08 Dezember 2017

Der Berg rutscht

Wer Vilnius besucht, der gönnt sich auch gern den schönen Rundblick vom Gediminas-Berg, vielleicht auch vom Gediminas-Turm. Von hier aus sind Altstadt, die zahlreichen Kirchen und bewaldeten Höhen hervorragend zu sehen. Die Litauen-Touristik beschrieb die Burgmauer kürzlich auch noch als "idealer Ort für vertrauliche Gespräche" - wohl in Erinnerung an die Sowjetzeit (Lithuania.travel). Am 4. November jedoch musste der Zugang bis auf weiteres gesperrt werden - auch der Aufzug ist derzeit nicht in Betrieb.

Hier noch ohne Erdrutsch, und mit Aufzug: eine der beliebtesten
Aussichtspunkte in Vilnius (Foto aus dem Sommer 2015)
Seit einigen Monaten hatte es immer wieder Hangrutschungen gegeben: bereits im Juli war nach starken Regenfällen der Zugang vorübergehend geschlossen worden. Damals aber hatte der litauische Kulturminister Renaldas Augustinavičius den Zugang schon nach einer Woche wieder öffnen lassen - verbunden mit einer Finanzzusage in Höhe von 3 Millionen Euro für notwendige Reparaturen. Die Behörden erklärten damals eine Absperrung von besonders gefährdeten kleinen Bereichen für ausreichend.

Das Erdreich sackt jedoch weiter ab - dabei ist der Hügel keineswegs künstlich angelegt, sondern schon vor Jahrhunderten Standort von Burgen und Befestigungsanlagen. Vor allem die Nordflanke ist jetzt gefährdet. Allerdings soll es auch einmal in entfernter Vergangenheit einen Erdrutsch am Gediminas-Hügel gegeben haben: 1396 kamen dadurch sogar 15 Menschen zu Tode (Milkulėnas).

Was könnte - außer heftigen Regenfällen - zur gegenwärtigen Instabilität unter dem Gediminas-Turm beigetragen haben? Da gibt es Spekulationen in viele Richtungen. Eine Theorie geht davon aus, dass es zu Zeiten des 2.Weltkriegs einen Tunnel unter dem Hügel gegeben haben soll, gebaut von den deutschen Besatzern der Nazizeit. Der Eingang sei 1948 eingestürzt - aber vielleicht gibt es noch Tunnelreste? Andere halten die in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder vorgenommenen Ausbesserungen für wenig effektiv - mit der Folge, dass es immer wieder neue Erdrutschungen geben könnte. Wieder andere beschuldigten sogar Diebe, immer mal wieder Steine - Überbleibsel der früheren Befestigungen - vom Berg fortgeschafft zu haben (Baltic Times). Manche sehen auch Vibrationen von Seiten der am Hügel vorbeiführenden Durchgangsstraße als Grund. Auch Bäume galten schon mal als Ursache für Unstabilität am wichtigsten Hügel der litauischen Hauptstadt - es wurden alle gefällt. Es half nichts. 

Einige Jahre vergingen zudem mit Streit über Verantwortlichkeiten. Lange Zeit war auch gar nicht klar, wer eigentlich Eigentümer des Geländes ist - der Staat? Das Nationalmuseum? Das Denkmalschutzamt? Zwar sind nach Auskunft der Behörden die Gebäude auf dem Gediminas-Hügel nicht gefährdert, aber die bereitgestellten Finanzmittel wurden inzwischen schon auf 9 Mill. Euro erhöht.
Und auch über den 2003 neu gebaute Aufzug wird noch diskutiert - Kritiker bemängeln, der Aufzug störe die Optik der Stadtsilhouette. Momentan stören aber wohl eher die Erdrutschungen die Optik. "Der Stolz Litauens - Traurig, traurig!", registrieren es auch schon die Tourismusverantwortlichen beim lettischen Nachbarn (Delfi).
Mehrere litauische Ministerien arbeiten inzwischen an Unterstützungsmaßnahmen und fachlichen Stellungnahmen, dazu zählen auch Möglichkeiten der Unterstützung durch die Europäische Union. Ob die für Ostern 2018 geplante Wiedereröffnung der Touristenattraktion dann wirklich erfolgen kann, bleibt vorerst offen. Manchem Litauer bleibt da nur noch Ironie: "Wir sind eben ein flaches Land - da müssen wir jeden Hügel retten, und sei es nur vor der natürlichen Erosion!"

09 November 2017

Bono's Bonus

Ja, das ist schon krass. Da stellt ein international bekannter Künstler einen Teil seiner persönlichen Ersparnisse zur Verfügung, um dass in Litauen die ländliche Infrastruktur verbessert werde. Oder wie sollten wir es nennen? "Bono investiert in litauische Firma" (Tagesschau), "Bonos Litauen-Tournee" titelt die Süddeutsche Zeitung. Ein Journalist des STERN war sogar schon vor Ort, um sich anzusehen, wie dieses Einkaufszentrum in Utena denn wohl aussieht, als Steuersparmodell für Rocklegenden. Der "Stern" zumindest ist enttäuscht: "piefig, provinziell, langweilig."

Investment in Litauen: wer investiert hier in wen?
Etwas griffiger liest sich die Schlagzeile im schwedischen "Aftonbladet": "Bono köpte köpcenter".  Aber so simpel ist die Sache gar nicht, die da unter dem Schlagwort "Paradise papers" vom "Netzwerk investigativer Journalisten ICIJ" öffentlich gemacht wurde. Was genau die Firmen, an denen der Brite mit dem unscheinbaren Namen Paul David Hewson Anteile hält, wirklich machten, hat ihn sehr wahrscheinlich gar nicht so im Detail interessiert - davon zeugt schon die Tatsache, dass weder U2 noch Bono jemals in Litauen waren.

Vielleicht werden alle diejenigen in Litauen, die immer von einer glorreichen Zukunft steuerbegünstigter Projekte, von Sonderwirtschaftszonen oderdem freien Kapitalfluß schwärmen, sich irgendwann einmal doch mit Herrn Hewson treffen. Denn offenbar war keines der Argumente wie "Talente, Qualität, Kosten, Infrastruktur, Lebensstil" hier entschiedend, die beispielsweise "Invest Lithuania" so hervorhebt. Warum Litauen? Na, es war eben in dem Korb der Steuervermeidungsmodelle irgendwie mit drin. 

"Nude Estate" - nacktes Grundeigentum. Mit "Herrn Bono" als stillem Mehrheitseigner. Mehr Fantasie war nicht nötig. und wenn doch, dann eben "Nackt 1", "Nackt 2" und so weiter. Firmen, registriert auf der Steuersparinsel Malta (Steuersatz maximal 5%). Weit weniger romantisch, als es die 3700qm Konsummeile "Aušra" ("Morgenröte") nahelegen will. Und angeblich lief es ja auch nicht gut in Utena. Seit 2011 soll das Einkaufszentrum keinen einzigen Cent Unternehmensgewinn ausgewiesen haben, wie berichtet wird. "Verlustvortrag" nennt sich das im Finanzendeutsch. Schätzungen zufolge macht das eine "Steuerersparnis" von bis zu 47.000 Euro aus (BBC).

 "Aušra" wurde gebaut vom litauischen Projektentwickler EIKA. 2006 eröffnet, wurde das Objekt schon 2007 für 5,8 Millionen Euro verkauft - an einen damals nicht namentlich genannten "ausländischen Investor". Um das zu bewerkstelligen, eröffnete, vereinfacht gesagt, "Nackt Malta" eine Tochterfirma "Nackt Litauen2", nur um das Objekt 2012 dann wiederum weiterzuverkaufen an "Nackt1", registriert auf der Insel Guernsey. Der litauische Arm dieses Konstrukts wies 2010 einen angeblichen "Verlust" von 3 Millionen Euro (BBC). Auf Guernsey wiederum fällt auf Unternehmensgewinne 0% Steuern an, in Worten: Null.  

Paul David Hewson, der auch als einer der reichsten Musiker der Welt gilt, sorgte bereits vor 10 Jahren für Aufsehen, als er mit seiner Band den Steuersitz in die Niederlande verlegte - Irland hatte die Privilegien für Künstler abgeschafft.
Es gibt ja auch Künstler, die nach den Höhepunkten ihrer Karrieren durchaus auch in Einkaufszentren auftreten - "Bono" zählt wohl nicht dazu. Und schon gar nicht in Litauen.

Aber Litauens Wirtschaftspolitiker müssen sich vielleicht die Frage stellen: Was bringt die gegenwärtige Investitionsförderung? Wenn am Ende lediglich Projekte hin und her geschoben werden, in denen vordergründig zwar auch Menschen ihre Arbeitsplätze haben, aber um ein vielfaches größere Summen als Steuerersparnis auf das Konto derer geschaufelt werden, die sowieso schon viel haben - kann das in litauischem Interesse sein? 

15 Oktober 2017

Die Gintra-Ladies

Ein litauischer Fußballclub in der Champions-League? Scheinbar unglaublich, denn die litauischen Männermannschaften scheiterten bisher alle in den dafür notwendigen Qualifikationsrunden. Dazu kommt: die litauische Nationalmannschaft der Männer hat sich bisher noch nie für  Europa- oder Weltmeisterschaften qualifizieren können. Auf der FIFA-Weltrangliste rangieren die Fußball-Männer auf Platz 120, noch hinter Ruanda, Malawi und dem Libanon. Litauerinnen und Litauer trösten sich da lieber mit dem Weltranglistenplatz der Basketball-Männer: Rang 6 (Deutschland = Rang 23). 

Auch bei den Fußball-Frauen sieht es eigentlich nicht viel besser aus: Litauens Kicker-Ladies nehmen Rang 89 ein, immerhin noch zwei Plätze hinter Lettland und sieben Plätze hinter Estland.

Erstaunlich also, was das Frauen-Team "Gintra-Universitetas" aus dem nordlitauischen Šiauliai jetzt erreichte: durch einen Sieg auswärts bei den Frauen des FC Zürich (1:2) zogen sie ins Achtelfinale der Frauen-Championsleague ein - nach 2014 sogar schon zum zweiten Mal. Herausragende Spielerin im Spiel gegen Zürich war wieder einmal Zenatha Coleman, 24 Jahre alt und gebürtig aus Namibia - sie schoß sämtliche Tore für "Gintra" im Hin- und Rückspiel. Sie ist nicht die einzige Nicht-Litauerin: zum Team gehören auch Maria Jose Rojas Pino aus Chile, Toriana Patterson aus den USA, die Bulgarin Lyubov Gudchenko, die Serbin Jelena Čubrilo und Ana Alekperova aus Aserbeidschan.

"Gintra Universitetas" - ein ungewöhliches Muli-Kulti-Experiment? Vor einem Jahr waren sogar zwei Spielerinnen aus Namibia in Litauen zu Gast: Teamkollegin Thomalina Adams bekam jedoch nach mehreren Verletzungen keine Vertragsverlängerung. Ob Goalgetterin "Zz" Coleman noch lange bleibt, scheint vorerst unsicher - sie wurde geholt als Nachfolgerin der Ukrainerin Tatiana Kozyrenko und verbesserte in der vergangenen Saison den litauischen Torrekord auf 52 Treffer pro Saison. "Mein Traum wäre es, für einen Klub in Frankreich oder Spanien zu spielen," verriet sie Berichterstattern von "The Namibian". Eine andere Aussage: "Wenn ich aus Litauen weggehe, möchte ich die beste afrikanische Spielerin sein, die je hier gepielt hat!"

"Coleman versenkt Zürich!" schrieb "The Namibian" also zuletzt. Achtelfinale Championsleague? Ist das etwas Besonderes? Immerhin sind die Frauen von Bayern München, deutscher Meister 2015 und 2016, dieses Jahr daran gescheitert es zu erreichen. Spannend wird sein, ob die "Gintra-Ladies" in diesem Jahr es vielleicht noch eine Runde weiter schaffen: 2014 hatte "Gintra" den Einzug ins Achtelfinale nur durch Sieg im Elfmeterschießen (gegen Sparta Prag) geschafft, um dann an den Däninnen von Brøndby Kopenhagen zu scheitern. Einer lernt in jedem Fall ständig dazu: Coach Rimantas Viktoravičius, der auch das Frauen-Nationalteam trainiert und dort wesentlich weniger Erfolgserlebnisse hat als bei seinen "Gintra"-Frauen. Viktoravičius hält die Zusammenarbeit mit der Universität Šiauliai für derart vorbildhaft, dass er sich auch schon einmal für die Gründung einer litauischen Studentinnen-Liga aussprach (Futboloekspertas).

Gintaras Radavičius, "Gintra"-Vereinspräsident, baut auch auf die 2012 restrukturierte und modernisierte Sporthochschule in Kaunas: "Hier versammeln wir Talente aus ganz Litauen. Wenn sie studieren und auch in der Region Arbeit finden könnten, dann können wir auch in Zukunft erfolgreich sein." Aber er stimmt Trainer Viktoravičius zu wenn dieser sagt: "Wir brauchen erfahrene Spielerinnen. Im Fußball beginnt das im Alter von 26 bis 30 Jahren - und die meisten Litauerinnen denken in diesem Alter an die berufliche Karriere oder an die Gründung einer Familie. So sind die Spielerinnen aus dem Ausland sehr wichtig für uns - sie helfen uns, unsere Schwächen zu verdecken." (Futboloekspertas)

Was könnte der nächste Gegner im Championsleague-Achtelfinale  sein? "Barcelona, das wäre natürlich ein Traum," meint Zenatha Coleman. "Aber es ist egal, welcher Gegner. Angst haben wir nicht, wir sind Gintra!"
(die Auslosung am 16.Oktober ergab: "Gintra" spielt am 8./9. und 15./16. November tatsächlich gegen die Frauen vom FC Barcelona !)

26 September 2017

Verkostung Ost

Schmeckt Osteuropa anders? - Unter den Lebensmittelkonzernen hat wohl Pepsi Cola die längste Geschichte einer speziellen Geschmacksorientierung in Osteuropa: als infolge einer Übereinkunft zwischen Nikita Chruschtschow und Richard Nixon (1959) dem Pepsi Konzern erlaubt wurde den bräunlich-süßlichen Drink auch in der Sowjetunion zu verkaufen, war es rein ökonomisch ein Erfolg (im Austausch mit importiertem Wodka). Pepsi exportierte allerdings nur anfangs - später, ab 1974, wurde der begehrte Stoff in der Sowjetunion selbst hergestellt. Von nun an wurde Pepsi von den betroffenen Konsumenten als "sowjetisches Produkt" eingestuft - das konnte wohl kaum genauso gut schmecken wie im Westen. Auflösung gab es erst 1989 mit dem Fall des "eisernen Vorhangs": nun wurde der Markt in den Ex-Sowjetstaaten für Pepsi sogar zu einem ökonomischen Standbein, während in vielen anderen Ländern der Welt längst Coca-Cola der Marktführer war.

ein historisches Foto: Chruschtschow probiert
erstmals eine Cola (Quelle: ceuweekly)
Wir lernen: es ist nicht nur wichtig, wie es schmeckt, sondern auch wie die Erwartung davon ist, wie es wahrscheinlich schmecken wird. Auch Pepsi war keine reine Erfolgsgeschichte: vieles in Osteuropa sei schwer einzukalkulieren und wenig vorhersehbar. Weiterhin wurden die damaligen osteuropäischen Konsumenten als wenig markentreu eingeschätzt: natürlich trug man gern "Adidas", "Puma" oder "Nike", als die Bezugsquellen dafür noch nahezu unerreichbar (oder unbezahlbar) erschienen. Gleichzeitig jedoch wechselt man gern zu preisgünstigen Konkurrenzprodukten - oder trinkt in der Krise eben auch einfach Leitungswasser (so die Marktanalytiker). Zusammen mit Pepsi kamen später auch Ketten wie "Kentucky Fried Chicken" oder "Pizza Hut".

Wieviel davon gilt heute auch für Litauen? Versuchen wir also mal genauer hinzuhören, wenn der litauische Landwirtschaftsminister Bronius Markauskas Bedenken äußert; kürzlich hatte er die staatliche litauische Lebensmittelbehörde beauftragt, 33 Produkte identischer Marken aus Deutschland und Litauen genauer zu testen. Angeblich seien bei 23 davon deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung, aber auch in Geschmack, Farbe oder Konsistenz festgestellt worden. "Ein in der EU bekanntes Produkt sollte doch auch gleiche Qualität haben, egal ob in Lissabon, München oder Vilnius gekauft," so Markauskas. Wird hier ein alter Vorwurf gegen die EU-Bürokratie umgedreht? Gern sei an dieser Stelle der "Krümmungsgrad der Gurken" zitiert, den die EU ja angeblich mal vorgeschrieben hat. Völlig identische Einheitsprodukte in ganz Europa? Ist das wirklich wünschenswert?

In litauischen Medien sind Streitpunkte am häufigsten bei folgenden Produktgruppen genannt: Joghurt, Käse, Gebäck, Schokolade, Limonaden, Kaffee, Waschpulver. Genauere Zahlen lässt auch die Pressemitteilung der litauischen Kontrollbehörde leider offen. Als Grund für die Untersuchung gibt Darius Remeika, Chef der litauischen Lebensmittelüberwachung an, "8 von 10 litauischen Konsumenten" hätten behauptet von manchen Produkten "diskriminiert" zu werden. Allerdings habe man schnell festgestellt, dass in fast allen Fällen die Firmen "rein rechtlich" alles richtig gemacht hätten - also seien genauere Untersuchungen nötig gewesen.

Und, was wurde nun festgestellt? Konkret benannt wurden nur vier Beispiele, alle recht vage: Schokolade, die nicht 35% Kakao (wie eine der gleichen Marke in Deutschland), sondern nur 32% habe, Joghurt mit (in Deutschland) höherem Fruchtanteil, Nuß-Nougat-Creme mit ebenfalls höherem Kakaoanteil, und Sonnenblumenöl, das für Kartoffelchips benutzt wurde und in Litauen durch billiges (und umstrittenes) Palmöl ersetzt wurde.

Was das Palmöl angeht, so würde ich ja gern mal mit einem Litauer zusammen durch einen deutschen Supermarkt gehen und versuchen Produkte ohne Palmfett zu finden; kann es also sein, dass - wie schon in der Zeit kurz vor dem EU-Beitritt - die Unternehmen Litauen als "Testmarkt" nutzen? Wenn also Palmöl wirklich Geld spart, wird es dann wohl auch bald in Deutschland verwendet werden, anstatt dass Sonnenblumenöl zurückkehren wird.

Nun beschweren sich allerdings nicht nur die Litauer über angeblich schlechtere Produktqualität westlicher Marken, sondern auch Gäste in Litauen - nur auf ganz andere Art und Weise. "Ich kenne Pizza Hut. Der Fehler ist nur, sie versuchen hier, die Pizza auf litauische Art zu machen," schreibt ein Kunde auf "Travelblog" unter der Überschrift "Das schlechteste Essen in ganz Litauen." "Sie servieren es mit sehr wenig Tomatensauce, oder sogar mit verschiedenen Saucen zum selbst nachwürzen, sehr trockener Teig, und auch der Salat ist nur der Farbe nach vielfältig." Wenn schon Standardqualität, dann auch für ausländische Spezialitäten in Litauen? - Gespannt warte ich dann auf einen litauischen Prüfbericht, ob die Cepelinai in ganz Europa dieselbe Qualität aufweisen ...

31 August 2017

Litauen - Europas Spitze?

Europas Spitze kann Litauen jederzeit darstellen - wenn es um Basketball geht. Bei der heute beginnenden Basketball-Europameisterschaft wird Litauen auch von der deutschen Presse als einer der Favoriten gehandelt. "Ganz Litauen fiebert dem sehnlich erwarteten ersten Titelgewinn seit 2003 entgegen", schreibt der "Kölner Stadtanzeiger" und liegt damit sicher nicht falsch. Der "Kicker" - sonst eher dem Fußball zugetan - ruft Litauen als Favorit aus. Das Sportportal "Spox" sieht es ähnlich, und macht bei den Litauern dazu noch die besten "Big-Man-Potentiale" aus; Vorteil Körpergröße - im Angriff wie in der Verteidigung.

Litauen wird einer der drei Gegner Deutschlands in der Vorrundengruppe sein, die in Israel ausgespielt wird. Da die EM diesmal in vier Austragungeorte geteilt ist, die Finalrunde aber in Istanbul stattfinden wird, wünschen sich diese deutschen Sportler tatsächlich einen Aufenthalt in der Türkei - ungewöhnlich, in einer Zeit der Reisewarnungen des deutschen Aussenministeriums. Wünschen wir also allen einen reibungslosen Verlauf. Und, ach ja: der beste möge natürlich gewinnen!


Webseite Eurobasket 2017 

P.S.: Na, das geht ja gut los! Litauen-Georgien 77:79 - das könnte heiß werden im Spiel gegen Deutschland (um den Gruppensieg?)

19 Juli 2017

In Litauen herrscht Krieg. Im Internet

 #Кремльнашуисториюнеперепишешь
Die Sieger schreiben die Geschichte. Stalin

In Litauen steht die Front. Es herrscht Krieg. Die Krieg in Zeiten des Internets ist hybrid. Er wird an neuen Fronten gekämpft. Und die Front steht auch im Internet.

Was ist passiert?
1. Die NATO hatte auf ihrer Internetvertretungen (https://www.facebook.com/NATO/) einen Film verbreitet, in dem es um die sogenannten "Waldbrüder" geht, also junge Männer, die am Ende des Zweiten Weltkriegs in die Wälder zogen, um gegen die Sowjets zu kämpfen.




2. Das wiederrum veranlasste das russische Außenministerium die folgende Darstellung zur veröffentlichen in der es um die "unschuldigen Opfer" der baltischen "Banditen" (so die offizielle sowjetische Bezeichung der Partizanen) und "Terroristen" (ein Begriff, der sich in den letzten 15 Jahren großer Beliebtheit erfreut) geht


3. Und jetzt kommt Litauen ins Spiel:
Der überaus beliebte Journalist Andrius Tapinas (https://www.facebook.com/andrius.tapinas) forderte die Litauer dazu auf, auf der Facebook-Seite des russischen Außenministriums den Hashtag #Кремльнашуисториюнеперепишешь übersetzt "Kreml, du schreibst unsere Geschichte nicht um" hinzuzufügen und die Seite hinabzustufen.
Andrius Tapinas ist Frontmann des Internetkanals "LaisvėsTV" (TV Freiheit) und seine Sendung "Laikykitės Ten" (Halten Sie sich dort! Untertitel "Intellektuelle satirische Abendshow") hat einen unglaublichen Erfolg bei jungen Litauern.
Resultat: Über 15.000 Menschen kamen der Aufforderung nach, die Seite fiel auf einen Stern hinunter.

Warum geht's?
Im Zuge des Propagandakrieges um die Ukraine geht es um die "richtige Geschichtsschreibung": Die Litauisch-Baltische Geschichtsschreibung verklärt die Waldbrüder zu patriotischen Märtyrern.
Inwieweit bei sich bei den "Waldbrüdern" Überreste der Nazi-Kollaborateure befanden, die am Holocaust beteiligt waren, wird völlig ausgeblendet.

Die Russen sehen sich in der Tradition der Sowjetunion und halten sich für die "Befreier vom Faschismus". Jeder Widerstand und jede andere Meinung kann es nicht geben
Es gibt eine Tendenz die stalinistischen Opfer, die wahrlose Massendeportation von ganzen Familien nach Sibirien hinwegzureden, zu relativieren und / oder zu verschweigen.

Beide Seiten sehen sich als Opfer: Die Litauer als Opfer der sowjetischen Besetzung, die Russen als Opfer der Nazis und ihrer Helfer (!). Ein Dialog ist nicht möglich und - schlimmer noch - andere Opfergruppe wie die litauischen Juden kommen in der Diskussion unter die Räder. Sie hatten nämlich sowohl unter der Nazis, als auch unter Sowjets und Litauern zu leiden ...

Ein differenziertes Geschichtsbild sieht anders, aber gerade im Zuge der neuen Konfrontation zwischen Russland und dem Westen, welche die russische Führung geschickt für die Re-Patriotisierung ihrer Bevölkerung nutzt, sind die Fronten verhärtet.


Lehren aus dem Konflikt über die Waldbrüder
1. Am wichtigsten für die Litauer war, dass sie nicht wehrlos sind.
15.000 Menschen machten bei der Aktion mit und verneinten damit russische Spekulationen, dass heutzutage im Ernstfall die Balten nicht mehr um ihre Unabhängigkeit kämpfen würden.

2. Die Russen möchten "ihre Sichtweise" durchsetzen. Dabei ist schwer zu sagen, wie sehr die  Propagandamedien des Kreml wie "Russia Today" Einfluss auf die Meinungsbildung in Westeuropa haben.

3. Ja, es gibt auch bei den Balten einige "Leichen im Keller", Fakten die bei den Waldbrüdern nicht differenziert gesehen werden und einiges muss noch besser aufgearbeitet werden.

Sicher ist jedoch, dass die Litauer durch diese Propagandaschlacht wieder mal dichter zusammen gerückt sind und die Russen unter einer dauerhaften Rotlichtbeleuchtung des Kreml leben.

Die Diskussion geht weiter. Ich persönlich kann einen Blick auf die Seite des russischen Außenministeriums empfehlen, dass weiterhin "Fakten" über die litauischen Partisanen verbreitet - interessanter finde ich allerdings die Kommentare dazu, in denen diese "Fakten" dann kritisch hinterfragt werden (zumeist auf Englisch).

18 Juli 2017

Sportlermarkt: sind Litauer halbe Wikinger?

Litauer erfreuen sich steigener Beliebtheit in Deutschland - das scheint vor allem im Sport zu gelten. Vor allem im Handball und im Basketball. "Einen Litauer einkaufen" - damit bereiten sich gleich mehrere Bundesligisten auf die neue Saison vor. Der 24-jährige Marius Grigonis, der jetzt bei "Alba Berlin" unterschrieb, absolvierte zu Anfang seiner Karriere ebenso die Alvydas-Sabonis-Basketballschule wie Žygimantas Janavičius, der mit seinen 28 Jahren bereits ein erfahrener Spieler ist, und es jetzt bei den "Basketball-Löwen" in Braunschschweig versuchen wird. Im Interview wird deutlich, dass auch der deutsche Basketball vielleicht noch etwas von Litauen lernen kann: "Ich bin bereit, meine Erfahrungen aus der litauischen Basketballschule und aus den besten Klubs in Litauen, für die ich gespielt habe, nach Deutschland und zu den Löwen zu bringen."
Würzburgs Trainer Dirk Bauermann beantwortet
Fragen nach dem Wert litauischer Basketballspieler
Erst 18 Jahre alt war Eimantas Stankevičius, als er 2016 als Jugendnationalspieler nach Weißenfels zum MBC (Mitteldeutscher Basketball Klub) kam - auch er aus der Arvydas-Sabonis-Basketballschule in Kaunas.

Richtig fündig werden wir aber bei "S.Oliver Würzburg", wo gleich zwei Litauer neu hinzugekommen sind. Hier muss Trainer Dirk Bauermann (der selbst schon als Trainer in Litauen tätig war) schon Fragen beantworten muss, warum er so viele Litauer holt (diesmal zwei: Osvaldas Olisevičius und Vytenis Lipkevičius). Seine Antwort: es sind einige der talentiertesten Spieler Litauens, sie passen zu unserer europäischen Ausrichtung, und: "Sie gehen auch schon mal mit blutigen Knien und blutigen Ellenbogen nach Hause." Außerdem seien sie "halbe Wikinger" meint Bauermann mit dem Verweis seiner eigenen Erfahrungen in Litauen. Bauermann war 2013 bei "Lietuvos Rytas Vilnius" tätig, wo er jedoch nach nur wenigen Monaten entlassen wurde (siehe "Spiegel").

Es gibt natürlich auch Basketball-spielende Litauerinnen in Deutschland: gerade eben erst sicherte sich der deutsche Meister TSV Wasserburg die Dienste der Litauerin Santa Okockytė (ovb-online). 2016 holten die "Veilchen Ladies" in Göttingen die litauische Nationalspielerin Inesa Visgaudaite und stiegen in die 1.Bundesliga auf.

Einige weitere deutschsprachige Medien und Portale haben eher wegen "Yellow-Press"-Schlagzeilen Interna der litauischen Basketball-Liga entdeckt: so ging zum Beispiel Ex-NBA-Spieler Linas Kleiza kürzlich als neuer Vizepräsident zu Lietuvos Rytas (LR) (BBLprofis). Allerdings wird die eigentliche Ursache des Vorgangs nicht immer mit genannt: Kleiza erwarb ein ordentliches Aktienpaket vom Eigentümer, Ex-Pokerspieler und Politiker Antanas Guoga (weitere Anteile hält die Stadt Vilnius sowie der Unternehmer Darius Gudelis). Die Tatsache, dass Guoga überhaupt der Mehrheitseigentümer ist, verdanken wir wohl (außer seiner eigenen Selbstdarstellung) der Tatsache, dass er sein Vermögen durch Pokerspielen erwarb und die entsprechenden Seiten immer noch über ihn berichten (siehe "PokerFirma") - "Die Welt" sortierte ihn mal unter die "schillernsten EU-Ageordneten"; Guoga verdient gewissermaßen doppel am Basketball: das eigene Portal "Tonybet" nimmt die Wetteinsätze entgegen.
Guogas Vorgänger im Amt des LR-Präsidenten, Gedvydas Vainauskas, (derselbe, der auch Bauermann frühzeitig rausschmiss) war mit der Aussage aufgefallen, nie mehr als zwei "Schwarze" in seinem Team haben zu wollen, weil diese dann "Gangs bilden" würden. Die öffentlichen Proteste, vom litauischen Basketballverband wie auch von litauischen Ex-NBA-Spielern waren so groß dass er sich genötigt sah, seine Anteile zu verkaufen und zurückzutreten.

29 März 2017

Kaunas wird 22

Am Abend des 29.März 2017 feiert Kaunas: das litauische Kulturministerium gab bekannt, dass Kaunas für das Jahr 2022 als Europäische Kulturhauptstadt benannt werden wird - in diesem Jahr werden Litauen zusammen mit Luxemburg zwei Kulturhauptstädte stellen. Voraus gegangen war eine mehrmonatige Bewerbungskampagne, bei der vor allem die Hafenstadt Klaipeda (zusammen mit Nida und Neringa) als Konkurrent aufgetreten war.
Kaunas hatte seine Werbekampagne unter das Motto "ConTEMPOrary Capital" gestellt - und spielte damit auf den Status als "Zwischenkriegshauptstadt" Litauens an, da Vilnius in dieser Zeit polnisch war. Auch seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit Litauens könnten viele in der 300.000-Einwohner-Stadt das Gefühl zwischenzeitlicher Missachtung bekommen haben - viele Investitionen, touristische Aufmerksamkeit und politisches Einfluß richtete sich vor allem auf Vilnius. 2009 war die litauische Hauptstadt europäische Kulturhauptstadt - in fünf Jahren wird eine weitere litauische Stadt die Chance haben, sich europäisch zu präsentieren.

In seiner Bewerbungskampagne weist Kaunas auf Statistiken und Untersuchungen hin, denen zufolge in vielen Bereichen seit dem Krisenjahr 2009 die Stadt einen Aufschwung genommen hat. Allerdings werden in den neuen Industriebereichen wie der kreativen Industrie, Architektur, Werbung und Freizeitindustrie weniger neue Arbeitsstellen geschaffen, sondern eher mit freiberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gearbeitet.
Allerdings sehen manche in den Schwächen der Stadt auch mögliche Stärken: bisher ungenutzte Flächen und Gebäude könnten im Zuge neuer kultureller Aktivitäten ein nutzbares Potential darstellen.

Unter den in der litauischen Öffentlichkeit bekannten Personen, die persönlich sich als Botschafter/innen für die künftige Kulturhauptstadt Kaunas bereit erklärt haben, sind unter anderem Star-Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, Schwimm-Olympiasiegerin Rūta Meilutytė, Theater-Regisseur Gytis Padegimas und auch die Band "Golden Parazyth".

Die Kunsthistorikerin Virginija Vitkienė leitete bisher die Kampagne. Die Umsetzung wird keine einfache Aufgabe sein - denn, ähnlich wie auch bei Vilnius, gestaltet sich ein Blick auf das Vorkriegs-Kaunas kompliziert: weder Kaunas als Zentrum eines Weges "Litauen den Litauern", noch als Ort von Judenmord und Holocaust werden so in kulturelle Aktivitäten zu gießen sein.
Die Stadt setzt einstweilen auf andere Stärken: Kaunas als Ort spezieller Architekturtendenzen der Zwischenkriegszeit, Kaunas als Stadt der Jugend, mit einer weit gefächerten Universität, mit langer Fußgängerzone und Shoppingmeile, und als Basketball-Hochburg. Die Stadt ist in den vergangenen 20 Jahren von 400.000 auf 300.000 Einwohner geschrumpft - gesucht wird nun die Trendwende. "Wir brauchen den Wandel" - so betonen auch die Macher des Bewerbungskonzepts. Kaunas als europäische Kulturhauptstadt - das wird keine Selbstverständlichkeit sein, sondern vielleicht so etwas wie eine notwendige Häutung.

Kampagnenkonzept (engl.)

Facebookseite Kaunas 2022

Kaunas 2022 Webseite

Kaunas Kulturwebseite  (lit.)

23 März 2017

Frühling heißt Litauen!

Wo liegt Rukla? Keine Sehenswürdigkeit für Touristen, aber immerhin der Ort wo seit kurzem deutsche Soldaten in Litauen stationiert sind. Ein Aufregerthema, sollte man meinen - zumindest die russischen Staatsmedien sehen es genauso, und wirken in ihren Schlagzeilen schon fast verzweifelt-ironisch: "NATO-Bataillone auf der Suche nach russischen Aggressionen" titelt RTDeutsch. Das klingt schon sehr bemüht, das Thema am Kochen zu halten. - Derweil sind die deutschen Feuilletons voll mit litauischen Themen: inspiriert und injiziert vom Litauischen Kulturinstitut (nicht zu verwechseln mit dem Litauischen Kulturinstitut in Hüttenfeld) ist es offenbar gelungen, in diesem Jahr den Slogan auszugeben: Frühling heißt jetzt Litauen! 

Besonders beim Rückblick auf das Jahr 2009, als die vielversprechenden Ansätze der Kulturhauptstadt Vilnius in der Wirtschaftskrise und internen Streitigkeiten untergingen, überrascht in diesem Jahr die flächendeckende Präsenz der litauischen Bücherthemen: eigentlich kann es sich in diesen Tagen keine deutsche Tageszeitung, kein Internetportal, kein Radiosender leisten, Litauen nicht zu thematisieren. Dabei hilft auch die große Auswahl an frisch übersetzten Büchern: vom litauischen Exil-Klassiker Antanas Škėma (das weiße Leintuch),kultur-übergreifenden Themen wie Undiné Radzevičiūtė (Fische und Drachen), jüdisches von Grigori Kanowitsch (Die Freuden des Teufels) oder dem Vilnius-Band bei Hentrich&Hentrich, über Gespräche und Erinnerungen des Weltbürgers Tomas Venclova (der magnetische Norden), bis zur Zusammenstellung junger litauischer Literatur von Jurgita Ludavičienė. Dazu kommen Autorinnen und Autoren, die nicht zum ersten Mal auf dem deutschen Buchmarkt vertreten sind: Kestutis Kasparavičius (Die Reise ins Schlaraffenland), Laurynas Katkus (Moskauer Pelmeni), Ruta Sepetys (Salz für die See), Alvydas Šlepikas (Der Regengott), Eugenijus Ališanka (Risse), Romualdas Granauskas (die traurigen Flüsse) und Jurgis Kunčinas (Tūla), der im Dezember 2002 verstarb, aber noch einer der Gäste beim Litauen-Schwerpunkt damals in Frankfurt gewesen war. Nicht zu vergessen Giedra Radvilaviciute (Langer Spaziergang auf der kurzen Mole), eine wirkliche Neuentdeckung. Und damit sind nicht einmal alle Neuerscheinungen genannt.

Über die bloße Präsenz Litauens in den Kulturspalten hinaus wird es interessant sein mitzuverfolgen, in welche Richtung Rezensionen, Wertungen, Einordnungen und längerfristige Beachtung gehen werden. Inzwischen ist schon eine lange Reihe verschiedener Beiträge nachzulesen.
Da geht es manchen zunächst um ganz grundsätzliche Fragen ("Wo liegt eigentlich Litauen?", MDR, "Fernes, nahes Land" LVZ), ("Was ist neu?" Port01). Oder die Frage wird strapaziert, warum ein Land wie Litauen Buchmessenschwerpunkt wird ("Einfacher wäre es anderswo", NZZ), auch in Bezug zu Einwohnerzahl und Größe ("Kleines Land plant große Buchmesse", Morgenpost, NWZ). Speziellere Fragen stellt die Deutsche Welle ("Was die Litauer gerne lesen - und was man über sie lesen kann").

Andere sehen litauische Literatur auch auf dem Weg zum menschlichen Wohlbefinden ("Dichtung gegen das Glück", Deutschlandradio). Nicht vergessen wird auch, wie viele Schwierigkeiten Litauen bisher zu bewältigen hatte ("Land der Umbrüche", börsenblatt). Oder man nimmt die stolzen Litauer in den Fokus ("Selbstbewußte Community", Deutschlandfunk), Freiheitsbewußte ("Land der freien Dichter", Welt) oder die Schicksalsfragen ("Tick tack hinter der Wand", Süddeutsche Zeitung).

Andere sehen Litauen vor allem im digitalen Zeitalter angekommen ("Weniger Bücher, mehr Wlan", Deutschlandradio), oder geben gar alternative Trendvorschläge ("Poesie statt Panzer", The European).
Litauische Literatur wird auch im Zusammenhang mit europäischen Fragen gesehen ("Alltag am Rande der EU", idw), den EU-Nachbarn ("An der Grenze zwischen Europa und Nichteuropa", LVZ), oder zumindest in Zusammenhang mit dem Zustand Europas ("Sanfte Patrioten", Spiegelonline, oder "Sensibler Seismograph", SRF, ganz ähnlich der Deutschlandfunk).
Manche ziehen auch schon Schlüsse daraus ("Die Langsamkeit der Zukunft", Tagesspiegel), oder stellen noch immer einen Blick auf die Vergangenheit fest ("In der Erinnerungsschleife", NZZ). Nur für sehr wenige folgt daraus eine eher negative Bewertung der Situation in Litauen ("In den Strudeln der Vergangenheit", Neues Deutschland), um das dann aber mit weiteren Beiträgen zu relativieren ("Jung aber nicht böse", Neues Deutschland).

Auch sprachliche Freudenausbrüche lassen sich finden ("vier Tage geballte Liebe", NZZ), manchmal auch voller Bewunderung für mutige Schriftsteller/innen ("Zaubern und jonglieren", LVZ). Eine andere Strategie ist es, die kulturvermittelnden Übersetzer/innen erzählen und erläutern zu lassen: so wie Claudia Sinnig im Börsenblatt, Litauen-Kenner Cornelius Hell (beim Bayrischen Rundfunk), oder auch von den eigenen Kulturredakteur (Jörg Plath im DeutschlandradioKultur). Es gibt auch eigenwillige Einschätzungen ("Selbstironie und skurille Tragik", Tagespost), andere sind bereits überzeugt: Litauen ist ein Literaturland! (ARTE)

Kritische Worte gibt es zu lesen von Übersetzer Markus Roduner z.B. in der Tiroler Tageszeitung und bei Europeonline ("Verleger zu wenig risikobereit"). Andere thematisieren, dass die Lage allgemein kritisch sei ("Buchmesse Leipzig gibt sich stark politisch", Deutsche Welle,  "Buchmesse jongliert Politik und Literatur", ebenfalls Deutsche Welle).
In seltenen Fällen werden sogar Bücher vorgestellt, die gar nicht zu den 26 von Litauen offiziell vorgestellten und finanziell unterstützten Publikationen gehören ("Der 2.Weltkrieg aus osteuropäischer Perspektive", FAZ-Blog)

Manche Journalisten haben es auch bereits vor Beginn der Messe zu Einzelrezensionen geschafft ("Unter Luftgreisen", Süddeutsche Zeitung oder auch "Sind wir nicht alle auf der Flucht und im Exil?", Welt). Hoffentlich ist das Medieninteresse nicht schnell wieder erloschen - wir warten auf mehr!

12 Februar 2017

Beautiful - ist Litauen wirklich real in Litauen?

Es ist Aufgabe der Tourismusindustrie, schöne Bilder zu produzieren. Doch angesichts der aktuellen Schlagzeilen rund um die touristische Werbekampagne für Litauen könnten auch dem Betrachter bei manchen Motiven Zweifel kommen.
Ein Eisfischer - aber ist es wirklich Litauen? Wenn die Pressemeldungen stimmen, könnten es vielleicht auch Fotos von Landschaften außerhalb Litauens sein - die bisherige Leiterin der "Real is Beautiful" (Echt ist schön), Jurgita Kazlauskiene, musste kürzlich genau wegen solcher Verdächtigungen ihren Rücktritt einreichen (Wochenblatt, Standard).

Vielleicht aus Geldmangel hatte man sich Fotodatenbanken bedient, so vermutet das Schweizer Fernsehen. Die Nachricht von den touristischen "Fake-News" aus Litauen scheint sich europaweit schnell verbreitet haben (siehe auch: BBC), auch in Ländern wie Norwegen, die Fotos aus ihren eigenen Ländern als angebliches "Litauen" wiedererkannten (norwegischer Rundfunk NRK). Eigentlich gilt ja - gerade zur Zeit der wichtigen touristischen Frühjahrsmessen - der Grundsatz "bad news are good news" (Hauptsache es berichtet jemand über uns); in diesem Fall darf das aber bezweifelt werden. Die neue Kampage war erst im vergangenen Oktober neu gestartet worden.

Aber wie die Online-Ausgabe des "Merkur" zeigt, ist "lachen über Litauen" auch nicht so leicht, wenn man Litauen gar nicht kennt - die Redaktion dieser in München erscheinenden Zeitung traut Litauen immerhin zu, dass dort die Berge "nur" 3000 Meter hoch sind.


Also, vielleicht kann eine neue Touristikchefin aus der ganzen Aufregung doch noch etwas Positives machen: Lachen über Litauen, und mit den Litauern - und wenn, dann aber richtig!

06 Februar 2017

Ein neues, baltisches Berlin?

Sonderstatus Berlin (West): Wunschbild
für Vilnius heute) ?
Die NATO solle doch bitte die baltischen Staaten genauso behandeln wie West-Berlin zu Zeiten des Kalten Krieges - so schreibt Edward Lukas, britscher Journalist, Redakteur der Wochenzeitschrift „The Economist“, von 1998 bis 2002 Korrespondent in Moskau, Autor des Buches „The New Cold War". Lukas, der auch schon mal als Anti-Snowden Advokat auftrat (siehe FAZ), schrieb diese Worte aus Anlaß des 10. sogenannten "Snow-Meetings", das am 12. und 13. Januar 2017 in Paunguriai in der Nähe von Trakai stattfand. Nein, in diesem Fall ist nicht "Snowden" gemeint, sondern ein informelles Treffen von litauischen und internationalen außenpolitischen Experten.

Allerdings ändern sich die Rahmenbedingungen beständig: die leicht überhebliche Feststelltung von Lukas, "Putin sei nun auch schon 63, der Ölpreis und der Rubel-Dollar-Wechselkurs immer noch stabil" (CEPA) geht davon aus, dass Russlands Stellung international weiterhin eher geschwächt ist - während spätestens mit Amtsantritt Trumps, aber auch mit dem Desaster in Syrien und dem offenbar vorerst endlosen Gerangel in der Ukraine den meisten klar wird, dass es eine Wunschvorstellung ist, Russland so leicht in den Schranken halten zu können. Lukas' Rezept jedenfalls ist einfach: "We should be checking our locks, not opening doors". 

Nun klingt diese Devise allerdings - zumindest in ihren Auswirkungen - verblüffend ähnlich dem, was Trump laut mit seinem "Amerika first" verkündet. Abschottung, Grenzen zu, Hauptsache alle Türen sind fest verschlossen? Ob Herr Lukas sich die Unterschiede zwischen den heutigen baltischen Staaten und dem damaligen Berlin genau angesehen hat? 
  • - Berlin war kein Teil der Bundesrepublik (Status mit Sonderregeln, festgelegt im Viermächte-Abkommen, Text
  • - West-Berlin war ein Paradies für Spione und militärische Geheimdienste aller Seiten, für Gerüchte und Verschwörungsfanatiker.
  • - West-Berlin und Ost-Berlin waren durch Todesstreifen, Stacheldraht und Mauer voneinander getrennt. 
  • - In Berlin-West wurden die Bundestagsabgeordneten nicht vom Volk gewählt (und in Berlin-Ost war das nur scheinbar anders)
  • - Bürgerinnen und Bürger West-Berlins leisteten keinen Wehrdienst
Nun können wir uns ja mal vorstellen - für den Fall Litauens zum Beispiel - das heutige Litauen wäre wie das Kalte-Kriegs-Berlin (West). Sollen die baltischen Staaten einen Sonderstatus bekommen, oder haben sie den bereits? Als Tummelplatz für allerlei Geheimdienste kann Litauen sicher heute schon mithalten. Nur wenig anderes müsste noch neu eingeführt werden:
  • An der östlischen Grenze der Aufbau eine Mauer mit Stacheldraht (ist im Bau)
  • Litauen wählt keine Abgeordneten mehr ins EU-Parlament, sie werden einfach von der Regierung entsandt
  • Litauerinnen und Litauer leisten keinen Wehrdienst innerhalb der NATO
Es ist leicht zu erkennen, dass der Status von Berlin-West fast nichts "heldenhaftes" hatte, das sich heute als Vorbild eignen würde. In ein paar vergessenen Winkeln der Stadt entstand Platz für verrückte Ideen und Andersdenkende, ok (ist daran Mangel im heutigen Vilnius?). - Aber dass es 1961 wegen Mauerbau und Kuba-Krise nicht zu einem Krieg kam, wem ist das zu verdanken? Viele, gerade im Westen, hätten sich damals ein "Einschreiten" gewünscht - und schnell, bei anderen weltpolitischen Rahmenbedingungen, wäre auch damals das "Abschecken" wohl in einem "Erschrecken" geendet. Dazu kommt auch, dass ein "West-Berlin" immer auch ein "Ost-Berlin" bedingt hat - denn wer sich den Berlin-Status herbeiwünscht, sollte in der Lage sein, sich die Interessen aller Seiten vorstellen zu können. An diesem Punkt fallen dann vielleicht doch Parallelen zur heutigen Ukraine auf, mit der Aufteilung in zwei Interessengebiete. Aber ukrainische Zustände wünscht sich selbst ein Herr Lukas - hoffentlich - nicht, auch nicht für Litauen.


31 Januar 2017

Umfragen: gewaltig - erstaunlich

Litauen: ein Land der Erfinderinnen?
Wie geht es in Litauen? Darf diese Frage gestellt werden? In letzter Zeit sind einige bedenkliche Statistiken bekannt geworden. Nur 12 Prozent der Litauer halten Gewalt gegen den eigenen Ehepartner für falsch - so wurde eine Eurobarometer-Umfrage zitiert (Studie). 31% der befragten Litauer meinten, Gewalt gegen den Ehepartner sollte unbestraft bleiben. Ob diese Zahlen auch in litauischen Zeitungen zu lesen waren? Auch bei der Frage zu sexuellen Belästigung von Kolleginnen steht Litauen am unteren Ende der Skala - nur 13% finden das falsch, 38% meinen, dass sollte nicht unter Strafe stehen, und 6% (ebenfalls höchster EU-Wert) halten so ein Verhalten nicht einmal für falsch.

Weitere Spitzenwerte: den Partner durch die Verhinderung von Treffen und des Kontakts mit Familienmitgliedern und Freunden, die Vorenthaltung von Geld oder die Einbehaltung von Mobiltelefonen oder offiziellen Dokumenten zu kontrollieren - 35% der Litauer meinen, ein solches Verhalten sollte nicht gesetzeswidrig sein (also unbestraft bleiben).

Litauen als Spitzenreiter bei Gewalt in der Familie? In eine ähnliche Richtung weist das Eurotopics-Thema vom 30. Januar: warum schützt Litauen die Kinder nicht mehr? Gewalt gegen Kinder sei in vielen Familien üblich, werden litauische Medien zitiert (LR).
Wer nun vermutet, dass auch in der Familie die Frauen die Leidtragenden der Konflikte sind, könnte sich die Ergebnisse einer weiteren Frage aus dem Eurobarometer-Katalog ansehen: 42% der Litauer meinen, Frauen würden Missbrauchs- oder Vergewaltigungsvorwürfe oft übertreiben. Litauen, das Land der Erfinderinnen? 45% meinen sogar, dass Gewalt gegenüber Frauen vom Opfer häufig provoziert wird.

Und das in einem Land, das einmal stolz darauf, hohe Quoten von Frauen in Spitzenpositionen zu haben. "Ohne Quote an die Spitze" titelte der "Spiegel" 2013 über Litauen. Mit einem Anteil von 39% liege Litauen weltweit auf dem dritten Platz, verkündete die Deutsch-Baltische Handelskammer. Liegt darin ein Widerspruch zum Umgang miteinander in der Familie, oder kommen Frauen in Litauen vor allem deshalb schnell nach oben, weil sie die herrschenden Zustände akzeptieren (müssen?).