23 März 2006

Kein Euro für Litauen?

Mit großer Mehrheit haben sich die Menschen in Litauen per Volksabstimmung für den Beitritt zur Europäischen Union (EU) zum 1.Mai 2004 ausgesprochen. Schon damals kündigte die litauische Regierung öffentlich an: wenn ihr euch für die EU entscheidet, dann ist damit auch der stufenweise Übergang zum Euro verbunden, also der Abschied von der eigenen Währung (Litas).

Baltischer Wettbewerb
Alle drei baltischen Staaten, also Estland, Lettland und auch Litauen, hatten in den zurückliegenden Jahren ein stetiges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen (Prozentzahlen mehrfach über 5%). Das versuchen die drei kleinen Länder auch jeweils für ihr internationales Image zu nutzen - und zwar, nicht unbedingt "baltischen Schwestern" gemäß - möglichst jeder für sich. Oft stand in diesem Wettrennen um Auslandinvestitionen und neue Technologien eine Art "Schönheitswettbewerb" an: nimm mich zuerst, ich bin bereit.

Auch mit der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung scheint es wieder ähnlich zu laufen. Anfangs kündigten alle drei Staaten an, die Euro-Einführung zu 2007 in Auge zu fassen. Der einzige Staat, der dies im Moment noch konkret betreibt, ist nunmehr Litauen.

Litauen hält derzeit die Vorgaben für Staatsverschuldung, Zinsen und Wechselkurs ohne Mühe ein, und verfehlte die Obergrenze für die zulässige Inflationsrate im Februar von 2,6 Prozent nur um ein Zehntel. In den beiden baltischen Nachbarländern dagegen ist nichts von Eile zu verspüren. Lettlands Zentralbankchef Ilmārs Rimšēvičs äusserte kürzlich öffentlich Zweifel, ob der Übergang zum Euro für Lettland überhaupt 2008 zu schaffen sei (Neatkariga Rita Avize 15.3.06). In Lettland ist Parlamentswahlkampf, und da schätzt der Banker wohl die Tendenz der gewöhnlichen Politiker richtig ein: es werden wahrscheinlich Lohnerhöhungen versprochen werden, und das wird die Inflationsrate nicht unbedingt senken helfen.

Der lettische Regierungschef Kalvitis zitierte seinen estnischen Kollegen Andrus Ansip (LETA, 28.2.06) mit der Aussage, den Euro "nicht unter allen Umständen" einführen zu wollen. Damit nahm Ansip sicherlich Rücksicht auch auf die Äusserungen von EU-Währungskommissar Joaquín Almunia (NZZ 19.1.06) und dem Vizepräsident der EU-Kommission, Günther Verheugen (Financial Times Deutschland, 1.2.06). Beide hatten Estland wegen zu hoher Inflationsrate für "noch nicht Euro-reif" erklärt.

Litauen provoziert Streit in der EU - trotz Befolgung der Vorgaben
Bis zum 1.Januar 2007 bleibt nicht mehr viel Zeit. Litauens Finanzminister Zigmantas Balcytis reichte also am 16.März 2006 seine Unterlagen zur Euro-Einführung offiziell ein. (BALTIC TIMES) "Trotz Warnung der Europäischen Komission" - meinte REUTERS zu wissen. Am Fall Litauens könnte sich nun ein Streit über die Auslegung der Konvergenzkriterien entzünden. Wie FINANZNACHRICHTEN.DE richtig betont, haben neben der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission dann die EU-Finanzminister die endgültige Entscheidung über einen Aufnahmeantrag in der Hand. Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am 15. und 16 Juni in Brüssel soll die Entscheidung stehen.

EUROPOLITAN und N24 berichten ausserdem von weiteren Äusserungen von Almunia im Einklang mit dem deutschen Finanzminister Steinbrück. Der Deutsche, selbst auch nicht gerade bekannt durch sorgfältiges Einhalten von EU-Finanzkriterien, legte Litauen "mehr Diplomatie" nahe. Will heißen: Antrag nur, wenn die Zustimmung als sicher erscheint. Aber die Balten scheinen wieder einmal keine Lobby unter den etablierten EU-Ländern zu haben (die sich dann immer wundern, warum baltische Kontakte in die USA so gut funktionieren ...).

Die Fachleute, die teilweise auch von der deutschen Presse zitiert werden (z.B. Handelsblatt), kommen aber auch zu abweichenden Ergebnissen. Als "unsinnig" werden die Maßstäbe, welche die Europäische Zentralbank nun im Fall von Litauen offensichtlich anzuwenden gedenkt, von Marko Skreb bezeichnet, Bankenberater und ehemaligen Gouverneur der kroatischen Nationalbank. Auch Erik Nielsen, Europa-Chefvolkswirt von Goldman Sachs, hält die minimalen Schwächen bei der Inflationsrate Litauens für keinen ausreichenden Grund, die Einführung des Euro zu verweigern. Und Vermögensberater Jörg Peisert wird im Handelsblatt mit der Aussage zitiert: "Ich halte es für problematisch, Litauen bei anderer Gelegenheit als europäischen Musterknaben zu loben, jetzt aber aufgrund eines (einzigen) Kriteriums das Land einfach abzuweisen."

Eine sehr zurückhaltende Haltung der etablierten EU-Länder meint auch das MANAGER MAGAZIN zu erkennen (22.3.). Es zeige sich hier, wie problematisch es ist, bei immer mehr Mitgliedern eine gemeinsame Geldpolitik für alle zu machen. Der Autor dieses Beitrag geht bereits von der Annahme aus, dass 2007 noch keines der neuen EU-Länder den Euro wird einführen können. Ähnlich spekuliert auch DIE WELT: Die Finanzminister würden sich kaum über eine negative Entscheidung von EU-Kommission und EZB hinwegsetzen wollen. Da werden auch die in der FAZ dargelegten eher philosophischen Überlegenungen (22.3.) über "den Nutzen der Euro-Regeln" wenig nutzen.
Die Konsequenz wird ebenfalls gesehen: in den Ländern könnte der politische Widerstand gegen die Abschaffung einer eigenen Währung auch wieder wachsen.

14 März 2006

Strahlende Zukunft für Litauen?

Symbol Ignalina - auf dem Weg zur litauischen Unabhängigkeit
In den 80er Jahren wurde das marode Atomkraftwerk Ignalina bei Visaginas im nord-östlichen Litauen zum Symbol: spätestens das Unglück von Tschernobyl hatte 1986 gezeigt was es heißt, auf die Versprechungen der Atomindustrie zu vertrauen. Zudem schienen solche überdimensionierten Planungen geradezu eine charakteristische Ausgeburt des zerfallenden Sowjetsystems zu sein: größenwahnsinnig, unehrlich und an den Interessen der Menschen vor Ort vorbei. (Foto oben: Bauzustand der Anlage in Ignalina im Jahre 1995).

Im April 2006 wird der wird der Unfall von Tschernobyl 20 Jahre her sein - das Gedenken daran macht in Litauen gegenwärtig eher die kleineren Schlagzeilen.
Das Unglück kostete über 4.000 Tote, und drei Millionen Menschen leiden an den gesundheitlichen Folgen, so stand es z.B. schlicht in der Baltic Times. Das AKW Ignalina ist baugleich.Es wurde in den 90er Jahren mit Millionen Euro west- europäischer Partner so gut wie möglich sicherheits- technisch nachgerüstet, verbunden mit dem der litauischen Regierung abgerungenen Versprechen, die gesamte Anlage bis 2009 zu schließen.

Wer ohne die Nachbarn plant ....

Was ihr könnt, können wir schon lange! So scheinen die drei Regierungschefs Brazauskas, Kalvitis und Ansip zu denken, als sie am 27.Februar 2006 eine gemeinsame Erklärung herausgaben. Nachdem der russisch-deutsche Deal zum Bau einer direkten Pipeline durch die Ostsee von Ex-Bundeskanzler Schröder und dem russischen Autokraten Putin lieber ohne Konsultation der direkt betroffenen baltischen Nachbarn durchgezogen worden war, sieht sich jetzt die baltische Atomlobby im Aufwind. Den ungleichen Preiskampf der Ukraine um russisches Gas (siehe TAZ v.7.1.06) hatte die Öffentlichkeit der baltischen Staaten ebenso beängstigt verfolgt wie auch den offensichtlichen Diktatoren-Preisnachlaß Russlands für Lukaschenko's Weißrussland.

Globalisierte Kooperation mit baltischem Einschlag
Mit dem litauischen Regierungschef Algirdas Brazauskas an der Spitze verkünden nun also die drei baltischen Staaten, nach Schließung des AKW Ignalina an gleicher Stelle ein neues AKW bauen zu wollen. .
"Latvenergo", "Eesti Energia" und "Lietuvos Energia AB" sollen da gemeinsam ins Rennen gehen, was angesichts der Tatsache, dass auch hier die großen Konzerne wie E-ON oder RUHRGAS bereits Beteiligungen gekauft haben, die scheinbar nationalen Beweggründe wenigstens teilweise zu entkräften scheint. Was die zunächst überraschend große Zustimmung im Nachbarland Lettland für die Atompläne angeht, so ist dies bereits im Lettland-Blog nachzulesen.

Die gemeinsame Abschlußerkläung eines am 26./27.Januar 2006 in Vilnius durchgeführten estnisch-lettisch-litauischen Seminars zur Sicherung der Energieversorgung aller drei Länder konstatiert, die Energieversorgung sei unter den gegenwärtigen Umständen spätestens nach 2015 unsicher. Dies ist Wasser auf die Mühlen einer Reihe von litauischen Lokalpolitikern, die bereits seit längerer Zeit den Niedergang der Stadt Visaginas an die Wand malen. Von der EU fühlt man sich in die Ecke gedrängt (im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Region Ignalina liegt nun direkt an der Ostgrenze der Europäischen Union). Mit der Abschaltung bis 2009 sieht eine ganze Region den endgültigen Niedergang voraus, denn die meisten Auslandsinvestitionen gehen in die Hauptstadt Vilnius oder ni das auch bei West-Touristen leichter zugängliche West-Litauen.

Die Schlußfolgerung der drei Baltenstaaten ist dabei nicht nur, dass die eigenen Länder eines neuen Energieversorgungskonzepts bedürfen. Schließlich hat man mit dem Letten Piebalgs erstens einen EU-Kommissar, und zweitens einen Atomjünger in den eigenen Reihen. Bei den internationalen Begrifflichkeiten ist man sich ebenso sicher, und so wird denn eine "Road map" der nachhaltigen und ausgewogenen Energieversorgung gefordert, die einen guten "Energiemix" enthalten müsse.
Drei Milliarden Euro soll der Bau eines neuen litauischen AKW kosten, das dann nach 6 - 8 Jahren Bauzeit eine Kapazität von 700-1,600 Megawatt haben soll. Damit sei man in der Lage, auch Verbraucher in Skandinavien oder Deutschland zu versorgen, so litauische Regierungsvertreter gegenüber der Presse (BALTIC TIMES).
Während EU-Energiekommissar Piebalgs verlauten ließ, er sei gegen staatliche Unterstützung für den Bau von privat betriebenen Kraftwerken, hat der litauische Wirtschaftsminister Kestutis Dauksys da offensichtlich anderes im Sinn: "mindestens 34% der Aktien" solle der litauische Staat in seinen Besitz bringen, so Dauskys Presseberichten zufolge.

Nach dem Atomrausch: wohin mit dem Müll?
Nunmehr ist nur noch davon die Rede, dass Litauen ja Erfahrung habe mit dem Betrieb und der Sicherung von atomaren Anlagen.
Auf eines kann zumindest die litauische Regierung bauen: die Bewohner der Region Ignalina werden wohl kaum auf die Barrikaden gehen, sollte ein AKW-Neubau in Angriff genommen werden. Und welche andere Region kann das schon von sich behaupten?
Allerdings: auch den atomaren Abfall wird Litauen entsorgen müssen. Litauen plant nach der endgültigen Stilllegung des Kernkraftwerkes Ignalina den Bau eines Atommüll-Endlagers nahe der weißrussischen Grenze. Da kommt das gegenwärtige Aussehen um die wenig demokratischen Wahlen im östlichen Nachbarland offenbar propagandastrategisch gerade recht: es scheint wenig wahrscheinlich, dass Proteste des Lukashenko-Regimes gegen diese wenig (umwelt-)freundliche Absichten im Westen Gehör finden werden.
Zwar berichteten DEUTSCHE WELLE und das Internet-Portal BELARUS-NEWS entsprechend eindeutig, und zitieren eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des radiochemischen Labors der Staatlichen Belarussischen Universität mit ihren Sorgen. Doch wer will das gegenwärtig hören? Gefahren für Belarussische Kurorte? Wer kennt schon belarussische Kurorte, scheinen sich die maßgeblichen Politiker zu sagen.


Die Frage ist vielleicht: gibt es wirklich nur kritiklose Atom-Jünger in Litauen, die sich durch die Folgen der sowjetischen Energieversorgungspolitik so dermaßen in die Irre führen lassen? Und gibt es wirklich nur Ignoranten im übrigen Europa, die sich um die eigenständige Entwicklung auch der ländlichen Regionen in Litauen nicht kümmern, damit dann die wirtschaftlich in die Enge Getriebenen aus angeblich unvermeidlichen Zwängen heraus Projekte mit langfristigen Folgen akzeptieren, die auf Generationen hin weder den Finanzbedarf noch die Sorgen um Umwelt und Gesundheit irgendwie kleiner werden lassen?