25 Juli 2007

Wo ist Vidmantas?

Vidmantas Urbonas, 49 Jahre alter Litauer, liebt die Extreme. Selten kann ihm jemand folgen - es sei denn im Hubschrauber, auf dem Motorrad oder in einem Boot. Urbonas war früher Triathlet, Ex-Weltmeister im Ultramarathon wie im Ultra-Triathlon (eine Vervielfachung der Triathlon-Distanz von 3,8km Schwimmen, 180km Radfahren und 42km Laufen). In dieser Woche wird Urbonas versuchen, von Schweden aus die Ostsee schwimmend zu durchqueren. Über den Posten eines Sportamtsleiters hinaus, den er in seinem Heimatort Panevėžys bekleidet, bestätigt Urbonas damit seine Gelüste nach großen symbolischen Aktionen.

Vidmantas schwimmt - aber wohin?
Angekündigt wurde das Event in vielen europäischen Medien. Dass Urbonas angeblich sein extremes Vorhaben zum Anlaß nimmt, um auf die "Verschmutzung der Ostsee" aufmerksam zu machen, wurde allgemein berichtet. Selten bis nie werden dazu jedoch Details erwähnt. Ebenso etwas unklar scheint die Route, die Urbonas zu schwimmen beabsichtigt. Zwar begleiten insgesamt 15 Leute den Schwimmer in drei Beibooten, darunter auch ein Arzt und ein Fernsehteam von CNN, aber Infos zur geplanten Route des Schwimmers werden unterschiedlich wiedergegeben.

"Von Kalmar über Öland und Gotland nach
Panevėžys" - so behauptet es die schwedische Zeitung "Dagens Nyheter".
Etwas konkreter werden da schon Informationen des schwedischen Fernsehens (siehe Karte) -
Quelle hierfür ist immerhin eine von Urbonas und seinem Team selbst verfaßte Projektdarstellung. Zielort wäre demnach der Kurort Palanga in Litauen; die kürzeste Strecke von Gotland bis zum östlichen Festland wäre es aber nicht.
Dementsprechend scheint die dritte berichtete Variante, eine Landung in Pavilosta in Lettland, inzwischen die wahrscheinlichste zu sein. FALLS Urbonas durchkommt: schon auf dem Weg von Öland nach Gotland musste er zunächst wegen zu starker Winde umkehren, und erreichte Gotland erst im zweiten Versuch. Seit heute ist der schwierigste Teil der Strecke angebrochen: die noch etwa 145km lange Strecke von Gotland bis Pavilosta - das bedeutet nur 2 Stunden Schlaf pro Tag (im Beiboot), etwa eine Woche lang Dauerschwimmen.

Rekorde im Visier - Gesundheitschäden nicht ausgeschlossen

Die Lust am Extremen ist für Urbonas nicht ungefährlich. 1999 zog er sich einen Leberschaden zu, als er den Nemunas 460km innhalb von 8 Tagen hinuntergeschwommen war (10km pro Tag). 2006 wollte er von Frankreich 33km weit rüber nach England schwimmen, musste aber wegen hohen Wellengangs aufgeben (siehe Reuters 14.7.07). Auch damals war das Dauerschwimmen Teil einer größeren Kampagne: Urbonas wollte Unterschriftenlisten von Litauen bis nach Island bringen, mit denen sich Zehntausende Litauer für die Anerkennung der litauischen Unabhängigkeit durch Island bedanken wollten.

Bericht des schwedischen Fernsehens (schwedisch)

Blog von
Ruslanas Iržikevičius mit Foto des schwimmenden Vidmantas Urbonas (engl)

Berichterstattung bei DELFI.LT (litauisch)

Bericht Olandsbladet (schwedisch, Öland)

Infos der Stadt Kalmar (schwedisch)

Vorbericht Agentur REUTERS (engl.)

Bericht TVNET / LETA (lettisch)

Litauische Ostseeschutzinitiative (Text auch in Deutsch)


Aktuelle Infos der schwedischen Botschaft in Vilnius zu Urbonas (engl.)

Kontakt zum Management von Vidmantas Urbonas, der Firma ACTIONFIELD

10 Juli 2007

Auf der Suche nach positiven Schlagzeilen

Macht Litauen Schlagzeilen? Vielleicht würden es sich Litauerinnen und Litauer gerne wünschen. Aber abgesehen davon, dass es vielleicht nicht immer gut ist, Aufsehen zu erzeugen: etwas mehr positive Presse wäre Litauen zu wünschen.

"Polnische Hooligans zerstören Fußballstadien in Litauen" - nein, dass kann das erwünschte Presseecho kaum sein (News4Press, 9.7.07). Polnisch-litauische Agressionen kann kein Wiederaufleben gewünscht werden, und finden in Litauen eigentlich auch keinen Widerhall. Wer "Spaß" an Gewalt hat, findet immer einen Anlaß. "Schande für den polnischcn Fußball" zitiert POLSKAWEB denn auch die eigene polnische Presse, auch im Hinblick auf die Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen.

"Bordeaux-Wein nun auch aus Litauen?" Auch dieser Schreckensruf in der Presse Österreichs kommt Litauen kaum zu Gute (Die Presse / VOL 4.7.07). Gemeint ist damit eigentlich die europäische Reform des Weinmarktes - wobei gerade den Österreichern besonders auffiel, dass theoretisch nun Spitzenweine aus Frankreich auch nach Litauen zum Abfüllen geschickt werden dürfen, ganz legal. Wein aus Litauen - es wäre eine Premiere. Aber für was steht da "Litauen"? Warum kein anderes Land als Beispiel? Eine kathegorische Weigerung, Litauen könnte auch nur theoretisch irgendwo Vorbild oder Vorreiter sein? Wein als Symbol für andere Ängste? Es ist keine Liebe, die da durch den Magen geht.

Litauen baut neues Atomkraftwerk - ob nun gerade diese energiepolitischen Schlagzeilen viel mehr Begeisterung für Litauen erreichen können, darf wohl auch eher bezweifelt werden. "Litauen wirft EU mangelnde Solidarität in energiepolitischen Fragen vor", derartiges war noch vor kurzem in der internationalen Presse zu lesen (siehe z.B. Financial Times). Wie auch, wenn sich Litauens Politiker jahrelang weigern, ein völlig marodes und nur mit internationalen Geldern notdürftig gesichertes AKW endlich abzuschalten, jahrelang weder einen Gedanken verschwenden an ökologisch optimalere Alternativen (geschweige denn auch nur einen Finger krumm machen dafür) - und dann aber plötzlich mit solchen Verbeugungen vor den Gelüsten der global verzweigten Atomindustrie daher kommen? Klar, Litauens Problem mit der 80%igen Abhngigkeit von der Atomenergie muss gelöst werden. Aber das "Wie" prägt hier auch das Echo. Da kann man natürlich prima lamentieren, "diese Ausländer im Westen" würden natürlich die litauischen Interessen nicht verstehen können. Klar. Es gibt aber auch gemeinsame Interessen, liebe Litauer.

Kaczynski ließ Vertragsabschluss in Litauen platzen: nur gut, da es vorerst wiederum die polnische Karte ist, die für Litauen nicht sticht (siehe Hannes Gamillscheg in DIE PRESSE, 6.7.07, oder auch BALTIC TIMES). Nun kann Kaczynski in diesem Fall nun mal auch nicht so einfach "seinen Bruder schicken" (wie er es mit der EU machte, und diese dann an seinen Marionettenfäden zu halten können glaubte). Die polnische Regierungskrise sei davor. Vielleicht findet Litauen einen zweiten Adamkus, am besten einen Zwillingsbruder, der als Marketingchef im Ausland Litauen repräsentieren könnte?

Und noch eine Schlagzeile: VATTENFALL interessiert am Bau des neuen Atomkraftwerks in Litauen. (Financial Times). Na, ob das nicht - nach dem rapiden Vertrauensverfall gerade dieses Energiekonzerns im Zusammenhang mit dem Unfall von Brunsbüttel - schon wieder ein Schlag zu Ungunsten angeblicher litauischer Interessen sein könnte?

Na gut, die meisten deutschen Touristen fahren trotzdem auf die Kurische Nehrung. Und lassen den "Rest Litauens" irgendwo rechts oder links liegen. Oder fahren durch, und merken offensichtlich nicht, was es noch an wirklichen litauischen Interessen, Themen und Belangen geben könnte. Oder keiner schreibt darüber. Abgesehen wiederum von der Tourismuswerbung. Aber ist das Litauen?