28 November 2005

Und wieder einmal klebt Öl an vielen Stühlen

Regierungschef in Bedrängnis
Der litauische Regierungschef Algirdas Brazauskas (Foto rechts: mit Frau Kristina) kam in den letzten Wochen mehrfach in schwieriges Fahrwasser: Als eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung wird immer noch die Regelung des Energiesektors in Litauen angesehen. Die kleinen Scharmützel um die mit der EU vereinbarte Schließung des AKW Ignalina scheinen dabei niemand ersthaft zu beunruhigen, auch wenn Unklarheit zu herrschen scheint, was nach der Schließung passiert - die einen wollen möglichst schnell ein neues AKW bauen, die anderen wollen sogar zum Atomklo Europas werden und bieten die preisgünstige Lagerung von Atommüll nahe der Grenze zu Weissrussland an.

Dringendere Probleme verursacht der beabsichtigte Verkauf von Anteilen am Ölkonzern "Mazeikiu Nafta" (MN). 53,7% wurden vom russischen Ölkonzern YUKOS gehalten - nach Inhaftierung des Konzernchefs Mikhail Khodorkovsky (Foto rechts) in Russland und der Zerschlagung des Konzerns durch den Kreml sollen nun neue Partner das Geschäft sichern. Vor Jahren hatte die litauische Regierung die Mazeikai-Nafta-Anteil, um einen zu großen Einfluß russischer Partner zu vermeiden, an die US-Firma WILLIAMS verkauft - zu unverschämt günstigen Konditionen, wie Kritiker damals meinten. WILLIAMS investierte jedoch entgegen der Hoffnung der Litauer fast nichts in die bestehenden Anlagen und verkaufte später die Anteile an YUKOS. Diese Anteile sind nun noch in den Händen einer niederländischen YUKOS-Tochtergesellschaft. Mazeikiu Nafta ist der größte Steuerzahler des Landes und trägt mit mehr als zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei (Foto links: aus einem Firmenprospekt).
40,66% der MN-Anteile werden noch vom litauischen Staat gehalten. Zum Konzern gehören die einzige Ölraffinerie im Baltikum, Mazeikiai, mit einer Leistung von zwölf Millionen Tonnen Öl pro Jahr, das Exportterminal in Butinge (acht Millionen Tonnen Öl pro Jahr) nahe der litauisch-lettischen Grenze, sowie die Ölpipeline in Birzai. Am 20.Oktober hatte die litauische Regierung grünes Licht gegeben, um Geld zum Rückerwerb der Yukos-Anteile bereitzustellen und diese dann an geeignete Interessenten zu verkaufen. Der wirtschaftliche Wert der bisherigen YUKOS-Anteile wird auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt. YUKOS selbst befürchtet laut Pressemeldungen, die Anteile für 800 Millionen US-Dollar verkaufen zu müssen.

Wer in Litauen an Öl denkt, der denkt allerdings auch vor allem einerseits an die schwierige Situation 1990/91, als Russland mit dem Abdrehen der Energieversorgung die litauische Unabhängigkeitsbewegung zu stoppen versuchte. Und in der Folgezeit - wie zum Beispiel während der russischen Wirtschafskrise 1999, als mehrfach die Versorgung der Raffinerie Mazeikiai gestoppt wurde.
Ein anderes Thema ist eigentlich auch die nach wie vor bestehende Umweltbelastung durch die Raffinerie Mazeikiai. Was örtliche Umweltbehörden noch zugeben, wird von regierungsamtlicher Stelle lieber verschwiegen. Jedenfalls spielen unterschiedliche Konzepte der an dem neuerlichen Öl-Deal interessierten Firmenkonsortien wohl gegenwärtig keine Rolle.

Noch gibt es vier seriöse Bieter um die zum Verkauf stehenden Anteile, heisst es in der Presse. Neben "KazMunaiGas" aus Kasastan und "PKN Orlen" aus Polen sind es der russisch-britische Konzern TNK-BP, und LUKoil, Russlands größter Ölproduzent, der sich für diese neuen Investitionen mit seinem US-amerikanischen Partner ConocoPhillips zusammengetan hat. LUKOIL war auch 2004 schon in die Negativschlagzeilen geraten, als trotz Protesten von Umweltschützern und den Umweltministern der Ostseeanrainerstaaten direkt vor dem Naturschutzgebiet der Kurischen Nehrung (22km entfernt), im zu Kaniningrad gehörenden Seegebiet "Kravtsovskoye" (bekannt geworden als D-6), die Ölförderung in der Ostsee begonnen wurde.

Familie Brazauskas - eine Öldynastie?
In die Diskussion geraten sind nun Regierungschef Brazauskas' persönliche Beziehungen zu den LUKOIL-Managern. Anlaß gab seine Frau Kristina Butrimiene-Brazauskiene, die 38% der Anteile am ehemaligen Hotel "Draugyste" (jetzt "Crown Plaza") in Vilnius besitzt. Diskutiert werden nun die Umstände ihres Kaufs, denn frühere Eigentümerin war Ivan Paleichik, Chef von LUKOil-Baltic. Die oppositionelle Konservative Partei im litauischen Parlament wollte nun die Umstände dieses Deals durch eine Untersuchungskommission klären lassen, und befürchtet eine Verquickung von persönlichen und Amtsinteressen bei der Familie Brazauskas. Für die Einrichtung der Kommission kamen bei einer Abstimmung am 10.November aber nicht genügend Stimmen im Parlament zusammen. Zwar stimmten laut Berichten der BALTIC TIMES 55 Abgeordnete für die Einsetzung einer Kommission, 42 dagegen, bei 24 Enthaltungen - das reichte jedoch gemäß der litauischen Gesetze nicht aus.

Derweil lobt Kristina Brazauskiene, zweite Frau des Ministerpräsidenten und inzwischen - wen wundert es - zur Generalmanagerin des Hotel Crown Plaza berufen, die Qualitäten ihres Hotels in einem Hotelprospekt (OTRUM-News): "Es ist eine Ehre für uns, mit der Kette "Crown Plaza" zusammenzuarbeiten, wir habe sehr hart dafür gearbeitet, das zu erreichen."

Gerüchte in der internationalen Presse
Die Situation schlägt auch in der russischsprachigen Presse Wellen. Während KOMMERSANT die Chancen der beiden russischen Bieter noch optimistisch einschätzt, wird bei "RusslandOnline" die Agentur Nowosti zitiert, die eine "Absage Litauens an LUKOIL aus politischen Gründen" voraussieht. NOWOSTI selbst schildert genüßlich die hohen Geldsummen, die bei den politischen Ränkespielen in Litauen dabei im Spiel sind: eine Million Dollar soll Frau Brazauskiene für die Anteile am Crown Plaza Hotel ausgegeben haben.

Seitens der deutschen Presse sorgt sich Hannes Gamillscheg in der FRANKFURTER RUNDSCHAU um den guten Ruf des litauischen Regierungschefs und titelt: "
Der Premier steckt selbst im litauischen Sumpf." Auch Präsident Valdas Adamkus klage, Litauen "stecke in einer Sackgasse", zitiert derselbe Autor in
"Die Presse" aus Österreich, und schreibt weiter: "Präsident Rolandas Paksas und Wirtschaftsminister Viktor Uspaskich hatten schon zurücktreten müssen, weil sie eigene Interessen mit denen des Staates vermengten. Gegen viele andere Politiker gibt es ähnliche Vorwürfe."

Die lettische Tageszeitung DIENA sorgt sich gar um einen möglichen Sturz der gesamten litauischen Regierung. Brazauskas habe auch in einer kürzlichen Fernsehansprache die bestehenden Vorwürfe zur Verquickung seiner Familie in das Ölbusiness nicht ausräumen können, und Aļģimants Salamakins, soziademokratischer Abgeordneter im litauischen Parlament, habe gar den Sturz Brazauskas für möglich erklärt. Und Viktors Uspaskihs, Litauens "Gurkenkönig" und ehemaliger Wirtschaftsminister, habe bereits den Abgang von Brazauskas vorhergesagt, und sich bereit erklärt, dass für diesen Fall seine populistisch orientierte "Arbeitspartei" zu Bildung einer Regierung mit neuen Partnern bereit sei, so DIENA. Aber auch Uspaskich selbst hatte während offizieller Reisen schon versucht, für seine eigenen Firmen Geschäfte anzubahnen, und zudem seine eigenen Hochschulzeugnisse gefälscht, wie auch DER STANDARD richtig bemerkt.

Die BALTIC TIMES berichtet ihrerseits über Konflikte zwischen TRANSNEFT, Russlands staatlicher Monopolgesellschaft zur Betreibung der Ölpipelines, mit "KazMunaiGas" aus Kasastan, die auch beim Deal um "Mazeikiu Nafta" mitbietet. TRANSNEFT habe einen bestehenden 10-Jahres-Vertrag plötzlich gekündigt, was als Zeichen interpretiert wird, den unliebsamen Mitbieter und Konkurrent russicher Firmen ökonomisch unter Druck zu setzen. Premier Brazsauskas habe sich am 16.November bereits besorgt bei der kasachischen Firma erkundigt, ob sie weiterhin die Versorgungssicherheit Litauens garantieren könne - diese habe aber keine Probleme gesehen. Bisher war vorgesehen, dass 12 Millionen Tonnen Öl aus Kasastan nach Litauen im Laufe der nächsten Jahre geliefert werde, so BALTIC TIMES. 1999 war es LUKOIL gewesen, die kasachische Firmen daran gehindert hatten, Öl nach Mazeikiai zu liefern - daher auch die aktuelle Besorgnis.

Wie geht es weiter?
Klar ist bisher nur: die Gerüchteküche kocht noch immer. Am 25.November zitierte REUTERS die Dementis von litauischen Regierungssprechern, Behauptungen in der Presse (u.a. OCNUS-NET, BNS), die beiden russischen Bieter LUKOil und TNK-BP seien jetzt als Käufer ausgeschlossen worden, bestritten. Berichten zufolge waren beide Bieter von den Verhandlungen ausgeschlossen worden. Für diese These konnte weder BNS noch andere aber keine konkrete Belege nennen.
Politische Analysten in Litauen halten nur eines für sicher: der Parteienverdruß wird steigen. "Nun kann man mal wieder der Politik für alles die Schuld gegen, und einfach sagen: das ist ein dreckiges Geschäft," zitiert BALTIC TIMES einen Bericht des litauischen Politikwissenschaftlers Vladimiras Laucius in "Omni Laikas".
BALTIC TIMES titiert ebenfalls Eugenijus Gentvilas, der kürzlich die Union der Liberalen und Zentrumspartei verlassen hatte. "Die Ereignisse der vergangenen Wochen bilden wieder einmal ein gutes Beispiel aus Sicht der jungen Generation in Litauen dafür, wie es die ehemalige kommunistische Nomenklatur auch zu Sowjetzeiten gemacht hat. Sobald jemand in dubiose Geschäfte verwickelt ist, setzen sich einige andere Vertreter der Führungselite zusammen und zeigen sich gegenseitig vergangener Sünden an. Das alleinige Ziel ist dabei, den Eindruck zu erwecken, es lohne sich ncht, etwas zu tun - alle sind gleichermaßen sündenbeladen."

P.S.: Wer sich näher für den Gerichtsprozess in Russland gegen YUKOS und Mihail Khodorkovsky interessiert, kann z.B. die englischsprachige "SupportKhodorkovsky.com" nutzen, die vom US-aerikanischen Washingon aus editiert wird.

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