser Veröffentlichung bereits auf eine "25-jährige Pflügerlaufbahn" zurück. Europameister, Viceweltmeister, Schweizer Meister - wer wird da neidisch auf irgendwelche Sportler sein?


Die Schweizer machen sich auch um die unterschiedliche Bodenbeschaffenheit in Litauen Sorgen.
"Im Gegensatz zu meinen Äckern hat es in Litauen viel weniger Steine», erklärt Ulrich der interessierten Presse. "Da der Sandanteil dafür höher ist, wird man jeden kleinsten Fehler sogleich sehen." Ein "gleichmäßiges Wellblechmuster" gilt es zu pflügen, erklärt Podehl, der dreifache deutsche Meister in Folge.
Wie aber kommt ein gewöhnlicher Bauer (Entschuldigung: Landwirt) zu solchen Reisen?
"Nur weil zu Hause Betriebshelfer und die ganze Familie helfen. Sonst könnten wir uns mit unseren 100 Milchkühen einen 14-tägigen Ausfall mitten in der Erntezeit nicht leisten," erklärt Podehl.

Infos zum Thema:


Homepage der Pflüger Weltmeisterschaft in Kaunas

Vorbericht "Züricher Unterländer"

Vorbericht Syker Kreiszeitung

Ergebnisbericht in den OÖ-Nachrichten

Bericht bei "Baden online"

23 August 2007

Nicht jeder hat einen Alekna ...

Feucht-heiße Schwüle soll die teilnehmenden Sportlerinnen und Sportler angeblich im japanischen Osaka erwarten, wo ab morgen die Leichtathletik-Weltmeisterschaften stattfinden. 203 Länder der Welt haben sich zur Teilnahme angemeldet, ein Rekord. Das Wort "Rekord" hat ansonsten manchmal auch einen schlechten Beigeschmack, denn allzu oft war auch schon bei der Leichtathletik Doping ein Thema.

Deutsche Medien übertragen die WM umfassend und ausführlich - obwohl nur die Speerwerferin Christina Obergföll als mögliche Goldgewinnerin gilt. Für Litauen ist ein sicherer Kandidat der Diskuswerfer Virgilijus Alekna.

Im Juni wurde Alekna zu "Europas Leichtathlet des Monats" gewählt, weiß www-leichtathletik.de. Seit zwei Jahren ist Alekna jetzt schon ungeschlagen, notiert die Leichtathletik-Welt respektvoll. Konkurrenz käme vom nördlichen Nachbarn: der Este Gerd Kanter hält die Saison-Bestweite mit 72,02 Metern. Alekna kann aber die Wettkämpfe in diesem Jahr eigentlich in aller Ruhe angehen: er ist bereits zweifacher Weltmeister (2003 und 2005) und Olymipasieger (2000 und 2004). Vor wenigen Wochen in Kaunas trafen Alekna und Kanter aufeinander: Alekna siegte knapp mit 71,56m zu 70,92m.

Wer mehr von Alekna sehen und wissen möchte, kann zum Beispiel folgende Webseiten probieren:

Diskuswurf.Info (Alekna in Zeitlupe!)

WM Osaka 2007 - Wetten auf die Sieger bei "Sport-Community"

Litauische Fotogalerie zu Virgilijus Alekna

Textsammlung zu Alekna bei balsas.lt (Litauisch)

Foto: Alekna und Präsident Valdas Adamkus

Pressemeldung: Virgilijus Alekna wird zum UNESCO Champion for Sport ernannt --- (dazu: UNDP-Aktivitäten in Litauen mit Alekna)

Beitrag von "Lithuania in the world" zu Alekna bei den Olympischen Spielen 2004 (Englisch)

15 August 2007

Litauische Familien - in deutschen Schlagzeilen

Vielleicht gehört es ja noch zu den "Sommerloch"-Themen, vielleicht gehört es auch einfach zur Abteilung "Statistiken sagen immer nur soviel aus, was der Auftraggeber gern hören will." Jedenfalls machen dieser Tage einige deutschsprachige Medien mit dem Thema auf: in Litauen existiert die schwächste Bindung an die Familie in ganz Europa.. Ist das gerechtfertigt?

Zugrunde liegt den aktuellen Presseberichten eine Studie von Paola Giuliano und Alberto Alesina von der Harvard-Universität in den USA, die bereits im April 2007 herausgegeben wurde, sie umfaßt 53 Seiten. Untersucht werden 78 Länder. Einbezogen wurden auch Untersuchungen zur zweiten Generation von Einwanderern in den USA. Zugrunde liegt eine simple These: in Gesellschaften mit starker Familienbindung liegt die Verantwortung für Einkommen und soziale Sicherheit eher in der Familie selbst. Im gegenteiligen Fall liegt die Verantwortung eher beim Arbeitsmarkt und dem Staat. Bei starker Familienbindung nehmen auch weniger Jugendliche und weniger Frauen am Arbeitsleben teil. Dann folgt eine interessante Aussage, die ebenfalls sehr einfach klingt: Familienbindung funktioniert nur dort, wo die Familienmitglieder eng zusammenleben. Hieraus ließen sich für Litauen wie für Deutschland ja erste Schlüsse ziehen: offensichtlich gibt es Gründe, warum Familien nicht mehr geografisch so eng zusammenleben. So muss auch die Untersuchung nach der gewählten Methodik zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen: wenig Bindung vorhanden. Aber Vorsicht, Litauer und Deutsche: Auch diese Untersuchung wird uns nicht einreden können, dass wir unsere Familien nicht hoch schätzen. Zumindest für Litauen gilt ja (und das dürfte allen bekannt sein, die Litauen kennen und schätzen): wer momentan anderswo Arbeit sucht, zum Beispiel in Irland oder Großbritannien, der gibt ja damit nicht gleich seine privaten Werte auf.

Die deutschen Medien machen etwas anderes daraus. "In keinem Land der Welt zählt die Familie so wenig wie in Deutschland," schreibt das HANDELSBLATT. "Nur in Litauen sind die familliären Bande noch schwächer." Aus dem Text einer Mitteilung des INFORMATIONSDIENST WISSENSCHAFT könnte man sogar herauslesen, in Litauen und Deutschland sei "fehlender Respekt gegenüber den Eltern" zu konstatieren.
Der WDR schlußfolgert: "Menschen in Ländern mit starker Familienbindung geht es oft finanziell schlechter, sie sind aber oft glücklicher." Und: Familienbindung ist stärker in Süd- als in Nordeuropa.
SZIENZZ meint, Menschen mit starker Familienbindung würden die Frage, ob sie für mehr soziale Sicherheit auch mehr Steuern bezahlen würden, eher mit nein beantworten. Dieses Antwortverhalten wird dann in Beziehung gesetzt zur Familienbindung: "vermutlich deshalb, weil hier die Famile als 'Versicherung' einspringt". VERMUTLICH? Seit wann sind Vermutungen Wissenschaft? Und wie steht es mit der vorangegangenen These, das andersherum ein Schuh draus wird: arme Leute haben eben notgedrungen einen starken Familienzusammenhalt. Allerdings: weil sie bei dieser Befragung angeblich wenig Familienbindung zeigten, sind Litauerinnen oder Litauer auch noch nicht 'automatisch' reich - klar.

SZIENZZ meint auch: "
Der Untersuchung zufolge sind die familiären Bande in ehemals kommunistischen Staaten auch bald zwanzig Jahre nach der 'Wende' immer noch schwächer ausgeprägt als im Westen - Folge der Omnipräsenz staatlicher Regelungen." Gut, aber warum unterscheiden sich dann die Ergebnisse der Studie so zwischen diesen "ehemals kommunistischen Staaten"? In Estland und Lettland zum Beispiel sieht das Bild keineswegs ähnlich wie in Litauen aus (untersucht wurde bis Ende 2006).

Liebe Litauerinnen und Litauer (die ihr vielleicht auf der ganzen Welt zerstreut seid): was denkt ihr?

Übrigens: wer den Bericht von Konstantin Käppner liest, der über die Austauschorganisation "Youth for Understanding" fast im selben Zeitraum ein Jahr in Litauen verbrachte und das Land intensiv kennenlernte, kann sich ebenfalls einen eigenen Eindruck verschaffen. "Ein Volk wie eine große Familie" schreibt Käppner. Na also!

Infos:
"Familie, das Auslaufmodell" - bei Organic Society

"Schlußlicht in Sachen Familie" - bei SCIENZZ

"Familie - wie klappt's bei den Nachbarn?" - im WDR

"In Deutschland und Litauen zählen Familien am wenigsten" - Informationsdienst Wissenschaft IDW

"Zieht das Thema Familie?" - im Handelsblatt

Die Studie: "The power of the family" (Alberto Alesina and Paola Giuliano, Haward University - PDF-Datei)

YFU-Bericht von Konstantin Käppner

08 August 2007

Deutsch-Litauisches Forum mit neuem Webauftritt

Das im Jahr 2006 in Berlin gegründete Deutsch-Litauische Forum (DLF) hat seinen Webauftritt überarbeitet und bietet nun deutschsprachig Informationen zur Arbeit der Organisation an. Damit stehen Interessierten gleich zwei Möglichkeiten offen: auf litauischer Seite kümmert sich das "Lietuvos Vokietijos Forumas" um die Zusammenarbeit, und beruft sich dabei gern auf eine Vereinbarung zwischen dem deutschen Präsidenten Horst Köhler und seinem litauischen Amtskollegen Valdas Adamkus aus dem Jahre 2004.

Auf deutscher Seite leitet Dr. Joachim Tauber (Lüneburg) die Vorstandsarbeit. In Hennef / Sieg ist eine Geschäftsstelle eingerichtet worden - dort ist Frau Hildegund Heinze die Ansprechpartnerin.

Webseite des Deutsch-Litauischen Forums

Deutsch-Litauisches Forum in Litauen

04 August 2007

Segeln in Litauen

Im litauischen Počiunai (bei Prienai, südlich von Kaunas) finden in diesen Tagen die Segel-Europameisterschaften statt. Nach der offiziellen Eröffnungsfeier am 28.Juli erhoffen sich die Teilnehmer zunächst einmal gutes Segelwetter: bis zum 11.August soll die Austragung der verschiedenen Wettbewerbe beendet sein.

Erste Eindrücke, auch neben den offiziellen Wettkampfresultaten, sind von den verschiedenen Berichten der teilnehmenden Segler ersichtlich. Mehrmals musste schon "Regenprogramm" eingeplant werden - touristische Varianten, die Sportler wohl anders sehen als Urlauber.
Aber das es an Essen mangeln könnte? Wer Litauen kennt, muss das für ein Mißverständnis halten. Da schreibt ein deutscher Segler tatsächlich: "
Der litauer Abend war ganz nett. Es gab ein bißchen was zu Essen. Um satt zu werden haben Helge und ich uns allerdings lieber im Bistro versorgt." Mehr als ein Fragezeichen, liebe Segler. Aber wer weiß, ob Segler gewohnt sein könnten, sich für lau auf Kosten anderer den Bauch vollzuschlagen?

Aber keine Sorge: lesen wir bei der Österreichischen Mannschaft weiter - deren Bericht das Essen dankbar erwähnt, und sich lobend über "das köstliche Gebräu" dazu äußern. Bei den "Ösi's" scheint aber auch eine andere Taktik im Spiel zu sein, wie an anderer Stelle zu lesen ist: "
Und damit wir auf keinen Fall schuld sind, wenn morgen das Wetter nicht mitspielt, werden wir heute am Abend alles brav essen, was wir beim Deutsch - Schweizer Teamabend aufgetischt bekommen."
Was die Österreicher langweilt? Das "Regenprogramm". Einziger Kommentar zu einem Besuch in Vilnius: "Leider regnete es auch dort, sodass wir beschlossen, eines der größten Einkaufzentren Osteuropas zu besuchen und waren begeistert. Dieses Zentrum hatte alles zu bieten, was man sich nur vorstellen kann, vom Eislaufplatz über Kino und Bowling, bis zu unglaublich großen Geschäften mit 43 Kassen." Oh, liebe Alpenländler, wie traurig müssen eure Einkaufszentren aussehen, dass ihr nichts schöneres an Litauen findet? Na gut - im Regen können schon mal die Brillengläser beschlagen ...

Weitere Infos und Berichte hier:

Offizielle Seite der Segelflug-EM

Fotos von der Segelflug-EM

Segelflug-Blog von Chris und Thomas Sütterlin (Suetti-story)

Tagesberichte des Deutschen Teams (Aero-Club e.V.)

Tagesberichte vom Team Austria

Bericht bei Newsklick

Prienai im Internet


03 August 2007

Radfahren – in Litauen ein Verbrechen?

Polizei verhaftet mehrere Radfahrer bei Demonstration in Vilnius

Bereits seit über 2 Jahren rollt es auch durch Litauen: „Critical Mass“, eine Spontandemonstration, bei der sich einmal im Monat Radfahrer und Inline-Skater zusammenfinden um friedlich durch die Straßen zu ziehen. Am vergangenen Freitag, den 27. Juli 2007, eskalierte die Situation: Sechs Polizeieinsatzwagen blockierten eine Kreuzung mit dem Zug der rund 100-200 Radfahrer und begannen die Personalien aufzunehmen. Unterschiedlichen Quellen zufolge sollen fünf bis zehn Radfahrer verhaftet und gegen sie Strafanzeige gestellt worden sein.

Es ist schwer verständlich, warum die Polizeibeamten plötzlich – nach über zwei Jahren Toleranz - so einen Übereifer an den Tag legten. Ramūnas Janavičius, Dozent an der Universität Vilnius und Mitstreiter der Öko-Info-Seite www.ekoblogas.info sieht es im Zusammenhang mit der neuen Stadtverwaltung. Auf dem Posten des Bürgermeister der Hauptstadt sitzt Juozas Imbrazas, ein Mann des wegen Landesverrates entmachteten Präsidenten Rolandas Paksas. Seine Partei, ursprünglich „Liberaldemokraten“ in Anlehnung an den russischen Rechtsaußen Wladimir Zhirinowski, nennt seit kurzem nur noch „Ordnung und Gerechtigkeit“.

Die Polizei rechtfertigte sich jedoch mit allgemeinen Kontrollen gegen Motorrad- und Motorrollerfahrer, sowie dass es Beschwerden über die Verkehrbehinderung durch die Radfahrer gegeben hätte. Nach den litauischen Verkehrsregeln dürfen Radfahrer nur auf Radwegen bzw. am äußersten rechten Fahrbahnrand fahren.

Die „Critical Mass“ Demonstrationen begannen weltweit 1992 in San Francisco, USA, um auf die immer stärker bedrängte Situation der nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer hin zu weisen und die „die Straße zurückzuerobern“. Formal gibt es keine Organisatoren: Man trifft sich zu einem verabredeten Zeitraum am verabredeten Ort und fährt durch die Stadt. Trotzdem gibt es strenge Verhaltensregeln: Außer dass man eine Richtung der Fahrbahn einnimmt, unternimmt man keine anderen Aktionen. Es ist keine politische Demonstration, die keine anderen Ziele verfolgt, als in einer Auto freundlichen Gesellschaft auf die Anliegen von Radfahrern, Skatern, Fußgängern und anderen hinzuweisen. Aufsehen erregte diese Aktion in Budapest (Ungarn) vergangenes Jahr mit über 40.000 Teilnehmen. Seit 2005 gibt es sie auch in Litauen, in der Zwischenzeit außer in der Hauptstadt Vilnius auch in Kaunas, Šiauliai, Visaginas und Palanga. Der Vilniusser Teilnehmerrekord liegt bei über 300 Teilnehmern. Hier trifft man sich jeden letzten Freitag im Monat um 18 Uhr auf dem Platz der Kathedrale.

Weitere Infos (Litauisch)

Seite der „Critical Mass“, Litauen

http://cm.hardcore.lt/doku.php

Berichte & Nachrichten über die Festnahmen

Radfahren – ein Verbrechen?

http://ekoblogas.wordpress.com/2007/07/29/ar-vaziuoti-dviraciu-nusikaltimas-kritine-mase/

Im Nachrichtenportal Delfi:

http://www.delfi.lt/news/daily/lithuania/article.php?id=13935069

In der Internetzeitung alfa.lt

http://www.alfa.lt/straipsnis/145254

Im Portal der größten Litauischen Tageszeitung „Lietuvos Rytas“

http://lrytas.lt/?data=20070730&id=11857897391183655286&view=4

Beim litauischen nationalen Radio und Fernsehen

http://www.lrt.lt/photo.php?strid=3597374&id=3916385

25 Juli 2007

Wo ist Vidmantas?

Vidmantas Urbonas, 49 Jahre alter Litauer, liebt die Extreme. Selten kann ihm jemand folgen - es sei denn im Hubschrauber, auf dem Motorrad oder in einem Boot. Urbonas war früher Triathlet, Ex-Weltmeister im Ultramarathon wie im Ultra-Triathlon (eine Vervielfachung der Triathlon-Distanz von 3,8km Schwimmen, 180km Radfahren und 42km Laufen). In dieser Woche wird Urbonas versuchen, von Schweden aus die Ostsee schwimmend zu durchqueren. Über den Posten eines Sportamtsleiters hinaus, den er in seinem Heimatort Panevėžys bekleidet, bestätigt Urbonas damit seine Gelüste nach großen symbolischen Aktionen.

Vidmantas schwimmt - aber wohin?
Angekündigt wurde das Event in vielen europäischen Medien. Dass Urbonas angeblich sein extremes Vorhaben zum Anlaß nimmt, um auf die "Verschmutzung der Ostsee" aufmerksam zu machen, wurde allgemein berichtet. Selten bis nie werden dazu jedoch Details erwähnt. Ebenso etwas unklar scheint die Route, die Urbonas zu schwimmen beabsichtigt. Zwar begleiten insgesamt 15 Leute den Schwimmer in drei Beibooten, darunter auch ein Arzt und ein Fernsehteam von CNN, aber Infos zur geplanten Route des Schwimmers werden unterschiedlich wiedergegeben.

"Von Kalmar über Öland und Gotland nach
Panevėžys" - so behauptet es die schwedische Zeitung "Dagens Nyheter".
Etwas konkreter werden da schon Informationen des schwedischen Fernsehens (siehe Karte) -
Quelle hierfür ist immerhin eine von Urbonas und seinem Team selbst verfaßte Projektdarstellung. Zielort wäre demnach der Kurort Palanga in Litauen; die kürzeste Strecke von Gotland bis zum östlichen Festland wäre es aber nicht.
Dementsprechend scheint die dritte berichtete Variante, eine Landung in Pavilosta in Lettland, inzwischen die wahrscheinlichste zu sein. FALLS Urbonas durchkommt: schon auf dem Weg von Öland nach Gotland musste er zunächst wegen zu starker Winde umkehren, und erreichte Gotland erst im zweiten Versuch. Seit heute ist der schwierigste Teil der Strecke angebrochen: die noch etwa 145km lange Strecke von Gotland bis Pavilosta - das bedeutet nur 2 Stunden Schlaf pro Tag (im Beiboot), etwa eine Woche lang Dauerschwimmen.

Rekorde im Visier - Gesundheitschäden nicht ausgeschlossen

Die Lust am Extremen ist für Urbonas nicht ungefährlich. 1999 zog er sich einen Leberschaden zu, als er den Nemunas 460km innhalb von 8 Tagen hinuntergeschwommen war (10km pro Tag). 2006 wollte er von Frankreich 33km weit rüber nach England schwimmen, musste aber wegen hohen Wellengangs aufgeben (siehe Reuters 14.7.07). Auch damals war das Dauerschwimmen Teil einer größeren Kampagne: Urbonas wollte Unterschriftenlisten von Litauen bis nach Island bringen, mit denen sich Zehntausende Litauer für die Anerkennung der litauischen Unabhängigkeit durch Island bedanken wollten.

Bericht des schwedischen Fernsehens (schwedisch)

Blog von
Ruslanas Iržikevičius mit Foto des schwimmenden Vidmantas Urbonas (engl)

Berichterstattung bei DELFI.LT (litauisch)

Bericht Olandsbladet (schwedisch, Öland)

Infos der Stadt Kalmar (schwedisch)

Vorbericht Agentur REUTERS (engl.)

Bericht TVNET / LETA (lettisch)

Litauische Ostseeschutzinitiative (Text auch in Deutsch)


Aktuelle Infos der schwedischen Botschaft in Vilnius zu Urbonas (engl.)

Kontakt zum Management von Vidmantas Urbonas, der Firma ACTIONFIELD

10 Juli 2007

Auf der Suche nach positiven Schlagzeilen

Macht Litauen Schlagzeilen? Vielleicht würden es sich Litauerinnen und Litauer gerne wünschen. Aber abgesehen davon, dass es vielleicht nicht immer gut ist, Aufsehen zu erzeugen: etwas mehr positive Presse wäre Litauen zu wünschen.

"Polnische Hooligans zerstören Fußballstadien in Litauen" - nein, dass kann das erwünschte Presseecho kaum sein (News4Press, 9.7.07). Polnisch-litauische Agressionen kann kein Wiederaufleben gewünscht werden, und finden in Litauen eigentlich auch keinen Widerhall. Wer "Spaß" an Gewalt hat, findet immer einen Anlaß. "Schande für den polnischcn Fußball" zitiert POLSKAWEB denn auch die eigene polnische Presse, auch im Hinblick auf die Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen.

"Bordeaux-Wein nun auch aus Litauen?" Auch dieser Schreckensruf in der Presse Österreichs kommt Litauen kaum zu Gute (Die Presse / VOL 4.7.07). Gemeint ist damit eigentlich die europäische Reform des Weinmarktes - wobei gerade den Österreichern besonders auffiel, dass theoretisch nun Spitzenweine aus Frankreich auch nach Litauen zum Abfüllen geschickt werden dürfen, ganz legal. Wein aus Litauen - es wäre eine Premiere. Aber für was steht da "Litauen"? Warum kein anderes Land als Beispiel? Eine kathegorische Weigerung, Litauen könnte auch nur theoretisch irgendwo Vorbild oder Vorreiter sein? Wein als Symbol für andere Ängste? Es ist keine Liebe, die da durch den Magen geht.

Litauen baut neues Atomkraftwerk - ob nun gerade diese energiepolitischen Schlagzeilen viel mehr Begeisterung für Litauen erreichen können, darf wohl auch eher bezweifelt werden. "Litauen wirft EU mangelnde Solidarität in energiepolitischen Fragen vor", derartiges war noch vor kurzem in der internationalen Presse zu lesen (siehe z.B. Financial Times). Wie auch, wenn sich Litauens Politiker jahrelang weigern, ein völlig marodes und nur mit internationalen Geldern notdürftig gesichertes AKW endlich abzuschalten, jahrelang weder einen Gedanken verschwenden an ökologisch optimalere Alternativen (geschweige denn auch nur einen Finger krumm machen dafür) - und dann aber plötzlich mit solchen Verbeugungen vor den Gelüsten der global verzweigten Atomindustrie daher kommen? Klar, Litauens Problem mit der 80%igen Abhngigkeit von der Atomenergie muss gelöst werden. Aber das "Wie" prägt hier auch das Echo. Da kann man natürlich prima lamentieren, "diese Ausländer im Westen" würden natürlich die litauischen Interessen nicht verstehen können. Klar. Es gibt aber auch gemeinsame Interessen, liebe Litauer.

Kaczynski ließ Vertragsabschluss in Litauen platzen: nur gut, da es vorerst wiederum die polnische Karte ist, die für Litauen nicht sticht (siehe Hannes Gamillscheg in DIE PRESSE, 6.7.07, oder auch BALTIC TIMES). Nun kann Kaczynski in diesem Fall nun mal auch nicht so einfach "seinen Bruder schicken" (wie er es mit der EU machte, und diese dann an seinen Marionettenfäden zu halten können glaubte). Die polnische Regierungskrise sei davor. Vielleicht findet Litauen einen zweiten Adamkus, am besten einen Zwillingsbruder, der als Marketingchef im Ausland Litauen repräsentieren könnte?

Und noch eine Schlagzeile: VATTENFALL interessiert am Bau des neuen Atomkraftwerks in Litauen. (Financial Times). Na, ob das nicht - nach dem rapiden Vertrauensverfall gerade dieses Energiekonzerns im Zusammenhang mit dem Unfall von Brunsbüttel - schon wieder ein Schlag zu Ungunsten angeblicher litauischer Interessen sein könnte?

Na gut, die meisten deutschen Touristen fahren trotzdem auf die Kurische Nehrung. Und lassen den "Rest Litauens" irgendwo rechts oder links liegen. Oder fahren durch, und merken offensichtlich nicht, was es noch an wirklichen litauischen Interessen, Themen und Belangen geben könnte. Oder keiner schreibt darüber. Abgesehen wiederum von der Tourismuswerbung. Aber ist das Litauen?

27 Juni 2007

Das Dorf wohnt in der Stadt

Darstellung des „Wilna-Bauern“

Schon deslängeren gibt es in Litauen die Diskussion über die “zwei Litauen”, vor allem um Stadt und Land. In seiner Juni-Ausgabe nimmt sich nun das Vilniusser Szene-Magazin “PRAVDA” www.pravda.lt dem Thema “Dorf” an. Und zeigt auf der letzten Seite den “Agrovilnietis Miesto Jurgis”, also etwas den “Wilna-Bauern Stadt-Schorsch”.

Immer noch schlägt das Bauernherz im Stadtbewohner, möge sich auch der Verkehr stauen, er im X-ten Stock eines gläsernen Hochhauses arbeiten und kein Basketballspiel seiner Lieblingsmannschaft verpassen.

Zitat: “Vom bezaubernden kleinen Dorfbewohner, dem der Lauf der Geschichte den Spitznamen “Rübe” verliehen hat, unterscheidet der Wilna-Bauer durch soziale Schizophrenie. Er ist ein rechter Provinz-Bure und stolz drauf, so wie auf Felder, Kleinviech und seine eigenhändig groß gezogenen Radieschen. Trotzdem glaubt Stadt-Schorsch, dass er sich nach 30 Jahren im Beton seiner vier Wände Repräsentant einer Metropole nennen kann, obwohl er sich im Herzen nur um die Schnappsbrennerei sorgt, die er sich in seiner Garage gebastelt hat.“

Charakteristika

  1. Religiös, aber doof.
  2. Trinkt gerne „mal `nen kleinen“...
  3. Stolzer Eigentümer einer Datscha, denn ohne Finger im Mutterboden fühlt er sich „wie amputiert“
  4. Widerspricht jeglicher sprachlichen Öknomie indem der Namen durch Verkleinerungsformen konsequent verlängert, z.B. die „Raimondchens, “Algirdilein“, „Leonchileinchen“
  5. Die Sätze beginnen mit dem sinnlosen „Shita“ (So...)
  6. Stadt-Schorsch ist Entwicklungs-Egon vom Dorfe, besonders in Beziehungen zu Frauen. Nach dem Fund von dreckigem Geschirr bringt er es sofort zur Mutti. Niemals würde er Essen machen. Spült nicht, kann aber hervorragend Dreck machen.
  7. Urlaub macht er im subtilen Kurort Palanga
  8. Geht in den Fastfoodableger „Chili Dorf“, dass speziell zur Nahrungsabnahme des Wilna-Bauern gegründet wurde.
  9. Bietet seinen Arbeitskollegen selbst sauer eingelegte Gurken an.
  10. Riecht als ob er selbst sauer eingelegt wäre
  11. Dem Wilna-Bauern haftet eine tierische Angst vorm Atomkrieg an. Wenn Ihr noch der Meinung seit, solchen eine Krieg wird’s nicht geben, dann besucht ihn in seinem Schuppen.
    Allein die Anzahl der Gläser „Eingelegte Beeren“ lässt Euch ernsthaft Sorgen um den Weltfrieden machen.
  12. Homophob. Er ist davon überzeugt, dass Werbung für die Menschenrechte für andere sexuelle Orientierungen zum Zusammenbruch seiner Familie führt.
  13. Geht nicht wählen. Aber wenn, dann wählt er na-Ihr-wisst-schon-wen...
  14. Macht den Löwenanteil der abendlichen Fernsehzuschauer aus.
    In seinem Handschuhfach stapeln sich „Popstars“- und „DSDS“-CDs
  15. Beim Küssen zieht er die Unterlippe zurück.“

Orginaltext: Carlo Mandrake

Bild: Rikka

Homepage der Zeitschrift “Pravda” (dort kann sich unten rechts auch die aktuelle Nummer als PDF-Datei herunterladen)

www.pravda.lt

Digitales Informationsprojekt für ländliche Gemeinden (mit kurzer Darstellung auch auf Englisch)

http://bendruomenes.lt/

25 Juni 2007

Schweizer streiten über Litauen

Litauen ist gegenwärtig selten in den Schlagzeilen der deutschsprachigen Presse. In Litauen werden keine Denkmäler spektakulär versetzt (sie sind längst versammelt im Grutas Parkas), nicht einmal Präsidenten oder Parlamente werden momentan gewählt. Da mutet es seltsam an, dass ausgerechnet in der so beschaulich anmutenden Schweiz neuerdings Litauen zum Zankapfel wird. Wie konnte das geschehen?

Neben den scheinbar unvermeidlichen Geschichten von abgefahrenen Reifen litauischer LKWs auf deutschen Autobahnen ist es eher die deutsche Regional- und Provinzpresse, die sich für litauische Themen interessiert. Meist sind Besuche von Gastgruppen oder Partnerschaften der Hintergrund. "Folkloristisch und romantisch" nennt das "Wiesbadener Tagblatt" den Auftritt des litauischen Chors VARPELIS in der hessischen Hauptstadt. "Die höchste Erhebung in Litauen beträgt 250 Meter," weiß inzwischen auch der Wolfenbütteler Bürgermeister Thomas Pink, der Gäste aus Sakiai empfing. "In Litauen gibt es keinen Bergbau", fügt die Berichterstatterin bei "Newsklick" hinzu. Da könnte man staunen, dass es in der deutschen Presse überhaupt eine Meldung wert ist.
Berichtet wird natürlich dann, wenn Deutsche für Litauen spenden. Ob in Bocholt ein Rettungswagen für Akmene, in Michelstadt die Ausrüstung für ein Altersheim in Lauksargiai, in Lemgo ein Krankentransportwagen für Kaunas, oder in Schrobenhausen die Hilfe für ein Behindertenheim ebenfalls in Kaunas.

Was finden nun aber die Schweizer so aufregend?

Kennen Sie Frank A. Meyer? Nein? Ich bisher auch nicht. Wollen wir vorsichtig sein, vielleicht ist er ja auf der Finanzinsel Schweiz ein gefürchteter Wirtschaftsreformer. Kennen sie "BLICK"? Ja richtig, es soll so etwas wie das Gegenstück zur deutschen BILD sein. Oder? Frank A. Meyer können sie hier im Großfoto erleben. Frank A. Meyer überrascht uns mit der These, Litauen sei "erst vor kurzem befreit" worden (Sonntags-BLICK, 23.6.2007). Befreit? Von den Schweizern, der Schweizer Garde, oder dem Schweizer Käse?
Nein, nichts davon - von "Äpfeln und Birnen" meint Herr Meyer hier reden zu müssen. Zitiert wird eine Studie der Beratungsgesellschaft KPMG, der zufolge das Steuerniveau Litauens mit dem Schweizer Kanton Obwalden verglichen worden sein soll. "Litauen als Vorbild für die Schweiz?"
Nun, man könnte Herrn M. granteln lassen; wir erinnern uns dunkel, dass die Birnen im Schweizer Bergland sowieso recht winzig ausfallen - sonst könnte auch nicht ein so gehaltvollers Wässerchen daraus gebrannt werden. Warum also aufregen?
Besser stellen wir keine weiteren Spekulationen darüber an, was Herr M. noch alles "befreien" möchte.

Damit noch nicht genug. Auch im beschaulichen Obwalden gibt es vereinzelte Blogger, wie etwa "obwaldner blog". Aufgemacht mit dem schönen Spruch:
"Wer das Böse ohne Widerspruch hinnimmt, arbeitet in Wirklichkeit mit ihm zusammen." Martin Luther King (1929-1968).
Tja, nun wurde aber der Beitrag aus der BLICK hier kommentarlos wiedergegeben. Trotz einer schönen Illustration (siehe oben) leider kein Beweis eigener Intelligenz. Kein Nachweis, dass diese Sonntagsschweizer je in Litauen waren. Und auch leider keine Antwort auf die Frage, wer denn nun Litauen "befreit" haben soll .... :-(