19 April 2007

Weiches Herz oder faule Haut

Nothlfe leisten, oder kaufen und genießen - so stark die sozialen Verhältnisse in Litauen auseinandergehen, so stark unterscheidet sich auch das Verhältnis vieler Deutscher zum Litauen von heute. Berichte aus vielen Einzelregionen Deutschlands bezeugen, dass vor allen Dingen auf dem Lande die Not sozialer Einrichtungen, sozial benachteiligter Gruppen, oder ganz einfach alter und kranker Menschen nach wie vor sehr groß ist. Lastwagenweise werden Spenden gesammelt, und diejenigen, die aus Deutschland zu ihren Projektpartnern in Litauen fahren, können auch eindrucksvoll erzählen, wie sehr die Hilfe bei den Empfängern in Litauen gebraucht wird. Auf der anderen Seite versucht Litauen sich als Urlaubsland attraktiv zu machen, und hier dominieren Argumente, die teilweise aus einer ganz anderen Welt zu kommen scheinen.

"In Litauen wird ihre Reisekasse wenig beansprucht," so meldete am 18.4.07 der Bundesverband deutscher Banken. Eine anschauliche Tabelle vereinfacht die vergleichenden Untersuchungen der Banken zur Kaufkraft des Euro in verschiedenen europäischen Ländern: während Deutsche in Großbritannien, Dänemark, Frankreich oder der Schweiz vergleichsweise wenig für den Euro erhalten können, ist die Kaufkraft in Polen und Litauen am höchsten. "Also nichts wie auf nach Litauen!" So könnte es da doch heißen. Doch besteht das südliche der baltischen Länder nun mal nicht nur aus der Kurischen Nehrung und der kommenden Kulturhauptstadt Vilnius.
"Es gibt immer Schönes und Interessantes, aber auch Nachdenkliches und Trauriges zu berichten, wenn ich nach Litauen fahre." So sieht es Ulla Amsler, Vorsitzende des Freundschaftsvereins "Hilfe für Plunge" in Menden (NRW). Die Mendener möchten ganz bewußt regionale Entwicklung unterstützten - Plunge liegt fern der litauischen Hauptstadt Vilnius, und die Kenntnisse vieler Deutscher über Litauen scheinen sich manchmal nur auf die Kurische Nehrung zu beschränken. Schließlich erreichen viele Touristen Vilnius per Flugzeug, während von der Hafenstadt Klaipeda aus der Weg zur Kurischen Nehrung kaum das übrige Litauen berührt.

So schwanken auch die Mendener zwischen der Begeisterung für die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Litauer, der sehenswerten Naturlandschaften, dem reichhaltigen Kulturleben - und der sozial sehr unausgewogenen Entwicklung im Partnerland. Aber es werden nicht nur Kleider gesammelt und gebrauchte Instrumente abgegeben: der Aufbau eines Kulturzentrums in Plunge wird aktiv unterstützt, und neue, medizinische Einrichtungen könnten ja auch für Deutsche nutzbar sein, meint Frau Amsler.
"Ich habe mir die medizinischen Angebote zum Beispiel in Reha-Kliniken in Palanga angesehen, die haben mir sehr gut gefallen," meint die engagierte Mendenerin, die Litauen gern auch als ihre "zweite Heimat" bezeichnet. "Das könnte doch auch für Deutsche, die eine Kur machen wollen, mal ein Tipp sein."
"Wir in Deutschland sind in der glücklichen Lage wirtschaftlich besser zu leben und können daher leichter materiell und finanziell unterstützen. - Die Litauer lassen uns an ihrer überaus reichen Musik und an ihrer sehr vielfältigen Kunst teilnehmen, am wichtigsten jedoch sind uns die vielen privaten Freundschaften."

Auch andere private Kontakte sind in den letzten Jahren zwischen Deutschland und Litauen entstanden. So berichtet Karen Schewina regelmäßig per eigenem Blog und Berichten in der örtlichen Tageszeitung ihrem Heimatort Bad Kreuznach von ihrem Litauen-Aufenthalt.
Rein auf den sozialen Hilfsgedanken konzentriert meldet auch die "Spargelstadt" Schrobenhausen (bei Augsburg) regelmäßige Kontakte durch die "Kinderhilfe Litauen". Ähnliches organisiert die Ökumenische Hilfe in Neunkirchen-Seelscheid (Bergisches Land) mit LKW-Ladungen voller Hilfmittel für Krankenhäuser, Altenheime und Kinderkliniken.
Auch Fläming und Havelland in Brandenburg unterstützen soziale Einrichtungen in Litauen, ebenso wie aus Aurich in Ostfriesland.
Diese zuletzt genannten Projekte beschränken sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit aber offensichtlich auf die Betonung der Hilfsbedürftigkeit ihrer Partner.

Aus Wolfenbüttel dagegen sind Erfahrungen aus einem Schüleraustausch zu vernehmen. "Die Schüler sind hier viel selbstbewußter," stellen litauische Gäste fest, die zur Vorbereitung der Reise offenbar von der Tatsache profitieren, dass deutsche Filme im litauischen Fernsehen im Original mit Untertiteln laufen. Vielleicht wird hier auf die sich natürlich entwickelnden Kontakte der jungen Generation gesetzt?
Auch das Gymnasium Münchberg in Franken pflegt einen regelmäßigen Schüleraustausch. "Wer hat Mut?" fragte dort Lehrer Gerhard Ströhla seine Schülerinnen und Schüler, und so knüpften 12 unternehmundslustige junge Leute im Jahr 2000 bereits die ersten Kontakte. "Von den Litauern haben wir Gastfreundschaft und Herzlichkeit gelernt," so Ströhla heute.

Vom persönlichen Kennenlernen zwischen einer Litauerin und einem Deutschen erzählt Laima Schrödel in der Frankenpost, und stellt gleichzeitig fest: "von der EU bekommt auch Litauen Geld für neue Projekte." Sie lobt vor allem den Straßenbau, ein Charakterzug, der bei vielen Litauern in Deutschland festzustellen ist.
Es bleibt zu hoffen, dass Kontakte zwischen beiden Ländern noch ein Stück normaler werden, und sich weder wegen sozialer Hilfe noch für sein Bedürfnis, im Sommer mal nur die schöne Landschaft zu genießen und auf der faulen Haut zu liegen in Zukunft jemand zu schämen braucht.

Presseberichte im Internet:
Pressemitteilung des Bundesverbandes Deutscher Banken
Verein "Hilfe für Plunge e.V."
Blog Karen Schewina "Im Osten was Neues"
Bericht Karen Schewina in der Allgemeinen Zeitung / Rhein-Main-Presse
Bericht DONAUKURIER zur Kinderhilfe Schrobenhausen
Bericht zur Hilfaktion in Neunkirchen-Seelscheid
Bericht der Märkischen Allgemeine zum Hilfstranport nach Litauen
Bericht der Ostfriesischen Nachrichten zu den von Aurich unterstützten Projekten
Bericht zum Schüleraustausch des Gymnasiums Wolfenbüttel
Bericht zum Schüleraustausch in Münchberg
Laima Schrödel: von Litauen nach Rehau

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