10 April 2012

Es sind ja nur 5 Milliarden

Schaut auf diese Hände: fester Händedruck zwischen
Ansip und Dombrovskis, Kubilius legt nur seine Hand drauf,
als wolle er sagen: gut, ich beuge mich dem Minimal-
konsens, über den die beiden anderen sich einig sind!
Nun also doch: Litauen macht wieder einmal mit Atomkraft Schlagzeilen. Ein gegensätzlicherer Spiegel zur Entwicklung in Deutschland scheint kaum möglich: während die einen die Ereignisse rund um die in Japan nachlässig gebauten und durch Erdbeben und Tsunami schwer beschädigten Atomreaktoren zum Anlaß für ein Umdenken in Sachen atomare Energieerzeugung nehmen, holen die anderen genau extra japanische Konzerne um nun in Europa Atomanlagen zu bauen (Hitachi). Und das in einer keineswegs einfachen Ausgangslage: sowohl Polen, wie auch Russland (in der Region Kaliningrad) und Belorussland werden jeweils eigene Atomanlagen planen, in sehr konkurrenzfähiger Nähe. Und ob die litauische Regierung - die sich in den vergangenen Monaten als keineswegs fest im Sattel sitzend gezeigt hat - diese Strategie der Verschuldung zugunsten des Atomklos in der Region Ignalina durchhalten kann - das wird längerfristig auch die Reaktion der litauischen Öffentlichkeit zeigen.

Gern werden die Pläne zur Wiederbelebung der Atomkraft mit dem beliebten Schlagwort "Unabhängigkeit" überschrieben. Doch unabhängig wovon? Dass man loskommen möchte von Monopolisten ist soweit verständlich. Doch schon jetzt kommen bei einigen Litauern Bedenken auf, ob angesichts der hohen Abhängigkeit von Krediten internationaler Finanzgeber die litauische Politik wirklich "unabhängig" gemacht werden kann. Eine neue litauische Atomanlage wird weitere riesige Geldsummen verschlingen: wer glaubt, die Kosten würden wirklich bei der nun zunächst veranschlagten Summe von 5 Milliarden Euro bleiben, der könnte auch, analog zu einem bekannten litauischen Schlager, ausrufen: "Wir sind ja nur drei Millionen!"
Bisher ist die Strategie nicht erkennbar, die Litauens Engergieversorgung aus möglichst vielseitigen Quellen sichern - und damit Unabhängigkeit von Monopolisten schaffen würde. Nein, im Gegenteil: hier wird ein neues Monopol aufgebaut, und die spätere Folgenbeseitigung kennt zwei bekannte Varianten: entweder die Preise steigen erheblich, oder der litauische oder der europäischer Steuerzahler muss einspringen. Schon jetzt schafft Litauen es nicht, die alten maroden Sowjetatombauten abzubauen - es wird nach mehr EU-Geld gerufen, weil ja angeblich die EU Litauen zum Abschalten dieser Anlagen "gezwungen" habe. Das wird man über die zukünftige Anlage nicht behaupten können - und die künftige Generation derjenigen Litauer, die sich nach vorübergehendem Auslandsaufenthalt (da im eigenen Land keine Arbeit für angemessenen Lohn zu finden war) wird sich fragen müssen: warum soll ich zurückkehren, wenn ich dann in Litauen für die Fehler dummer, kurzsichtiger und selbstsüchtiger Politiker bezahlen soll? Litauen hat sich festgelegt, mindestens 34% an dem Projekt zu halten - die anderen Anteile sind noch unklar, und selbst die kürzliche gemeinsame "baltische" Erklärung macht eine Einschränkung: Beteiligung nur soweit, wie es die "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erlaube". Also, wie gehabt: Hoffnung auf großes Wirtschaftswachstum, das dann Kredite günstig hält.

Ja, es gibt sie noch - und es werden immer mehr:
Litauische Anti-Atomdemonstranten, hier am 26.4.2011,
dem 25.Jahrestag
des Tschernobyl-Unfalls
Aber noch ist die Sache nicht ausgemacht. Auch wenn sich litauische Politiker allergrößte Mühe geben, durch gemeinsame Fotos wenigstens Einigkeit mit den lettischen und estnischen Regierungskollegen öffentlich zu demonstrieren. Was ist diese "Partnerschaft" wirklich wert? Estland hängt weiterhin am (nur umweltschädlich zu verarbeitenden) Ölschiefer, und gelegentlich sagt auch mal ein estnischer Politiker, man könne ja auch ein AKW auf eine der vielen estnischen Inseln bauen. Jedenfalls hat Estland, einschließlich der Kooperationsmöglichkeiten mit skandinavischen Partnern, genug Vergleichsmöglichkeiten und Alternativen, falls vom litauischen Abenteuer nur das "teuer" zurückbleiben sollte. Lettland wiederum bemüht sich gerade, die zuletzt in den Nöten der Wirtschaftskrise aufgenommenen Kredite gerade so rechtzeitig wieder zurückzuzahlen, dass eine ernsthafte Bewerbung für die Aufnahme in den Kreis der Euro-Länder bereits 2014 realistisch bleibt. Vorausgesetzt dieses Ziel wird aufrecht erhalten, dann schließt dies jedenfalls weitere finanzielle Abenteuer aus - denn Litauen will ja nicht nur Strom verkaufen, sondern Kostenteilung beim Bau und Betrieb erreichen. Einzig sicher wäre, dass sowohl Estland wie auch Lettland Abnehmer für Atomstrom sein könnten - aber darauf zielt Litauen ja gerade nicht ab. Wie gewöhnlich wird den Atom-Werbern blind geglaubt, dass Betreiber die Kosten bald wieder einspielen, aber für Verbraucher der Atomstrom am Ende "billig" zu haben sei. "Billig anbieten" muss sich Litauen neuerdings sogar schon bei Tschechien (siehe Wallstreet online) - ein Land, das genug eigene Probleme mit dem umstrittenen Reaktor bei Temelin hat (= Solidarität unter Abhängigen?).

Achtung, Politiker! Auch die litauische Jugend
wird ungeduldiger!
Und zu guter letzt - nicht zu unterschätzen - in allen drei baltischen Staaten hat die wirtschaftliche Entwicklung seit 1991 bisher nur Wohlstand für eine kleine Minderheit gebracht. Der Status vieler dieser "Wendegewinnler" gilt zwar allgemein inzwischen als "legal" - ob nun  früher mal Geld aus kriminellen Geschäften "gewaschen" wurde, Verwandte massiv begünstigt, ein Beamtenapparat sich selbständig und unangreifbar macht, oder Einzelne nur einfach Kapital daraus geschlagen haben, dass sie "zur rechten Zeit am rechten Ort" waren. "Am rechten Ort", dazu zählt nach litauischen Erfahrungen auch, als Politiker über Großprojekte entscheiden zu können. Es ist aber damit zu rechnen, dass auch in Litauen zunehmend die Bürgerinnen und Bürger mitbestimmen wollen, was ihre Institutionen so in Vorbereitung haben. Einiges ist dafür noch zu tun, damit dafür auch die richtigen Grundsteine gelegt werden: Vertrauen zu schaffen in unbestechliche Gerichte zum Beispiel. Aber bereits jetzt äußert sich in Litauen eine Mehrheit kritisch gegenüber den atomaren Abenteuern - und auch die zwischenzeitlich eingeschlafene Anti-Atombewegung ist wieder erwacht. Hinzu kommen jetzt interessante Kooperationsmöglichkeiten und der Austausch japanisch-litauischer Erfahrungen auf Seiten der betroffenen Bürger. Und schon bald werden die litauischen Atombetreiber vermutlich die Bevölkerung selbst beschuldigen, durch vermehrten Protest die Kosten hochzutreiben - eine schon jetzt durchsichtige Argumentation. Zumindest wird die Möglichkeit einer Volksabstimmung über das neue Ignalina-Projekt in Litauen bereits diskutiert. Kein Grund also, ein schickes Foto von drei Staatschefs und Möchtegern-Bestimmern gleich für demokratische Realität zu halten. Auch wenn es nur drei Millionen (für fünf Milliarden) sind!
Die Reaktionen auf den Hitachi-Deal im eigenen Land (Japan) sind interessant zu lesen (siehe zum Beispiel "Japan Today"): Hoffentlich halten die Hitachi-Kraftwerke länger als die Hitachi-Elektronik!

Und übrigens: so ganz unbeteiligt am Litauen-Atomgeschäft ist auch Deutschland nicht - das zeigte zuletzt wieder die Stellenausschreibung der NUKEM, eine besonders in Hessen berühmt-berüchtigte Firma. Hier wird offenbar der "Dreck" weggeräumt für diejenigen, die schon mit dem Bau einer Atomanlage erstmal genug Rechtfertigungsprobleme haben. Auch Atommüll ist ja - wie bekannt - nahezu nirgendwo gern gesehen.

Webseite der litauischen Anti-Atombewegung

Webseite von Hitachi Litauen

Infoseite des AKW Ignalina