03 Dezember 2011

Traurige Tendenzen

Eher traurige Geschichten sind derzeit rund um litauische Straßenmusiker in Deutschland zu erzählen. Straßenmusiker aus Litauen? Vielleicht kaum jemandem bisher groß aufgefallen: Litauisch werden sie kaum singen am Straßenrand.

Drei Jugendliche, 16 und 17 Jahre alt, stehen derzeit in Wiesbaden vor Gericht. Kestutis Vaicackas war mit seiner Gitarre häufig in Wiesbaden zu sehen gewesen. Warum die Jugendlichen ihn an diesem Abend so schwer mit Tritten und Schlägen malträtierten, dass er noch an Ort und Stelle starb, blieb auch im Prozeß bisher unklar. Es gab öffentliche Trauerveranstaltungen, Solidaritätsadressen auf einschlägigen Internetseiten (Forum Straßenmusik, Baffy Skorpion), ein virtuelles Kondolenzbuch. Währenddessen brüsteten sich die Täter sogar offen mit ihre Tat - und randalierten sogar noch nach der Festnahme in der Haftanstalt (FR-online).
Jetzt sorgt ein ähnlicher Fall in Hameln für Aufsehen. Erst vor wenigen Tagen war es wieder ein litauischer Straßenmusikant, der schwer verletzt aufgefunden wird (siehe Bericht DeWeZet). Sind die Verhältnisse so brutal auf deutschen Straßen? Was ist da los?
Teilweise merkwürdige Diskussionen finden sich zu beiden Taten im Internet. Im Fall von Hameln sollen (laut Hamburger Abendblatt) die Täter mit dem Opfer vor der Tat Russisch gesprochen haben, und im Fall von Wiesbaden wird da plötzlich wichtig, ob die Täter einen türkischen oder deutschen Hintergrund haben. Hoffentlich will sich da keiner auf Kosten anderer reinwaschen. Mahnende Zeichen, und ein Aufruf zu mehr Mitmenschlichkeit, Aufmerksamkeit und Zivilcourage.

27 November 2011

Litauen-Rap

Je nach Stimmungslage konnten sich die Litauen-Interessierten in der vergangenen Woche aussuchen, welche litauischen Nachrichten das Litauen-Bild am meisten beeinflusst haben.
Grämen Sie sich mehr über die Snoras-Bank und deren zweifelhaften Geschäften? Zumindest für die Kontoinhaber bei dieser Bank war es die Hauptsorge der vergangenen Tage.

Oder finden Sie es beachtenswerter, dass in Belorussland der Regimekritikter Ales Bjaljatski verhaftet und nun zu viereinhalb Jahren Haft im Straflager verurteilt wurde? Dass dies in der "letzten Diktatur Europas" möglich wurde (so wie viele das von Lukaschenko mit harter Hand regierte Land bezeichnen) ist auch litauischen Behörden zu verdanken, die bereitwillig die Kontodaten des Betroffenen an die belorussischen "Kollegen" weiterleiteten. Die litauische Regierung entschuldigte sich dafür bei den Angehörigen - kein Meisterstück litauisch-belorussischer Beziehungen also.

Oder möchten Sie das alles lieber hinter sich lassen und schlichtweg einmal ein Lied auf Litauen singen?
Dann ist vielleicht der Wettbewerb des "British Council" zu den Sprachen in Europas interessant. Unter dem Motto "Speak up" gewann Deividas Jakavičius einen zweiten Preis mit seinem Litauen-Rap. Leider ist der Text dieses Songs nirgendwo aufgeschrieben - ob es und was es von Litauens aktuellen Themen erzählt - in Litauisch, Englisch und Russisch - wir müssen es Deividas von den Lippen lesen.

20 November 2011

Bücher, Grenzen und ein Fluß

Rasa Miškinytė
Eine Menge Erfahrung als Dokumentarfilmerin bringt die litauische Filmemacherin und Produzentin Rasa Miškinytė in ihre Projekte. Sie gilt als diejenige, die in den vergangenen Jahren am erfolgreichsten damit war, Auslands-Koproduktionen nach Litauen zu holen (siehe ERA-Film). Ob Japan oder Dänemark - Filme werden selten im nationalen Alleingang hergestellt. Dennoch zeigte sich Miškinytė überrascht, als eine Anfrage von Jeremiah Cullinane für ein neues Filmprojekt kam. "Ein Ire? Ich habe mich gefragt: was wissen Menschen in Irland über litauische Geschichte?" so beschrieb sie ihre erste Reaktion als sie von der Idee zu dem Film "Der Bücherschmuggler" hörte.

Gegenwärtig wird der Film als litauischer Beitrag auf einigen internationalen Filmfestivals gezeigt (außer Lübeck auch Vilnius, Belfast, Riga, Tallinn, Kapstadt und Chicago). Jeremiah Cullinane's Filmthemen waren bisher Kriminalgeschichten oder Keltenmythen.
Und die naheliegende Vermutung, Cullinane habe wohl mit einem der vielen litauischen Arbeitsmigranten in Irland Kontakt gehabt, muss auch nicht unbedingt stimmen. Der 1967 geborene Cullinane wuchs bei seinen Eltern in Kanada auf und schloß ein Studium in Paris an. Erst seit 1995 gab es den Einstieg ins Filmbusiness, und nach weiteren Paris-Aufenthalten auch Gastspiele als Theaterregisseur. Seit 2005 ist er Miteigentümer der Filmproduktionsfirma "Planet Korda Pictures" und hat die "Bücherschmuggler" mit produziert.

Kommen wir zur eigentlichen Geschichte. Miškinytė und Cullinane schicken gewissermaßen ihre Alter Egos auf eine Reise durchs Memeldelta: der gälische Poet Gearóid Mac Lochlainn, bekannt durch sein Buch "Stream of Tongues" (Sruth Teangacha), und der litauische Theaterdirektor Albertas Vidžiūnas suchen die Spuren der Bücherschmuggler, die in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhundert den russischen Bann gegen die litauische Sprache überwinden halfen und Gedrucktes von Preußen über den Nemunas brachten. In einer der schönsten Szenen des Films, in dem Mac Lochlainn und Vidžiūnas in einem kleinen Boot nahe der Mündung auf dem Fluß unterwegs sind, versucht es der Litauer dem Iren so zu erklären: "Weißt du, damals war auf der linken Seite Preußen und auf der anderen Seite Russland. Heute ist auf der linken Seite Russland und auf der anderen Seite Litauen."

Albertas und Gearóid auf den Spuren der Bücherträger
Dabei fließt der Film beinahe so gemächlich dahin wie auch der Fluß. Langsam tauchen die beiden zwischen den Wassern wandernden Besucher ein in die Thematik. Sie besuchen eine der Kirchen, in der Antanas Mackevičius tätig war, Schulkinder, die über die Geschichte der Bücherschmuggler lernen, und junge Baumpflanzungen, ein jeder einem der Bücherträger gewidmet. Sie besuchen die Universitätsbibliothek von Vilnius, wo schon die Eingangstür das Thema aufnimmt, und sie nehmen Teil an einem Freilicht-Theaterspiel, mit dem Einwohner der Region Geschichte nachspielen. Dabei wird vielfach darauf geachtet, die auch in den handelnden Personen verkörperte Sprachenvielfalt wiederzuspiegeln, sei es durch Gedichte Mac Lochlainns, oder durch Untertitel: Englisch, Litauisch, Gälisch. 

Dann ein Satz, der aufschreckt: "Wenn Du glaubst, Du könntest mit einer anderen Sprache leben, und trotzdem Litauer bleiben - das ist eine pure Illusion." Ausgeprochen von einem Nachfahren der Bücherschmuggler, hat die Radikalität dieser Aussage offenbar auch das Filmteam überrascht - so jedenfalls die Aussage von Rasa Miškinytė bei den Lübecker Filmtagen. Die Aussage gilt natürlich den Vorfahren, die ein Leben mit einer aufgezwungenen fremden (Herrschafts-)Sprache für nicht erträglich hielten. Aber sofort kommt auch die Problematik des heutigen Litauen in den Sinn, wo Zehntauende zumindest vorläufig lieber die fremde Sprache in Kauf nehmen als eine Zukunft im eigenen Land. Aber nach Auffassung von Miškinytė geht diese Thematik ganz Europa an - nicht nur Russen und Litauer, Iren und Englischsprachige.
Ein Film, der weit entfernt davon ist, ein nationalistisches Monument darstellen zu wollen, sondern der zum genaueren Hinsehen verleiten möchte. So genau, wie es die Verschiedenheit von Kulturen, Sprachen und Mentalitäten nötig haben."Wir haben bringen Bücher mit über die Grenze, möchten Sie sie vielleicht beschlagnahmen?" fragen die beiden Filmakteure den Grenzbeamten an der heutigen russisch-litauischen Grenze scherzhaft. Nein, ganz verschwunden sind Sprachzwänge auch heute noch nicht, gerade an den Grenzlinien zwischen Russland und Europa. Und am Nemunasdelta sind die Erinnerungen an die Bücherträger offenbar, wie der Film zeigt, auch identitätsbildend. In ihrem nächsten Film möchte Rasa Miškinytė den Themen Belorusslands nachspüren - man darf gespannt sein darauf.
Homepage zum Film
Filmtrailer bei YouTube

16 November 2011

Rette die Milliarde oder: Bankenkrise auf Litauisch

Schlange vor einer Snoras-Filliale (Quelle: ELTA)
Die litauische Regierung hat nach einer Dringlichkeitssitzung heute beschlossen die viertgrößte Bank des Landes - "Snoras" - zu verstaatlichen. 

Überraschung? Einerseits belegte "Snoras" noch im Banken-Rating des Politikmagazins Veidas - veröffentlicht am Montag - den zweiten Platz. Am Dienstag gab's in der Tages-Zeitung "Lietuvos Rytas" einen Bericht darüber, dass große Werte abgezweigt werden sollen.

Eine Milliarde - einfach weg?

Eine Überprüfung ergab, dass eine Milliarde Litas (rund 300 Mio. Euro) vom Gesamtwert der Bank in der Höhe von 8 Milliarden "weg" sein. Schwer vorstellbar, aber 1 Mrd. Wertpapier im Ausland existieren einfach nicht, das ergab eine Nachfrage der Litauischen Staatsbank bei ausländischen Geldinstituten.

Ungewöhnlich rasch handelte die Regierung: Heute wurde ein staatlicher Verwalter eingesetzt, die Bank verstaatlicht. Wahrscheinlich werden die "guten" Anlagen der Kleinanleger in eine neue Bank überführt, die "faulen" in eine "Bad Bank" ausgelagert. Bald nach  Gerüchten um die Bank bilden sich Schlangen an Bankautomaten und Fillialen - viele versuchten panisch an ihr Geld zu kommen.

Kein Geld mehr an Automaten (Foto: R.Danisevičius)
Bis Montag bleibt der Laden zu!

Aber das gesamte Geschäft der Bank war bereits gestoppt, die Regierung hat ein Moratorium bis Montag verhängt, dann soll das Geschäft wie normal weiter laufen. Der Staat will die Privateinlagen garantieren, die nach EU-Vorschriften bis zur Höhe von 100.000 Euro abgesichert werden.

Nur - wo ist die Milliarde hin? Fehlspekulation oder doch wie viele mutmaßen - russische Geldwäsche? Größte Anteilseigner sind der russische Milliardär Vladimir Antonov (68%) und der Litauer Raimondas Baranauskas (25%). Aber niemand aus der Bankenführung hat sich bis jetzt zu den Vorgängen geäußert, die meisten weilen gar nicht in Litauen.

Der vorerst letzte Bankrott einer Bank in Litauen war 1999 die Litimpeks Bankas.

Quelle: Litauische Medien (www.lrt.lt, www.alfa.lt, www.lrytas.lt)

03 November 2011

Erinnerungen zum Geburtstag

drei Fotos aus
dem Adamkus-
Archiv:
Dem "Donaukurier" ist es zu verdanken, dass wir heute rechtzeitig an einen Geburtstag erinnert werden: Valdas Adamkus, zwischen 1998 und 2003 sowie zwischen 2004 und 2009 zweimal Präsident der Republik Litauen, wird heute 85 Jahre alt.
Weniger bekannt sind vielleicht die Details seiner Zeit in Eichstätt nördlich von München, die jetzt auch im Donaukurier nachzulesen sind. Im dortigen Kloster Rebdorf hatten litauische Flüchtlinge nach Kriegsende 1946 bis 1949 ein eigenes Schulwesen aufgebaut, vom Kindergarten bis zum Gymnasium - als nächster Nutzer zog in den 50er Jahren übrigens die Bereitschaftspolizei ein. Im 19.Jahrhundert beherbergte dieselbe Anlage auch schon mal Zwangarbeiter.
1946 organisierten die Litauer zum ersten Mal in Rebdorf eine Abiturprüfung: unter den Abiturienten saß Valdas Adamkus, in der Parallelklasse Alma Nutautaite, seine spätere Ehefrau.

Romantik mit
Alma,
Eichstätt und Rebdorf haben in den vergangenen Jahren mehrfach den später bekannt gewordenen litauischen Gästen gedacht - 2008 besucht das Präsidentenpaar Adamkus die Stadt.

Ein anderes, weniger angenehmes Thema ist noch heute mit dem Namen Adamkus verbunden: es gilt inzwischen als sicher, dass Litauen nach Beginn des Krieges der USA im Irak dem US-Geheimdienst CIA Räumlichkeiten zur Etablierung geheim gehaltener Gefängnisse zur Verfügung stellte - eines in Vilnius und ein weiteres im Ort Antaviliai.
in Nixons
Diensten (alle
drei zu sehen auf
www.adamkus.lt

Die Abstimmung in diesen Fragen und die Erbaubnis dazu soll damals vornehmlich über Präsident Adamkus gelaufen sein. Inzwischen liegt dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg eine Klage eines ehemaligen Häftlings vor, der angibt unter anderem in Litauen gefoltert worden zu sein (siehe Bericht Süddeutsche Zeitung).  Die litauische Justz hatte erst kürzlich neue Ermittlungen zu den mutmaßlichen Geheimgefängnissen der CIA abgelehnt und Kritik unter anderem von Amnesty International hervorgerufen (siehe Presseerklärung). Ja, ein Geburtstagsrückblick kann sehr unterschiedlich ausfallen.

12 Oktober 2011

Čiurlionis erobert Bremen - für einen Tag

Wer Litauen kennt, der wird auch von der großen Hochachtung erfahren haben, die Leben und Werk von Mikolajus Konstantinas Čiurlionis (geb. 1875, gest. 1911) entgegengebracht wird. Er war sowohl Komponist wie Maler, und steht ebenso wie Czesław Miłosz für Menschen, die aufgrund mehrfach geänderter politischer Verhältnisse sich zwischen einzelnen Volksgruppen, Sprachen und Staaten bewegten. 
Einzelheiten dazu werden selten in Deutschland dargeboten - das momentan auf Usedom stattfindende Musikfestival ist da eine löbliche Ausnahme. Für Bremen stellt der Rahmen des Projekts "KunstMachtOsteuropa" die Möglichkeit dar, dass sich mehrere Institutionen und Vereine zusammentun konnten, um Zusammenhänge und Unterschiede polnisch-litauischer Kultur- und Geistesgeschichte einmal ausführlicher fürs interessierte allgemeine Publikum anbieten zu können. 
Die Koordination des Projekts lag bei der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, einer Einrichtung, für die zumindest die Beschäftigung mit den baltischen Staaten einen seltener Ausnahmefall darstellt. 

Für diesen einen Tag aber - den 9.Oktober 2011 - erschien Bremen fast als eine Hochburg der Čiurlionis-Fans: zu einem Vortrag am Nachmittag erschienen 50, und zum Konzert von Rokas Zubovas aus Litauen, einem Urenkel des Komponisten Čiurlionis, fanden sich noch einmal 70 interessierte Zuhörer ein. 
Noch bis Ende November wird in den Räumen der Stadtwaage, wo gleichzeitig sich das Medienarchiv der Günther-Grass-Stiftung Bremen befindet, eine Ausstellung über Leben und Werk von Čiurlionis und Miłosz gezeigt. Der Eintritt ist frei. 

Als vorläufiges Resumee kann vielleicht gesagt werden, dass aufgrund der nun entstandenen Kontakte zwischen verschiedenen Institutionen es hoffentlich auch in Zukunft noch einmal möglich sein wird, wichtige Themen des litauischen Kulturlebens in Bremen zu präsentieren und gleichzeitig wissenschaftlich aufzuarbeiten. 
Vermisst wurde lediglich der Verweis auf einen anderen international bekannten Bremer Künstler: Nikolaus Lahusen. Zubovas sagte einmal dem Goethe-Institut in Vilnius über seinen Pianisten-Kollegen Lahusen folgendes: "Das für mich wohl bedeutendste gemeinsame Projekt war der Besuch des deutschen Pianisten Nikolaus Lahusen in Litauen im Februar 2005. Er gab drei Konzerte und traf sich mit dem Publikum in Plungė, Kaunas und Vilnius. Nikolaus Lahusen hatte zu dem Zeitpunkt Klavierwerke von M. K. Čiurlionis auf eine dritte CD eingespielt. Die Platte wurde präsentiert, es wurde über Zukunftspläne gesprochen. Leider war es die letzte Reise dieses Pianisten, der ein großer Freund Litauens und der Musik von Čiurlionis war: Im Mai desselben Jahres ist der Pianist plötzlich gestorben. Die mit Hilfe des Goethe-Instituts veranstaltete Reise von Nikolaus Lahusen war somit ein Treffen, das seinen Schaffensweg symbolisch zusammengefasst hatte." In Bremen blieb dies leider unerwähnt - wie so manches, was Bremerinnen und Bremer im Zusammenhang mit Litauen tun. Aber wie gesagt: es besteht die Hoffnung, dass sich das in Zukunft ändert.

04 Oktober 2011

Nobel, nobel, Herr Bürgermeister!

In diesen heutigen, modernen Zeiten ist nicht alles wie es zu sein scheint. Oder werden alle Ereignisse der großen Medien irgendwo gespiegelt und kopiert? Es steht zu befürchten, dass auch in deutschen Kinderzimmern schon "Deutschland sucht den Superstar" nachgespielt wird.

In diesen Tagen werden, traditionsgemäß seit 1901, die Träger der Nobel-Preise verkündet. Aus litauischer Sicht muss hier Czeslaw Milosz vor allem erwähnt werden, Literaturnobelopreisträger 1980. Auch wenn Milosz international als Pole vielleicht mehr bekannt ist als Litauer - wer seine mit dem Nobelpreis zusammenhängenden Reden liest oder sich anhört, wird auch litauische Bezüge erkennen. Vielleicht wäre ein litauischer Bezug sogar noch Nadine Gordimer, Nobelpreisträgerin 1991, mit ihrem litauischen Vater.

Seit 1980 gibt es auch den sogenannten "alternativen Nobelpreis", eigentlich "Right Livelihood Award". Für alle, die vielleicht Nobelpreise als etwas zu sehr auf Etablierte und im Sinne von Macht- und Einflußhabern Denkende verstehen, die können hier auf Neuausrichtung hoffen und auf Prämierung ungewöhlicherer, aber für die Menschheit ebenso wichtiger Ideen und Aktivitäten. Allerdings ist dieser Preis auch wieder nicht so unterschiedlich, denn auch hier kommen Idee und Geld aus Nordeuropa (Schweden). Seit 1980 gelangte noch kein Vertreter der baltischen Staaten auch nur in die Nähe diesen Preis zu bekommen.

Weitere Versuche, dem Nobelpreis (mit den unterschiedlichsten Motiven) etwas entgegenzusetzen, wollen wir an dieser Stelle lieber verschweigen; sowohl Hitler wie auch das Sowjetsystem haben es kurzfristig mal versucht, weil ihnen die Nobelpreisträger nicht so recht passten. Auch China hat - seit der Friedensnobelpreis 2010 an einen chinesischen Regimekritiker vergeben wurde, in der Folge schnell einen eigenen Preis geschaffen. Aber wer kennt den IG-Nobelpreis? Nein, das hat nichts mit irgendwelchen Gewerkschaftsgliederungen zu tun, das kommt aus den USA. Vielleicht sollten wir es auch in erster Linie dem britischen Humor zurechnen, denn dieser Preis, der in deutschen Medien gerne "Preis für unsinnige Erfindungen" genannt wird, den definieren die Urheber der Universität von Cambridge so: "Für Menschen, die andere erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen." Und hier kommt nun Litauen ins Spiel. Der IG Nobelpreis 2011 in der Kathegorie "Frieden" wird verliehen an - nein, nicht an eine prominente Figur der litauischen Unabhängigkeitsbewegung, oder jemand der sich für die Aussöhnung mit Russland bzw. dem Dialog mit anderen Staaten Mitteleuropas verdient gemacht hätte. Es ist Arturas Zuokas, seines Zeichens Bürgermeister von Vilnius. Den Preis bekommt er für, wörtlich zitiert: "Für den Nachweis, dass das Problem falsch geparkter Luxusautos gelöst werden kann dadurch, dass man diese mit einem Panzerwagen überrollt."

Filmchen dieser Aktion können ja im Internet genug angesehen werden. Vielleicht sollte die nächste Kathogorie von Nobelpreisen auch für besonders auffällige Versuche der Eigenprofilierung unter Vorschützens politischer oder fachlicher Ziele verliehen werden. Nur so ein Vorschlag.

29 September 2011

7.000 Euro für die Stubenfliege

Für Povilas Kavaliauskas bildete vermutlich endweder das litauische Landleben, oder die jugendliche Forscherlust den Rahmen für seinen Erfolg als Nachwuchswissenschaftler. Ein Preisgeld von 7.000 Euro war der Jury des 23.europaweiten Wettbewerbs für Nachwuchswissenschaftler die Forschungsergebnisse des erst 18-jährigen Kavaliauskas wert - damit gehörte er neben zwei jungen Kollegen aus Irland und der Schweiz zu den drei Gewinnern des Hauptpreises dieses Wettbewerbs. Kavaliauskas hatte sich als Thema die Rolle der Hausfliege (musca domestica) bei der Übertragung von gegen Antibiotika resistenten Bakterien ausgesucht. Er hatte in seinem Forschungsaufriß dieses Thema als "eine der wichtigsten Herausforderungen des 21.Jahrhunderts" bezeichnet und damit offenbar nicht zu hoch gegriffen. Eines seiner Erkenntnisse ist unter anderem, dass solche Bakterien von Stubenfliegen nicht über große Distanzen übertragen werden können, und damit die größte Gefahr tatsächlich in Krankenhäusern besteht. 

22 September 2011

Litauen, von Autos unfrei

Litauen ist die wahre Autonation - das stellt die "Auto-Presse" heute fest. Nein, nicht weil in den litauischen Medien umfangreich über die Frankfurter Automesse IAA berichtet wird. Auch nicht, weil heute eigentlich ein europäischer autofreier Tag sein könnte. Es ist eine europaweit vergleichende Statistik über die Personenbeförderung im Inland, die auch beim Statistischen Bundesamt zitiert wird. 
Demnach sind es 91% aller Fahrten, die in Litauen mit dem Auto gemacht werden (Deutschland 85%, Lettland 81%, Estland 79%). Auch wenn offenbar weder die Straßenbahnen in diese Statistik nicht mit einfließen, noch die touristischen Fahrten - es scheint etwas ganz besonderes zu sein, in Litauen ohne Auto zu leben. Da stört die Tatsache nicht, dass Litauen auch bei der Unfallstatistik ganz weit vorn liegt.
Soviel als Nachruf auf den angeblich autofreien Tag. Noch schnell ein Blick in den litauischen Teil der "European Mobility Week", die stolz 14 teilnehmende Regionen aus Litauen ausweist, um die umweltfreundlicheren Transportweisen fördern möchte. Aber dazu bedarf es offenbar wenig, denn konkrete Verbesserungen weist hier niemand aus. Mal ist es ein Fahrradausflug (Klaipeda), ein Fahrradslalom (Palanga), nordic walking an Schulen (Kedainiai), oder öffentliche Fahrradausleihe (Šiauliai). Seltsam nur, dass sich diese ruhmreichen Aktivitäten kaum in der Internetdarstellung der betroffenen Städte spiegeln. Na ja, ist ja auch schon wieder vorbei, der autofreie Tag. Immerhin prägen Fahrraddemos ab und zu das Stadtbild - nicht nur in Vilnius - wie dieses Bild aus Šiauliai zeigt.

10 September 2011

Notizen im Basketballfieber

Zumindest die Basketball-Fans könnten doch die Gelegenheit mal nutzen, in diesen Wochen der Europameisterschaft mal Litauen zu besuchen. Zwar war von den Vorrundenspielen in Šiauliai auch zu lesen, dass dort Top-Teams wie Spanien auch schon mal vor nur 500 Zuschauern gespielt haben, aber gibt es auch andere Notizen, abseits des rein Sportlichen? 

Bei uns ist Basketball Religion - auch den Satz hat man schon etwas zu oft gelesen. Interessanter ist da schon ein Satz aus der FAZ: "Was Brasilien für den Fußball ist, ist Litauen für den Basketball". Oder auch - im selben Beitrag zu finden: "Ein Land will zeigen: hey, uns gibt es auch!"

Ungewöhnliche Alltagserlebsnisse eines EM-Besuchers in Litauen sind dagegen eher bei "Parkettgeschichten" zu lesen - neben der Spielberichterstattung natürlich. Hier berichtet Marcel Friedrich direkt vor Ort, und zunächst einmal von Anreiseschwierigkeiten: Marcel bleibt bei spätabendlicher Ankunft beinahe auf dem Flughafen in Kaunas hängen, und Marcel beschreibt es so, als sei der namentlich genannte "Martynas R." sein unzuverlässiger Betreuer bei einer litauischen Reiseagentur. Dessen Rolle - ob nun eher Organisationschef oder doch Journalistenkollege - bleibt etwas unklar, und so sind die ersten etwas missmutigen Notizen vielleicht eher deutschen Perfektionismusdrang zuzuschreiben.

Interessanter ist da schon, was Marcel aus Šiauliai schildert, nachdem er erstmal ordentlich ausgeschlafen hat. Nun, wie alle die zum ersten Mal in Litauen sind, fällt im die Veränderung der Namen auf: der deutsche Dirk heißt nun Dirkas. Zum zweiten gibt es ironische Bemerkungen über das nicht sehr ausgedehnt vorhandene Nachtleben in Šiauliai - die Bürgersteige werden früh abends hochgeklappt, um 21 Uhr macht die Tankstelle zu: aber immerhin hängen sogar an den Preisschildern der Tankstelle überall Basketballkörbe. Dann ein Schock: beim Versuch, im Supermarkt sich mit alkoholischen Getränken eindecken zu wollen, ist diese Abteilung abgesperrt und unzugänglich. Was ist das? Auch die freundlichen litauischen freiwilligen Helfer wissen keinen Rat. Marcel googelt und findet heraus, dass am 1.September 1993 die sowjetische Armee aus Litauen abzog, und daher der 1.September so eine Art Feiertag sei. "Nur gut, dass dieser Feiertag nicht auf den 18.September (den Tag des Endspiels) fällt!" notiert Parkettblogger Marcel erleichtert. 

Zumindest bis morgen - dem entscheidenden Spiel Litauen gegen Deutschland - wird Marcel noch weiterbloggen. Was ihm noch aufgefallen ist in Litauen bisher? Offenbar hat die Kommerzialisierung von touristischen Sehenswürdigkeiten zumindest während der EM Fortschritte gemacht, und Gästen wird am "Hügel der Kreuze" nun erzählt, es wäre Brauch dort erst ein Kreuz zu kaufen um es dann der gewaltigen Sammlung hinzuzufügen. Na ja. Aber Marcel Friedrich versäumt auch nicht zu bemerken, dass ein Ticket der EM unter 30 Euro nicht zu haben ist, und Litauer seinen Informationen nach zwischen 300 und 600 Euro im Monat verdienen. Sein anfänglicher Groll auf Litauen ist inzwischen offenbar differenzierter Betrachtung gewichen. Und ein Dankeschön für die vielen freiwilligen Helfer ist da auch noch drin. Na dann, weiter noch viel Spaß - obwohl eine von beiden Mannschaften, entweder Lietuva oder Dirkas, ab übermorgen anders planen muss ...

NACHTRAG: Na ja, und dann erwischte es leider beide, schneller als erhofft. Aber erstaunlich die Ergebnisse unserer Vorab-Umfrage: die einzigen, die es wagten ein konkretes Team als Europameister vorauszusagen, und nicht auf Litauen schwörten, wählten Spanien ...

02 September 2011

Der Korb hängt hoch

85% der Leserinnen und Leser dieses Blogs glauben fest daran, dass Litauen die Basketball-Europameisterschaft, die nun bis zum 18.September in Alytus, Šiauliai, Kaunas, Klaipėda, Panevėžys und Vilnius ausgerichtet wird, auch selbst gewinnen kann.Ob das gelingt, muss abgewartet werden. Klar ist jedoch, dass Litauen nicht allein auf den sportlichen Erfolg setzt.

Positiv denken
Wer erinnert sich noch daran, dass im vorletzten Jahr Vilnius europäische Kulturhauptstadt war? Im Gegensatz zu den Gästerekorden in Tallinn dieser Saison schlingerte Litauen noch mitten in der Wirtschaftskrise. Zudem ging damals Litauens Airline pleite, plötzlich waren viele Reisemöglichkeiten blockiert. Aus deutscher Sicht gesehen, ist - abgesehen vielleicht von der Kurischen Nehrung - Litauen noch nicht so recht auf der touristischen Landkarte angekommen. Das soll nun die Basketball-EM ändern. Die Schließung der gemeinsam mit Estland und Lettland betriebenen Tourismuszentrale in Berlin lieber gar nicht erwähnen - und auf zu neuen Ufern. In sofern könnte das Wunsch-Halbfinale aus dieser Sicht lauten: Russland, Frankreich, Deutschland und Litauen, die vielleicht touristisch vielversprechendsten Nationen. 

Deutscher Dirk, litauische Hoffnung
Wie sieht es aus deutscher Sicht aus? Kann Litauen von deutscher Basketball-Begeisterung etwas gewinnen? Einiges spricht dafür, dass der Effekt sehr begrenzt bleiben wird.
Nowitzki, Nowitzki. Allein dass keines der EM-Spiele im öffentlich-rechtlichen, also im frei zugänglichen Fernsehen zu sehen sein wird, spricht schon gegen eine erhöhte Litauen-Aufmerksamkeit. Auch Berichte von "vor Ort", also aus Alytus oder
Panevėžys - Orte von denen meines Wissens nach noch nie ein deutscher Fernsehreporter berichtet hat - es sieht nicht so aus, als ob eines der vielen Spartenmagazine diese aktuelle Chance nutzen wollte. Vorberichte in deutschen Zeitungen? Ja. Der "Kurier" in Österreich findet es bemerkenswert, dass die EM in Litauen die zahlenmäßig stärkste ist (mehr Mannschaften als vorher), und dass es einen eigenen EM-Song gibt. Vielleicht stellt es schon ein Entgegenkommen dar, dass die österreichische Sportpresse nicht auch noch die kürzlichen litauisch-österreichischen Verstimmungen nachklingen lässt?
30.000 Gäste werden angeblich erwartet - das unterstreicht die touristischen Hoffnungen, denn die Sommersaison ist ja schon vorbei. "Litauen hofft auf rentable Basketball-EM" unterstreicht auch "Eurotopics" und lässt damit durchklingen, dass selbst ein zufriedenstellender Gästestrom zunächst einmal nur die vorab getätigten Investitionen ausgleicht.
DIE ZEIT stellt heraus, dass Basketball in Litauen "Religion" sei: "Drei Millionen Litauer wollen den Titel". Es folgen erfreulich kundige Bemerkungen zum litauischen Basketball, zur Basketballschule von Arvydas Sabonis, und die These: "Basketball ist der einzige Grund warum die Welt weiß, dass Litauen überhaupt existiert."
Ein wenig mehr auf die Situation im Lande geht die "Süddeutsche Zeitung" ein. Die Atmosphäre in Litauen sei ein wenig mit dem Fußball-Rausch in Deutschland des Jahres 2006 zu vergleichen. Ist das realistisch, oder entspricht das nur dem deutschen Ansinnen, alle Maße der Welt immer mit Fußballfeldern zu messen? "Im strömenden Regen warteten Tausende von Menschen", wird hier für deutsche Leser berichtet. Na immerhin, mehr warten wohl auch nicht vor einem Spiel der deutschen Basketball-Bundesliga. So schätzt es auch BBL-Geschäftsführer Jan Pommer ein, der optimistisch auf einen Popularitätszuwachs für Basketball in Deutschland durch die beiden Erstliga-Aufsteiger Bayern München (ein Markenname) und Würzburg (Heimatort Nowitzkis) hofft. Aber das wäre ja eher von einem möglichst guten deutschen Abschneiden abhängig. Zumindest die Litauer in Deutschland werden wohl bis zum18.September auf ihr Heimatland setzen - wo bisher die realistische Einschätzung regierte, vielleicht doch eher im Fußball sich noch verbessern zu können um litauisches Aufsehen auch in Deutschland zu erregen.

Sportmigranten
"Basketball als Tor zur Welt" - ein solcher Wahlspruch scheint realistischer und weist wohl einerseits hin auf die Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten litauischer Basketballer (sechs der aktuellen 12 Mitglieder des Nationalteams spielen in Vilnius oder Kaunas, die anderen im Ausland)."Basketball ist für die Litauer heilig", betont auch die Neue Züricher Zeitung und ergänzt aber süffisant, Artikel 14 der litauischen Verfassung garantiere aber Glaubens- und Gewissensfreiheit. Den Erfolg der EM würde eher die ungewöhnlich hohe Zahl von Profis aus der US-Liga NBA garantieren, so die Einschätzung. Die andere Einschätzung ist, dass die erste Hürde für Litauen das Spiel gegen Spanien sein könnte - immerhin 10% unserer Blogleser tippen auch auf einen spanischen Erfolg. Ginge es nach europäischen Kriterien, so hätten vielleicht auch die Griechen noch Nachholbedarf an Jubel. Aber allein mit einem Erfolg als Veranstalter werden sich die Litauer sicher nicht zufrieden geben.

17 August 2011

Schwedische Montagsdemos

79 Montage waren es, die zwischen der litauischen Unabhängigkeitserklärung vom 11.März 1990 und Mitte September 1991, als auch international die Unabhängigkeit der baltischen Staaten anerkannt wurde. Jeden Montag gab es in Stockholm auf dem Norrmalmstorg Solidaritätsdemonstrationen für die Freiheit Estlands, Lettlands und Litauens. Darin erinnerte jetzt der schwedische Ministerpräsident Reinfeldt am selben Ort, zusammen mit den drei Regierungschefs Kubilius, Dombrovskis und Ansip (siehe TheLocal.se, schwedisches Radio, Schwedischer Reichstag).
Kubilius, Dombrovskis, Ansip, Reinfeldt -
Schuldenabbau in Stockholm
Den Worten Reinfeldts zufolge haben sich diese Montagsdemos in dieser Zeit über ganz Schweden verbreitet, an 50 verschiedenen Orten. Aber nicht nur das: Ende Mai / Anfang Juni 1990 reisten hochrangige Delegationen der drei Länder - damals noch Vertreter der "Obersten Räte" nach Schweden und wurden dort freundlich und mit allen Ehren empfangen. Ebenfalls noch 1990 wurde ein "Baltisches Informationsbüro" in Schweden gegründet. Die Art und Weise ist bemerkenswert: die schwedische Regierung forderte gewissermaßen die Vertreter der litauischen, lettischen und estnischen Volksfronten auf, sich an die staatliche schwedische Agentur für internationale Zusammenarbeit (schwed. Abk. SIDA) zu wenden um finanziell bei dem Vorhaben unterstützt werden zu können.Und ebenfalls noch vor dem August 1991 gegannen in Schweden Ausbildungskurse für Nachwuchsdipomaten aus Estland, Lettland und Litauen.
Schweden haben "Ehrenschulden" an die baltischen Staaten ("debt of honour"), sagte Reinfeldt in seiner Rede zum 15.August 2011. Vielleicht wird mancher Este, Lette oder Litauer dazu auch eher die Situation am Ende des 2.Weltkriegs erinnern, als Schweden Flüchtlinge an die sowjetischen Behörden auslieferte.

Diese baltisch-schwedische Allianz des Erinnerns fällt aus deutscher Sicht wohl besonders auf, weil Ähnliches in Deutschland bisher ganz undenkbar wäre. Zwar gab es auch in verschiedenen deutschen Städten immer wieder Solidaritätskundgebungen für die baltischen Unabhängigkeitsbewegungen, auch zwischen dem März 1990 und dem August 1991 - aber es ist deutschen Behörden und Politikern offenbar immer noch lästig, daran zu erinnern. Genau so lästig, wie "die Balten" 1990 waren, als sie auf ihre eigenen Rechte hinwiesen, und darauf bestanden, nicht erneut nur den Interessen der Großmächte untergeordnet zu sein. Die überwiegende Zahl führender deutscher Politiker war damals auf solchen pro-baltischen Veranstaltungen auch gar nicht zu sehen. Zwar werden in der offiziellen Geschichtsschreibung die Tage nach dem misslungenen Putsch gegen Gorbatschow heroisiert und erinnert - so stark, dass inzwischen sogar schon einige verkünden, die baltischen Staaten hätten ihre Unabhängigkeit auch erst dann verkündet, als sie Deutschland dann endlich mit wenigen Tagen Verzögerung anerkannte. Auf eine Feier in Deutschland in Anerkennung dessen, was sich in Litauen, Lettland und Estland zwischen März 1990 und August 1991 tat, wie deren Amtsträger - im Gegensatz zur freundlichen Aufnahme in Schweden - in Bonn bei deutsche Politiker in die Hinterzimmer verwiesen wurden: darauf werden wir wohl noch eine Zeitlang warten müssen.

Die deutsche Außenpolitik strickte in den 90er Jahren eifrig an der Legende von "Deutschland, Anwalt der Balten". Dabei gehen einige wohl davon aus, dass die Betroffenen vor der internationalen Anerkennung ihrer Unabhängigkeit irgendwie rechtlos waren, also immer nur die Interpretation der Machthaber in Moskau zählte. Da passt der Spruch immer noch, der da sagt: Anwalt wohl - aber dieser scheute es, mit seinen Klienten auch vor Gericht zu gehen! (zweite Variante: der Anwalt begann erst dann zu arbeiten, als seine Klienten seine Rechnung in einer ihm vorteilhaften Währung bezahlen konnten)

Nun werden es die Schweden besser beurteilen können, ob Schweden wirklich 1990/91 so "baltenfreundlich" war, wie es die heutige Darstellung von regierungsamtlicher Seite gerne darstellen möchte. Das Portal "Thelocal" zitiert einige kritische Stimmen während der Kundgebung in Stockholm, die zurecht darauf hinweisen, Reinfeldt könne nur deshalb heute so schön reden, weil damals seine Partei nicht an der Macht gewesen sei. Das Leserforum auf dieser Seite landet dann sehr schnell wieder bei gegenseitigen Schuldzuweisungen: Schweden liefert Balten aus und rettet Juden, Balten angeblich eifrige Mitglieder der Waffen SS, und so weiter. Die öffentliche Diskussion ist auch in Schweden ziemlich kontrovers. Auf einen Artikel von Reinfeldt im "Aftonbladet" gibt es 430 Leserkommentare, vielfach auch zum Thema "schöne Politikersprüche, bittere Realität". Dagens Nyheter schreibt über die "baltische Lektion" und bekommt ebenfalls 100 Leserkommentare. Svenska Dagbladet bringt ein Interview mit dem estnischen Präsidenten Ilves. Göteborgs-Posten bringt, abseits von der Alltagspoltik, einen Bericht über fruchtbare litauisch-schwedische Zusammenarbeit bei Mode und Design. Vielleicht funktioniert die wirkliche Zusammenarbeit zwischen Litauen und den (west)europäischen Nachbarn wirklich besser abseits der großen Reden und Gedenktage. Aber dennoch: Politiker sollten sich ein wenig in der baltischen Befindlichkeit auskennen, bevor sie wieder öffentlich Dinge der Vergangenheit rühmen, die im Moment des aktuellen Geschehens zu unterstützen sie sich gescheut hätten.

Zu den Beziehungen Schwedens zu den baltischen Staaten in den Jahren 1989-1991 ein Buchtipp: Lars Peter Fredén: „Förvandlingar – Baltikums Frigörelse och svensk diplomati 1989-91“, Bokförlaget Atlantis, Stockholm 2004.

12 August 2011

Fettige Näpfchen und diplomatische Pauken

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen donnert der Name "Litauen" gewaltig über die Flure diplomatischer Vertretungen und europäischer Ministerien. Rächt es sich jetzt, dass in der Diplomatie die Benutzung einer größt möglichen Pauke fast nie zum geeigneten Mittel der Verständigung erklärt wird? Hatte die Diskussion um den ehemaligen KGB-Oberst Mihail Golowatow noch Diskussionen um die genaue Bewertung der Ereignisse von 1991 und dem litauischen Weg zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit ausgelöst, so dreht es sich jetzt ebenfalls um einen Fall der Zusammenarbeit zwischen Justizministerien.

In Belorussland (der "letzten Diktatur Europas", wie viele sagen) ist Ales Belyatsky, einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten des Landes, unter dem Vorwurf der angeblichen Steuerhinterziehung festgenommen worden. Belyatsky's Organisation "Vjasna"unterstützt vor allem politisch Verfolgte und deren Angehörige (siehe TAZ 9.8.11 und 10.8.11).
Es war das litauische Justizministerium, dass sich veranlaßt sah, Hunderte von Kontodaten von Weißrussen bei litauischen Banken an die Justizbeamten des Lukaschenko-Regimes weiterzureichen. So verschaften sie ihren "Kollegen" einen guten Überblick, welcher belorussische Staatsbürger mittels Konten in Litauen zum Beispiel über Unterstützung durch Projektgelder der EU verfügt - daher der Vorwurf des "Steuervergehens". 


Ein Teil der litauischen Presse empört sich nun über das Verhalten des eigenen Ministers - aber einen Rücktritt wird es wohl nicht geben. Außenminister Ažubalis ließ über den litauischen Botschafter in Minsk eine mühsam formulierte Erklärung gegenüber der Frau Beliatsky's und belorussischen Menschenrechtlern abgeben. Litauen verurteile "den Gebrauch von im Zuge von Amtshilfeverfahren gegebenen Informationen für politische Zwecke". Hm. Von der Möglichkeit grundsätzlichen Schutzes sensibler Daten für jeden einzelnen Bürger ist nicht die Rede.

Manche reden ja in Litauen auch gerne von einer "Nord-Süd-Achse" in Osteuropa oder Nordosteuropa. Also eine regionale Zusammenarbeit ohne eine vorherrschende Rolle weder von Russland noch von Deutschland. Wer vielleicht nicht glauben mag, dass Litauen in der Mitte Europas liegt, dann aber doch im Zentrum einer Interessenvereinigung von Estland über Lettland, der Ukraine, Polen, möglichst bis Georgien. Und natürlich Belorussland. Schon seit Jahren versucht sich die litauische Außenpolitik hier zu positionieren, mal als Vermittler hier, mal als Konferenzveranstalter dort. Schon deshalb ist der Fall Belyatsky nun ein großer Fleck auf der gewünschten weißen Weste des Regionalpartners Litauen.

Klar, dass gerade österreichische Medien den Fall interessiert beobachten (siehe z.B. Wiener Zeitung). Linas Jegelevicius bezeichnet das litauische Verhalten bezüglich Belorussland in der BALTIC TIMES als "Imitieren Österreichs".Es kann ja schon jemand mal den Antrag stellen, das Wort "österreichisieren" (= Unterstützung von undemokratischem Regierungshandeln?) in die entsprechenden Wörterbücher aufzunehmen.

01 August 2011

Europäische Nachhilfestunden

Wer dieser Tage weder Österreicher noch Litauer ist, an dem geht die hitzige Diskussion wohl vorbei. Anfangs schien es hauptsächlich eine Sache von 52 Minuten zu sein - genau diese Zeitspanne lag zwischen der Wieder-Freilassung des Ex-KGB-Mannes und Einsatzleiters der Sondereinheiten der "Schwarzen Barette" von 1991 in Vilnius, Michail Golowatow, und dem Eintreffen der von Litauen geforderten detaillierteren Angaben zu dem auf Golowatow ausgestellten Haftbefehl.

KGB auf Alpenurlaub
Dies geschah am Donnerstag, den 14.Juli. In den darauf folgenden Stunden des herannahenden Wochenendes muss bei vielen Behörden ja mit frühem Feierabend gerechnet werden - so auch hier. Aber wäre das Ergebnis - die Freilassung des kurzfristig Festgehaltenen - ein anderes gewesen, wenn ein paar Stunden oder vielleicht auch ein paar Tage verstrichen wären? Golowatow war - so das österreichische Juristenösterreichisch - in "verfügte Anhaltung" genommen worden, also nicht etwa in Haft. Dass Golowatow gar nicht erst in eine Haftanstalt überstellt wurde, soll die russische Botschaft in Österreich erreicht haben. Angehalten und wieder gehen lassen, das klingt schon sehr noch einem sehr kurzfristigen und gar nicht dringlichen Vorgang. 

Aber wie auch immer: dieser immer noch anhaltende Streit zwischen Litauen und Österreich zeigt interessante Ergebnisse und Schattierungen, und geht weit über die Frage von einer möglichen privaten Schuld Michail Golowatows an den Toten vom Januar 1991 in Vilnuis hinaus. Vielleicht werden später einmal beide Seiten sagen: gut, dass diese Diskussion damals im Juli 2011 wieder aufgebrochen ist. Denn angesichts vieler schöner Reden zur Freundschaft und dem Zusammenhalt der Länder und Völker in Europa zeigen sich hier viele Einzelfragen, die offenbar über längere Zeit ungelöst und unberührt liegen geblieben sind.

Historisches Gedächtnis
Dieses "Infoset" schenkte der litauische Außenminister Ažubalis
seinem österreichischen Amtskollegen Spindelegger
als Antwort auf dessen Erläuterungsversuche im Fall Golowatow
Es gibt ja den schönen Spruch vom "Mantel der Geschichte", den man ergreifen müsse, um im richtigen Moment den Lauf der Ereignisse beeinflussen zu können. Aber so richtig bekannt und im allgemeinen Bewußtsein verwurzelt sind nur die Daten, die auch für Deutschland akzeptabel erschienen (das sich unter Kohl und Kinkel immer als "Anwalt der Balten" bezeichnet hatte). Erst nachdem es im August 1991 einen Putsch gegen den im Westen positiv bewerteten Sowjetführer Gorbatschow gab, wandten sich die Machthaber denen zu, die ihn überwanden und Konsequenzen daraus zogen. Aber was ist mir den Volksbewegungen zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit, die sich schon 1987/88 in den baltischen Staaten gründeten? Selbst in den damals noch bestehenden "Obersten Sowjets" errangen nach und nach diese Volksbewegungen die Mehrheit. Bereits ab dem Februar 1990 hatte die Sympathisanten der im Juni 1988 gegründeten "Sąjūdis" im litauischen Obersten Sowjet die meisten Sitze. Bereits am 23.August 1989 hatte es die gewaltige Menschenkette von Vilnius über Riga nach Tallinn gegeben, so dass in dieser Zeit bereits klar wurde, was die Menschen wollten. Das Oberste sowjetische Gremium (der Oberste Rat) in Litauen wählte Vytautas Landsbergis zu seinem Vorsitzenden. Nur Moskau sträubte sich noch - und zwar ausdrücklich Gorbatschow, der ja an eine innere "Reform" des Systems glaubte, und den baltischen Staaten das Recht auf eigene Entscheidungen abstritt. Am 11.März 1990 erklärte Litauen die Wiederherstellung seiner Unabhängigkeit. Es war also nicht - wie manche österreichische Zeitungen auch heute noch melden - ein Aufstand gegen eine eigene (sowjet-litauische?) Regierung. Nein, die Mehrheit der litauisch-sowjetischen Amtsträger hatten sich längst auch von der kommunistischen Partei losgesagt - auch wenn bei einigen vielleicht ein wenig Populismus mitgeschwungen haben mag. Gorbatschow - der in Deutschland zur gleichen Zeit bereits um die Modalitäten einer Wiedervereinigung verhandelte - verhängt im April 1990 eine Wirtschaftsblockade. 

Erst Monate danach - am 13.Januar 1991 - dann die blutigen Ereignisse in Vilnius, rund um den Fernsehturm und das Parlament. Die Sondereinheiten der "schwarzen Barette" (Gruppe "Apha", unter Kommandant Golowatow) versuchen zurückzudrehen, was inzwischen Zehntausende von Menschen mit ihrem eigenen Körper und ihrer Präsenz - aber ohne Waffen - zu verteidigen bereit sind. 11 Menschen wurden erschossen, zwei von Panzern überfahren, einer starb an einem Herzinfarkt. Es gab Hunderte von Verletzten.

Wer schreibt Geschichte? 
Aber heute - 20 Jahre später - kommt die eher von den Wessis geschriebene Geschichte wieder zum Vorschein. Die besteht offenbar nur aus den Stichworten: Gorbi war gut, die Putschisten gegen ihn waren böse, und danach wurde alles gut (nur seltsam, dass die Sowjetunion zusammenbrach?). Aber beide Seiten haben Defizite in der Diskussion unter- und miteinander - das wurde nicht nur durch die schlecht kommunizierenden Behörden deutlich.Auch in Litauen sind die Kenntnisse über Österreich oder auch Deutschland nicht gerade gewachsen - allzu sehr haben sich viele konzentriert auf die rein ökonomische und konsumorientierte Seite einer Beziehung. 
Es ist die Stunde der europäischen Nachhilfestunden. Viele Äußerungen auf beiden Seiten prägen nicht das Zuhören, was andere zu sagen haben, sondern Versuche Vorbedingungen zu formulieren für die Akzeptanz des Diskussionspartners. So als ob beide Seiten sich nicht ganz ernst nehmen würden gegenseitig.

Beispiele gefällig? Einige Zitate aus Zeitungen und Internetforen.
- die Litauer sollen erst mal im eigenen Lande die Korruption beseitigen, bevor sie sich über eine nicht funktionierende österreichische Justiz beschweren
- die Litauer sollen sich nicht über die 14 Toten von 1991 beschweren, sondern froh sein dass sie so günstig aus der Sowjetunion entlassen wurden
- die Litauer sollen doch froh sein, dass sie 2004 in die EU rein gelassen wurden, und nun können sie auch noch nach Österreich oder Deutschland gehen um dort zu arbeiten, wenn sie wollen
- die Litauer sollen bitte lieber die Täter des Holocaust verfolgen als die Funktionsträger der Sowjetzeit
- diese Litauer sollen bitte andere nicht mit in ihre Russophobie hineinziehen
- europäische Haftbefehle gelten eben nicht rückwirkend, sondern - was Litauen angeht - erst ab 2004

Aber auch auf litauischer Seite gibt es Vorbehalte, die Argumente der österreichischen Seite zu akzeptieren.
- Europa müsse erstmal die Verbrechen Stalins und des Bolschewismus genauso anerkennen wie die des Nationalsozialismus
- die viel gepriesenen "europäischen Werte" würden wohl eher den Interessen einiger Staaten entsprechen, als denen aller zusammen
- das Interesse an der Lieferung von russischem Gas sei nun mal mehr wert als ein kleines Nachbarland
- selbst falls KGB-Mann Golowatow keine Schuld an den Ereignissen vom Januar 1991 trage, so müsse auch bei dessen "Chef" Gorbatschow nachgefragt werden, wieviel Einblick und Kenntnis er damals in das Geschehen hatte

Litauen? Was ist eigentlich Litauen?
Bisher verstand der Westen die europäische Einigung weitgehend als Einbahnstraße: wir kratzen gnädig etwas Geld zusammen, um den armen Brüdern und Schwestern im Osten zu helfen. Staunend steht zumindest ein Teil Österreichs nun vor der Tatsache, dass diese "Geholfenen" durchaus in der Lage sind, bei gegebenem Anlaß spöttische Karikaturen über das "Helferland" zu veröffentlichen. Litauen? Was glauben die denn wer die sind? 

Andererseits hat auch Litauen durchaus ein ambivalentes Verhältnis zur eigenen Sowjetvergangenheit. Es gibt keinerlei Gesetze, die frühere Sowjetfunktionäre heute von hohen Ämtern in Staat und Verwaltung fernhalten würde. Und es gibt bisher auch keinerlei Erklärung dafür, warum das Haftgesuch gegen Golowatow erst im Oktober 2010 ausgestellt wurde.

Jedenfalls sollten Europäer nicht glauben, nur weil sie vielleicht keine Österreicher oder Litauer sind, sie hätten mit dieser Diskussion nichts zu tun. Ob wir auf absehbare Zeit mit Putin-Russland zu einer gemeinsamen Auffassung von den wichtigen Geschehnissen der jüngeren Geschichte gelangen werden, ist bisher nicht absehbar. Zusammen mit Litauen sollte es eigentlich ein wenig leichter sein. 

Wer's heute noch glaubt: konstruierte
SowjetHarmonie, hier Abbildung aus einer
Propagandazeitschrift aus dem Jahre 1980
Hoffnungen der Ewig-Gestrigen
Wer sich am Beispiel ansehen möchte, wie es in Deutschland ausschaut, wenn wir diese Art Diskussion um aus baltischer Sicht wichtige Themen vernachlässigen, darf sich gern mal die Beiträge der "alten Genossen" ansehen - also jener einfältigen Menschen, die uns als Zeitreise gleich mehr als 20 Jahre zurück versetzen und die so tun, als habe es den Hitler-Stalin-Pakt, die Aufteilung der Interessengebiete unter den beiden Terrorregimes und deren erneute unrechtmäßige Besetzung nach dem Krieg nie gegeben. 


Mal wieder finden wir Beispiele solcher Ewig-Gestrigen ausgerechnet in Zeitschriften, die sich vom Namen her ziemlich jung gebaren. Da wird unter Bezugnahme auf "die litauische Seite" folgendes geschrieben, Zitat: "Die Erzählung von der »illegalen russischen Besatzung« der baltischen Länder, der alle Maßnahmen der sowjetischen Behörden zur Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung als Kriegshandlungen erscheinen läßt. Die Existenz der Sowjetunion und der baltischen Sowjetrepubliken in ihrem Bestand war indes eine völkerrechtlich anerkannte Tatsache" (Werner Pirker in Junge Welt, 23.7.11). Und weiter: "Bei der Auseinandersetzung um den Fernsehturm von Vilnius, die am 13. Januar 1991 entbrannt war und vier Menschen das Leben kostete, handelte es sich deshalb auch nicht um eine ausländische Aggression, sondern um die Niederschlagung eines Aufstandsversuches. Der Kampf um Rundfunk- und Fernsehstationen ist stets ein Kampf um die strategische Oberhoheit (über die öffentliche Meinung)."
 
Ja, sie mal an! Nun verstehen wir, warum Kommandant Golowatow so enttäuscht war, als er nach den Januarereignissen 1991 nach Moskau zurückkehrte (siehe das Interview mit ihm aus dem Jahr 2004). Denn niemand lobte ihn dort - hatte er doch nur versucht, die "strategische Oberhoheit" über ein Land zu bewahren, in dem fast alle nichts anderes mehr wollten als dass endlich die längst beschlossene und verkündete Unabhängigkeit anerkannt werden würde. Angesichts der Toten - und der internationalen Aufmerksamkeit - wollte in Moskau mit dieser Aktion damals niemand mehr etwas zu tun haben (nichts gewußt, nichts gesehen, nicht gewollt). Wenn das sich heute wieder geändert haben sollte - und Golowatow als "Pensionär" nun plötzlich posthum zum "Helden der Sowjetunion" erhoben werden sollte - dann sicher nicht den gemeinsamen Werten in Europa wegen - dessen sollten wir uns bewußt sein.

19 Juli 2011

Eine Frage der Geschwindigkeit

Gut, das Ähnliches nicht während des Kulturhauptstadtjahres 2009 zwischen Litauen und Österreich passierte - da kooperierten Linz und Vilnius einträglich und realisierten manches Kulturprojekt trotz Wirtschaftskrise. Litauen ist verärgert über Österreich - und Österreich über Litauen? "Ein Fall wie Ratko Mladic" sagt Litauens Außenminister Audronius Ažubalis (KURIER). 

Es geht um Mikhail Golowatow, einen 62-Jährigen Ex-KGB-Offizier und ehemaligen Kommandant der sowjetischen Spezialeinheit „Alpha“. Gesucht per internationalem Haftbefehl, ausgestellt am 18.Oktober 2010, und am 14.Juli am Flughafen Wien-Schwechat in Österreich festgenommen. Er wird verdächtigt, am brutalen Vorgehen der benannten Sondereinheiten am 13.Januar 1991 an entscheidender Stelle beteiligt gewesen zu sein. Nachdem die österreichische Staatsanwaltschaft zunächst mitgeteilt hatte, das Auslieferungsverfahren nach Litauen könne bis zu einem Monat dauern (Meldung ORF), teilten die österreichischen Behörden bereits in der Nacht zum 16.Juli Litauen mit, der Verdächtigte sei wieder freigelassen worden (Pressemitteilung lit. Außenministerium).Die Anschuldigungen seien "zu vage" gewesen, so die österreichische Staatsanwaltschaft. Zumindest betreffen sie Ereignisse, deren öffentliche Darstellung für Litauen essentiell wichtig sind - auch als historische Grundlage des heutigen, demokratischen Litauen.

Die Situation von 1991 ist in sofern außergewöhnlich gewesen, da die meisten Staaten der Welt die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Litauens erst ein halbes Jahr nach den blutigen Januartagen 1991 in Vilnius anerkannt hatten. Das litauische Parlament (ehemaliger Oberste Sowjet), in dem die Unabhängigkeitsbewegung Sajudis seit dem 24.Februar 91 die Mehrheit hatte, erklärte am 11.März 1990 Litauen als ersten der damaligen Sowjetstaaten für unabhängig. Deutschland erkannte das unabhängige Litauen am 28.August 1991 an. 

Die überraschend schnelle Freilassung des festgenommenen Beschuldigten ruft nun scharfe Protestnoten auf litauischer Seite hervor. Außenminister Ažubalis: "Wir wissen, dass der Mann der Kommandant der Einheiten war, die 1991 den Fernsehturm gestürmt haben. Dabei sind vierzehn Menschen getötet und tausend verletzt worden, einige leiden heute noch." Auch die beiden Amtskollegen aus Estland und Lettland, Paet und Kristovskis, haben sich heute in Form eines gemeinsamen offenen Briefes mit Ažubalis solidarisiert. "Obwohl wir selbstverständlich die Unabhängigkeit der Gerichte akzeptieren", äußern darin die drei Minister, "so sind wir doch von der Geschwindigkeit überrascht, mit der die österreichischen Behörden Golowatow wieder freigelassen haben. Dies schwächt die Internationale Zusammenarbeit der Strafvollzugsbehörden, und offenbart auch wenig Anzeichen der Solidarität von EU-Staaten untereinander." Der derzeitige österreichische Geschäftsträger in Vilnius, Botschaftsrat Josef Sigmund, bekam ein Geschichtsbuch mit Schilderungen der Ereignisse des Januar 1991 aus litauischer Sicht überreicht (Botschafter Helmut Koller befindet sich derzeit auf Urlaub). Und die Wiener Zeitung zitiert die litauische Staatspräsidentin und Ex-EU-Kommissarin Dalia Grybauskaite mit der Aussage: "eine politisch nicht zu rechtfertigende Handlung, die die Rechtszusammenarbeit der EU-Mitgliederstaaten kompromittiert". Litauen berief seinen Botschafter in Österreich zu Konsultationen nach Vilnius, und die litauische Parlamentspräsidentin Irena Degutiene kündigte an, das Thema vor das Europaparlament bringen zu wollen. Dagegen sieht Österreichs Außenminister Spindelegger den diplomatischen Konflikt mit Litauen zumindest von juristischer Seite bereits als erledigt an, indem er behauptete, Litauen eine Frist zur Beibringung weiterer Fakten gesetzt zu haben, und diese Frist sei verstrichen. (der Standard). Einzelne Abgeordnete des österreichischen Nationalrats, wie der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser, forderten Aufklärung über die Geschehnisse - was aber, wie sie selbst zugeben mussten, wegen der Sommerpause des Parlaments vor September nicht möglich sei. Die österreichische Handelskammer sieht den Konflikt offenbar ebenfalls kaufmännisch-gelassen. In "Die Presse" ist ein Zitat eines Wirtschaftsvertreters wiedergegeben, der meint: Österreich liefert kaum Konsumgüter nach Litauen, nichts was durch öffentliche Boykottaufrufe bedroht werden könnte. 

Wie hatte es noch Cornelius Hell, einer der bekanntesten Litauen-Kenner Österreichts, Literaturkritiker und Übersetzer aus dem Litauischen, Autor mehrerer Bücher über Litauen, anläßlich einer Festrede zum 40jährigen Bestehen der Partnerschaft Salzburg-Litauen gesagt? "Nicht vergessen sollte man auch, dass der sogenannte „Westen“ – ganz anders als in Ex-Jugoslawien – die Bestrebungen der drei baltischen Staaten, die völkerrechtswidrige sowjetische Okkupation zu beenden und ihre Staaten wiederherzustellen, gar nicht so gerne gesehen hat. Die österreichische Bundesregierung hat sich in einer sehr peinlichen Erklärung sogar mit den Putschisten im August 1991 arrangiert." 

Aus österreichischer Sicht wiederum ist die Ansicht nachzulesen, Litauen hätte in diesem Fall eben besser den EU-Gerichtshof in Den Haag anrufen sollen - ein EU-Haftbefehl sei für diese Art "Kriegsverbrechen" eben nicht geeignet (sondern eher für Schmuggel, Geldwäsche oder Urheberrechtsverletzungen). Und Golowatow habe auch noch in andere EU-Länder problemlos einreisen können - nur Österreich habe ihn zurückgeschickt. Andererseits gibt es auch Äußerungen, die von Litauen eine bessere Behandlung "ihrer russischen Mitbürger" einfordern - und das Land damit zumindest mit ihren nördlicheren Nachbarn verwechseln dürften. Als "Russenhasser" wollen sich offenbar weit weniger Österreicher identifiziert sehen denn als "Litauen-Hasser".
Die Diskussion ist ungewöhnlich heftig: Vladimiras Laucius, litauischer Politologe, äußert sich in litauischen Nachrichtenportalen und beim "Standard" - und erntet hunderte von Leserreaktionen auch in Österreich - darunter sind auch solche, die Litauen für "tendenziell korrupt" halten, und ein solches Land solle sich eben hüten Österreich Vorschriften machen zu wollen. Litauer protestieren ihrerseits gegen Österreich auf den Straßen von Vilnius - darunter die EU-Abgeordnete Radvile Morkunaite-Mikuleniene.

Vorläufig kann man sich nur in einem einig sein: allein schon der auffällig eilige Beschluß, den Beschuldigten lieber mal wieder frei zu lassen, hat der Freundschaft beider Länder eher einen "Bärendienst" geleistet.
Bedenklich auch, dass einige österreichische Medien offenbar selbst beim Versuch Schwierigkeiten haben, die Ereignisse von 1991 in Litauen zusammenzufassen. Hier ein Beispiel aus der "Kleinen Zeitung" vom 19.7., bezogen auf Golowatow: "Der 62-Jährige soll in den letzten Tagen der Sowjetherrschaft als Kommandant der Spezialeinheit Alpha am 13. Jänner 1991 den Angriff auf den Fernsehturm in Vilnius geleitet haben, der von Regimegegnern besetzt worden war. Beim Versuch, den Aufstand niederzuschlagen, wurden 14 Menschen getötet und 700 verletzt." - Von welchem "Aufstand" ist hier bitteschön die Rede? Wer regierte zu diesem Zeitpunkt das Land? Bitte nachlesen! (aber Vorsicht, auch bei Wikipedia klaffen bei diesem Thema Lücken ...)

Infos des litauischen Außenministeriums zur litauischen Reaktion auf die Freilassung Golowatows

08 Juli 2011

Die Basketball Hymne 2011

Die Basketball-Europameisterschaft wirft ihre Schatten voraus. Während in Deutschland lediglich darüber diskutiert wird, ob Dirk Nowitzki nun dabei ist oder nicht, wurde in Litauen der offizielle EM-Song vorgestellt (Marijonas, Mantas und Mia).



Nun können wir darüber spekulieren, was die EM-Besucher denken werden, wenn sie dieses Lied nicht nur hören, sondern auch das Video dazu sehen. Folgende Reaktionen halte ich für möglich.
1) Sieh an, wären die Litauer mit diesem Lied bei der Eurovision gestartet, wären sie weiter oben gelandet
2) Ungewollt werden die Gegensätze im Krisen-Litauen gezeigt: während der Sänger über seine Begeisterung fürs Partyfeiern singt und meint die Leute würden jetzt ausflippen auf der Straße, fahren zu Sowjetzeiten gebaute Züge durchs Bild, leisten andere in der Fabrik ihre Schicht ab und treffen sich in alten Garagen, um die letzten Fan-Utensilien zusammenzukratzen und Fahnen selbst zu nähen. Die jungen Modedesigner, die sich im Film versammeln, nähen natürlich nur die litauische Flagge - keine Spur von einer Atmosphäre ähnlich "die Welt zu Gast bei Freunden". Dann wird Ballett getanzt, und ein paar einsame Musiker treffen sich auf der Sängerfestbühne in Vilnius (um dort was zu machen?). Unterdessen schuften die Arbeiter weiter, um am Ende unmotiviert mit Konfetti um sich zu werfen. Jugendliche spielen spätabends Streetball vor einsamen Basketballkörben, der Sänger singt "Time for a marching parade".

Es sieht ein wenig so aus, als müssen die Leute erst noch "aus ihren Löchern" geholt werden. Kann das sein, im basketballverrückten Litauen? Und wo ist der Film und die Musik für die internationalen Gäste der EM?

14 Juni 2011

Litauer sind Kinomuffel

Kaum ein Litauer sieht noch einen Film im Kino - das weisen die Ergebnisse europaweiter Befragungen aus, die jetzt als "Kulturstatistik-Handbuch" des Jahres 2011 veröffentlicht wurden (EUROSTAT).
Litauische Kinos als Investitionsruinen - wie hier in Vilnius -
plus fehlende einheimische Produktionen? Litauer
interessieren sich nur wenig für die Vorstellungen auf der
großen Leinwand.
Dem zufolge gaben fast 80% der befragten Litauerinnen und Litauer an, innerhalb von 24 Monaten überhaupt nicht im Kino gewesen zu sein. Der Rest der Befragten geht einmal bis sechsmal im Jahr ins Kino, keinesfalls mehr. Damit unterscheidet sich Litauen auch kaum von den beiden baltischen Nachbarn, die ebenfalls ganz unten in der "Kinogängerrangliste" der Eurostat-Erhebungen zu finden sind. In Deutschland sind es 54%, die ein- bis sechsmal pro Jahr ins Kino gehen (ca 45% gehen aber auch gar nicht). Bei den 25 bis 34-Jährigen liegt die Zahl der Kinogänger in Litauen bei 38% (Deutschland = 78%), bei den über 55-jährigen nur noch bei 9% (Deutschland = 34%).
Unter 10% der Menschen mit geringem Einkommen gehen in Litauen ins Kino, in Deutschland liegt diese Zahl (wobei der Vergleich der Einkommen relativ ist) noch bei über 30%. 

Die kürzlich veröffentlichte Untersuchung greift allerdings auf die Zahlen des Jahres 2006 zurück - also noch vor der Wirtschaftskrise. Anzunehmen ist daher, dass die Zahl der litauischen Kinogänger eher noch gesunken sein könnte. 

Etwas anders sehen die Vergleichszahlen aus, wenn nach Büchern gefragt wird. Über 50% aller litauischen Männer haben in 24 Monaten dieser Statistik nach mindestens ein Buch gelesen (Deutschland: ca 67%), bei den Litauerinnen liegt diese Zahl sogar bei über 75% und erreicht damit fast die der Buchleserinnen in Deutschland.

Singende und tanzende Litauer - nur eine Legende?
Vielleicht würden einige angesichts entsprechender Erfahrungen in Litauen annehmen, dass wenigstens bei der Frage nach der Teilnahme an öffentlichen Aufführungen die Ergebnisse anders aussehen (Tanzen, Singen, Schauspielern oder Musik machen). Doch nur die Estinnen und Esten glänzen hier mit Aktivität: ganze 40% können eigene Aktivitäten in diesen Bereichen vorweisen, wogegen die Litauer/innen mit 8% sogar hinter den (Durchschnitts-)Deutschen mit 11% zurückfallen (Lett/innen durchschnittlich 9%). 
Bei den jüngeren Litauer/innen ist die kulturelle Aktivitätsrate mit 10% (25-34jährige) sogar noch höher als bei den über 55-Jährigen (nur 7% nahmen mindestens einmal pro Jahr an einer solchen Aktivität teil). Eine starke Abhängigkeit scheint hier bei der Schulbildung zu bestehen: nur 2% mit geringer Schulbildung, aber 16% aller Litauer/innen mit höherer Schulbildung singen, tanzen, spielen Theater oder machen Musik (ähnliche Zahlen in Lettland, aber in Estland besteht keine so große Abhängigkeit von kulturellen Aktivitäten und Bildung). Sollte daraus geschlossen werden können, dass in Litauen (wie in Lettland) auch Singen und Tanzen inzwischen Kursgebühren kosten, in Estland aber nicht? Die vorliegenden Untersuchungsergebnissen geben dazu leider keine Auskunft.

Nur wenig anders sehen die Antworten aus, wenn nach Malen, Zeichnen oder Computergrafik gefragt wird. Mit durchschnittlich 14% nehmen aber auf diesem Gebiet proportional genauso viele Litauer/innen an derartigen öffentlichen Aktivitäten teil wie in Deutschland (nur 11% in Estand).

01 Juni 2011

Abtauchen in die Ostsee

Besonders für Kinder und Jugendliche gedacht ist eine neu geschaffene, gemeinsame Webseite der Meeresmuseen an der Ostsee. Virtuelle Besucherinnen und Besucher haben auf dieser gemeinsamen Plattform die Chance, die Welt unter Wasser und in den verschiedenen Museen in deutscher, aber auch in litauischer, englischer, polnischer und russischer Sprache kennenzulernen. Natürlich finden sich Informationen dazu, was es in den verschiedenen Museen zu sehen gibt, aber vor allem wird die (Wasser-)Welt der Ostsee verdeutlicht:
- im Bereich "Aquarium" werden Tierarten und Lebensräume vorgestellt, 
- im Bereich "Fragen" können Antworten auf interessante Fragen gesucht werden ("Warum tragen Matrosen Schlaghosen?" - "Können Frauen auch Piraten sein?")
- im Bereich "Wusstest Du?" werden Zahlen und Fakten zur Ostsee vorgestellt
- im Bereich "Geschenke" gibt es meeresdesignte Bildschirmschoner
- im Bereich "Malbücher" lassen sich Tiergrafiken bunt ausmalen
- und für den Bereich "Galerie" können Fotos vom Museumsbesuch eingeschickt werden, um sie hier allen zugänglich zu machen
- und, nicht zu vergessen, im Bereich "Spiele" gibt es vier Möglichkeiten, sich spielerisch mit der Meereswelt zu beschäftigen.

Gemeinsame Webseite BALTIC MUSEUMS

Wer sich weiter traut zum litauischen Meeresmuseum, findet dort immerhin - außer Litauisch - auch einige Infos in Englisch