27 August 2009

Litauische Arbeiter demonstrieren vor deutscher Botschaft

Das hat Litauen noch nicht gesehen: Mitarbeiter der Supermarktkette "IKI" demonstrieren vor der deutschen Botschaft in Vilnius. Sie möchte damit auf die Verantwortlichkeit des deutschen REWE-Konzernes hinweisen, die mit fast 50 Prozent an der Gesellschaft "Palink-IKI" beteiligt ist. Organisiert wurde der Protest, an dem zugegebenermaßen gerade mal ein Duzend Menschen teil genommen hat, von der hauseigenen Gewerkschaft.

Eine der Gewerkschaftführerinnen, Irina Judina, wurde gerade vergangene Woche entlassen, ihrer Meinung nach wegen ihrer Versuche, dass wenigstens die vertraglich garantieren Gehälter und Arbeitszeiten eingehalten werden sollen. Die Gewerkschaftdelegation plante dem deutschen Botschafter eine Petition zu überreichen, in der die Arbeitsbedingungen eines normalen "IKI"-Mitarbeiter geschildert werden: Offiziell liegt das Brutto-Monatsgehalt bei rund 290 Euro (990Lt) pro Monat und das bei Lebenshaltungskosten die nicht weit von westeuropäischen entfernt sind. Überstunden werden zumeist nicht vergütet und die Mitarbeiter in der Wirtschaftskrise zu "freiwilligen" Kündigungen genötigt, um Abfindungen zu umgehen.

Die PR-Chef von "IKI", Valdas Lopeta, wies hingegen die Anforderungen zurück: Es würden auch in den jetzigen schweren Zeiten keine Mitarbeiter entlassen, und das firmeninterne Prämiensystem funktioniere. Vielmehr gehe es hier um die Profilierung einer Gewerkschaft wegen einer einzigen entlassenen Mitarbeiterin.

80 Prozent der „Palink“-Aktien werden von der Europäischen Handelsallianz "Coopernic“ gehalten, zu der der zweitgrößte deutsche Handelskonzern REWE, zusammen mit „Colruyt“ (Nr. 3 in Belgien), „Conad“ (Nr. 2 in Italien), „Coop“ (Nr. 2 in der Schweiz) sowie „E.Leclerc“ (zweitgrößter in Frankreich) gehören.

Egal, wer nun Recht hat: Die Auseinandersetzung zeigt sowohl die internationale Verflechtung der Handels- und Wirtschaftsstrukturen als auch die Bedingungen der Supermarktmitarbeiter in Mittelosteuropa.

Quellen:
Bericht im Internetnachrichtenportal delfi.lt (Litauisch)
http://www.delfi.lt/news/economy/business/profsajungos-prie-vokietijos-ambasados-peike-iki.d?id=23766188
Bericht im "eko-blog" (Litauisch)
http://ekoblogas.wordpress.com/

08 August 2009

Litauische Perspektiven, eingedeutscht

Unterschiedliche Perspektiven aus der Sicht von Litauer/innen in Deutschland offenbaren verschiedene Pressemeldungen dieser Tage. Die einen kämpfen um eine eigene Perspektive in einem neuen (bisher fremden) Land, die anderen hintergehen die Gutgläubigen aus den eigenen Reihen.

Sprache für`s Leben
"Irgendwann ist es mein Land", diese Schlagzeile findet das Wiesbadener Tagblatt für den gelebten Optimismus einer jungen Litauerin in Deutschland. Offenbar zog die Mutter nach Deutschland, denn diese bezeichnet die junge Frau als entscheidenden Bezugspunkt für die Wahl, nach Deutschland zu gehen. Von Vätern oder Männern ist in dieser Geschichte nicht die Rede. Sandra Poskaité ist erstaunlich offen, und erzählt auch von Schulabbruch, Sprachschwierigkeiten, Drogen und Alkohol unter Jugendlichen. Doch eines lehnt Sandra entschieden ab: "rummachen mit vielen Partnern". - Und was ist ihr am wichtigsten: Deutsch lernen. Ein Leben als Putzfrau oder Aushilfe irgendwo, eine Arbeit und ein Alltagsleben also, wo Kommunikation und gemeinsame Sprache scheinbar egal sind - nein, dann doch lieber per VHS Schulabschluss nachholen und unbezahltes Praktikum in einer Kindertagesstätte. "Sich hocharbeiten", so könnte man es wohl nennen.

"Ich habe Leute in Litauen kaputt gehen sehen," offenbart Sandra der Wiesbadener Presse. Und noch mehr: Litauen sei ein wunderschönes Land, aber wenn man nicht mal genug verdienen kann, um die eigene Familie zu ernähren, dann kommt der Frust. "Wir haben kein richtiges Parlament, keine Bildungsmöglichkeiten, keine Jobs", meint die junge Litauerin, und schließt daraus: "irgendwann muss man eben dahin gehen, wo es besser ist."

Genau das Gegenteil von "sich hocharbeiten" will eine andere Gruppe von ganz anderen Litauern in Deutschland offenbar. Schnell zu Geld kommen ist ja ein beliebtes Motto - und wie mache ich das, wenn mir sonst nichts einfällt, und mir die Schicksale der anderen egal sind? "Ich bin's, Oma, ich brauche Geld". "Gauner zocken Landsleute ab" berichtet die Augsburger Allgemeine. Der Trick ist ja auch schon in deutschen Landen bekannt, mit meist älteren Leuten als Opfer: einfach mal anrufen, Vertrautheit vorgaukeln, so nach dem Motto
"Ich bin's, der ...."
"Karl-Otto, bist du's?"
"Ja, genau!"

Eine Telefonnummer in Litauen
Nun also der Trick in litauischer Variante. Die Opfer werden zu Hause angerufen und nach Angaben von Polizei und Presse mit der Geschichte konfrontiert, dass ein Verwandter in Osteuropa einen Unfall mit Todesfolge verursacht habe und von der Polizei dort festgenommen wurde. Die Betrüger behaupten, dass dem Verwandten jetzt eine langjährige Haftstrafe drohe. Nur bei der Zahlung einer Kaution oder von Schmerzensgeld könne der Angehörige freikommen. Wer's glaubt, bekommt eine Telefonnummer in Litauen. Von dort aus werden Anweisungen gegeben, wann und wo ein "Bote" kommt, um das Geld abzuholen.

Offenbar werden solche Geschichten geglaubt. Warum? Ist es das Zusammengehörigkeitsgefühl von Volksgruppen im Ausland? Oder die Alltäglichkeit ähnlicher Vorfälle? In der Mehrzahl der Fälle ließen sich die Angerufenen nicht täuschen - aber Summen von Tausenden von Euro sind den Betrügern offenbar Ansporn genug.

Allerdings: in Presseartikeln wie der "Augsburger Allgemeinen" geht es ziemlich wild durcheinander. Um wen geht es eigentlich? Da ist die Rede von "Landsleuten aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks". Wie - feiern hier die "Sowjetbürger" Auferstehung, die schon das versunkene Zwangssystem vergeblich erschaffen wollte? Da könnte man ja auch von "Landsleuten der alten EU-Staaten" reden oder schreiben, und Italiener, Deutsche, Franzosen oder Belgier allesamt in einem Topf zusammenrühren.

Dann sind da auch so Aussagen wie "Die Betrüger behaupten, dass dem Verwandten jetzt eine langjährige Haftstrafe in einem osteuropäischen Land droht". In einem osteuropäischen Land? Geht es hier um Angst vor den Zuständen in der eigenen (litauischen?) Justiz, oder um Angst vor den Nachbarn? Sehr wahrscheinlich, dass die deutschen Journalisten, die hier aktiv waren, sich darum wenig kümmern. Vielleicht sollen auch eher die Ängste der (deutschen) Leser angesprochen werden? Haft in Osteuropa - verschollen in einer rostigen, stinkenden Zelle?

Und zum dritten noch ein Zitat aus der Augsburger Allgemeinen: "Die Ermittler der Augsburger Kripo vermuten allerdings eine weit höhere Dunkelziffer, da derartige Sachverhalte von russischstämmigen Bürgern nicht immer angezeigt werden." Aha - also geht es um Russen? Die von Litauen aus betrogen werden? Hmm. Oder sind nun alle Litauer plötzlich russischsprachig? So ganz nah scheinen sich die eifrigen Rechercheure der deutschen Presse an die wirklich Betroffenen nicht herangewagt zu haben.
Eine Telefonnummer in Litauen eben ...