30 Dezember 2008

Schöne Aussichten

Um die Jahreswende herum sind viele wohl verleitet, Ereignissen eine höhere Bedeutung zuzumessen als gewöhnlich. Also, aus litauischer Sicht: was bedeutet es, wenn?
Ist daraus
auf eine Tendenz für 2009 zu schließen?

Weihnachtsbaum-Politik
Wenn also - wie dieser Tage das litauische Außenministerium berichtet, in der georgischen Hauptstadt Tblissi seien am 28.12. die Lichter eines Weihnachtsbaum aus Litauen entzündet wurden. Was soll uns das verkünden? "Für die Kinder in Georgien," so sagt es Außenminister Vygaudas Ušackas. Oder ist ein anderes Detail dieser Pressemeldung vielleicht wichtiger? 10 Tage brauchte der Baum für den Transport von Litauen nach Georgien - ein Hinweis für die westlichen Alliierten, sich um "strukturverbessernde Maßnahmen" zu kümmern? Oder sollen - auch möglich - im kommenden Jahr alle Kulturhaupstadtsweihnachtsbäume nach dem litauischen Weihnachten dann am 28.12. irgendwo anders aufgestellt werden? Als kulturelle Kunde an die übrige Welt? -
Bisher waren wir ja gewohnt, dass Litauen selbst den Fer
nsehturm in Vilnius schmückt und Jahr für Jahr geduldig verkündet, dieser sei der größte Weihnachtsbaum der Welt.

Kulturhauptstadt auf Sparflamme
Weitaus mehr Sorgen machen da schon die angekündigten drastischen Budgetkürzungen für die Programme der Kulturhauptstadt Vilnius. Hoffentlich gilt hier nicht die Regel: Pech hat, wer erst im November oder Dezember seinen Auftritt hat.



Versöhnung und Erinnerung
Positiver wirken da schon die Gespräche zwischen Litauen und Israel. Außenminister Ušackas empfing den israelischen Botschafter Chen Ivri, der allerdings in Riga residiert. Es gab einige naheliegende Gesprächsthemen, wie die Streitfragen rund um das Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhof in Šnipiškės, und die litauischen Bemühungen, das Leiden der litauischen Juden im 2.Weltkrieg und den Holocaust zum Unterrichtsthema des litauischen Bildungswesens zu machen. Ušackas äußerte außerdem die Hoffnung, dass auch bald eine israelische Botschaft in Vilnius eröffnet werden könne, und er zeigte sich erfreut, dass im August 2009 der "World Litvak Congress" in Litauen stattfinden werde. (Ergänzung dazu: Stellungnahme Litauens zu den gewaltsamen Konflikten im Gaza-Streifen)

Sparen und Steuern einnehmen - möglichst gleichzeitig
Nicht ganz einig scheinen sich dagegen Präsident Adamkus und der frisch ins Amt gekommene Regierungschef Kubilius zu sein. Optimismus äußerte Kubilius im Rahmen einer Pressekonferenz für 2009; falls der Plan zur Bekämpfung der ökonomischen Krise vom Parlament angenommen werde, könnten auch für Litauen schlimmere Folgen verhindert werden. Nur kurze Zeit später stoppte Präsident Adamkus eine Kürzung der Zahlungen des litauischen Rentenfonds durch sein Veto.
Nicht gestoppt hat Adamkus dagegen einen Gesetzentwurf, nach dem alle litauischen Autobesitzer in Zukunft eine Art "Monatsgebühr" für die Nutzung ihres fahrbaren Untersatzes zahlen sollen - von 15 bis 20 Litas monatlich ist die Rede (4,40-5,80 Euro). Sicher ist bereits, dass für Firmenwagen ab Januar noch mehr fällig werden wird (150 Litas).

Auch Sport treiben wird teurer
Ebenfalls nicht einig mit der Regierungspolitik zeigten sich einige der populärsten Menschen Litauens: die Sportstars der litauischen Basketballliga. Aus Protest gegen neue Steuerregelungen wurden vor Weihnachten einige Spiele abgesagt. Es ist vorgesehen, dass Sportler zusätzlich zu den gegenwärtig 15% Einkommenssteuer auch 6% für die Gesundheitsvorsorge und nochmals 1% für Sozialversicherungen zu zahlen haben. Auch eine Tätigkeit als Trainer wird jetzt mehr besteuert werden, dazu kommen noch Mehrbelastungen auch für die Sportclubs.

Krise im Nachbarland größer?
Eine Frage bleibt denen, die nicht nur Litauen, sondern auch Lettland und Estland mit Interesse beobachten. Warum eigentlich scheinen die Folgen der Weltwirtschaftskrise auf die beiden baltischen Nachbarländer stärker durchzuchlagen als auf Litauen? In Lettland z.B. ging die Parex-Bank pleite, die Inflation ist nach wie vor hoch, und es gibt Gerüchte um eine Abwertung des Lat - Vergleichbares gab es bisher in Litauen nicht. An einer Analyse versucht sich ein Artikel im Handesblatt: Litauen sei einfach bei den Exporten erfolgreicher - ein Schwachpunkt der beiden Nachbarstaaten. Im Jahresvergleich seien die Exporte Litauens von Januar bis September 2008 um 34 Prozent gestiegen.

Also: suchen wir uns das Positive raus, wie immer. Damit wir als Optimisten ins Jahr 2009 gehen können.

Ach ja, und übrigens: an alle
Mitarbeiter/innen des diplomatischen Dienstes der Republik Litauen werden 2009 einheitliche Anstecker verteilt (siehe Abbildung links). Entworfen hat sie die Künstlerin Ilona Kukenytė schon vor 10 Jahren - die Diplomaten sollen so für ein einheitliches "Branding" des Kulturhauptstadtjahres sorgen.

26 Dezember 2008

Weihnachtliche Litauerfahrt vor Australien

Es klingt ein wenig verspätet, wenn jetzt noch zur "Millenium Odysee" aufgerufen wird. Aber die Crew ist ja auch bereits seit Oktober 2008 unterwegs, und möchte mit der Segeljacht "Ambersail" den Namen Litauens in alle Winkel der Erde tragen. Aha - jetzt wird es klar - es ist ein anderes Millenium gemeint, das litauische. 1000 Jahre ist es her, dass der Name Litauen zuerst urkundlich erwähnt wurde (in den Quedlinburger Annalen). Daher feiert die Bernsteinseglertruppe dieses Jahr Weihnachten in ... Australien.

Am 8.Oktober 08 hatte die "Ambersail" einen Tag in Kiel Station gemacht (dort auch bekannt durch den "Baltic Sprint Cup"). Ansonsten geht die weite Reise meist entlang englisch- oder französischsprachiger Länder. Am 17.Dezember hatte der litauische Außenminister Vygaudas Ušackas die jetzige Besatzung in Litauen verabschiedet, und Weihnachten wird nun in Adelaide in Australien gefeiert, zusammen mit etlichen Litauern, die dorthin ausgewandert sind.

Insgesamt werden während 9 Reisemonaten des Segelbootes (ca. 200 Segeltagen) sich 120 verschiedene litauische Skipper auf dem Boot abwechseln. Das Schiff wird auf seiner Reise insgesamt 24 verschiedene litauische Volksgemeinschaften in 19 Ländern besuchen.

Die Route der Ambersail live online verfolgen

Webseite der Millenium-Reise

20 Dezember 2008

Ein litauischer Jimi Hendrix

Woran sind "junge Autoren" zu erkennen? Na, vielleicht an den Antworten auf die Frage, wieviel Zeit sie zum Schreiben ihrer Werke benötigen. Zwei Jahre, drei Jahre, das könnte die Antwort sein - versehen mit dem Zusatz: "inzwischen ist ja ganz schön viel passiert". Ungewöhnlich früher Erfolg bringt turbulente Lebensführung - so stellen es sich vielleicht diejenigen vor, die es gern nachahmen würden.
Was macht man an einem Abend (19.12.08), wo Wladimir Kaminer in der Stadt ist? Vielleicht mal JUNGE Autor/innen einladen, dachte sich vielleicht auch das Team der Schwankhalle in Bremen. Erstaunlich also, dass auch hier der Saal gut gefüllt und das Interesse groß war. Das anwesende Publikum traf Theresa Bäuerlein, Alina Bronsky und Benedikt Wells zum ersten Mal - und diese sich gegenseitig wohl gleichermaßen.

Alle drei haben sich inter-kulturelle Themen vorgenommen in ihren Büchern: Alina Bronsky die Lebenswelten von Russlanddeutschen in Deutschland, Theresa Bäuerlein den Blick einer jungen Deutschen auf das Alltagsleben in Israel. Benedict Wells, 24 Jahre alt, spiegelt in seinem Erstling "Becks letzter Sommer" einen alternden Musiklehrer ("Beck"), der einen Teil seiner verblichenen Jugendträume in einem unscheinbaren Schüler seiner Klasse heranreifen sieht - Rauli, ein Außenseiter aus Litauen. Aber als Solist an der E-Gitarre "besser wie Jimi Hendrix", wie sein Lehrer erstaunt feststellt. Aus Litauen? Ja, doch. Allerdings sind die osteuropäischen Versatzstücke (im Gegensatz zu den beiden Büchern von Alina Bronsky und Theresa Bäuerlein) auch eher etwas künstlich zusammengebastelt. Im Gespräch gibt Wells offen zu, noch nie in Litauen gewesen zu sein. Seine eigene Schulrealität hat er in drei verschiedenen bayrischen Internaten verbracht, glücklich, wie er sagt.

Warum also Litauen? Ein Land, das zwar 2002 schon mal Buchmessenschwerpunkt in Frankfurt war, aber sich doch die internationale Berühmtheit eigener Autor/innen immer wünscht, so dass der Name Litauen in die Welt hinausgetragen wird?
"Mir war klar, die Figur dieses Rauli muss ein Ausländer sein," sagt Wells, danach befragt. "Ein Außenseiter in der Klasse." Litauer in Deutschland also vor allem Außenseiter? Gut, die Frage wäre an die Litauer selbst zu stellen. "Ich wollte dem Lehrer Beck eine Chance geben, damit dieser Schüler sich überhaupt mit ihm abgibt und um ihn kümmert - so ein cooler deutscher Schüler, das hätte eben nicht gepasst."

Und warum ein Lehrerschicksal? "Alles so vorgeplant, vorhersehbar" - so Wells über das seiner Meinung nach typische Berufsbild der Lehrkörper- "Mittelmaß gegen Genie" als Themenentwurf. Und "Ich kannte einen Lehrer sehr gut, der in den 30ern war." Eine Ausnahme von dieser selbst aufgestellten "Langeweiler"-Regel? Dieser Lehrer
hat, so Wells, auch die ersten Fassungen des Buches gelesen und Ratschläge gegeben. Das wird keine leichte Arbeit gewesen sein: denn so sprudelnd Wells redet und sich reden hört ("ich vergesse manchmal schon, dass ich das geschrieben habe, was ich vorlese"), viel und lang schreibt er offenbar. Mit vielen Schmerzen und nach vielen Diskussionen auch mit den Lektoren musste ein Entwurf von 1500 auf 450 Seiten "eingedampft" werden. Selbst die Stelle wo vom Sterben eines alten Mannes die Rede ist, liest Wells rasch, ungeduldig, eher so, als ob es um eine Verfolgungsjagd im offenen Sportwagen ginge.

Und wie geht es jetzt weiter mit Benedict Wells? "Ja es stimmt, auch für den Musiker aus Litauen gab es Vorbilder," sagt er. "Der war auch relativ erfolgreich (in Litauen), spielte bei 'Flamingo' (verließ diese später aber), und wohnt in der Nähe von Vilnius. Nächstes Jahr, wenn Vilnius Kulturhauptstadt ist, will ich ihn unbedingt mal besuchen."
Dass aus dieser Begegnung dann sehr bald wieder Bücher werden, darauf dürfen die geneigten Fans leider kaum hoffen. Wells hat sein zweites Buch längst fertig und schreibt gegenwärtig an seinem dritten. Der Rest ist wohl eher Verlagspolitik oder Verkaufsmanagement, den jungen Autor ständig im Gespräch zu halten - Musiker können eine CD nach der anderen herausgeben, "junge Autoren" werden langsam aufgebaut. Stoff zum Schreiben scheint es aber genug zu geben.
Und wie fühlt es sich so an, als junges Mitglied im Literatur-Verkaufsgeschäft? "Manche Kritiker mögen mich nicht," hat auch Wells erkannt. "Es sind nicht viele - aber bei Google schwimmen sie leider oben wie Fettaugen in der Suppe."


Mehr:

Theresa Bäuerlein und "Das war der gute Teil des Tages"

Alina Bronsky und "Scherbenpark"

Benedict Wells und "Becks letzter Sommer"


Die litauische Gruppe "Flamingo"

Das Buch "Becks letzer Sommer" wird in der nächsten Sendung der "Baltischen Stunde" (Radioweser.tv) am Donnerstag, den 15.Januar 2009 ausführlich vorgestellt werden.

13 Dezember 2008

Kultur- und Mentalitätsforscher unterwegs

Was bedeutet es, eine Fremde oder ein Fremder zu sein? Diese Perspektive auf künstlerische Weise zu erforschen, haben sich Tomas Čiučelis und Jovita Ambrazaitytė (Foto rechts) vorgenommen. Dafür gehen sie zunächst auf Reisen: unterschiedliche Perspektiven müssen "erarbeitet" werden. Das Projekt erreichte am Freitag, den 12.Dezember 2008 - nach vorangegangenen Stationen in verschiedenen Orten Litauens und dem polnischen Krakau die Hansestadt Bremen. "MES VISI SKRITINGI, VISI VIENODI" (Wir sind alle verschieden, alle gleich), so lautete ihr Arbeitsmotto.

Was die beiden Künstler dann als Projektion auf Großleinwände zaubern, ist eine Kombination aus Fotos von möglichst verschieden aussehender Menschen und von Wörtern, in zufällig wechsender Kombination einfache Sätze bilden. So entstehen in zufälliger Reihenfolge entweder plötzlich logische Aussagen, wie auch fantasievolle zum Nachdenken anregende Behauptungen.

Das ganze Projekt erforderte eine Menge Vorarbeit. Angefangen damit, so erzählt die Kuratorin Rimantė Černiauskaitė, dass in Litauen gegenwärtig aufgrund der internationalen Banken- und Finanzkrise vor allem Kulturetats zusammengestrichen werden. Gerade die kleineren Projekte hätten darunter zu leiden, so die Projektinitiatorin, die für das Litauisch-Deutschen Forum aktiv ist. Aber sogar die Mittel für das Programm der Europäischen Kulturhauptstadt Vilnius sollen nun um 8 Mill. Litas gekürzt werden (Bericht dazu)

Die Künstler möchten mit ihrem Projekt ihre Mitmenschen provozieren, sich Gedanken zu machen über tiefverwurzelte Stereotypen, eigene und fremde Sichtweisen, oder möglichen Veränderungen und Gemeinsamkeiten zwischen Menschen. Grundlage der Projektionen sind Fotowerkstätten, in deren Rahmen als Ergebnis die Fotos von Menschen entstehen, die sich bereit erklärt haben mitzumachen - und so Teil des Projektes zu werden. Jede und jeder tritt so auf, wie sie oder er sich selbst wohlfühlt: allein oder zu zweit, in Volkstracht oder in Arbeitskleidung, mit Kind oder in Porträtform. "Fremdartig" oder auch vertraut wirken die Fotos als Bestandteil der Projektionen unter freiem Himmel erst durch die unterschiedlichen Aufführungsorte: in Bremen durfte also geraten werden, welche Fotos wohl in Litauen und welche in Polen entstanden waren. Als Projektpartner hatte sich die Medienwerkstatt im Bremer Kulturzentrum Schlachthof bereit gefunden.

"Und was passiert jetzt weiter?" Das wurden die drei "Kulturreisenden" am Ende der Vorführung gefragt. Das Publikum war auf den Geschmack gekommen: wie spannend doch Fotos und einfache Sätze sein können!
"Jetzt fahren wir erstmal nach Hause!" In dieser Antwort klang auch ein wenig Stolz mit, dass dieses Projekt trotz kleinen Budgets am Ende doch in drei Ländern durchgeführt werden konnte. Aber schon in wenigen Wochen beginnt das Jahr 2009 - und Europäische Kulturhauptstadt wird Vilnius sein. Da werden wir gespannt sein, was wir von diesen drei kreativen Menschen noch erwarten können und erleben dürfen!

mehr:
Projektselbstdarstellung bei "Tom Chatter" (litauisch)


Bericht bei Vtv.lt (Litauisch)

Bericht bei Alfa.lt (Litauisch)

11 Dezember 2008

Die Dame auf Truppenschau

Das neue Kabinett Kubilius stellte sich kürzlich im litauischen Parlament vor (Foto: LRT). Die internationale Öffentlichkeit bekam es schon einige Tage vorher mit: zwischen all den schwarzen Anzügen glänzt ein einziger Farbtupfer: Rasa Juknevičienė ist die einzige Frau in der neuen litauischen Ministerriege. Sie gebietet über einen vorwiegend männlich dominierten Bereich: das Militär.

Als Russland die Aufstellung eigener Kurzstreckenraketen im Gebiet von Kaliningrad ankündigte, und dies als Antwort auf die US-Raketenpläne in Osteuropa begründete, wurde Juknevičienė schon in der internationalen Presse mit der Forderung nach einem Verteidigungsplan der NATO zitiert (Die Presse, 9.11.08, Frankfurter Rundschau 6.11.08). Eins ist unbetritten: beim Thema NATO hat die neue Ministerin und ehemalige Kinderärztin Erfahrung. Bereits 1996 wurde sie Vorsitzende einer litauischen Pro-NATO-Vereinigung, so schreibt sie auf ihrer eigenen Homepage zu ihrem Lebenslauf. Seit 1999 wirkte sie dann in zwei litauischen parlamentarischen Komittees zu NATO-Fragen mit, im litauischen Parlament als Mitglied des Komittees für Sicherheits- und Verteidigung.

Allein auf der auch in Litauen gern in den Medien genutzten Umfrageskala nach den beliebtesten Politiker/innen taucht
Juknevičienė bisher noch nicht in führenden Positionen auf. Dort ist die gegenwärtige EU-Kommissarin Dalia Grybauskaitė an führender Stelle genannt - auch als Kandidatin für kommende Präsidentschaftswahlen (LRT 12.10.08).